Recht und Justiz

Novellierung des UZwG Bln – Die Rolle der Notrechte im öffentlichen Recht

Von Prof. Michael Knape, Berlin

 

2 Notwehr-/Nothilferecht einerseits – „Finaler Rettungsschuss“ andererseits


Das Notwehr-/Nothilferecht gem. § 32 StGB ist ein sog. „Jedermannsrecht“. Es steht demzufolge jedem Bürger zu, befindet sich infolgedessen in keiner inneren Verbindung zum hoheitlichen Handeln, wie es bei dienstlichen Maßnahmen eines Polizeivollzugsbeamten der Fall ist.18 Wer Notwehr/Nothilfe ausübt, handelt nach eigenem Entschluss, ist von den besonderen – hier im Wesentlichen nicht einschlägigen Fällen der unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323c StGB – nicht zur Handlung verpflichtet. Unabhängig von der Frage, ob für den sog. „Finalen Rettungsschuss“ eine spezielle polizeirechtliche Regelung erforderlich ist, soll nach einer im Schrifttum vertretenen Meinung die tödliche Einwirkung auf einen in der Phase der Tatausführung befindlichen Täter – z.B. Amoktäter oder Geiselnehmer mit gegenwärtiger Lebensgefahr für die Geisel – durch die Polizei zwar auf das Recht der Notwehr bzw. Nothilfe (§ 32 StGB) ausnahmsweise gestützt werden können.19 An dieser so wichtigen Schnittstelle rechtlicher Betrachtung offenbart sich jedoch im Verhältnis zu privaten Dritten ein großer Unterschied zu den dienstlichen Pflichten von Polizeivollzugsbeamten. Sie, die nach ihrem Berufsbild, Eid, ihren übertragenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und aufgrund ihrer Dienstpflicht verpflichtet sind, dem Rechtsbrecher entgegenzutreten und der bedrohten Person zur Hilfe zu eilen, müssen einmal mehr schützend einschreiten; dazu sind sie von Gesetzes wegen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet. Strafrechtlich ist im Übrigen von einer Garantenstellung und demzufolge von einer Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB auszugehen. Werden vom Rechtsbrecher die Rechtsgüter Leib und Leben anderer akut gefährdet, reduziert sich das Entschließungsermessen eines Polizeivollzugsbeamten auf „Null“.20 Infolgedessen muss er handeln, soll sein hoheitliches Handeln als „pflichtgemäß“ gelten, mithin ermessensfehlerfrei, und damit rechtmäßig sein. Die Geisel hat zwar keinen Anspruch auf ein bestimmtes polizeiliches Handeln, sie hat jedoch Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Bei Geisellagen kann sich polizeiliches Handeln mit akuter Lebensbedrohung im Rahmen des Auswahlermessens21 auf „Eins“ reduzieren, mithin auf den sog. „Finalen Rettungsschuss“. Das heißt, ein gezielter Todesschuss käme nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles als letzter Ausweg in Betracht, um den Täter angriffsunfähig zu machen und die Geisel aus der für sie unverschuldeten Bedrohungslage, in die sie hineingeraten ist, zu befreien. Ein gezielter Todesschuss wäre dann ausnahmsweise zulässig, wenn die Angriffsunfähigkeit und die körperliche Unversehrtheit oder das Leben der Geisel nicht auf andere Weise geschützt/gerettet werden kann. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 4 UZwG Bln) erfolgt im öffentlichen Recht unter weitaus strengeren Maßstäben als im Strafrecht. § 32 StGB unterscheidet bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff nicht, ob das angegriffene Rechtsgut Leib oder Leben oder womöglich anderer Art ist, insbesondere beispielsweise auch Sachgüter betrifft. Denn Eigentum, Vermögen, Besitz und Ehre können im Wege der Notwehr/Nothilfe ebenso – wohlgemerkt stets unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – verteidigt werden.22 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betrifft insoweit nur das Abwehrmittel im Verhältnis zum Angriff, nicht jedoch – jedenfalls im Grundsatz – den Rang des angegriffenen Rechtsgutes;23 gerade aber dies spielt bei hoheitlichem Handeln eine besondere Rolle hinsichtlich der Frage, „wie“ unmittelbarer Zwang angewendet werden kann. Unter diesem Blickwinkel – und das muss allen Kritikern des sog. „Finalen Rettungsschusses“ im Land Berlin verdeutlicht werden – verstehen sich die existierenden Regelungen des polizeilichen Eingriffsrechts – allesamt Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, verbunden mit einer strengen Rechtsgüterabwägung – vor allem als bewusste gesetzliche Beschränkung in diesem so sensiblen rechtlichen Bereich polizeilichen Handelns. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit übt seit jeher seine Rolle in ermächtigungsbegrenzender Funktion aus und erführe mit der für § 9 Abs. 2 Satz 2 UZwG Bln vorgeschlagenen Formulierung eine weitere besondere gesetzliche Ausprägung. Für den sog. „Finalen Rettungsschuss“ kommen ausschließlich Gefahren für Leib und Leben des Opfers in Frage. Andere gefährdete Rechtsgüter scheiden diesbezüglich aus. Da für eine Androhung des Schusswaffengebrauchs keine Zeit bleibt und auch gar keine Möglichkeit besteht, der Täter (z.B. Geiselnehmer) weiß, in welche Lage er seine Geisel gebracht hat und was ihn womöglich durch Schusswaffengebrauch der Polizei erwartet, wird in der Lehre – abgesehen vom sofortigen Vollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG – nur allzu gern als Rechtsfigur die sog. teleologische Reduktion in Ansatz gebracht. Die Berufung auf diese Rechtsfigur ist in einem Rechtsstaat, der auf Normenklarheit und Bestimmtheit seiner Gesetze abstellt, jedoch nur schwer bzw. kaum akzeptabel. Außerdem gilt: An dieser Stelle muss einmal mehr Einhalt geboten werden, weil das UZwG Bln eindeutig geregelt ist, und gleich mehrere Normen des UZwG Bln den sog. „Finalen Rettungsschuss“ nicht zulassen. Insoweit gilt der klare und eindeutige Wortlaut des Gesetzes, die wörtliche bzw. grammatikalische Auslegung der Vorschriften hat stets Vorrang.

 

3 Polizeiliche Maßnahmen – öffentlich-rechtliche Maßstäbe


Seit jeher besteht für im Dienst befindliche Einsatzkräfte der Polizei die rechtliche Bindung, dass sich bei hoheitlichem Handeln zunächst immer erst die Frage stellt, ob das polizeiliche Tätigwerden nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben gerechtfertigt ist. Das gilt vor allem immer dann, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist und hier wiederum insbesondere in Fällen des Schusswaffengebrauchs. Insoweit sei auf die Prüfung rechtmäßiger Amtsausübung verwiesen, deren positives Ergebnis nach herrschender Meinung zugleich als straf- und zivilrechtlicher Rechtsfertigungsgrund wirkt. Die Polizeivollzugsbeamten haben sich bei Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit in erster Linie an den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu orientieren, die ihr Handeln lenkend steuern und flankierend beschränken. Für den Gebrauch der Schusswaffe sind daher explizit die §§ 9 bis 16 UZwG Bln vom Berliner Gesetzgeber erlassen worden. Dieser Grundsatz korrespondiert mit dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG), der als eine wesentliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) und zugleich als Schranken-Schranke zu verstehen ist. Erst wenn diese Handlungsmaxime nicht Platz greift, können ausnahmsweise womöglich straf- und zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe in Ansatz gebracht werden.24 Diese können herangezogen werden, um straf- bzw. zivilrechtliches Unrecht individuell für das Handeln oder Unterlassen des Einzelnen zu rechtfertigen. Hierzu zählt als klassischer straf- bzw. zivilrechtlicher Rechtfertigungsgrund das Recht der Notwehr und Nothilfe gem. § 32 StGB bzw. § 227 BGB. Grundlegend hierfür ist der Gedanke, dass ein Polizeivollzugsbeamter in Ausübung seines Dienstes in einer konkreten Notwehrsituation – trotz geltender hoheitlicher Regeln für den Gebrauch von Schusswaffen mit strikter Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 4 UZwG Bln) – grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden soll als der normale Bürger. Dieser Aspekt hat in allen Vorschriften der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges seinen Niederschlag gefunden. Die Staatsanwaltschaft begnügt sich mit dieser profanen Regelung. Gleichwohl muss sie unter wissenschaftlichen Kautelen nicht automatisch bestehen, was insbesondere für Fälle der Nothilfe gilt. In Lehre und Schrifttum existieren jedenfalls diesbezüglich nicht unerhebliche rechtliche Bedenken. Abgesehen von § 9 Abs. 4 Satz 1 UZwG Bln sei der Vollständigkeit wegen bspw. auf § 60 Abs. 2 BbgPolG verwiesen. Auch der Gesetzgeber des Landes Brandenburg bestimmt in dieser Regelung, dass die Vorschriften über Notwehr und Notstand unberührt bleiben.