Kontrollen an gefährlichen Orten zur Bekämpfung der Drogenkriminalität am Beispiel der Stadt Kiel

Von PHK Martin Schardt, Kiel

 

1 Einführung

 

Die Betäubungsmittelkriminalität weist seit Jahren bundesweit ein stetiges Wachstum auf. Rauschgiftdelikte und allgemeine Verstöße gegen das BtMG sind die letzten zehn Jahre in ihren Fallzahlen und Häufigkeitszahlen kontinuierlich angestiegen.2 Dieser Trend korrespondiert mit den Entwicklungen in Schleswig-Holstein. Tendenziell werden immer mehr schwere Rauschgiftdelikte, wie unerlaubter Anbau, Handel und Besitz, mit jeweils nicht geringer Menge festgestellt. Es dominieren hier die Betäubungsmittel Cannabis, Kokain und Amphetamine,3 wobei die Verstöße im Zusammenhang mit Kokain eine deutliche Zunahme erfahren haben.4 Ständige Untersuchungen des kriminaltechnischen Instituts beim LKA Kiel, SG 432, weisen darauf hin, dass der Wirkstoffgehalt von Kokain im Straßenverkauf mittlerweile im Schnitt bei fast 90% liegt. Zudem kann nachgewiesen werden, dass auch der Wirkstoffgehalt von Marihuanablüten (2020 im Schnitt bei 14,1%) und Haschisch (2020 im Schnitt bei 20,7%) weiterhin ansteigt.5 Im Zehn-Jahres-Vergleich erreichte die Anzahl der Drogentoten 2020 in Schleswig-Holstein einen traurigen Höchststand.6 Schließlich ist bei der Betrachtung des Lagebilds Rauschgiftkriminalität auch immer die damit unmittelbar zusammenhängende Beschaffungskriminalität im Bereich der Diebstahls- und Gewaltkriminalität, wie Raub und räuberische Erpressung, zu berücksichtigen, die statistisch jedoch nur als direkte Beschaffungskriminalität erfasst werden kann, wenn unmittelbare Bezüge hergestellt werden können. Die nachweisbare Beschaffungskriminalität jedenfalls in Schleswig-Holstein weist im Vergleich zu den letzten Jahren einen Anstieg auf.7 Aufgrund hoher Nachfrage und guter Gewinne stellt sich der Drogenhandel für Gruppierungen organisierter Kriminalität als lukratives Geschäft dar. Der Handel mit Marihuana und Kokain kann dabei anhand der durchgeführten Verfahren als hauptsächliches Betätigungsfeld bezeichnet werden. Die kriminellen Gruppen sind dabei etwa zu 40% deutscher und je zu etwa 20% albanischer, irakischer und russischer Abstammung.8

Die Zunahme festgestellter Verstöße im Zusammenhang mit der Rauchgiftkriminalität wird am Beispiel der Landeshauptstadt Kiel greifbar. Während die Fallzahlen in Verbindung mit Marihuana im Verlauf der vergangenen Jahre konstant zunehmen, verdreifachten sich die Fallzahlen bezüglich der harten Droge Kokain im Jahre 2019 im Vergleich zu 2018. 2020 stiegen die Zahlen weiterhin an, so dass im Vergleich zu 2018 von einer Vervierfachung gesprochen werden kann. Deutlich ist auch der kontinuierliche Anstieg der Fallzahlen vom Handel mit sowie Schmuggel von Betäubungsmitteln.9

Diese Fakten sprechen für eine verstärkte und erfolgreiche Ermittlungs- und Kontrolltätigkeit der Polizei Kiel. Da die Rauschgiftkriminalität typischerweise keine geschädigten Personen im klassischen Sinne verzeichnet, sondern ein Zusammenspiel von Händlern und Abnehmern, Lieferanten und Bunkerhaltern darstellt, ist ein geringes Anzeigeverhalten festzustellen. Daher kommt es in diesem Deliktsfeld in besonderem Maße darauf an, die Taten durch polizeiliche Maßnahmen selbst festzustellen und so aus dem Dunkelfeld herauszuholen. Zurecht wird immer wieder von einem Kontrolldelikt gesprochen.10

Um rechtzeitig und im Kräfteansatz angemessen auf Kriminalitätsschwerpunkte aller Art reagieren zu können, hat die Kieler Polizei ein System zur Kriminalitätsbekämpfung entwickelt, mit dem an der Lage orientierte abgestufte Maßnahmen zur Anwendung kommen.11 Hierzu ist eine tägliche und gründliche Lageauswertung aller zur Verfügung stehenden Lagefelder erforderlich. Für den Deliktsbereich der Rauschgiftkriminalität sind dabei nicht nur die reinen Fallzahlen in bestimmten Gebieten entscheidend, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung von offenem Drogenkonsum oder Straßendeals. In diesem Zusammenhang hat sich die zeitweise Einrichtung von gefährlichen Orten nach § 181 I Nr. 1 LVwG in besonders betroffenen Gebieten, wie in den Kieler Stadtteilen Gaarden, Dietrichsdorf und Mettenhof, bewährt. Nicht umsonst werden Drogenumschlagsorte in der Literatur als typische Beispiele für gefährliche Orte benannt.12

Im Folgenden sollen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung gefährlicher Orte und der sich daraus für die Polizei ergebende Handlungsspielraum aufgezeigt werden. Auf der Rechtsfolgenseite gehen mit der Einrichtung gefährlicher Orte Kontrollmaßnahmen, wie die Identitätsfeststellung, Durchsuchung von Personen und Sachen inklusive der Fahrzeugdurchsuchung, einher, die der Polizei als Maßnahmenbündel bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität unmittelbar dienlich sind. Informationen können mit Anhaltemeldungen gezielt gesteuert und rahmengebend kurzfristige bzw. langfristige Observationen und sonstige technische Mittel eingesetzt werden.

 

 

2 Einstufung von gefährlichen Orten


In sämtlichen Landespolizeigesetzen13 und dem Bundespolizeigesetz14 sind Regelungen zur Einstufung von gefährlichen bzw. verrufenen oder kriminalitätsbelasteten Orten vorhanden und bieten im Grunde auf der Rechtsfolgenseite zunächst die Maßnahme der Identitätsfeststellung einschließlich des damit verbundenen Eingriffs in die Bewegungsfreiheit. Der Tatbestand des § 181 I Nr. 1a LVwG (SH) erfordert im Wesentlichen eine ortsbezogene tatsachenbasierte Prognose für das Verabreden, Vorbereiten oder Verüben von Straftaten.

 



2.1 Anforderungen an den Gefahrengrad

Entscheidend ist dabei zum einen, dass sich der Adressat aus dem Aufenthalt seiner Person am gefährlichen Ort ergibt. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Adressatenregelung, die sog Ortshaftung.15 Die Gefährlichkeit des Ortes wird dabei in den Mittelpunkt gestellt. Es müssen auf Tatsachen basierende Vermutungen bestehen, dass Personen an der konkreten Örtlichkeit straffällig werden. Dabei muss sich die Prognose nicht direkt auf die kontrollierte Person beziehen.16 Die Gesetzesformulierung „Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben“17 weist darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeitsprognose sich auf alle Phasen der Tat, vom Tatentschluss über die Vorbereitung bis zur Vollendung, beziehen kann.18 Somit ist auch das Aufgabenfeld „Verhütung von Straftaten“ eröffnet, welches deutlich im Vorfeld der konkreten Gefahrenabwehr in Form der Verhinderung der Taten liegt.19 Es handelt sich hier um eine abstrakte Gefahr bzw. einen Gefahrenverdacht20,21 der einen Gefahrerforschungseingriff rechtfertigt.22 Die grundsätzlich von kriminellen Milieus ausgehende Gefahr der Begehung von Straftaten soll mit intensiveren Kontrollen an dafür relevanten Orten bekämpft werden können, um Informationen über kriminelle Strukturen zu erlangen und mögliche Täter zu verunsichern bzw. abzuschrecken.23 Damit trifft für die Maßnahme mangels im Einzelfall vorliegender konkreter Gefahr auch die polizeiliche sachliche Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr nach § 168 I Nr. 3 LVwG nicht zu. Die Zuständigkeit ergibt sich vielmehr im Rahmen der sog. Rückschlusstheorie.24

2.2 Anforderungen an die Ortshaftung – Grenzen der Ortshaftung

Einige Polizeigesetze, z.B. § 27 I Nr. 2 BremPolG, § 12 I Nr. 2 NdsSOG, fordern, dass die kontrollierte Person an dem Ort „angetroffen“ wird. Unter anderem zielt jedoch die schleswig-holsteinische Vorschrift, § 181 I Nr. 1 LVwG, vom Wortlaut her auf den „Aufenthalt“ an dem gefährlichen Ort ab, so dass es hier zunächst erstmal auf die Feststellung der Person in dem betroffenen Gebiet ankommt. Die Begrifflichkeit „Aufenthalt“ impliziert nach herrschender Auffassung ein gewisses Verweilen bzw. zumindest einen zögerlichen Bewegungsablauf25 oder ein nicht nur ganz vorübergehendes körperliches Anwesendsein26 an der Örtlichkeit, so dass ein reines Passieren bzw. Durchfahren oder Durchlaufen, pauschal nicht die Ortshaftung auslösen kann.27 Insbesondere kommen daher Personen in Betracht, die an dem gefährlichen Ort Kontakt mit anderen Personen aufnehmen. Dabei kommt es allein auf den äußeren Anschein und nicht auf den inneren Willen der kontrollierten Person an.28 Aber auch diejenigen, die anhand der sachlichen Kriterien vollumfänglich dem ins Auge gefassten Personenkreis entsprechen – z.B. den Beamten bekannte Drogenhändler – dürften ebenfalls der Ortshaftung unterliegen, selbst wenn sie nur zügig den Kontrollbereich passieren wollen.29 Bei den Örtlichkeiten kann es sich typischerweise um Straßenzüge, Bahnhöfe, Parkanlagen, Waldanlagen, Gebäudepassagen und Plätze handeln.30 Durchaus können auch Räume, wie Geschäfts- und Nebenräume, z.B. Imbisse, ja sogar Wohnungen, unter die Begrifflichkeit „Ort“ gefasst werden. Hierbei sind jedoch die polizeirechtlichen Anforderungen für das Betreten31 gesondert zu prüfen.32 Liegen alle Voraussetzungen für die Ermächtigung zur Kontrolle am gefährlichen Ort vor, beinhaltet § 181 I Nr. 1 LVwG daher auch die Ermächtigungsgrundlage für Razzien33.34

2.3 Anforderungen an die Personenauswahl

Da der Kreis der möglichen Adressaten pauschal zu groß ist, könnte die Vorschrift so ohne Weiteres als zu unbestimmt und damit verfassungswidrig eingestuft werden, wenn sie nicht an weitere konkrete Umstände geknüpft wird.35 Um die Norm verfassungskonform auszulegen und anzuwenden, muss der Adressatenkreis nach objektiven Kriterien gefiltert werden. So müssten von vornherein offensichtlich nicht als Störer in Betracht kommende Personen, die zum Beispiel ihrem Alltag nachzugehen scheinen, von den Kontrollen ausgeschlossen werden. Rechtskonform dürfte in jedem Fall die Kontrolle von Personen sein, die während ihres Aufenthalts am gefährlichen Ort durch ihr Verhalten zumindest als Verantwortliche im Sinne eines Gefahrenverdachts bzw. einer abstrakten Gefahr in Betracht kommen.36 Hierfür ist bei weitem nicht die Qualität einer konkreten Gefahr oder gar eines Anfangsverdachts nach § 163 i.V.m. § 152 StPO erforderlich. Es reicht, wenn die der Örtlichkeit zu Grunde liegende ortstypische Gefahr auf eine drohende Straftat hinweist37 und die Person anhand tatsächlicher Anhaltspunkte dafür ausgewählt wird.38 Gewisse Anhaltspunkte müssen für einen Bezug der kontrollierten Person zu der am Ort bestehenden Gefahr vorliegen.39 Hierbei könnten Typisierungen von Tätergruppen oder Täterprofile auf Grundlage vorliegender Ermittlungsergebnisse helfen.40 Auf bestimmte mitgeführte Gegenstände, gängige Verhaltensweisen, Sprache oder auffällige Gesten ist zu achten.41 Im Bereich der Drogenkriminalität könnten das szenetypische Verhaltensweisen an Umschlagsorten sein, die auf eine Betätigung als Drogenhändler, Abnehmer oder Konsument hinweisen, ohne dass die Schwelle zum strafprozessualen Anfangsverdacht überschritten ist. Die für die Ortshaftung notwendigen Informationen können im Rahmen der uniformierten Streifenfahrt, der zivilen Aufklärung oder durch kurzfristige Beobachtungen42 herausgearbeitet werden. So kann sichergestellt werden, dass der richtige Adressat der Maßnahme ausgewählt wird. Schließlich muss sich polizeiliches Handeln stets am Grundsatz des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 S. 1 GG orientieren.43 Zu den geschützten unveränderlichen Merkmalen gehören z.B. Geschlecht, Abstammung, ethnische Herkunft, Rasse und Hautfarbe.44 Ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal, wie die ethnische Herkunft oder die Hautfarbe, darf dabei keine tragende Rolle in der Entscheidungsfindung zur Durchführung der Kontrolle darstellen.45 Derartige Merkmale können nur eine untergeordnete Rolle spielen, so dass es ausschließlich auf die oben aufgeführten sachlichen Kriterien bei der Auswahl von Personen ankommt. Bei der Erstellung von Täterprofilen kann dies für die Polizei zu einem Drahtseilakt werden.46 Im Bereich der Drogenkriminalität bestehen oftmals bandenmäßige Strukturen, deren Tätigkeiten Zuwanderern aus dem gleichen Herkunftsland zugeschrieben werden.47 Die Lagebeurteilung sollte hier anhand von bekannten Gruppenmerkmalen erfolgen, so dass dem Diskriminierungsverbot unterliegenden Merkmale nicht dominieren. Eine Beweislastumkehr in dem Sinne, dass den von Maßnahmen betroffenen Personen dargelegt werden muss, keine phänotypischen Merkmale für die Lagebeurteilung herangezogen zu haben, besteht jedoch nicht.48

2.4 Anforderungen an den Tatsachenbegriff

Einige Landesregelungen, wie die in Rheinland-Pfalz49 und Hessen50, fordern als Tatbestandsmerkmal lediglich tatsächliche Anhaltspunkte. In vielen anderen Ländern, so auch in Schleswig-Holstein mit § 181 I Nr. 1 LVWG, wird dagegen auf den Tatsachenbegriff abgestellt. Dieser weist auf gesteigerte Anforderungen für die Qualität der Wahrscheinlichkeitsprognose hin. Gefordert sind konkrete zeitlich, örtlich und sachlich bestimmbare Ereignisse, die nachvollziehbar sind. Darunter fallen insbesondere eigene Beobachtungen, Bürgerhinweise, Anzeigen, Fallzahlen, Informationen aus Anhaltemeldungen, Mitteilungen anderer Behörden oder Polizeidienststellen.51 Die auf Tatsachen gestützten Feststellungen sollten sich auf einen längeren Zeitraum beziehen,52 allgemeine Erfahrungssätze ohne Bezüge zu jeweiligen Geschehen reichen dabei nicht aus.53 Ein gewichtiger Baustein stellt dabei die systematische und kontinuierliche Lagedarstellung und -analyse der Polizei dar. Die Häufung von einschlägigen Delikten in dem bestimmten örtlichen Bereich muss sich deutlich von anderen Orten abheben.54 Die Anordnungen zur Einrichtung gefährlicher Orte dürfen dabei jedoch nicht den Eindruck erwecken, sich allein auf die polizeiliche Lagebeurteilung zu beschränken. Die Einschätzung der Polizeibehörde könnte sonst zum einzigen Kriterium für die Rechtsfolge werden.55 § 4 II HmbPolDVG a.F. stellte als Voraussetzung zur Einrichtung von sog. Gefahrengebieten ursprünglich ausschließlich auf die Begrifflichkeit „konkrete Lageerkenntnisse“ ab. Die Befugnisnorm wurde durch das OVG Hamburg im Jahre 2015 als zu unbestimmt und unverhältnismäßig und damit für verfassungswidrig erklärt, wobei auch die überschaubaren Lageerkenntnisse eine Rolle gespielt haben dürften.56 Nunmehr enthält das HambPolDVG mit § 13 I Nr. 2 eine verfassungskonforme Norm zur Anordnung von gefährlichen Orten, die den Tatsachenbegriff beinhaltet.

2.5 Anforderungen an die Schwere der prognostizierten Straftaten

Grundsätzlich ist zu beachten, dass sich die Einrichtung von gefährlichen Orten an sich bereits grundrechtseinschränkend auswirken kann, wenn Bürger den Aufenthalt in der Konsequenz bewusst vermeiden.57 Im Gegensatz zu vergleichbaren Regelungen58 beinhaltet die schleswig-holsteinische Norm keine besonderen Anforderungen an die Straftaten. Vorfeldbefugnisse wie die Identitätsfeststellung an gefährlichen Orten sind jedoch nur zu gewichtigen Zwecken zulässig.59 Eine verfassungskonforme Auslegung und Ausgestaltung der Befugnisnorm – insbesondere vor dem Hintergrund des weitreichenden Adressatenkreises – erfordert Straftaten von erheblicher Bedeutung.60 Hierbei handelt es sich um Straftaten, die aufgrund ihrer Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören; Taten, die mindestens der mittleren Kriminalität zuzuschreiben sind. Einen Katalog für den Rechtsbegriff „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ weist das schleswig-holsteinische LVwG im Gegensatz zu anderen Polizeigesetzen nicht auf. Die Betäubungsmittelkriminalität mit all ihren den Rechtsfrieden der Bevölkerung störenden Konsequenzen gehört jedoch unzweifelhaft dazu.61

2.6 Räumliche und zeitliche Grenzen

Schließlich erfordert eine verfassungskonforme Auslegung auch eine restriktive Bestimmung der räumlichen Grenzen der gefährlichen Orte. Objektive Kriterien müssen dafür sprechen, dass in dem festgelegten Bereich mit erheblicher Kriminalität zu rechnen ist.62 Dabei darf keine zu große Streubreite63 der Maßnahme durch eine zu große Ausdehnung des Gebiets entstehen. Das OVG Hamburg beanstandete bei der Regelung zur Einrichtung von Gefahrengebieten nach § 4 II HmbPolDVG a.F. insbesondere die Größe der Örtlichkeit, ohne dass für die Ausdehnung des gefährlichen Ortes belastbare Erkenntnisse vorhanden waren. Die Entscheidung ist somit auch nicht auf die übrigen Regelungen zur Kontrolle an gefährlichen Orten übertragbar.64 Gleiches gilt für zeitliche Aspekte. Sprechen die Tatsachen für die Gefahrenlage nur zu bestimmten Zeiten, z.B. am Wochenende in einem Diskothekenzentrum, können die Kontrollen nicht außerhalb dieser Zeiten angesetzt werden.65

2.7 Anordnungskompetenz

Aufgrund der hohen Anforderungen in der Lagebeurteilung hat es sich in der Praxis bewährt, dass die jeweiligen Behördenleitungen bzw. besonders beauftragte Personen Anordnungen von gefährlichen Orten nach Lageauswertung und Rücksprache mit zuständigen Dienststellen vornehmen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass aus rechtlicher Sicht kein Erfordernis dazu besteht. § 181 I Nr. 1 LVwG beinhaltet keine besondere Anordnungskompetenz bzw. keinen wie aus § 180 Abs. 3 LVwG (Anhalte- und Sichtkontrollen) bekannten Behördenleitervorbehalt. Somit dürften auch nach den o.g. Kriterien in eigener Verantwortung angeordnete Kontrollen durch Polizeivollzugsbeamte rechtlich zulässig sein, wenn die nötige Lagebeurteilung gründlich genug durchgeführt werden kann.66

 

3 Rechtsfolgen


Liegen alle erforderlichen Tatbestandsmerkmale vor, können die eingesetzten Polizeibeamten nach Maßgabe des § 181 LVwG die Personalien feststellen. Ein Datenabgleich nach § 195 LVwG könnte für die Beurteilung des vorliegenden Gefahrenverdachts zwecktauglich sein.67 Weitere Kontrollmaßnahmen wie die Personendurchsuchung nach § 202 II Nr. 2 LVwG und Sachdurchsuchung nach § 206 Nr. 1 und Nr. 4 LVwG sind nach den jeweiligen Polizeigesetzen per Rechtsgrundverweisung als Rechtsfolgen zulässig. Die Normen knüpfen dabei unmittelbar an den Tatbestand der Regelungen zum gefährlichen Ort an, so dass keine weiteren Merkmale erfüllt sein müssen. Möglich ist somit neben der Durchsuchung von Personen und deren am Körper getragenen Kleidung (§ 202 LVwG), auch die Durchsuchung von mitgeführten Sachen, wie Taschen, Rucksäcke, Koffer, nicht am Körper getragener Kleidung, Tieren sowie genutzte Fahrzeuge wie PKW und LKW (§ 206 Nr. 1 LVwG).68 Die Durchsuchung nach § 206 Nr. 4 LVwG kann sich auf Sachen beziehen, die sich am gefährlichen Ort befinden oder dort abgestellt sind. Neben beweglichen Sachen kann es sich dabei auch um Grundstücke handeln, sofern der Wohnungsbegriff nicht erfüllt ist, so dass weitere Anforderungen an den Rechtseingriff zu stellen wären.69 So können auch mögliche Drogenverstecke in Gartenanlagen oder als Bunker dienende Fahrzeuge relevant werden.70 Die Durchführung und Intensität der Maßnahmen werden durch das Übermaßverbot begrenzt. Die Durchsuchungsmaßnahmen kommen dann in Betracht, wenn die Gesamtumstände darauf hindeuten, dass es sich bei der kontrollierten Person um einen potentiellen Störer bzw. Verursacher des Gefahrenverdachts handelt. Personen, die nach der Personalienüberprüfung ganz offensichtlich nicht dem Täterprofil entsprechen, würden hier unverhältnismäßig von im Vergleich zur Identitätsfeststellung schwereren Grundrechtseingriffen betroffen sein.71 Je nach Sachlage können aber auch die Tatbestandsmerkmale der Durchsuchungsnormen bereits erfüllt und damit die Alternativen nach § 202 II Nr. 1 und § 206 Nr. 1 LVwG einschlägig sein. Dies ist der Fall, wenn bereits Tatsachen dafür sprechen, dass bei der Person bzw. in der Sache Gegenstände aufgefunden werden, die nach dem Polizeirecht sichergestellt werden können. Diese Voraussetzungen können sich bei Drogenkriminalität im Rahmen der Feststellungen sowie Hinweisen vor und während der Kontrolle ergeben, z.B. aufgrund bekannter einschlägiger Vorerkenntnisse der Person sowie verdächtiger Verhaltensweisen an Ort und Stelle, Aufsuchen bekannter Drogenumschlagsplätze und Adressen etc.72 Unbenommen davon bleibt die Durchsuchung aus Gründen der Eigensicherung nach § 202 I LVwG, wenn dies zum Schutz von Amtsträgern erforderlich erscheint.

 

4 Zum Abschluss


Die Einstufung eines durch Drogenkriminalität belasteten räumlichen Bereichs zum gefährlichen Ort im Sinne der Polizeigesetze ermöglicht der Polizei weitreichende Kontrollmaßnahmen präventiver Art, die geeignet sind, das Lagebild zu konkretisieren und verdächtige Personen zu identifizieren. Ergeben bei den Kontrollen Hinweise auf die Verstrickung in die Drogenkriminalität oder durch den Fund von Drogen bzw. anderer verdächtiger Gegenstände, wie Feinwaagen, Zweithandys usw. einen Anfangsverdacht im Sinne des § 163 i.V.m. § 152 StPO, können weitere gezielte Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Dazu gehören insbesondere kurzfristige und langfristige Observationen zur Ermittlung der Tatbeteiligung, Häufigkeit der Tathandlungen und relevanter Örtlichkeiten (Verkaufsorte, Verkaufswohnungen, Drogendepots). Es zeigt sich, dass die konsequente Einbettung der Regelungen zum gefährlichen Ort in vorhandene Kriminalitätsbekämpfungskonzepte sinnvoll erscheint und einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Drogenkriminalität darstellt. So kann dem öffentlich wahrnehmbaren Anstieg der Drogenkriminalität begegnet werden. Ohne die Möglichkeiten zur Kontrolle an gefährlichen Orten würden die Fallzahlen vermutlich sinken, während sich das Dunkelfeld vergrößert. Inwiefern Elemente des sog. „predictive policing“73 in Zukunft die herkömmliche Beurteilung der tatsachenbasierten Gefahrenprognose für die Gefährlichkeit der jeweiligen Orte unterstützen wird, bleibt abzuwarten.


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Anmerkungen

 

  1. Der Autor ist langjähriger Angehöriger der Polizeidirektion Kiel und arbeitet im operativen Schwerpunktdienst. Nebenamtlich unterrichtet er im Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung (FHVD) im Studienfach Verfassungsrecht/Eingriffsrecht.
  2. Siehe hierzu: BKA, PKS 2021, Tabelle 01, Fallentwicklung und Aufklärung der Straftaten/-Gruppen V1.0 erst. 21.1.2021, PKS, 2020, S. 23 f; MILIG SH, LKA, SG 241, PKS 2020, Abschn. 4.8 Rauchgiftkriminalität, erst. April 2020; MILIG SH, LKA, SG 241, PKS 2021, S. 15.
  3. MILIG SH, LKA, SG 241, PKS 2021, S. 15 f.
  4. MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 5 ff.
  5. MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 24.
  6. MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 27; als Drogentote erfasst werden Todesfälle infolge von Überdosierung, Langzeitkonsum, Selbsttötungen aus Verzweiflung über die Lebensumstände im Zusammenhang mit Rauschgiftkonsum sowie tödliche Unfälle/Verkehrsunfälle unter Drogeneinfluss.
  7. MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 11; MILIG SH, LKA, SG 241, PKS 2021, S. 15.
  8. MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 12.
  9. Polizeidirektion Kiel, Stabsbereich 5, PKS 2020, Landeshauptstadt Kiel, S. 21 (Tabelle 7 „Rauschgiftkriminalität“).
  10. MILIG SH, LKA, SG 241, PKS 2021, S. 14.
  11. Steffens, Leiter BKI Kiel, Polizeidirektion Kiel, Stabsbereich 5, PKS 2020, Landeshauptstadt Kiel, S. 15.
  12. Z.B. Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 2018, Kap.1, Rn. 506.
  13. Vgl. z.B. §13 I Nr. 2 HmbPolDVG, § 18 II Nr. 1 HSOG, § 12 I Nr. 2 PolG NRW, § 26 I Nr. 2 PolG BW, § 15 I Nr. 2 SächsPVDG, § 181 I Nr. 1 LVwG SH, § 27 I Nr. 2 BremPolG, § 13 I Nr. 2 NPOG, § 21 II ASOG Bln.
  14. Vgl. § 23 I Nr 4 / § 23 II Nr. 1 BPolG.
  15. Vgl. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Abschn. E, Rn. 328; Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, Bundespolizeigesetz, 6. Aufl. 2018, § 23, Rn. 35.
  16. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 23, Rn. 35.
  17. § 181 I Nr. 1 LVwG SH.
  18. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 23, Rn. 35.
  19. Vgl. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 21, Rn. 15.
  20. Zum Begriff „Gefahrverdacht“ siehe Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2019, § 8, Rn. 60 ff.
  21. Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 18. Aufl. 2016, Rn. 215; Schoch, a.a.O., Kap.1, Rn. 509; Pünder, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl. 2021, § 69, Rn. 215.
  22. Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 21, Rn. 9; siehe auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2018, § 3, Rn. 121.
  23. Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2018, 3. Teil, § 13, Rn. 38.
  24. Zur Rechtsfigur der „Rückschlusstheorie“ siehe Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, Versammlungsrecht, 5. Aufl. 2020, S. 267; dies., Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, 1. Aufl. 2016, § 27, Rn. 8.
  25. Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21, Rn. 18.
  26. Thiel, a.a.O., § 10, Rn. 31.
  27. Schoch, a.a.O., Kap.1, Rn. 506; Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 49; OVG Hamburg v. 23.08.2002, 1 Bf 301/00.
  28. Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, 11. Aufl. 2016, § 21, Rn. 50.
  29. Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 12. Aufl. 2018, § 12, Rn. 7; OVG Lüneburg, KR 2010, S 448.
  30. Roos/Lenz, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz, 5. Aufl. 2018, § 10, Rn. 14.
  31. Betreten von Räumen wie Wohnungen und Geschäftsräume gem. § 208 LVwG SH.
  32. Vgl. hierzu Roos/Lenz, a.a.O., § 10, Rn. 14.
  33. Zum Begriff der Razzia siehe Knape/Schönrock, a.a.O., § 21, Rn. 48.
  34. So auch Roos/Lenz, a.a.O., § 10, Rn. 14; Tegtmeyer/Vahle, a.a.O., § 12, Rn. 7.
  35. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 49; Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 49.
  36. Vgl. hierzu Schmidt, a.a.O., Rn. 227; Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 49.
  37. Schoch, a.a.O., Kap.1, Rn. 509.
  38. Pünder, in: Ehlers/Fehling/Pünder, a.a.O., § 69, Rn. 215.
  39. VG Hamburg v. 10.11.2020, 20 K 1515/17; BayVGH v. 8.3.2012, 10 C 12.141; VG Berlin v. 15.9.2017, 1 K 229.16.
  40. Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 54.
  41. Tegtmeyer/Vahle, a.a.O., § 12, Rn. 7.
  42. Z.B. auf der Grundlage des § 179 II LVwG.
  43. Pünder, in: Ehlers/Fehling/Pünder, a.a.O., § 69, Rn. 215, zum „Diskriminierungsverbot“ siehe Bramow/Kahn, Die Polizei 2021, S. 327.
  44. Vgl. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 333.
  45. Vgl. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 332; OVG Münster v. 7.8.2018, 5 A 294/16.
  46. Vgl. Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 54.
  47. BKA, Rauschgiftkriminalität Bundeslagebild 2020, S. 23; MILIG SH, LKA, Dezernat 21, SG 211, Lagebild 2020 Rauschgiftkriminalität, S. 12.
  48. Vgl. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 332.
  49. § 10 I Nr. 1a POG RP.
  50. § 18 II Nr. 1a HSOG.
  51. Vgl. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 21, Rn. 16; Knape/Schönrock, a.a.O., § 21, Rn. 52.
  52. Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Töller, a.a.O., § 21, Rn. 11.
  53. Siehe hierzu § 179 III LVwG; Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21, Rn. 13.
  54. Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21, Rn. 11.
  55. Vgl. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn, E, Rn. 50.
  56. Vgl. OVG Hamburg v. 13.5.2015, 4 Bf 226/122; Kingreen/Poscher, a.a.O., 3. Teil, § 13, Rn. 39.
  57. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 49; OVG Hamburg v. 13.5.2015, 4 Bf 226/122.
  58. Z.B. § 13 I Nr. 2 HmbPolDVG
  59. Pünder, in: Ehlers/Fehling/Pünder, a.a.O., § 69, Rn. 215.
  60. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 23, Rn. 36.
  61. Siehe hierzu z.B. Drewes, in: Drewes/Malmberg/Wagner, a.a.O., § 21, Rn. 17; § 13 III Nr. 2 b HSOG, § 2 II Nr. 2 b HmbPolDVG, § 100a II Nr. 7 StPO.
  62. Pünder, in: Ehlers/Fehling/Pünder, a.a.O., § 69, Rn. 215.
  63. Zum Begriff „Streubreite“ siehe BVerfGE 115, 320/354.
  64. So auch Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21, Rn. 12.
  65. VG Freiburg v. 4.4.2019, 10 K 3092/18.
  66. So auch Thiel, a.a.O., § 10, Rn. 27; Knape/Schönrock, a.a.O., § 21, Rn. 52; OVG Bautzen v. 19.12.2019, 3 A 851/18.
  67. Vgl. hierzu VG München v. 1.8.2012, M 7 K 11.1597.
  68. Knape/Schönrock, a.a.O., § 35, Rn.7.
  69. Knape/Schönrock, a.a.O., § 35, Rn. 26.
  70. Siehe z.B. Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 496.
  71. Siehe hierzu Tegtmeyer/Vahle, a.a.O., § 39, Rn. 11; Knape/Schönrock, a.a.O., § 21, Rn. 56; VG Dresden v. 14.10. 2015, 6 K 3162/14 .
  72. Vgl. hierzu Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, a.a.O., Abschn. E, Rn. 483; VG Dresden v. 14.10.2015, 6 K 3162/14.
  73. Vgl. dazu Singelnstein, NStZ 2018, S. 1 und Bode/Seidensticker, Kriminalistik 2018, S. 537.