Recht und Justiz

„Klappe auf, Probleme da“

Von den strafrechtlichen Besonderheiten des EC-Karten-Einsatzes an Geldautomaten

2.2 Die ausgehändigte EC-Karte

Die betagte G ist körperlich eingeschränkt, weshalb die Nachbarin B für die G ab und an die Einkäufe erledigt. Zu diesem Zweck überlässt G der B auch ihre EC-Karte und teilt ihr ferner die PIN mit, damit die B für die Einkäufe Geld an einem Automaten abheben kann. Anschließend gibt B der G die EC-Karte jeweils wieder zurück. Auf einer der Einkaufstouren entschließt sich B spontan, im Hinblick auf einen momentanen finanziellen Engpass, statt der üblichen 100 Ä nun 500 Ä an dem Geldautomaten abzuheben. Anschließend erhält die G die EC-Karte von der B zurück.


Ein Diebstahl gemäß § 242 StGB bzw. eine Unterschlagung gemäß § 246 StGB an der EC-Karte kommt nicht in Betracht, da die G der B die Karte freiwillig ausgehändigt und die B diese wieder an G zurückgegeben hat.


Bezüglich eines Betruges i.S.d. § 263 StGB fehlt es der B zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung der G in Form der Übergabe der Karte am Vorsatz bezüglich einer Täuschung, da B sich erst später zu dem deliktischen Einsatz der Karte entschlossen hat.13 Gemäß § 16 Abs. 1 StGB muss der Tatvorsatz jedoch im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Ein der Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos.14 Auch ein Betrug durch Unterlassen i.S.d. §§ 263, 13 StGB der B ist nicht gegeben, da das bloße nachbarschaftliche Verhältnis auch bei Erbringung einiger Gefälligkeiten noch keine Garantenstellung zu begründen vermag.15


Eine Strafbarkeit wegen Untreue i.S.d. § 266 StGB setzt eine Vermögensbetreuungspflicht der B bezüglich der G voraus. Diese erfordert, dass der Täter in einer Beziehung zu dem Geschädigten steht, die eine besondere Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen, die über für jedermann geltende Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten ebenso hinausgeht wie über einen bloßen Bezug zu fremden Vermögensinteressen oder eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf materielle Güter anderer.16 Die aus reiner Gefälligkeit resultierenden, gelegentlichen Einkaufstouren der B für die G begründen sicherlich keine derartige i.S.d. § 266 StGB relevante Verantwortung der B.


Entscheidend für eine Strafbarkeit der B ist daher, ob in der Verwendung einer vom Berechtigten überlassenen Bankkarte und unter Eingabe der vom Berechtigten bekannt gegebenen Geheimzahl sowie absprachewidriger Geldabhebung am Automaten, eine unbefugte Verwendung von Daten gemäß § 263a Abs. 1 3. Fall StGB liegen kann. Dies wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt.17 Der 4. Strafsenat des BGH hat gute Argumente für eine Strafbarkeit i.S.d. § 263a StGB angeführt.18 Denn durch den zwischen Kartennutzer und Bank geschlossenen Vertrag sowie § 675l BGB ist eine Weitergabe der EC-Karte an Dritte und die Mitteilung der PIN an diese grundsätzlich ausgeschlossen. Insofern müsste sich ein fiktiver Bankangestellter bei dem Einsatz der Karte auch über die Person des Nutzers Gedanken machen, weshalb im Vergleich zu § 263 StGB eine Täuschungsäquivalenz gegeben wäre. Auch die übrigen Tatbestandsmerkmale i.S.d. § 263a StGB werden durch B erfüllt. In der Praxis kann dieser Argumentation gefolgt und eine Strafbarkeit gem. § 263a StGB angenommen werden.


Ferner könnte B durch die Entnahme des Geldes aus dem Automaten einen Diebstahl gem. § 242 StGB oder eine Unterschlagung i.S.d. § 246 StGB begangen haben.


Da beide Tatbestände voraussetzen, dass es sich bei den Geldscheinen um fremde Sachen handelt, ist es zunächst erforderlich, Klarheit über die zivilrechtliche Bewertung des Auszahlungsvorgangs zu erlangen. Dieser ist als Übereignung i.S.d. § 929 S. 1 BGB – d.h. Eigentumsübertragung durch rechtgeschäftliche Einigung und tatsächliche Übergabe – zwischen der Bank, die den Automaten betreibt, und dem den Automaten bedienenden Kontoinhaber zu verstehen. Die Ausgabe der Geldscheine enthält das konkludente und elektronisch vertypte Angebot, dem Kontoinhaber das Eigentum an den Geldscheinen zu übertragen. Der Kontoinhaber nimmt dieses dadurch an, dass er die Scheine entgegennimmt, womit zugleich die rechtsgeschäftliche Einigung zustande kommt und das tatsächliche Moment der Übergabe, also der Wechsel des Besitzes, vorliegt.


Zu dem Besitzwechsel kommt es auch dann, wenn die Person, die den Automaten bedient, nicht Kontoinhaber oder sonst hierzu berechtigt ist. Die Frage, ob dieser Eigentümer wird oder i.S.d. §§ 242, 246 StGB fremde Geldscheine an sich nimmt, hängt somit davon ab, ob mit ihm eine Einigung zustande kommt. Denkbar wäre, das Angebot dahingehend auszulegen, dass es sich an denjenigen richtet, der den Geldautomaten bedient, wodurch die Einigung auch mit demjenigen zustande kommt, der die Karte unberechtigt einsetzt, also dieser Eigentum erwirbt und es an der Fremdheit der Sache i.S.d. §§ 242, 246 StGB fehlt. Jener Sichtweise tritt der BGH zurecht entgegen und betont, dass bei der Auslegung der konkludent abgegebenen Erklärung die mit der Einigung verfolgten Interessen und Zwecke Berücksichtigung finden müssen.19 Aus Sicht der Bank dient die Übereignung der Geldscheine der Erfüllung des Anspruchs des Kontoinhabers. Da der Eigentumserwerb eines Dritten den Anspruch des Kontoinhabers gegen die Bank nicht zum Erlöschen brächte, kann die Bank hieran kein Interesse haben. Die Willenserklärung ist daher dahingehend auszulegen, dass sich das Angebot auf Übereignung der Geldscheine ausschließlich an den Kontoinhaber richtet. Zwischen der Bank und dem unberechtigten Dritten kommt somit mangels übereinstimmender Willenserklärungen keine Einigung i.S.d. § 929 S. 1 BGB zustande. Das Eigentum verbleibt bei der Bank, sodass es sich bei den Geldscheinen um fremde Sachen i.S.d. §§ 242, 246 StGB handelt.


Die Strafbarkeit wegen Diebstahls hängt davon ab, ob B, indem er die fremden Scheine aus dem Ausgabefach des Automaten nimmt, eine Wegnahme i.S.d. § 242 StGB vornimmt. Hierfür ist u.a. ein Gewahrsamsbruch, also ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers erforderlich. Ist der Gewahrsamsinhaber mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden, liegt bereits tatbestandlich kein Diebstahl vor. Dies ist hier der Fall. Die Bank erklärt durch die Ausgabe der Scheine ihr Einverständnis damit, dass derjenige Gewahrsam erlangt, der den Automaten bedient. Hier kommt nicht in Betracht, die oben angestellten Überlegungen zur interessengerechten Auslegung der Erklärung zu übertragen und ein Einverständnis nur mit der Gewahrsamserlangung durch den berechtigten Kontoinhaber anzunehmen. Während im Rahmen der Eigentumsübertragung eine rechtliche Willenserklärung abgegeben wird, die als solche auch derartigen rechtlichen Beschränkungen unterworfen werden kann, handelt es sich bei dem sog. tatbestandsausschließenden Einverständnis um eine rein tatsächliche Willensäußerung. Diese ist solchen Erwägungen nicht zugänglich, sondern kann nur ganz oder gar nicht erklärt, aber grundsätzlich nicht unter Bedingungen oder Vorbehalte gestellt werden.20 Nutzt der Gewahrsamsinhaber einen Automaten, ist hierin ein Einverständnis zu erkennen, dass der Gewahrsamsinhaber antizipiert für den Fall erklärt, dass die durch den Automaten verkörperten Voraussetzungen – etwa beim Warenautomaten das Einwerfen des Geldes – erfüllt werden. Hierin kann eine Ausnahme vom Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit des tatbestandsausschließenden Einverständnisses erblickt werden. Diese zieht ihre Berechtigung aber aus der Erwägung, dass nur solche Bedingungen Beachtung finden, die sich im objektiven Ablauf dergestalt niedergeschlagen haben, dass ihre Einhaltung durch den automatisierten Ablauf sichergestellt wird.21 Hiermit sind zugleich die Grenzen aufgezeigt: Innere Vorbehalte und rechtliche Bedingungen sind auch hier unbeachtlich.22 An einem tatbestandsausschließenden Einverständnis fehlt es nur dort, wo der Automat nicht ordnungsgemäß bedient wird.23


In dem automatisierten Ablauf des Geldautomaten hat der Wille der Bank, nur dem Berechtigten Geldscheine auszuhändigen, lediglich insoweit Niederschlag gefunden, als der Bediener des Automaten sich durch Eingabe der Karte und der PIN legitimieren muss. Mithin sind auch nur Karten- und PIN-Eingabe für das tatbestandsausschließende Einverständnis relevante Bedingungen. Die Befugnis des Handelnden ist als Rechtsbedingung in diesem Rahmen unbeachtlich. Auch der unbefugt Handelnde erlangt Gewahrsam mit dem Einverständnis der Bank. Im Beispielsfall bricht B also den Gewahrsam der Bank nicht. Sie macht sich somit nicht wegen Diebstahls gem. § 242 StGB strafbar, verwirklicht aber den Tatbestand der – gegenüber dem Computerbetrug formell subsidiären – Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB.