Kriminalitätsbekämpfung

Dokumentation von Vernehmungen – traditionell und audiovisuell (Teil 2)

Von Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper und Dozent Thorsten Floren, Dortmund/Mülheim*

3.4 Verschriftlichung der Videovernehmung

Als Teil der Akte unterliegt die audiovisuelle Vernehmung den Grundsätzen der Aktenführung, die Aktenwahrheit, Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit fordern. Somit ist eine Vollverschriftlichung der Vernehmung anzustreben. Diese Form der Dokumentation ist aufgrund der BGH-Entscheidung wegen der Anlehnung der Protokollierung der Beschuldigtenvernehmung der Polizei an die richterliche Vernehmung anzunehmen. Zeitlich umfangreiche Videovernehmungen vollständig zu protokollieren führt jedoch bei den Ermittlungsbehörden schnell zu einer Überlastung und ist nicht zielführend. Eine Absprache mit dem ermittlungsführenden Staatsanwalt über Umfang und Ausführung der Verschriftlichung ist geboten. So besteht die Möglichkeit, die Vernehmung in Gänze zusammengefasst darzustellen und (nur) die entscheidenden Bereiche wörtlich protokollieren zu lassen. Die audiovisuelle Vernehmung ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung zulässig und muss unverzüglich gelöscht werden, sobald dieser Zweck nicht mehr gegeben ist. Die Rechte der Akteneinsichtnahme für den Verteidiger beziehen sich neben der protokollierten Beschuldigtenvernehmung auch auf dessen Vernehmung in Bild- und Ton.

3.5 Eindrucksvermerke

Der Eindrucksvermerk ist im Nachgang zu einer Vernehmung bzw. Anhörung von Kindern dazu geeignet, Besonderheiten darzustellen. Hierbei ist es wichtig, dass nur objektiv Feststellbares niedergelegt wird und keine Wertung erfolgt. Für die audiovisuelle Vernehmung sollten im Eindrucksvermerk u.a. Hinweise niedergelegt werden, die die Notwendigkeit der Durchführung einer Videovernehmung aufgrund des Vorliegens von Einschränkungen oder Störungen beim Beschuldigten dokumentieren. Dies kann bei einer späteren Feststellung einer Störung oder Einschränkung, die zum Vernehmungszeitpunkt nicht ersichtlich war, auch entlastende Elemente für die Frage an den Ermittler liefern, warum dieser eine Videovernehmung zum damaligen Zeitpunkt nicht durchgeführt hat.

3.6 Taktische Problemlagen und Lösungsansätze

Die Situation, vor einer Videokamera zu sitzen, stellt sich für die meisten Menschen als eine besondere Belastung heraus. Wenn hierzu noch der rechtliche Beschuldigtenstatus kommt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer ablehnenden Haltung durch den Beschuldigten kommen. Diese Situation muss der Ermittler bereits im Vorfeld durchdacht und Lösungen erarbeitet haben.


Neben den grundsätzlichen Ansätzen zur Erbringung, Steigerung und Erhaltung der Aussagebereitschaft des Beschuldigten muss bei der audiovisuellen Vernehmung die Hürde der Wahrnehmbarkeit der technischen Aufzeichnungsgeräte überwunden werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass nach einer gewissen Zeit eine Normalität entsteht und die Videotechnik nicht mehr (als störend) wahrgenommen wird. Die Verkleinerung der technischen Ausstattung und die fortschreitende Nutzung der Digitalisierung führen zudem zu einer deutlichen Senkung der Hemmschwelle, da Videokonferenzen und Chats den normalen Alltag prägen.


Die Darstellung der positiven Effekte der audiovisuellen Vernehmung, z.B. die Objektivierung der Aussage und deren Entstehen, stellen neben einem offenen und transparenten Umgang mit dem Beschuldigten eine deutliche Türöffnerfunktion für die Videovernehmung dar. Bleibt der Beschuldigte jedoch bei einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Einsatz der Videotechnik, muss die Vernehmung in der klassischen Form erfolgen. Der Personenkreis der intelligenzgeminderten oder geistig eingeschränkten Beschuldigten wird in der Praxis ggf. eine Vertrauensperson bei seiner Vernehmung zur Teilnahme einfordern bzw. diese Teilnahme ermöglicht erst eine Aussagebereitschaft. Dann sollte auch diese Variante als Möglichkeit genutzt werden, um die Videovernehmung zu realisieren.

3.7 Anhang: Videovernehmung (besser: -anhörung) von Kindern

Die Anhörung von Kindern bedarf neben den grundsätzlichen Kenntnissen zur Vernehmung die Beachtung der rechtlichen, taktischen und organisatorischen Grundlagen. Eine Videovernehmung, die durch geschulte Ermittler erfolgt, kann sowohl für eine spätere Begutachtung (Glaubhaftigkeit/Aussagefähigkeit) als auch für ein Gerichtsverfahren verwendet werden und hierdurch der Gefahr einer weiteren Traumatisierung entgegenwirken. Zentral ist die professionelle Form der Durchführung, da Fehler in der Erstvernehmung gerade bei Kindern regelmäßig nicht mehr zu korrigieren sind. Eine besondere Bedeutung kommt der zeugenschaftlichen Anhörung eines Kindes in Form einer Videovernehmung ohne die Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu, diese wird trotz der vorhandenen Zeugenpflichten aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit eines Kindes kritisch gesehen. Abzuraten ist sie, wenn das Kind Opfer eines sexuellen Missbrauchsdeliktes geworden ist und hierbei ebenfalls (sichtbar) Videotechnik zum Einsatz gekommen ist und die Erziehungsberechtigten über das Vernehmungssetting keine Kenntnis erlangt haben.


Quellenhinweise:


Artkämper, H./Floren, T. /Schilling, K. (2021): Vernehmungen, 6. Auflage, Hilden, VDP Verlag.


Floren, T. (2019): Schutzwürdige Interessen von Beschuldigten im Rahmen der audiovisuellen Vernehmung, Frankfurt a.M., Verlag für Polizei und Wissenschaft.

 

Anmerkungen


* Dr. Heiko Artkämper ist Staatsanwalt als Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Dortmund und daneben u.a. Präsident der DGfK. Thorsten Floren ist Dozent für die Studienfächer Kriminalistik und Kriminaltechnik an der HSPV Nordrhein-Westfalen, Abteilung Duisburg und u.a. Schatzmeister der DGfK. Beide Autoren sind durch zahlreiche Fachpublikationen bekannt.

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