Aus- und Fortbildung

Der Themenbereich Todesermittlungen im BA-Studiengang Polizei in Nordrhein-Westfalen

Von KD Christoph Frings, Duisburg

 

3 Polizeiausbildung in Nordrhein-Westfalen


Seit 2002 erfolgen Neueinstellungen in den Polizeivollzugsdienst nur noch in den gehobenen Dienst. Eine Begutachtung der polizeilichen Anforderung durch die Unternehmensberatung Kienbaum hatte zu dem Ergebnis führte, dass bereits die Aufgabenwahrnehmung im Wach- und Wechseldienst grundsätzlich dem gehobenen Polizeivollzugsdienst zuzurechnen ist.12 Dies hatte zur Folge, dass ein dreijähriges Fachhochschulstudium jetzt die grundlegende Ausbildung für Polizeibeamte ist. Wurden früher Polizeibeamte 2 ½ Jahre für den mittleren Dienst ausgebildet und studierten dann noch 3 Jahre an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöV NRW), jeweils getrennt für die Verwendung des gehobenen Dienstes bei der Schutz- oder Kriminalpolizei, so standen jetzt für das Studium nur noch 3 Jahre für die komplette Wissensvermittlung zur Verfügung. In NRW sind drei Ausbildungsträger arbeitsteilig unter Federführung der HSPV NRW für die Ausbildung verantwortlich. Die Vermittlung der Theorieinhalte erfolgt durch die HSPV NRW, die Trainings zu ausgewählten Inhalten werden beim LAFP NRW durchgeführt und die Praktika bei den Einstellungs- und Ausbildungsbehörden (EuA-Behörden) durchgeführt.

Der Bachelorstudiengang wurde im Jahr 2015/2016 grundlegend überarbeitet. Die Überarbeitung erfolgte, da der Studiengang mit ca. 1400 Studierende an seine Kapazitätsgrenze gestoßen war. Ertüchtigt werden sollte der Studiengang für 185013 Studierende unter folgenden Bindungen:

  • Beibehaltung der Qualität der Ausbildung
  • Optimaler Auslastung der Trainingskapazitäten beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personal (LAFP)
  • Vermeidung von Investitionen in Neu- oder Umbauten.

Da das Land NRW keine getrennten Stellenkegel für die Schutz- und Kriminalpolizei hat, war eine einheitliche Ausbildung aller Studierenden beizubehalten. Weiter war zu prüfen, wie die Qualität der Ausbildung im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung optimiert werden kann ohne jedoch Qualitätseinbußen in anderen Ausbildungsbereichen hinzunehmen. Der Stundenansatz in einer dreijährigen Ausbildung war bereits vorher ausgereizt und nicht beliebig „vermehrbar“.14

Das Land NRW trägt dem Umstand, dass u.a. für Verwendungen bei der Kriminalpolizei oder in Führungsfunktionen ergänzendes Wissen erforderlich ist, durch entsprechende Einführungsfortbildungen Rechnung, wenn Polizeibeamte später in diese Bereiche wechseln. Die entsprechenden Einführungsfortbildungen werden durch das LAFP NRW angeboten. Dies bietet den Vorteil, dass dann vermitteltes Wissen auch als berufsnotwendig wahrgenommen wird und auf dem dann jeweils aktuellen fachlichen Niveau vermittelt wird. Derzeit werden Studierende in NRW nach Beendigung Ihrer Ausbildung fast ausschließlich zuerst im Wach- und Wechseldienst verwendet, wenn sich auch früh für einzelne Studierende Verwendungsperspektiven auch in den Direktionen Kriminalität zeigen.

Zusätzlich werden für den Bereich der Todesermittlungen durch das LAFP zwei aufeinander aufbauende jeweils 14-tägige Fachlehrgänge ergänzend angeboten. Für MK-Leiter wird zudem ein ergänzender einwöchiger Zusatzlehrgang angeboten.

 

4 Relevanz des Todesermittlungsverfahrens für den BA-Studiengang Polizeivollzugsdienst


Grundlegend für die Kompetenzziele des Studiengangs und daraus resultierend für die Lehrinhalte, bei eng begrenzten Stundenbudgets und stets wachsender Komplexität des erforderlichen Wissens zur polizeilichen Aufgabenerledigung, war das gesetzlich normierte Ausbildungsziel. Nach § 1 Abs. 2 VAPPol II Bachelor „soll die Ausbildung die Studierenden in den Stand versetzen, Aufgaben des Wachdienstes zu erfüllen und Grundkenntnisse der allgemeinen Kriminalitätssachbearbeitung, der Verkehrssicherheitsarbeit sowie des Einsatzes aus besonderem Anlass anzuwenden.“ Es besteht somit nicht nur die Bindung daran, dass der Studiengang nur eine Qualifizierung für den Wachdienst ermöglichen muss und eventuell eine Beschränkung der kriminalistischen Inhalte auf die Kenntnisse für die reine Tatortabsicherung und die Anzeigenaufnahme ausreichend sein könnten. Nicht nur eine spätere mögliche Verwendung bei der Direktion Kriminalität sondern auch schon die sachgerechte Aufgabenerfüllung in den Direktionen Gefahrenabwehr/Einsatz (GE) und Verkehr (V) erfordert darüber hinausgehende Kenntnisse der Kriminalwissenschaften. Stets sind es die Kräfte des Wachdienstes die bei Straftaten zuerst am Tatort oder bei Todesfällen zuerst am Leichenfundort eintreffen. Fehler und Versäumnisse die durch ersteintreffende Kräfte des Wachdienstes am Leichenfundort oder am Tatort gemacht werden, lassen sich im späteren Verlauf in der Regel nicht wieder ausgleichen. Bei landesweit registrierten 7627 nicht natürlichen Todesfällen ist davon auszugehen, dass Beamtinnen und Beamte des Wachdienstes mehrfach jährlich mit diesem Einsatzanlass konfrontiert werden. Bei diesen Einsätzen geht es nicht nur um die sichere Abgrenzung zwischen Tötungsdelikt, Suizid, Unfall oder doch „nur“ einer zunächst unklaren Todesursache und der professionellen Veranlassung von Erstmaßnahmen des Sicherungsangriffs. Genauso wichtig ist der empathische und angemessene Umgang mit trauernden Angehörigen und Geduld bei der Erklärung polizeilicher Maßnahmen, die Angehörige nur als „Zumutung“ empfinden können, wie z.B. die Absperrung des Leichenfundortes oder die Unterbindung des Kontaktes zur Leiche sowie deren spätere Beschlagnahme. Daher waren auch die erforderliche Grundlagen für die Durchführung von Erstmaßnahmen bei „nicht natürlichen Todesfällen“ in den Studiengang zu integrieren. Dabei leiten sich die zu vermittelnden Lehrinhalte aus der wesentlichen Anschlussverwendung der Studierenden nach Beendigung des Studiums (= Wachdienst) sowie den dann für die Aufgabenwahrnehmung erforderlichen wesentlichen Kenntnissen ab.

 

5 Polizeiliche Aufgabenstellung im Todesermittlungsverfahren


Wesentliche Aufgabe der Polizei ist die Gefahrenabwehr und die Pflicht zur Strafverfolgung. Die Polizei NRW ist sachlich zur Gefahrenabwehr nach § 1 Abs. 1 PolG NRW zuständig. Zunächst einmal obliegt den eingesetzten Kräften die Prüfung ob die Person wirklich verstorben ist oder ggf. noch leben könnte. Besteht die Möglichkeit, dass die Person noch leben könnte, sind bis zur ärztlichen Feststellung des Todes unverzüglich persönlich Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen und RTW und NAW zu verständigen. Zur sicheren Feststellung bzw. Differenzierung ob eine Person bereits verstorben ist oder noch leben könnte, dienen die sog. sicheren und unsicheren Todeszeichen.



Abb. 2: Sichere und unsichere Todeszeichen.


Nach § 1 Abs. 4 PolG NRW ist die Polizei sachlich zuständig auch die Aufgaben zu übernehmen, die ihr durch andere Rechtsvorschriften übertragen worden sind. Eine solche andere Rechtsvorschrift stellt u.a. § 159 StPO dar. Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei- und Gemeindebehörden nach § 159 Abs. 1 StPO zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an das Amtsgericht verpflichtet.

Die Vorschrift wirkt etwas antiquiert formuliert, sie ist in dieser Formulierung schon mindestens seit 1925 so im Polizeihandbuch von Retzlaff abgedruckt.15 Die Rolle der Polizei hat sich inzwischen deutlich gewandelt und Polizeibeamte sind nicht mehr nur die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Die Vorschrift verpflichtet heute nicht nur die Polizei zur reinen Information an die Staatsanwaltschaft über den nicht natürlichen Todesfall oder die Auffindung einer unbekannten Leiche. Die Vorschrift begründet für die Polizei vielmehr einen eigenständigen Aufklärungsauftrag mit dem Ziel, eine belastbare Informationsgrundlage für weitergehende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zu schaffen.

Ein Todesermittlungsverfahren nach § 159 StPO stellt noch kein Ermittlungsverfahren nach § 160 StPO dar, „die Vorschrift dient der Beweissicherung, indem sie die frühzeitige Information der Ermittlungsbehörden bei Todesfällen mit unnatürlicher Ursache und beim Auffinden eines unbekannten Toten sicherstellt. Hierdurch soll der Staatsanwaltschaft möglichst frühzeitig die Prüfung und Entscheidung ermöglicht werden, ob ein Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdeliktes einzuleiten ist. Ferner soll auch sichergestellt werden, dass kein Beweismittelverlust eintritt.“16 Der Schutz menschlichen Lebens ist eine der vordringlichen staatlichen Aufgaben, Straftaten gegen das menschliche Leben beeinträchtigen zudem das subjektive Sicherheitsgefühl im Bereich der Tatortgemeine, oftmals aber auch darüber hinaus, erheblich. Die Leiche ist bei einem möglichen Tötungsdelikt, auch bei fahrlässiger Tötung (so z.B. durch ärztlichen Behandlungsfehler) „Hauptbeweismittel“. Je nach Tat- oder Geschehensablauf weist die Leiche entsprechende Spuren der Tat, des Täters oder des Geschehensablaufs auf. „Die StPO gestattet nur ausnahmsweise Maßnahmen im Vorfeld des zureichenden Verdachts, so bei der einstweiligen Inbeschlagnahme von Zufallsfunden (§ 108), der erkennungsdienstlichen Behandlung (§ 81b 2. Alt.), der Durchführung einer molekulargenetischen Untersuchung für zukünftige Strafverfahren (§ 81g), der Entgegennahme und Protokollierungspflicht für Strafanzeigen und Strafanträge (§ 158), der Anzeigeverpflichtung bei nicht-natürlichen und Leichenfunden Unbekannter (§ 159) und der Datenverarbeitung für künftige Strafverfahren (§ 484).“17

„Die Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod müssen konkret sein und wenigstens auf eine entfernte Möglichkeit einer Straftat hinweisen, z.B. Spuren die auf Gewaltanwendung hindeuten. Sie können sich aus dem Ort oder den näheren Umständen der Auffindung ergeben, ferner aus auffälligem Verhalten anwesender Personen, bei jüngeren Menschen aus dem Fehlen von Anhaltspunkten für einen natürlichen Tod.“18

Das Todesermittlungsverfahren ist kein Ermittlungsverfahren nach § 160 StPO, jedoch ergeben sich die Eingriffsbefugnisse zur Ermittlungsführung für Polizei und Staatsanwaltschaft aus der Strafprozessordnung. Auch wenn es sich bei dem Todesermittlungsverfahren noch nicht um ein Ermittlungsverfahren handelt, so ist es aus den o.g. Gründen jedoch diesem unmittelbar vorgelagert. Zielrichtung ist die Prüfung, ob nun tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer strafbaren Handlung bestehen, d.h. der Anfangsverdacht einer Straftat besteht oder eben keine Anhaltspunkte dafür zu finden sind.

Wesentlicher kriminaltaktischer Grundsatz ist es stets die Leiche und den Leichenfundort in Ruhe und kritisch in Augenschein zu nehmen. Hierbei gilt es nicht vordringlich nach Erklärungsansätzen zu suchen was für ein mögliches natürliches Ableben der Person spricht, sondern nach Hinweisen zu suchen, die gegen ein natürliches Ableben der Person sprechen. Dies bedeutet immer die Gratwanderung zwischen einem angemessen pietätsvollen Umgang mit dem Leichnam und einer professionellen und unvoreingenommenen Untersuchung der Leiche und des Leichenfundortes. Gleichfalls ist beim Umgang mit den Angehörigen des Opfers einerseits empathisch und pietätsvoll aufzutreten, andererseits sind erste Befragungen zur unverzüglichen Erhebung des subjektiven Befundes durchzuführen.

Wichtig zur sachgerechten Dimensionierung der Maßnahmen des Sicherungsangriffs ist, dass bereits durch die Kräfte des Wachdienstes eine sachgerechte Ersteinschätzung des Sachverhaltes erfolgt. Handelt es sich hier offenbar wohl „nur“ um einen nicht natürlichen Todesfall oder Suizid oder liegt hier eine fahrlässige Tötung oder gar ein vorsätzliches Tötungsdelikt vor. In jedem Fall ist der Fundort der Leiche unverzüglich abzusperren. Angehörige des Verstorbenen sollten bei der polizeilichen Inaugenscheinnahme der Leiche nicht anwesend sein. Liegt ein nicht natürlicher Tod vor oder ist augenfällig davon auszugehen, sind Veränderungen an der Leiche durch die Kräfte des Wachdienstes auf das unumgängliche Maß zu reduzieren. Sobald für den Arzt bei der ärztlichen Leichenschau klar ist, dass die Person verstorben ist und ein nicht natürlicher Todesfall vorliegt, sind keine weiteren Veränderungen mehr an der Leiche durchzuführen bzw. ist die ärztliche Leichenschau unverzüglich zu beenden (§ 9 Abs. 5 BestG NRW). Soweit möglich sind unmittelbar bei der Auffindung der Person durch die Kräfte des Wachdienstes Fotos der Person als auch des Auffindeortes zu fertigen. Zu den Feststellungen am Leichenfundort, den getroffenen und veranlassten Maßnahmen sowie den vorgenommenen Veränderungen ist ein ausführlicher Bericht zu fertigen. Es sind nicht nur die objektiven Befunde am Leichenfundort zu sichern und zu dokumentieren, erforderlich ist auch die Sicherung des subjektiven Befundes, so u.a. die Anhörung der vor Ort befindlichen Angehörigen und weiter Personen. In einem Todesermittlungsverfahren ist natürlich die Leiche selber das wichtigste Beweismittel und ist daher stets nach §§ 94, 98 StPO zu beschlagnahmen, wenn gleich im allgemeine polizeilichen Sprachgebrauch von einer „Sicherstellung der Leiche“ gesprochen wird. Dies bedeutet, dass den Angehörigen der Zugriff auf den Leichnam direkt zu verwehren ist, damit Veränderungen der Beweislage unterbleiben. Weiterhin ist der Fundort der Leiche abzusperren, Veränderungen sind konsequent zu unterbinden (wie z.B. das Entfernen von Gegenständen durch Angehörige). Für die weiteren Maßnahmen sind die Kräfte des KK 11 bzw. außerhalb der Bürodienstzeit die Kriminalwache anzufordern. Der Leichenauffindeort ist bis zum Eintreffen der Kräfte nicht zu verlassen. Bis zur Freigabe der Leiche durch die Staatsanwaltschaft haben die Angehörigen keinen Zugang zum Leichnam des Verstorbenen.

Durch die Kräfte der Fachdienststelle bzw. die Kriminalwache ist dann vor Ort der Auswertungsangriff durchzuführen.19 Über das Ergebnis der polizeilichen Leichenschau ist dann unverzüglich die zuständige Staatsanwaltschaft zu informieren. Sollten Restzweifel bestehen, dass am Todeseintritt Fremdverschulden ausgeschlossen werden kann, wird durch die Kriminalpolizei i.d.R. die Beantragung einer Obduktion durch die Staatsanwaltschaft angeregt.