Wissenschaft  und Forschung

Der G7-Gipfel von Elmau 2022

Von Dr. Udo Baron, Hannover

3 G7-Gipfel und Protestchoreografie


Bereits im Vorfeld des G7-Gipfels kam es – wie bei anderen politischen Großveranstaltungen heutzutage fast schon üblich– zu militanten Aktionen von Linksextremisten. Ein „paar aktivistInnen aus dem norden“ hatten bereits über ein linksextremistisches Internetprotal angekündigt, dass sie sich „bewusst alle Formen des Handelns – auch die der Militanz – offen lassen“.11 So veröffentlichte in der Nacht auf den 19. Juni die linksextremistische Plattform „de.indymedia.org“ einen Beitrag, in dem sie als vertraulich eingestufte Dokumente der bayerischen Polizei zum G7-Gipfel aus dem Jahre 2015 als Download zur Verfügung stellte. Neben dem Einsatzbefehl, der Informationen zur Einsatztaktik und den Protokollstrecken enthielt, wurden so u.a. auch das „Einsatzhandbuch G7“ und Handlungsanweisungen bei Fest- und Gewahrsamnahmen öffentlich gemacht.12 Außerdem kam es innerhalb des Sicherheitsbereichs von Schloss Elmau mehrmals im Juni zu teils gefährlichen Manipulationen an Stromverteilerkästen, die mehrere Stromausfälle auslösten und auch Menschen hätten gefährden können.13

Einen traurigen Höhepunkt stellte sicherlich der Brandanschlag auf acht Mannschaftsbusse der Bundesbereitschaftspolizei am frühen Morgen des 22. Juni vor einem Münchner Hotel dar, in dem Einsatzkräfte für den G7-Gipfel untergebracht waren.14 Auch ein Farbanschlag in der Nacht auf den 21. Juni auf den Stuttgarter Standort des Allianz-Versicherungskonzerns sowie vereinzelte Schmierereien wie „G7 verschieben“ oder „No G7“ begleiteten das Gipfeltreffen. Zu einem Farbangriff auf die Münchner Rückversicherung während des G7-Gipfels gab es auch ein Selbstbezichtigungsschreiben auf einem linksextremistischen Internetportal. Darin heißt es: „Dieser exklusive Club führender imperialistischer Mächte [gemeint sind die G7-Staaten] versucht sich der Welt gegenüber als vernünftige und zur Zeit klimafreundliche Weltregierung darzustellen, während ihnen jedes Mittel Recht ist, ihr nationales Kapital im internationalen Wettbewerb einen Vorteil zu verschaffen. […] Obwohl die Bullen auch München für das Wochenende zu einer Festung gemacht haben, wollten wir es uns nicht nehmen lassen, das deutsche Kapital hinter den G7 mitten in München anzugreifen.“ Das Bekennerschreiben endet mit dem Aufruf: „Fight G7 in jedem Land!“15

Dezentrale Aktionen während des Gipfels gab es dagegen nur in Berlin. Dort führten Aktivsten z.B. am 26. Juni eine Protestaktion vor einem Hotel durch, welches vom selben Betreiber wie Schloss Elmau geführt wird.16 Einen Tag später blockierten etwa 80 Gipfelgegner die Eingänge und Zufahrten des Bundesministeriums der Finanzen und klebten sich an der Straße oder an Toren zum Innenhof des Gebäudes fest.17

Dagegen verliefen die im Vorfeld des G7-Gipfels stattgefundenen Treffen der G7-Fachminister ohne nennenswerte Störungen. So demonstrierten Teilnehmer im unteren zweistelligen Bereich störungsfrei gegen das Treffen der Außenminister vom 12. bis zum 14. Mai in Schleswig-Holstein und gegen das der Digitalminister am 10./11. Mai in Düsseldorf. Lediglich bei der Finanzministerkonferenz vom 18. auf den 20. Mai in Königswinter bei Bonn kam es im Nachgang zu vereinzelten Sachbeschädigungen. Bei der Tagung der Klima-, Energie- und Umweltminister versuchten Greenpeace-Aktivisten den Sicherheitsdienst des Tagungszentrums zu überrennen, ohne dass es ihnen gelang, die Konferenz zu stören.

Die erste Großdemonstration fand am 25. Juni in München, einen Tag vor dem Beginn des G7-Gipfels, unter dem Motto: „Klimakrise, Artensterben, Ungleichheit – Gerecht geht anders!“ statt.Während die Polizei von etwa 4.000 Demonstranten spricht, gaben die Veranstalter die Zahl der Teilnehmenden mit 6.000 Protestierenden an. Ursprünglich war mit mindestens 20.000 Menschen gerechnet worden – beim G7-Gipfel im Jahr 2015 waren es sogar noch etwa 35.000 gewesen. Es bildeten sich im Verlauf der Demonstration ein weitgehend aus Linksextremisten bestehender „antikapitalistischer Block“ mit dem es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, als eine Person vorübergehend festgenommen worden war, und ein „internationalistischer Block“ aus weitgehend türkischen Linksextremisten wie man unschwer an ihren mitgeführten Fahnen und Transparenten erkennen konnte. Zehn Personen wurden u.a. wegen Angriffen auf die Polizei, Beamtenbeleidigung und gefährlicher Körperverletzung festgenommen.18

Bei der Demonstration in Garmisch-Partenkirchen am 26. Juni kamen mit etwa 900 Protestierenden etwas weniger als die erwarteten gut 1.000 Teilnehmenden. 2015 waren es laut Polizeiangaben noch 3.600 Demonstrierende gewesen. Die von Linksextremisten angemeldete Kundgebung wurde von einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften begleitet. Aus einen weitgehend aus deutschen und türkischen Linksextremisten bestehenden „internationalistischen schwarzen Block“ wurden Pyrotechnik und Rauchtöpfe gezündet. Auch der Krieg in der Ukraine war bei dieser Veranstaltung kurzfristig Thema als G7-Gegner auf die Teilnehmenden einer Pro-Ukraine-Demonstration stießen. Auf „Fuck Putin“-Rufe der Pro-Ukraine-Kundgebung sollen sie mit „Fuck Putin – Fuck Nato“-Rufen geantwortet haben. Die Stimmung zwischen beiden Lagern wurde als hitzig beschrieben.19

Am 27. Juni bildete schließlich ein Sternmarsch mit rund 100 Teilnehmenden auf verschiedenen Routen als Radtour und Wanderung zum Gipfelort den Abschluss der Protestchoreografie. Nachdem zunächst das Verwaltungsgericht München und danach das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Eilantrag des Aktionsbündnisses „Stop G7 Elmau“ auf eine Demonstration in unmittelbarer Nähe zu Schloss Elmau abgewiesen hatten, durften dennoch 50 namentlich registrierte Demonstranten mit Bussen an den Sperrzaun gefahren werden, wo sie eine halbe Stunde innerhalb des äußeren Sicherheitsbereichs in Hör- und Sichtweite des Schlosses demonstrieren durften. Als sich einige „Aktivist:innen von Extinction Rebellion, Debt4Climate und Fridays For Future“20 auf die Zufahrtsstraße zum Tagungshotel setzten statt in die bereitgestellten Busse zu steigen, um symbolisch gegen den Abbruch ihrer Kundgebung zu protestieren, nahm die Polizei sechs von ihnen wegen des Verdachts der (versuchten)Nötigung vorläufig fest. Eine Teilnahme auch von Linksextremisten war aufgrund der behördlichen Beschränkungen und polizeilichen Begleitung des Sternmarsches nahezu ausgeschlossen.21

Auch die Teilnehmerzahl im Camp blieb deutlich hinter den Erwartungen von etwa 750 Personen zurück. Bereits am 27. Juni – und somit einen Tag vor Gipfelende – kam es zu ersten Abbauarbeiten. Am 28. Juni war das Lager geräumt und wurde am 29. Juni endgültig geschlossen.

 

4 Resümee

 

Linksextremisten hatten im Vorfeld angekündigt, sie wollen „der bayerischen Landeshauptstadt und an den Tagen darauf der Alpen-Idylle eine kollektive Lektion erteilen, die sie [gemeint sind die Gipfelteilnehmer und die Polizei] in ihrem Leben nicht vergessen werden“.22 Den Worten folgten – glücklicherweise – keine nennenswerten Taten. Im Gegensatz zum G20-Gipfel von Hamburg verlief der G7-Gipfel von Elmau des Jahres 2022 ebenso wie zuvor bereits der G7-Gipfel am gleichen Ort aus dem Jahre 2015 weitgehend störungsfrei und friedlich.

Auch wenn die Organisatoren der G7-Proteste in einer Pressemitteilung unter der Überschrift „Die Organisator:innen der G7-Proteste in Garmisch/Elmau blicken auf erfolgreiche Aktionstage zurück“ von „erfolgreichen Demos“ sprechen und ein weitgehend positives Fazit der Protesttage zogen,23 kann nicht übersehen werden, dass die Proteste gegen das Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Wirtschaftsnationen nicht nur bei Linksextremisten, sondern generell auf ein deutlich geringeres Interesse als in den Jahren zuvor gestoßen sind. So konnten weit weniger Personen für die Teilnahme an den Protesten als erhofft motiviert werden. Eine Mobilisierung über den süddeutschen Raum hinaus hat kaum stattgefunden, auch aus dem europäischen Ausland fanden anscheinend nur wenige Teilnehmer den Weg nach Bayern. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So ließen ein gut zu schützender Tagungsort und massive polizeiliche Präsenz während des gesamten Gipfelverlaufs den Protestierenden kaum Raum für Aktivitäten und zogen sicherlich Frustrationen vor allem im autonomen Spektrum nach sich. Zudem gelang es den Organisatoren der Proteste trotz der Möglichkeit einer kostengünstigen Anreise mittels des bundesweit gültigen 9-Euro-Tickets nicht, ihre Klientel im ausreichenden Maße zu mobilisieren. Möglicherweise verhinderte das sommerliche Wetter höhere Teilnehmerzahlen, wahrscheinlich hielten aber auch die wieder deutlich gestiegenen Corona-Infektionszahlen und die Verteuerung des Alltags durch eine hohe Inflation potenzielle Demonstranten von einer Teilnahme ab. Wenigstens blieb den Protestierenden aber in diesem Jahr das Dilemma von 2015 erspart, wo die für den 8. Juni angekündigte Abschlusskundgebung in Garmisch-Partenkirchen nur noch als „Abschiedskundgebung“ mit etwa 20 Personen stattfinden musste, weil die meisten Angereisten bereits abgereist waren. Ein plötzlich einsetzendes Unwetter führte damals schließlich dazu, dass das Camp zudem von Wassermassen unterspült wurde.

Zwar beteiligten sich auch Linksextremisten an den Protesten, sie blieben aber eine deutliche Minderheit. Sie dürfte zuvorderst der Austragungsort hoch in den bayerischen Bergen von einer Teilnahme abgehalten haben. Die linksextremistische Szene ist eine urbane und keine ländliche. Sie braucht die Stadt wie der Fisch das Wasser, um erfolgreich agieren zu können. Infrastrukturelle Probleme wie fehlende Szenetreffpunkte und daraus resultierend unzureichende Übernachtungsmöglichkeiten taten ihr Übriges. Aus diesem Grunde hat sie sich zum einen schon beim G7-Gipfel 2015 eher zurückgehalten und sich zum anderen förmlich auf den G20-Gipfel von Hamburg „gestürzt“. Ferner ist die „Anti-Globalisierungsbewegung […] nicht mehr vorhanden“ wie die Perspektive Kommunismus konstatiert.24 Das Fehlen eines zugkräftigen Themas wie das der Globalisierungskritik aus früheren Jahren dürfte deshalb ebenso für die überschaubare Teilnehmerzahl an den Protesten verantwortlich gewesen sein wie die Erschütterungen der eigenen Weltbilder mit ihren klaren Freund-Feind-Schemata, die der russische Überfall auf die Ukraine seit Februar 2022 in der linksextremistischen Szene ausgelöst hat. Die aus diesem Krieg und seiner unterschiedlichen Bewertung, die von einer Verurteilung bis hin zur Rechtfertigung reicht, resultierenden Spannungen innerhalb der linksextremistischen Szene dürften dazu beigetragen haben, dass viele Linksextremisten zu Hause geblieben sind. Zudem fehlten im Gegensatz beispielsweise zum G20-Gipfeltreffen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump, dem russischen Präsidenten Waldimir Putin und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan polarisierende Persönlichkeiten. Ausländische Demonstranten, insbesondere aus dem südeuropäischen Raum, haben sich möglicherweise unter Auslassung von Elmau direkt auf den Weg zu den Protesten gegen den NATO-Gipfel vom 28. bis zum 30. Juni in Madrid gemacht.

Ein entscheidender Faktor für den schwachen linksextremistischen Protest dürfte neben der Abwesenheit des harten Kerns der bundesdeutschen autonomen Szene aus Städten wie Berlin, Hamburg und Leipzig das Fehlen der „Interventionistischen Linken“ (IL) als Mobilisator und Organisator gewesen sein. Selbst die „Perspektive Kommunismus“ hält hierzu fest: „Auffallend war die Abwesenheit von bewegungsorientierten Teile [sic!] der radikalen Linken“, womit die postautonomen Bündnisse im Allgemeinen und die IL im Besonderen gemeint sein dürften.25 Über die Gründe für die Abwesenheit der IL lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise stößt das postautonome Projekt mit seinem Ansatz, die linksextremistische Szene zu organisieren, zu vernetzen und zu re-ideologisieren und den demokratischen mit dem linksextremistischen Protest zu verzahnen an seine Grenzen. So ist das Grundsatzpapier der IL, ihr „Zwischenstandspapier“ aus dem Jahre 201426, bis heute noch nicht erkennbar weiterentwickelt worden. Stieg bislang die Anzahl ihrer Ortsgruppen über die Jahre kontinuierlich, so muss sie zurzeit mit dem Ausscheiden der Ortsgruppen Freiburg, Kassel, München und Münster aus der IL anscheinend einen erheblichen personellen Aderlass verkraften. Ihre Kritiker wie die bisherige Ortsgruppe Münster werfen der IL u.a. vor, sie habe „versucht, die eigene Ratlosigkeit und den Ideenverlust durch eine große, vermeintlich schlagkräftige, nach innen funktionstüchtige Organisation zu ersetzen“, um dann zu dem vernichtenden Fazit zu gelangen: „Wir wollten eine Organisierung neuen Typs und haben eine Organisation bekommen, die ihre Politik eher als Verwaltung denn als Suche nach radikalen Antworten versteht.“27 Für die IL geht es letztlich künftig verstärkt darum zu zeigen, dass sie neben der organisatorischen auch wieder die inhaltliche Schiene bedienen kann und mehr ist als nur ein „Kaffeefahrtenanbieter mit Wohlfühlpaket“ für Linksextremisten.

Der G7-Gipfel von Elmau 2022 war der erste internationale Gipfel in Deutschland nach dem in roher Gewalt ausgearteten G20-Gipfel von Hamburg aus dem Jahre 2017. Mit Blick auf die damals von Linksextremisten orchestrierte Gewalt ging es beim diesjährigen G7-Gipfel vor allem für Bundeskanzler Olaf Scholz als Gastgeber des Gipfeltreffens auch darum, der Welt zu demonstrieren, dass Deutschland ein internationales Großereignis weitgehend störungsfrei, sicher und ohne negative Bilder durchführen kann. Schließlich war er als damaliger Regierender Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg mitverantwortlich für das Desaster beim G20-Gipfel in seiner Heimatstadt. Aus sicherheitspolitischer Perspektive konnte dieses Ziel erreicht werden, denn wie schon der G7-Gipfel 2015 so verlief auch das Gipfeltreffen 2022 am selben Ort weitgehend störungsfrei. Die beiden Gipfel von Elmau sprechen daher dafür, auch künftig entsprechende Großereignisse bevorzugt in schwer zugänglichen und dadurch leichter kontrollierbaren Gegenden durchzuführen anstatt in Millionenmetropolen mit hohem linksextremistischen Personenpotenzial. So lässt sich die Sicherheit der Gäste besser gewährleisten, die Belastung der Bevölkerung durch entsprechende Ereignisse reduzieren und unschöne Bilder künftig eher vermeiden.