Prävention

Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Von Josefine Barbaric, Salach


 

3 Erschreckende Entwicklungen durch das Internet


Sexueller Missbrauch an Kindern ist für die Verfasserin demnach keine Pandemie, wie der Unabhängige Beauftragte Herr Röhrig im Frühjahr 2020 in einem Interview sagte, sondern eher ein chronisches Geschwür, dass sich vor allem in dem Deliktsbereich der „Kinderpornografie“ immer rasanter ausbreitet. Der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2020 ist zu entnehmen, dass die Zahl der gemeldeten Fälle des Besitzes, der Herstellung und der Verbreitung von Kinderpornografie im Verhältnis zum Vorjahr um 53% gestiegen ist. Wie sicher also können Kinder und Jugendliche in Deutschland leben, wenn sexualisierte Gewalt ein Grundrisiko für Kinder und Jugendliche in Deutschland darstellt und sie darüber nicht aufgeklärt werden, obwohl sie ein Recht auf Aufklärung und Schutz haben? Baden-Württemberg hat sich, wie ein Großteil der Bundesländer auch, 2018 der Initiative des Unabhängigen Beauftragten Herr Rörig „Schule gegen sexuelle Gewalt“ angeschlossen. Es gibt klare Handlungsanforderungen, die mit dieser Initiative des UBSKM einhergehen, bspw. das Erstellen von entsprechenden Schutzkonzepten. Tatsache ist, drei Jahre später gibt es noch immer keine flächendeckenden vollumfänglichen Schutzkonzepte in den meisten Schulen Deutschlands. Wenn dies wie bewiesen nur in Ausnahmefällen auf freiwilliger Basis funktioniert, bedarf es eben einer entsprechenden Verankerung im jeweiligen Landesschulgesetz. Darüber hinaus nützen Ordner mit Schutzkonzepten, die in Schränken stehen, niemanden. Es bedarf in der jeweiligen Einrichtung eingesetzter Kinderschutzbeauftragter, die periodisch über den jeweiligen Sachstand und getroffene Maßnahmen zu berichten haben. Alles darunter ist insofern fahrlässig, da man davon ausgehen muss, dass in jeder Schulklasse in Deutschland mindestens 1-2 betroffene Kinder sitzen.6 Wo ist nun die klare Positionierung aller verantwortlichen Akteure in Deutschland, gegen diese perfide Gewaltform an Kindern und Jugendlichen? Wo sind flächendeckende und nachhaltige Präventions- und Interventionsmaßnahmen? Die Antwort ist überschaubar: In der Praxis so gut wie nicht vorhanden! Hat die Coronakrise doch erst deutlich gemacht, wie schlecht es um das Thema Digitalisierung bundesweit in den Schulen bestellt ist. Ungenügend ist die zu vergebende Note. Das Kinder und Jugendliche auch im digitalen Raum massive Gewalt, insbesondere auch sexuellen Missbrauch erleben, scheint in vielen Köpfen offensichtlich noch nicht angekommen zu sein. Bei Kindern setzten wir grundsätzlich voraus, dass die sorgeberechtigten Eltern sich verantwortungsvoll um sie kümmern.

 

Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass ein Großteil der Täterpersonen (w/m) im realen Leben (analogen Raum) selbst aus dem engsten Familienumfeld kommt (ca. 25%) sowie aus dem sozialen Nahraum, beziehungsweise im weiteren Familien- und Bekanntenkreis (ca. 50%), zum Beispiel durch Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen.7 Sexuelle Gewalt durch Fremdtäter*innen ist daher im realen Leben eher die Ausnahme. Anders im digitalen Raum. Hier werden Kinder und Jugendliche gezielt von fremden erwachsenen Personen mit der Absicht zur sexuellen und pornografischen Ausbeutung angeschrieben. Der sexuelle Missbrauch findet im Kinder- oder Jugendzimmer statt, ohne dass Täter und Opfer sich je persönlich begegnet sind und die Eltern sitzen unter Umständen zum Zeitpunkt der Tat nebenan im Wohnzimmer und bekommen von der Gewalttat an ihrem Kind nicht im Ansatz etwas mit. Wäre es dann nicht sinnvoll, dort Präventionsmaßnahmen zu installieren, wo sie diejenigen, die unter Umständen davon betroffen sein könnten, am besten erreichen kann? Beispielweise über verpflichtende Unterrichtseinheiten zum Thema Medienkompetenz. Kinder haben ein Recht auf Aufklärung, auch auf Schutz vor sexueller Ausbeutung.8 Doch bedauerlicherweise werden nachhaltige Präventions- und Interventionsmaßnahmen kaum flächendeckend umgesetzt, weil es sich hierbei lediglich um so genannte freiwillige kommunale Leistungen handelt, und wenn gespart werden muss oder kann, dann am ehesten an den freiwilligen staatlichen Leistungen und insbesondere bei denen, die keine oder nur eine sehr leise Lobby haben. Geld vor Kinderschutz?

 

4 Warum Prävention und Intervention helfen können


Zuerst einmal möchte die Verfasserin gerne auf den eigentlichen Begriff „Prävention“ eingehen. Das Wort Prävention stammt von dem lat. Wort präveniere ab und bedeutet „zuvorkommen“.


So geht es in der Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt an Kindern zunächst mal um zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, die dem Grunde nach, die Entstehung von sexualisierter Gewalt im besten Fall verhindern sollen. Zudem soll Prävention gegen sexualisierte Gewalt ungünstigen Strömungen und Entwicklungen, die genau eben diese Form von Gewalt begünstigen, entgegenwirken. Durch zielgerichtete Informationen soll Wissen vermittelt werden und dieses Wissen soll ein breit gefächertes Verständnis für das angesprochene Thema schaffen, so wie auch für alle im Nachgang gelagerten Interventionsmaßnahmen. So können hieraus wirkungsvolle Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. Und ja, für die Verfasserin gehören die Bereiche Prävention und Intervention untrennbar miteinander verbunden.


Obgleich die Verfasserin in der Fachwelt um die unterschiedlichen und teils sehr kritischen Meinungen weiß. Fachleute der Prävention meinen, Prävention sei das Allheilmittel. Im Gegenzug unterstellen die Fachleute aus dem Bereich der Intervention häufig, es würde viel zu viel über die Prävention gesprochen, anstatt über die Intervention. So ist ein jeder der Meinung, seins – Prävention oder Intervention – sei die jeweils einzig richtige und wichtige Antwort auf Kriminalitätsphänomene. Die Verfasserin findet diese Kontroverse kontraproduktiv, denn beide „Seiten“ brauchen einander, wenn wir den Schutz für Kinder vor, während und nach der Straftat verbessern wollen. Die Maßnahmen der Prävention, vor allem die primäre Prävention, die notwendig sind und ergriffen werden müssen, um auf mögliche Abweichungen der Norm zu reagieren bzw. die Risiken für solche Abweichungen zu verhindern.9


Genauso braucht es im Umkehrschluss die unabhängigen Konfliktlöser der Intervention, die sich professionell mit allen beteiligten Parteien auseinandersetzen und beschäftigen, wenn es denn zum Äußersten gekommen ist.


Eine Welt ohne (sexualisierte) Gewalt an Kindern, ist durchaus eine lobenswerte Vorstellung, und doch leider meilenweit entfernt von der Realität. Gewalt, jeglicher Form, wird es solange geben, wie es Menschen geben wird. Und dafür gibt es mehr als nur einen Grund. All die Gründe hier aufzuzählen würde allerdings den Rahmen sprengen. Vor allen Dingen im Zuge der Digitalisierung, wurde es für Täterpersonen (w/m) allerdings immer einfacher, Kontakt zu fremden Kindern anzubahnen, bzw. Kinder im allgemeinen als Ware im Netz zu „vermarkten“. Daher ist es von unsagbar großer Bedeutung, dass Bund, Länder und Kommunen endlich in die Handlungsumsetzung sinnhafter und nachhaltiger Präventions- und Interventionsmaßnahmen insbesondere auch im Internet kommen, das mittlerweile zu einem fast rechtsfreien Raum verkommen ist. Es braucht dringend Präventionsmaßnahmen und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, Lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen der ASD, Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei, der Pflegekinderdienste etc., im Hinblick auf sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen im realen Leben sowie im virtuellen Raum. Zudem braucht es niederschwellige Angebote für Eltern und Bezugspersonen, damit mögliche Zusammenhänge und Gefahren im Vorfeld verstanden und bewusst umgangen, Hinweise und Signale schneller wahrgenommen werden können.10


Prävention kann helfen. Am Beispiel des Deliktbereichs „Wohnungseinbrüche“ hat sich gezeigt, welch positive Wirkung Prävention haben kann. Wie passt das zusammen? Ganz einfach, all die vielen bundesweiten Präventionsmaßnahmen der Polizei im Hinblick auf Wohnungseinbrüche die Fallzahlen in diesem Deliktsbereich aktuell um 100.000 Fälle zum Vorjahr abgesenkt haben. Am Beispiel der Wohnungseinbrüche ist zu erkennen, dass gelungene und nachhaltige Präventionsmaßnahmen zu einer grundsätzlichen Verbesserung eines bestimmten Deliktbereiches führen können. Hierfür allerdings braucht es neben den bereits genannten Voraussetzungen auch die Bereitschaft zur Finanzierung der Maßnahmen.