Recht und Justiz

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Teil 1)

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Cathrin Lebro, Kiel

1.4.3 § 177 VII, VIII StGB

Die § 177 VII, VIII StGB sehen eine deutlich erhöhte Mindestfreiheitsstrafe (3 bzw. 5 Jahre) vor und greifen auf Merkmale des schweren Raubes zurück.

§ 177 VII StGB ist erfüllt, wenn der Täter bei einer Tat nach § 177 I oder II StGB eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt (Nr. 1), sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (Nr. 2) oder das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt (Nr. 3).

Gem. § 177 VIII StGB macht sich der Täter strafbar, wenn der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet (Nr. 1), das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt (Nr. 2a) oder das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt (Nr. 2b). Schwierigkeiten ergeben sich mit Blick auf den Strafrahmen insbesondere bei der Auslegung des Begriffs der „Tat“36 und des „Beisichführens einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs“37.

1.5 Besonders schwere Fälle, § 177 VI StGB

§ 177 VI StGB normiert besonders schwere Fälle der § 177 I, II StGB, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren bedroht sind. Als Regelfall werden die Vergewaltigung und die gemeinschaftlich begangene sexuelle Nötigung aufgeführt.

1.5.1 Vergewaltigung, § 177 VI 2 Nr. 1 StGB

Eine Vergewaltigung nach § 177 VI 2 Nr. 1 StGB begeht, wer mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Der Beischlaf ist mit der Vereinigung der Geschlechtsteile vollzogen.38 Zu den dem Beischlaf gleichgestellten besonders erniedrigenden ähnlichen sexuellen Handlungen zählen insbesondere die orale oder anale Penetration, aber auch das Eindringen mit Gegenständen in den Körper oder mit dem Finger in die Scheide.39 Nicht erfasst ist hingegen der Zungenkuss.40

1.5.2 Gemeinschaftliche Begehung, § 177 VI 2 Nr. 2 StGB

Die gemeinschaftliche Begehung nach 177 VI 2 Nr. 2 StGB setzt ein aktives Zusammenwirken von mindestens zwei Personen als Täter einer Tat nach § 177 I, II StGB voraus.41 Hintergrund dieser Strafschärfung ist die Verringerung der Abwehrmöglichkeiten des Opfers und die erhöhte Gefahr massiver sexueller Handlungen.42

1.6 Sonstiges

Der Versuch ist gem. § 177 III StGB strafbar. § 177 IX StGB bestimmt unterschiedliche Strafandrohungen für minder schwere Fälle der Grundtatbestände und Qualifikationen. Ein minder schwerer Fall wird insbesondere bei jenen sexuellen Handlungen angenommen, die nur in geringem Maße die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschreiten.43 § 177 II Nr. 4 und 5, V Nr. 2 StGB verdrängt § 240 StGB im Wege der Spezialität, soweit die Nötigung auf die Erzwingung einer sexuellen Handlung beschränkt ist.44

 

2 Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178 StGB


Mit § 178 StGB liegt eine Erfolgsqualifikation i.S.d. § 18 StGB zu § 177 StGB vor. Hiernach wird der Täter mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft, wenn er durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177 StGB) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers verursacht. Opfer kann nur die Person sein, gegen die sich die sexuelle Handlung gerichtet hat.45 Im Tod des Opfer muss sich das der sexuellen Handlung oder der Nötigungshandlung anhaftende spezifische Risiko unmittelbar realisiert haben.46 Dieser Zusammenhang fehlt etwa, wenn der Täter den Tod erst nach der Vollendung des § 177 StGB herbeiführt, um seine Tat zu verdecken.47 In subjektiver Hinsicht muss der Täter hinsichtlich der schweren Folge zumindest leichtfertig handeln.

 

 

D – Straftaten gegen sexuelle Belästigung unbeteiligter Dritte


Die §§ 183, 183a, 184i-k StGB sollen unbeteiligte Dritte vor sexueller Belästigung schützen.48

 

1 Exhibitionistische Handlungen, § 183 StGB


§ 183 StGB stellt exhibitionistische Handlungen unter Strafe, um vor der ungewollten Konfrontation mit sexuellen Handlungen zu schützen.49

Strafbar macht sich ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt. Eine exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem anderen ohne dessen Einverständnis, um sich allein dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion des anderen oder durch Masturbation sexuell zu erregen oder zu befriedigen.50

Hierdurch muss eine andere Person belästigt werden, d.h. in ihrem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt werden, z.B. schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden.51

Im subjektiven Tatbestand ist zu differenzieren: bedingter Vorsatz genügt hinsichtlich des Belästigungserfolgs,52 hinsichtlich der Wahrnehmung durch eine andere Person bedarf es direkten Vorsatzes53 und die sexuelle Tendenz der exhibitionistischen Handlung erfordert Absicht.

§ 183 II StGB normiert ein Antragserfordernis. Nach § 183 III StGB wird in den Fällen des § 183 I StGB auch bei ungünstiger Prognose Strafaussetzung zugelassen, wenn nur erwartet werden kann, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird. Diese Regelung wird von § 183 IV StGB auf Taten erstreckt, die als exhibitionistische Handlungen unter einem anderen Gesichtspunkt strafbar sind.

Aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtung ist Tateinheit mit §§ 174 II Nr. 1, 176 IV Nr. 1 StGB möglich.54