Kriminalitätsbekämpfung

Assistierter Suizid – Ein Problem für die Polizeiarbeit?

Von KHK a.D. Rolf Strehler, Aschersleben

5 Worauf müsste sich die Polizei in Deutschland einstellen?


Prognostisch gesehen wird die Anzahl zukünftig relevanter Fälle wahrscheinlich überschaubar sein. Hauptkriterium dürfte sein, dass der sterbewillige Mensch aus freien Stücken eine wohlüberlegte Willenserklärung abgegeben hat. In einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit der persönlichen Ausweglosigkeit ist er zu der finalen Entscheidung gekommen, sein Leben in Würde zu beenden und den Zeitpunkt seines Abschieds vom Leben selbstbestimmt, nach seinen Vorstellungen auszuwählen. Er sieht im Suizid den letzten Ausweg in seiner persönlichen Situation. Dazu bittet er um Beistand und Würde, weil er sich eben nicht gewaltsam, durch die aus der Kriminalistik bekannten „klassischen“ Suizidmethoden töten will. Ein „harter Suizid“ sowie die Möglichkeit Unbeteiligte und damit Unschuldige mit in den Freitod zu reißen, kommt für ihn nicht in Betracht. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür möglicherweise in Deutschland geschaffen werden sollten, wäre es wünschenswert, der Polizei und der Staatsanwaltschaft klare Richtlinien, an die Hand zu geben. Vielleicht wäre sogar eine vierte „Todesart“ auf dem Totenschein denkbar: „Begleiteter Suizid“. Das würde dem Arzt bei der Feststellung des Todes und allen weiteren Beteiligten an der „Todesursachenermittlung“ sicher die Arbeit erleichtern. Voraussetzung ist eine klare Beweislage.


Gesetzt den Fall, assistierter Suizid würde erlaubt und klar geregelt werden, wie viele Fälle wären dann zu erwarten? Man kann sicher davon ausgehen, dass es sich um genau eingegrenzte Anträge handeln dürfte. Sicher sind manche Leser mit ähnlich tragischen Fällen konfrontiert worden, wie im nachfolgenden Beispiel beschrieben:


Ein 75-jährigen Witwer war von einer bösartigen Krebserkrankung heimgesucht worden, die ihn mit zunehmender Aggressivität seiner Lebensqualität beraubt und längst seine sozialen Kontakte zerstört hatte. Er hatte mehrfach gesagt, er wolle „ins Wasser gehen“. Ihm dürfte klar gewesen sein, dass ihm nur noch ein kleines Zeitfenster dafür geblieben war. Also nutzte er einen geeigneten Moment, ging zu einem nahen Fluss und nahm sich dort wie angekündigt das Leben. Am Suizid gab es keine Zweifel. Der Anblick der aufgefundenen Leiche war für uns als Polizeibeamte nicht ganz leicht zu ertragen. Damals stellten wir uns die Frage, warum dieser bedauernswerte Mensch im Ertrinkungstod seinen einzigen Ausweg gesehen hatte. Wir hätten ihm gewünscht, würdig einzuschlafen, vielleicht durch einen assistierten Suizid.


Zahlreiche Suizide dürften auf depressive Zustände zurückzuführen sein, weshalb sie oftmals nicht vorhersehbar und somit kaum vermeidbar sind. Es ist schwer vorstellbar, dass die Protagonisten der nachfolgenden Beispiele eine vorbereitete, offiziell begleitete Selbsttötung in Erwägung gezogen hätten.

 

  • Ein 43-jähriger Mann hatte sich in seinen Geschäftsmodellen ruinös verkalkuliert. Seine Ehefrau hatte ihn verlassen und seine zahlreichen Gläubiger verlangten ihr Geld. Niemand in seinem Umfeld wusste genau über die Lebenskrise Bescheid. Er stellte seinen PKW in die Garage, schäumte alle Öffnungen aus und tötete sich mit den Abgasen des Fahrzeuges. Sicher kein denkbarer Fall für assistierten Suizid.
  • Nach einem Streit mit seiner Ehefrau begab sich ein alkoholisierter 52-jähriger Mann in seine Garage. Er nahm eine kleine Flasche mit einem hochtoxischen Mittel gegen Ungeziefer und trank einen kräftigen Schluck. Trotz schneller ärztlicher Hilfe verstarb er an den Folgen seines Handelns.
  • Ein 27-jähriger Student hatte von seinem Fachbetreuer erfahren, seine fast fertig gestellte, wissenschaftliche Arbeit würde die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Er begab sich zu einer überregionalen Bahnstrecke, beobachtete einen herannahenden Zug und ließ sich mit tödlicher Folge überfahren. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen (vgl. Foto).
  • Der Fall Robert Enke soll abschließend erwähnt werden. Freunde, Familie, betreuende Mediziner, niemand konnte ihn letztlich am Freitod hindern. Ein assistierter Suizid wäre vermutlich keine Option für den von schweren Depressionen Betroffenen gewesen. „Als er (Enke) am Montag, dem 9. November […] lächelnd für Teresas Kamera posierte, hatte er allen Anzeichen nach schon entschieden, sich einen Tag später selbst zu töten.10

 

6 Zum Abschluss


Aus den bisherigen Ausführungen ist zu schlussfolgern, dass assistierter Suizid als Ultima Ratio vermutlich nur für eine klar umrissene und zahlenmäßig überschaubare Klientel eine ernsthafte Option sein könnte. Voraussetzung wäre schließlich, dass alle beteiligten Personen, inklusive des Suizidwilligen, keinen gangbaren Ausweg gefunden hätten. So leicht wird sich kein Entscheidungsgremium überzeugen lassen, die Zustimmung zu gewähren. Der fiktive Protagonist aus dem TV-Kammerspiel würde sehr wahrscheinlich auch zukünftig nicht mit einer „Freigabe“ rechnen können. Als Antwort auf die aufgeworfene Frage kann man wohl aus heutiger Sicht davon ausgehen, dass legal assistierter Suizid zu keinen grundlegenden Problemen für die Polizeiarbeit führen würde. Aus kriminalistischer Erfahrung ist es auch schwer vorstellbar, dass eine veränderte Rechtslage einen signifikanten Rückgang der allgemeinen Suizidraten auslösen könnte. Mit sog. „harten Suiziden“ werden wir auch weiterhin konfrontiert werden. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung das Pendel zu diesem Thema letztlich ausschlägt und welche gesetzlichen Regelungen daraus entstehen werden.


Bildrechte: Autor.

 

Anmerkungen

 

  1. KHK a.D. Rolf Strehler war über 20 Jahre in verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei tätig, zuletzt als Leiter Kriminaldienst in einem Revierkommissariat. In seiner Laufbahn war er selbst mehrfach mit dem 1. Angriff zu  Todesursachenermittlungen beschäftigt. Darunter waren auch Fälle des Suizids. Die Erinnerung an einige markante Sachverhalte sind in diesen Beitrag eingeflossen. Zuletzt gab er sein Wissen und seine Erfahrungen als Fachlehrer für Kriminalistik an der Fachhochschule der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt weiter. Daneben war er viele Jahre Vorsitzender des FA Kriminalpolizei beim Geschäftsführenden Landesbezirksvorstand der GdP Sachsen-Anhalt und zugleich Mitglied des BFA Kriminalpolizei der GdP. Zur Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit der Landesfachausschüsse und des BFA Kriminalpolizei erarbeitete er zum Thema „1. Angriff bei Todesursachenermittlungen“ ein Skript. Todesursachenermittlungen, insbesondere der Suizid als besondere Erscheinungsform, haben immer sein besonderes Interesse geweckt und ihn letztlich auch zu diesem Beitrag inspiriert.
  2. BVerfG v. 26.2.2020, Az. 2 BvR 2347/15-juris (= NJW 2016, 558).
  3. Vgl. dazu Fischer, 2021, Strafgesetzbuch, Kommentar, 68. Auflage, § 217, Rn. 1.
  4. Ferdinand von Schirach, TV-Film „Gott“, ausgestrahlt am 23.11.2020, im ZDF.
  5. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 2021, Strafprozessordnung, Kommentar, 64. Auflage, § 159, Rn. 4.
  6. Gemeint ist eine ärztliche Person, die einen Weiterbildungsabschluss auf dem Gebiet der Pathologie oder Rechtsmedizin haben muss, wie es beispielsweise in § 9 Abs. 4 BestattG LSA gefordert ist.
  7. Zur „Mainzer Initiative Qualifizierte Leichenschau“ vgl. Becker, Die Kriminalpolizei 3/2019, S. 24 (Interview).
  8. Siehe www.patientenverfuegung.digital/blog/sterbehilfe-im-ausland.
  9. Kerstin Schweighöfer, „Die Sehnsucht nach dem Tod“, Deutschlandfunk vom 2.3.2018.
  10. Ronald Reng, „Robert Enke – Ein allzu kurzes Leben“, Piper Verlag München 2010, S. 423
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