Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist



§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – Gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung; hier: Anfahren mit dem Pkw. Der A wollte dem G einen „Denkzettel verpassen“ und beschloss daher, mit seinem Pkw von hinten den G, der auf einem dunklen, nur punktuell erleuchteten Gehweg links neben der Fahrbahn lief, anzufahren und zu Fall zu bringen. Dazu fuhr der A auf den Gehweg und näherte sich mit höherem Tempo „als die Laufgeschwindigkeit“ dem G. Als der G den Lichtkegel bemerkte, sprang er hoch und fiel auf die Motorhaube des Pkw, wo er durch die unverminderte Fahrgeschwindigkeit auf die Höhe der Windschutzscheibe abgetrieben wurde und Halt suchte. Der A – vom Sprung des G auf die Motorhaube überrascht – gab nun Gas und lenkte den Pkw abrupt nach rechts, um den G abzuschütteln. Dabei nahm der A zumindest billigend in Kauf, dass sich G bei einem Sturz auf den Gehweg nicht unerheblich verletzen würde. Der G stürzte auf den Gehweg, wo er in der unmittelbaren Nähe des Fahrzeugs, das der A zum Stillstand abgebremst hatte, zum Liegen kam. Durch den Aufprall auf den Boden erlitt der G eine Vielzahl von flächigen Schürfwunden im Gesicht, an beiden Händen und Knien sowie am Becken.


Die Tathandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. (BGH, Beschl. v. 24.3.2020 – 4 StR 646/19)


§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Wohnungseinbruchdiebstahl; hier: In Vergessenheit geratener Schlüssel. Der Angeklagte entnahm aus dem Schlüsselkasten seiner Lebensgefährtin einen Schlüssel für die Wohnung von deren ehemaligen Schwiegereltern. Diese hatten vergessen, dass er nach der Scheidung nicht zurückgegeben worden war. Während das Paar im Urlaub war, öffnete der Mann die Tür und entwendete Wertsachen und Bargeld. Zudem legte er ein Feuer, um die von ihm hinterlassenen Spuren zu beseitigen.


Verschafft sich ein Dieb mit einem bei den Wohnungsinhabern in Vergessenheit geratenen Schlüssel Zutritt zu deren Wohnung, begeht er keinen Einbruch durch Verwendung eines „falschen Schlüssels“. Bloßes Vergessen begründet keine Entwidmung. Maßgeblich sei dabei allein der Wille des Berechtigten, ob er den Schlüssel nicht, noch nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Wohnungsschlosses bestimmt sehen möchte. (BGH, Beschl. v. 18.11.2020 – 4 StR 35/20)


§ 263 Abs. 1, 3 Nr. 2 StGB – Banden- und gewerbsmäßiger Betrug; hier: sog. Fake-Anrufe; erhebliche Haftstrafen. Die Angeklagten begingen als Mitglieder einer Tätergruppierung im gesamten Bundesgebiet gewerbsmäßigen Betrug in großem Stil. Dazu gaben sie sich gegenüber Senioren in Telefonaten als Polizeibeamte oder sonstige Amtsträger aus und veranlassten die Geschädigten dazu, Bargeld oder andere Wertgegenstände bereitzustellen, um sie angeblichen Polizeibeamten zu überlassen. Die sog. Fake-Anrufe wurden von Istanbul aus getätigt. Insgesamt wurden mehr als 65.000 Euro Bargeld gutgläubig übergeben. Die Übergabe eines sechsstelligen Betrages in einem vierten Fall konnte durch das Eingreifen der Polizei im letzten Moment verhindert werden.


Die teils erhebliche Höhe der verhängten Haftstrafen (bis zu 5 Jahre und sechs Monate) begründete das Landgericht unter anderem mit den erheblichen Auswirkungen der Taten auf die betroffenen älteren Menschen. Zum finanziellen Verlust träten oft erhebliche psychische Folgen hinzu. Zudem werde bei Taten dieser Art das Vertrauen in staatliche Institutionen besonders perfide ausgenutzt. Dies verlange eine deutliche Bestrafung. (BGH, Entsch. v. 28.10.2020 – 3 StR 254/20)

 

II Prozessuales Strafrecht

 

§ 110 StPO – Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Durchsicht eines sichergestellten Mobiltelefons. Unter den weit auszulegenden Begriff „Papier“ im Sinne von § 110 StPO gehören auch Dateien, die auf sämtlichen Arten von elektronischen Datenträgern und -speichern für die elektronische Datenverarbeitung, insbesondere Festplatten, gespeichert sind, sowie Geräte mit fest installiertem Speicher, etwa Mobiltelefone oder Notebooks. Da § 110 StPO nach seinem Wortlaut und seiner Stellung im Gesetz aber lediglich die Durchsicht von Papieren bei einer Durchsuchung nach §§ 102 ff. StPO regelt, in deren Rahmen mögliche Beschlagnahmegegenstände aus dem bei der Durchsuchung vorgefundenen Material ausgesondert werden, ist dieses Verfahren in diesem Stadium noch der Durchsuchung zuzuordnen. Erfolgt die Durchsuchung (hier: 7 Tage) mehr als 6 Monate nach dem ihm zugrundeliegenden Beschluss, erweist sich die Durchsuchung als rechtswidrig; ebenso die dabei erfolgte Sicherstellung eines Mobiltelefons. (LG Paderborn, Beschl. v. 23.4.2020 – 01 Qs-22 Js 904/19-55/20)


§ 252 StPO – Verbot der Protokollverlesung nach Zeugnisverweigerung; hier: Gestattung der Verwertung einer früheren polizeilichen Zeugenaussage. Die Revision rügte eine Verletzung von § 252 StPO. Dem liegt zu Grunde, dass das LG am ersten Hauptverhandlungstag die Mutter des Angeklagten als Zeugin vernommen hat. Sie wurde gem. § 52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerte sodann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage. „Auf Befragen“ erklärte sie sich damit einverstanden, dass ihre Angaben aus dem Ermittlungsverfahren verwertet und die Polizeibeamten hierzu befragt werden dürfen. Hierauf gestützt hat die Strafkammer die Angaben der Zeugin sodann ausweislich der Urteilsgründe durch Vernehmung eines Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt.


§ 252 StPO ist – über den Wortlaut hinaus – nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot aufzufassen, das auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt. Allerdings kann ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist. (BGH, Beschl. v. 25.8.2020 − 2 StR 202/20)

 

 

 

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