Kriminalitätsbekämpfung

Dokumentation von Vernehmungen – traditionell und audiovisuell (Teil 1)

Von Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper und Dozent Thorsten Floren, Dortmund/Mülheim*

2.3 Dokumentation der Begleitumstände der Belehrung

Zentrale Elemente, die für eine gute und nachvollziehbare Vernehmungsdokumentation von Belang sind, stellen insbesondere der Zeitpunkt der Belehrung (vor der Vernehmung), der Ort, der Name der belehrenden Person und die wörtliche Form der Belehrung dar, die exakt niedergelegt werden müssen. Sofern der Beschuldigte dazu bereit ist, mag er den Umstand, dass ihm eine Belehrung zuteil geworden ist, mit seiner Unterschrift quittieren, was gerade bei der Beurteilung in der Gerichtsverhandlung von Belang sein kann. Eine notwendige Wirksamkeitsvoraussetzung ist dies nicht, da die Einführung seiner Einlassung in die Hauptverhandlung durch die Vernehmung des Vernehmungsbeamten erfolgt. Auch wenn die Frage, ob und wie belehrt worden ist, grundsätzlich dem sogenannten Freibeweisverfahren unterliegt, mit der Folge, dass der Grundsatz in dubio pro reo hier nicht gilt, wurde in der Vergangenheit die Dokumentation und Rekonstruktion der Belehrung immer wichtiger und mögliche Verstöße gegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV wurden verfahrensrelevanter.

2.4 Dokumentation der Entscheidung des Beschuldigten betreffend das Recht zur Verteidigerkonsultation

Durch den Gesetzgeber wurde in § 168b StPO an recht versteckter Stelle eine diesbezügliche Dokumentationspflicht eingeführt:


(1) Das Ergebnis der Untersuchungshandlungen der Ermittlungsbehörden ist aktenkundig zu machen.


(2) Über die Vernehmung des Beschuldigten, der Zeugen und Sachverständigen soll ein Protokoll nach den §§ 168 und 168a aufgenommen werden, soweit dies ohne erhebliche Verzögerung der Ermittlungen geschehen kann. Wird über die Vernehmung des Beschuldigten kein Protokoll gefertigt, ist die Teilnahme seines Verteidigers an der Vernehmung aktenkundig zu machen.


(3) Die in § 163a vorgeschriebenen Belehrungen des Beschuldigten vor seiner Vernehmung sowie die in § 58 Absatz 2 Satz 5 vorgeschriebene Belehrung vor einer Gegenüberstellung sind zu dokumentieren. Dies gilt auch für die Entscheidung des Beschuldigten darüber, ob er vor seiner Vernehmung einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen möchte, und für das Einverständnis des Beschuldigten gemäß § 141a Satz 1.


Es bedarf daher einer ausdrücklichen Darlegung im Protokoll im Hinblick auf die Entscheidung und eine Anwesenheit des Verteidigers.

 

2.5 Dokumentation des Inhalts der Vernehmung – traditionell

Neben den formellen Vorgaben sind insbesondere inhaltlich relevante Qualitätsstandards einzuhalten: Auffällig hierbei ist aus der Sicht eines Praktikers, der sich mit dem Inhalt von Ermittlungsakten auseinandersetzt, dass die Qualität einer Vernehmung anhand der zur Akte gelangten Vernehmungsniederschrift, in Bezug auf die Ermittlungspersonen bei der Polizei häufig eine Besonderheit darbietet: Diese Ermittler erweisen sich geradezu als wahre Vernehmungsspezialisten! Der Umstand kann daran festgemacht werden, dass die Vernehmung fast durchgängig widerspruchsfrei und chronologisch geordnet ist. Weiterhin enthält sie fast keinerlei Ungenauigkeiten und die Vernehmung zeichnet sich zudem dadurch aus, nahezu regelmäßig auf einem Sprachniveau niedergeschrieben worden zu sein, welches als einheitliches Amtsdeutsch bezeichnet werden kann.


Jeder – auch Staatsanwälte, Richter und Verteidiger – der vernimmt, weiß, dass Vernehmungen so nicht ablaufen! Einen Ausnahmefall mag die Vernehmung eines versierten Betrügers darstellen, dem der Vernehmungsgegenstand zuvor bekannt gegeben worden ist und der sich entsprechend vorbereitet hat.


Die Praxis entspricht zum einen nicht den rechtlichen Vorschriften, wodurch Vernehmungen die durch ein derartiges Vorgehen entstanden sind, diverse erfolgsversprechende Angriffsflächen für die Verteidigung bieten.


Aus der Ermittlungspraxis heraus sollte eine Vernehmung gerade auch auf Grund von tatrelevanten Ermittlungsansätzen (Opferschutz/Ergreifung weiterer Täter/Auffinden von Beweismitteln etc.) zeitnah und tatbestandsbezogen verlaufen. Im Hinblick auf eine spätere Verwertbarkeit hat es sich zudem bewährt, dass eine zweite Person hierbei anwesend ist. Bereits bei der Planung der Vernehmung sollten Persönlichkeitsstrukturen des zu Vernehmenden berücksichtigt werden und möglicherweise im Hinblick darauf ein Vernehmungsbeamter und/oder eine Vernehmungsbeamtin mit der Vernehmung betraut werden. Leider ist es in der täglichen Praxis auch nicht gewährleistet, dass die Vernehmung selbst vor Störungen (Telefongespräche, Eintreten Dritter ...) hinreichend gesichert ist.


Der inhaltliche Anteil der Vernehmung zeichnet in der Regel meistens den Bereich der Tat und des Tatgeschehens auf. Dem steht entgegen, dass die Fakten zur Persönlichkeit des Beschuldigten und ein mögliches Nachtatverhalten eher stiefmütterlich behandelt werden, obwohl diese Umstände für das weitere Ermittlungsverfahren von entscheidender Bedeutung sind. Gleiches gilt bezüglich der Abfrage der tatsächlichen Voraussetzungen eines oder mehrerer Haftgründe der §§ 112 f. StPO und/oder des Konsums legaler oder illegaler Drogen.


Auch die Dauer der Vernehmung ist zu dokumentieren. Hierbei sollte insbesondere Wert gelegt werden auf eine Kongruenz von Dauer und Umfang der Vernehmungsniederschrift. Beispielhaft für eine deutlich unzureichende Vernehmungsprotokollierung muss eine über drei oder vier Stunden abgelaufene Vernehmung angesehen werden, die sich dann in zwei oder drei Druckseiten niederschlagen und hierdurch belegen, dass höchst unvollständig dokumentiert worden ist.


Eine nicht wortwörtliche Protokollierung die sich durch eine gut gemeinte und die Lesbarkeit erhöhende schöngeschriebene Vernehmungsdarstellung auszeichnet und sich dabei auch in Teilen weit vom Sprachniveau des Beschuldigten entfernt, ist im besonderen Maße Angriffen der Verteidigung ausgesetzt. Dies gilt auch für „Formulierungshilfen“, die Polizeibeamte in manchen Fällen dem Beschuldigten geben.


Der Verteidigung eröffnet sich die Möglichkeit, den Inhalt der Vernehmung über das Sprachniveau zu erschüttern. Regelmäßig wird in einem derartigen Fall der Angeklagte sich im Rahmen der Hauptverhandlung zur Person äußern, aber keine Angaben zur Sache machen. Wird bei den Äußerungen zur Person deutlich, dass das Sprachniveau des Beschuldigten äußerst gering und er nicht in der Lage ist, einen Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt fehlerfrei zu formulieren, wird der vernehmende Polizeibeamte und die von ihm gefertigte Vernehmung in aller Regel durch zwei Standardfragen demontiert werden: Zunächst wird der Verteidiger den Beamten angesichts einer „guten“ Vernehmung loben und ihn sodann – unter Hinweis auf das von den Verfahrensbeteiligten vernommene Sprachniveau des Beschuldigten – fragen, ob er – der Polizeibeamte  – gewisse redaktionelle Änderungen an den Antworten des Beschuldigten vorgenommen hat. Nachdem der Polizeibeamte dies wahrheitsgemäß bejaht hat, wird diese Frage folgen: „Sagen Sie mal, Herr Vernehmungsbeamter, können Sie eigentlich mit Sicherheit ausschließen, dass mit Ihren wohlgemeinten redaktionellen Änderungen auch inhaltliche Änderungen einhergegangen sind?“. Die wahrheitsgemäße Beantwortung dieser Frage – niemand kann dies ausschließen – führt zu dem Ergebnis, das sich der Verteidiger wünscht: Der Inhalt der polizeilichen Vernehmung wird infrage gezogen, und ihr Beweiswert ist erschüttert. Jede Vernehmungsperson sollte sich diesen Umstand vergegenwärtigen und vor jeder Protokollierung mögliche „gut gemeinte“ aber leider für das Strafverfahren nicht zielführende Hilfestellungen oder Eingriffe in die Vernehmung unterlassen oder bereits durchgeführte nachvollziehbar dokumentieren.


Ein Beispiel: Dem Angeklagten war Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall zur Last gelegt worden. Im Rahmen der Hauptverhandlung schwieg er zur Sache, hatte allerdings auf dem Sprachniveau eines Minderbegabten Angaben zur Person gemacht. In der polizeilichen Vernehmung fand sich der verhängnisvolle Satz „Nunmehr führte ich mit der ... den Analverkehr aus“. Nachdem weder das Opfer einen derartigen Analverkehr bestätigt hatte, noch der Rechtsmediziner irgendwelche Feststellungen für ein derartiges Vorgehen hatte treffen können, wurde der polizeiliche Vernehmungsbeamte vernommen. Hier ließ sich dann die wirkliche Beschuldigtenvernehmung rekonstruieren, in der der Beschuldigte eingeräumt hatte, dass er seinem Opfer „den Arsch aufgerissen“ und es „dann von hinten gefickt hatte“. Diese Ausdrucksweise war dem Vernehmungsbeamten offensichtlich zu unfein, so dass er seine privaten Sexualvorstellungen mit der Einlassung des Beschuldigten kombinierte und daraus einen Analverkehr konstruierte. Tatsächlich gemeint war durch den Beschuldigten lediglich die Stellungsangabe, nach der er hinter dem Opfer kniend den Vaginalverkehr ausgeführt hatte.