Recht und Justiz

Das neue VersFG BE – Eine kritische Betrachtung der Entkriminalisierungstendenzen

Von PD Michael Wernthaler, Bruchsal

 

2.2.2 Durchführung einer nicht angezeigten oder wesentlich anders als in der Anzeige angegebene Durchführung einer Versammlung (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE)

Mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro geahndet werden kann, wer „als veranstaltende oder leitende Person eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne eine gemäß § 12 erforderliche Anzeige oder wesentlich anders als in der Anzeige angegeben durchführt“ (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE). Damit wurde das bislang als Straftat sanktionierte Durchführen einer nicht angezeigten Versammlung (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe gem. § 23 BVersG) sowie die wesentlich von der Anmeldung abweichende Durchführung einer Versammlung (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monate oder Geldstrafe gem. § 25 Nr. 1 BVersG) vom Vergehen zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft.


Der Tatbestand des „Durchführens einer nicht angezeigten Versammlung“ hatte bislang eher geringe bis keine Relevanz, war doch durch höchstrichterliche Rechtsprechung festgestellt, dass von dieser Regelung nur Versammlungen und Aufzüge erfasst sind, sofern es sich nicht um Spontan- oder Eilversammlungen handelt. Denn ein Beharren auf der Anmeldepflicht würde zur generellen Unzulässigkeit von Spontanversammlungen führen, was mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht zu vereinbaren wäre.11


Der Tatbestand der „wesentlich anderen Durchführung einer öffentlichen Versammlung als in der Anzeige angegeben“, hatte indes jedoch bislang in der Praxis durchaus Relevanz. Der Tatbestand kam immer dann zum Tragen, wenn beispielsweise bewusst von der genehmigten Aufzugstrecke abgewichen wurde, um so den Kontakt mit dem politischen Gegner zu suchen oder ohne vorherige Anmeldung motorisierte Fahrzeuge und/oder Beschallungseinrichtungen mitgeführt wurden.


Es ist nun zu befürchten, dass, durch die Entkriminalisierung und Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit, die Verpflichtung zur Normenbeachtung eher abnimmt und die Bereitschaft zur gesetzeskonformen Durchführung einer Versammlung oder eines Aufzugs leidet. Für die polizeilichen Einsatzkräfte könnte sich das Problem ergeben, dass sie verstärkt mit veränderten Bedingungen konfrontiert werden und die Durchsetzung von Beschränkungen oder Auflagen mit dem Verweis auf die Geringfügigkeit des Verstoßes erschwert ist.

 

2.2.3 Uniformverbot (§ 9 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 6 VersFG BE)

Neu und verfassungsrechtlich konsequent ist die Regelung des Uniformverbots im Zusammenhang mit einem Einschüchterungsverbot (§ 9 Abs. 2 VersFG BE). So ist in Berlin „das Tragen von Uniformen oder Uniformteilen oder sonst ein einheitliches Erscheinungsbild vermittelnden Kleidungsstücken“ nur verboten, wenn diese „dazu geeignet und bestimmt„ sind, „im Zusammenwirken mit anderen teilnehmenden Personen Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dadurch einschüchternd“ wirken. Jedoch steht das Uniformverbot, ebenso wie das Waffen- und Schutzausrüstungsverbot, unter dem Vorbehalt der Verwaltungsakzessorietät, d.h. eine Strafbarkeit ist nur gegeben, wenn „die zuständige Behörde [ …] zur Durchsetzung der Verbote [ …] die vom Verbot erfassten Gegenstände oder Verhaltensweisen bezeichnet“ (§ 9 Abs. 3 VersFG BE.


Des Weiteren wird in Berlin der Verstoß gegen das Uniformverbot künftig nur als Ordnungswidrigkeit (§ 27 Abs. 1 Nr. 6 VersFG BE) mit einer Geldbuße von bis zu 2.500 Euro geahndet, während es zuvor im BVersG als Straftat (§ 28 VersG) mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wurde.


Hinsichtlich der Herabstufung von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit ähnelt die Regelung dem schleswig-holsteinischen Gesetz, auch wenn sie inhaltlich nicht identisch ist.


Es wird bezweifelt, ob die Herabstufung und damit Entkriminalisierung der Regelung zu mehr Normenbeachtung führt. Die Praxis hat gezeigt, dass Gewaltbereitschaft vermittelndes und einschüchterndes Auftreten militanter oder gewaltbereiter Gruppierungen, bspw. im Zusammenhang mit Kurdenmärschen, Rocker-Machtdemonstrationen, Auftreten von Salafisten als „Sharia-Polizei“ sowie der Aufmarsch rechter Gruppierung oder auch einheitlich vermummter Autonomer (schwarzer Block) eher zunimmt und der Gewaltbereitschaft den Weg bereitet. Es sind deshalb Zweifel angebracht, ob diese Liberalisierung tatsächlich zu einer Befriedung und mehr Normenbeachtung führt oder eher der Gewaltbereitschaft förderlich ist.

 

2.2.4 Verhinderung oder sonstige Vereitelung der Durchführung einer nicht verbotenen Versammlung (§ 8 i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 3 VersFG BE)

Das Störungsverbot gem. § 8 VersFG BE bestimmt, dass es verboten ist, „eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln“. Insoweit entspricht der Gesetzestenor im Wesentlichen dem BVersG, das im § 21 als Straftat sanktioniert: „Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.


Der Berliner Gesetzgeber hat den Verstoß gegen das Störungsverbot jedoch – sofern hierbei nicht Gewalttätigkeiten vorgenommen werden – von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft und gleichzeitig unter das Primat der Verwaltungsakzessorietät gestellt, indem in § 27 Abs.1 Nr. 3 VersFG BE geregelt ist, dass nur „ordnungswidrig handelt, wer trotz einer behördlichen Anordnung, dies zu unterlassen, absichtlich allein oder im Zusammenwirken mit anderen, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge verhindert oder sonst ihre Durchführung vereitelt.“ Geahndet wird die Missachtung mit einer Geldbuße bis zu 1.500 Euro.


Sanktioniert wird jedoch nur die Verhinderung oder Vereitelung einer nicht verbotenen Versammlung, die bisherige Regelung des BVersG, „Androhen von Gewalttätigkeiten oder Verursachen von groben Störungen“, wurde nicht übernommen, womit der Versammlungsschutz der nicht verbotenen Versammlungen erheblich gemindert wurde. Hat die jüngste Praxis doch gezeigt, dass es bei Versammlungskonstellationen, bei denen gegenseitige politische Einstellungen aufeinandertrafen – insbesondere bei sog. Rechts-Links-Konstellationen (bspw. bei AfD- oder NPD-Parteitagen, Versammlungen oder Aufzügen von Corona-Gegnern) – Blockade- und Verhinderungsversuche zum Standard-Repertoire insbesondere links-autonomer Gruppierungen gehörte. Es ist nun zu befürchten, dass die Entkriminalisierung Störungsversuche eher fördert als hemmt. Mit einer Zunahme von Störungshandlungen ist zu rechnen.