Kriminalitätsbekämpfung

Observationskräfte als Zeugen vor Gericht

Von POK Christian Behrendsen, Flensburg

 

8 Sperrerklärung als Ultima Ratio des Geheimhaltungsinteresses


Als letztes Mittel der Exekutive zum Schutz der infrage stehenden Rechtsgüter bleibt in SH der Gang über das MILIG als oberste Dienstbehörde und die Erlangung einer Sperrerklärung gemäß § 96 StPO.93 Gemäß dieser Norm obliegt es den obersten Dienstbehörden, Schriftstücke oder in diesem Fall Aussagen und Personalien zurückzuhalten und vor der Einführung in eine Hauptverhandlung zu bewahren. Wo auf der einen Seite eine Aussagegenehmigung in der Regel das Recht und die Pflicht für einen Beamten umfasst, eine entsprechende Aussage zu tätigen94, bedeutet die Sperrerklärung auf der anderen Seite meist ein fixiertes Verbot der Aussage.95 Eine Sperrerklärung kann jedoch auch, wie eine Aussagegenehmigung, bereits festgezurrte Bedingungen an eine Aussage knüpfen und einzelne genehmigte Aussagebestandteile umfassen, welche durch die oberste Dienstbehörde abgesegnet sind.96 Die Möglichkeit einer Sperrerklärung besteht laut § 96 Abs. 1 StPO, „wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“


Es handelt sich um eine Maßnahme, die restriktiv zu verwenden ist, da sie zu einer Sperrung aller Beweismittel führen kann und geeignet ist, die prozessuale Waffengleichheit und damit die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen.97 Bei einer Sperrerklärung handelt es sich um eine interne Weisung der obersten Dienstbehörde und nicht um einen Verwaltungsakt.98 Dennoch muss auch die Sperrerklärung, wie der Verwaltungsakt der Aussagegenehmigung, ausreichend begründet werden. Eine Sperrerklärung muss die konkret befürchteten Nachteile nachvollziehbar darlegen.99


Kritisch zum Thema Sperrerklärung äußert sich Lisken in Bezug auf ein Urteil des VG Frankfurt100, der mahnend feststellt, dass Sperrbefugnisse dem Rechtsgüterschutz und nicht dem Methodenschutz dienen dürfen.101 Er sieht das durch die EMRK und StPO geschützte faire Verfahren gefährdet und stellt heraus, dass ein solches faires Verfahren ein offenes und unmittelbares Beweisverfahren bedarf, dessen Umfang vom Gericht und nicht durch unbeteiligte Dritte, wie die Exekutive bestimmt werden darf.102 Die Grenzen können lediglich durch grundrechtliche und grundrechtsgleiche Belange wie Leib und Leben gesetzt werden. So muss auch die Zeugenpflicht für Polizeibeamte bei der durch das Gericht festzustellenden Grenze der „zumutbaren Aufopferung“ enden.103 Eine reine Sperrung, um das sog. „Verbrennen“ eines Zeugen zu verhindern und seine Einsatzmöglichkeiten in folgenden Verfahren zu erhalten habe keinen Verfassungsrang und diene lediglich dem Methodenschutz.104


Ein Antrag zur Aufhebung einer Sperrerklärung oder zur Einsichtnahme in die zur Hauptverhandlung vorzulegenden Akten ist ebenfalls eine Streitfrage nichtverfassungsrechtlicher Art und obliegt nach § 40 Abs. 1 VwGO den ordentlichen Gerichten.105 Den Gerichten ist es nun nach Feststellung einer rechtswidrigen oder unzureichend begründeten Sperrerklärung möglich, eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO zu erlassen, um die Offenlegung der Angaben zum Schutze des fairen Verfahrens zu bewirken.

 

 

9 Konsequenzen bei ungerechtfertigten Nicht- oder Falschaussagen


Sollte es den Beamten nicht durch den Dienstvorgesetzten oder Dienstherrn versagt worden sein, vor Gericht auszusagen, obliegt dem Polizeibeamten, wie jedem anderen Zeugen auch, eine Pflicht zur Aussage nach § 48 StPO. Ein Zuwiderhandeln kann sitzungspolizeiliche sowie beamtenrechtliche Folgen mit sich führen.106 Gemäß § 70 StPO sind sitzungspolizeiliche Restriktionen und Strafen wie Ordnungsgelder und Ordnungshaft möglich. Zudem können auf beamtenrechtlicher Ebene die Weisungsgebundenheit aus § 35 S. 2 BeamtStG und die Pflicht zum vertrauenswürdigen Verhalten aus § 34 S. 3 BeamtStG einschlägig werden. Bei Aussagen, die über die Aussagegenehmigungen hinausgehen, kommt ferner die beamtenrechtliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit aus § 37 Abs. 1 BeamtStG zum Tragen.107 Der disziplinarrechtliche Weg ist eröffnet.108


Eine Falschaussage vor Gericht kann ebenfalls zu erheblichen Konsequenzen führen. Ein solcher Verstoß gegen die Pflicht zur Wahrheit ist nach den § 153 StGB (falsche uneidliche Aussage) und § 154 StGB (Meineid) strafbar. Die Straftaten sind durch Jedermann erfüllbar. Der Geheimnisverrat nach § 353 b StGB (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) hingegen ist ein Amtsdelikt und somit neben Anderen auch durch Polizeibeamte zu begehen.

 

10 Zum Abschluss


Eine entsprechende Kenntnis dieser Problemstellungen und der Befindlichkeiten der eingesetzten Gerichtsbarkeit sollte für mehr Sicherheit und Selbstvertrauen der als Zeugen fungierenden Beamten sorgen. Wie so häufig in rechtswissenschaftlichen Streitfragen, ist es eine Frage der Begründung und somit in den hier benannten Fallgruppen auch eine Frage der Kommunikation. Gerade bei sensiblen Fällen bedarf es der frühzeitigen Kommunikation zwischen Beamten und Dienstvorgesetzten. Aber auch zwischen Dienstvorgesetzten, Dienstherrn und dem vorsitzenden Richter. Es muss im Interesse eines jeden Polizeibeamten liegen, einen Straftäter seine gerechte Strafe zukommen zu lassen bzw. zu einer gerechten Entlastung beitragen zu können. Gerade deshalb ist es wichtig, das entsprechende rechtliche „Know-How“ und die Wichtigkeit der eigenen Aussage vor Gericht zu kennen.


Die Kenntnis der rechtsstaatlichen Prozessmaxime verstärkt das Bewusstsein der Kollegen für die damit einhergehenden Fragen der verhandelnden Richter. Das durch Aufklärung und Fortbildung geschaffene Verständnis für als belanglos empfundene Termine und Fragen während der Verhandlungen, sollte die Motivation der geladenen Kollegen stärken. Es darf nicht vergessen werden, dass der zu verhandelnde Sachverhalt bereits durch die Staatsanwaltschaft sowie das Gericht als anklage- und verhandlungswürdig beurteilt wurde.109 Somit muss klar sein, dass es in jedem Fall um „Etwas“ geht.


Die im Spannungsverhältnis stehenden Interessen werden weiterhin durch die Gerichte abzuwägen sein. Eine pauschale Lösung für Aussagen, die getroffen werden dürfen und welche, die strikt einer Verschwiegenheit unterliegen, wird es nicht geben. Es ist stets zu bedenken, dass zum Beispiel Aussagen, die der Taktik zuzuordnen sind, im Einzelfall relevant und unabdingbar sein können. So kann zum Beispiel der Standort eines observierenden Kollegen, auch wenn eine angeworbene konspirative Wohnung oder ein präpariertes Fahrzeug als Versteck dienten, eine wichtige Information in der Hauptverhandlung sein. Ohne die Beantwortung einer solchen Frage, könnte im Einzelfall die Glaubwürdigkeit des Beamten in Frage gestellt werden. Denkbar wäre ein Verteidiger, der eine detailliert protokollierte Beobachtung einer Übergabe von Betäubungsmitteln als nicht möglich ansieht. Eine solche Beantwortung wird stets der Klärung mit dem Dienstvorgesetzten bedürfen. Dennoch sollte auf die Möglichkeit einer Beantwortung in Form einer Vermittlung der gegensätzlichen Interessen hingewirkt werden.110


Eine Umsetzung der Empfehlung des Landes und des BGH sich auf eine Hauptverhandlung entsprechend vorzubereiten, sieht der Verfasser als genauso notwendig an, wie die Absprache einer Aussagegenehmigung mit dem Dienstvorgesetzten im Einzelfall.


Ein fallgruppenabgestimmter Aussagegenehmigungsvordruck für Bereiche wie das ZSK am Beispiel des Landes Schleswig-Holstein scheint polizeidirektionsübergreifend sinnvoll. Eine die Kreis- und Landesgrenze übergreifende Regelung ist wünschenswert. Eine gesonderte Fortbildung für Dienststellen mit besonderem Schutzbedarf sollte durch die Polizeiführungen angestrebt werden.


Durch die wachsende organisierte Kriminalität und in den letzten Jahren zu beobachtenden zunehmenden terroristischen Gefahren, ist es nicht ausgeschlossen, dass die wandelnde Einsatzlage eine Aufnahme weiterer spezialisierter Einheiten wie das ZSK in entsprechende Erlasse zum Identitätsschutz der Beamten erforderlich macht.


Die Beantwortung von Fragen vor Gericht, die nicht von jeweiligen Aussagegenehmigungen erfasst sind, sollten konsequent und höflich abgelehnt werden. Ein Verweis auf den Dienstvorgesetzten kann stets erfolgen. Die Möglichkeit auf einen weiteren Verhandlungstag mit einer weitergehenden Genehmigung steht dem Gericht offen. Dennoch ist in den meisten Fällen anzunehmen, dass der vorsitzende Richter, sich den Problemen bewusst ist und den „kniffligen“ Fragen der Verteidigung meist proaktiv im Sinne der Geheimhaltung entgegentreten wird.111


Zum Schluss wird erneut Artkämper zitiert, der zurecht feststellt, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und gewissermaßen die Gerichte bis zur Rechtskraft des Urteils „in einem Boot sitzen“.112


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