Kriminalitätsbekämpfung

Observationskräfte als Zeugen vor Gericht

Von POK Christian Behrendsen, Flensburg

6 Dimensionen der Geheimhaltungsinteressen

 

Das Geheimhaltungsinteresse des Staates an seinen polizeilichen Taktiken ist unweigerlich von großer Bedeutung.65 Zu schützen sind Angaben, die dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Bundeslandes erhebliche Nachteile bereiten oder die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würden.66 Die hier zugrunde liegenden geheimhaltungswürdigen Informationen sind aufgrund ihrer Wichtigkeit nicht zuletzt von Bedeutung. Eine Offenlegung aller polizeilichen Taktiken und Einsatzgrundsätze würde gerade aufgrund der heutigen Vernetzungen innerhalb kürzester Zeit zu einer „Entwaffnung“ der Polizei führen.


Neben dem Geheimhaltungsinteresse des Staates bestehen gerade bei den zur Rede stehenden Spezial- und spezialisierten Einheiten der Polizeien hohe Schutzinteressen gegenüber der individuellen Beamten. Es geht nicht zuletzt um die Personalien der Beamten, die sich gerade bei Ermittlungen in Bereichen der organisierten Kriminalität, des islamistischen Terrorismus und des Milieus mit Gefahren für ihr Leib und Leben konfrontiert sehen müssen.67


Maßnahmen zum Schutze der Beamten der Spezialeinheiten des LKA SH und anderer schutzbedürftiger Organisationseinheiten sind in einem Erlass geregelt worden. So ist es den eingesetzten Beamten untersagt, die Personalien auf dienstliche Unterlagen zu schreiben. Gefertigte Berichte sind lediglich mit gesondert zugeordneten Kennnummern zu kennzeichnen. Eine Vorladung vor Gericht soll über diese Kennnummern erfolgen.68 Auch die gesetzlich vorgeschriebene Feststellung der Personalien des Zeugen vor Gericht soll nur unter Nennung der Kennnummer und der Dienststelle erfolgen.69


Mit dem Themenbereich der Kennnummern befasste sich das VG Berlin70 in 2006 und sah in einer Abwägung der widerstreitenden Interessen das Geheimhaltungsinteresse der Personalien zweier Polizeibeamter als bedeutender an, als das staatliche Interesse an einer Lückenlosen Sachverhaltsaufklärung. Die eingesetzten Beamten wurden unter Kennnummern vorgeladen und durften sich mittels Bartes und Brille unkenntlich machen.71 Die entsprechende Sperrerklärung behielt ihre Wirkung. Der BGH hat diese Ansicht bestätigt und sieht ein Absehen von der durch § 68 Abs. 1 StPO geforderten Namensnennung als statthaft an. Eine konkrete Gefahr muss in solchen Fällen nicht begründet werden, es reicht eine prognostizierte Gefährdungswahrscheinlichkeit, wie im oben genannten Erlass des Landes SH ausformuliert.72


Eine solche Regelung widerspricht grundsätzlich den bereits besprochenen Prinzipien der Hauptverhandlung. Dem zugrunde liegt die besondere Bedeutung der Spezialeinheiten und die im Erlass dargestellten vielfältigen Einsatzbereiche der Beamten. Umso deutlicher wird die Wichtigkeit der Begründung und der differenzierten Betrachtung des Einzelfalles beim Erlassen einer Aussagegenehmigung.

 

7 Wahrnehmbarkeit des Zeugen vor Gericht


Einige mögliche Geheimnisschutzmaßnahmen haben sich aus den genannten Urteilen bereits ergeben. Ein Interesse der Dienstvorgesetzten kann es zudem sein, die Gesichter der Beamten zu verschleiern. Die Rechte und Pflichten eines Zeugen in einer Hauptverhandlung ergeben sich aus den §§ 48 bis 71 StPO. Die Pflicht des Zeugen während der Hauptverhandlung vor Gericht zu erscheinen und auszusagen ergibt sich schon aus dem Recht auf eine konfrontative Befragung aus Art. 6 Abs. 3 EMRK. Diese durch den Europarat auferlegten Pflichten sind in den genannten Paragrafen der StPO einfachgesetzlich niedergelegt.73 Die Möglichkeiten des Gerichtes diese Pflichten im Sinne des Zeugenschutzes einzuschränken sind vielfältig. Dennoch sind solche Ausnahmen an hohe Anforderungen und Gefahrenprognosen geknüpft.74

 

7.1 Unkenntlichmachung vor Gericht

Als Hauptgrund für ein Verbot der Verhüllung wurde in den früheren Anordnungen der Richter die Offenbarungspflicht und der damit verbundene Unmittelbarkeitsgrundsatz herangeführt.75 Diese Pflichten lassen sich aus der Pflicht zur Identifizierung aus § 68 StPO herleiten. Die Möglichkeit, das Auftreten des Zeugen auch in Gestik und Mimik wahrnehmen zu können, wird den Angeklagten durch das Recht auf ein faires Verfahren zugesichert.76Der Rechtsstaat braucht den freien Blick ins Gesicht. Eine offene auch nonverbale Kommunikation ist Eckpfeiler einer effektiven Verhandlungsführung und damit unverzichtbar.77 Dies ist die herrschende Ansicht in Politik und Justiz.78


Dennoch muss sich die Polizeiführung in der Pflicht sehen, seine Beamten, die in sensiblen Bereichen mit schwerstkriminellen Strukturen arbeiten, auch im persönlichen Bereich und somit auch im Bereich des von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrechts mit dem damit inkludierten Recht am eigenen Bild zu schützen.79


Ein weiteres tangiertes Geheimhaltungsinteresse ergibt sich aus der geringen Personalstärke in einigen Einheiten. Es handelt sich um ein einsatztaktisches Interesse daran, das Erscheinungsbild der eingesetzten Beamten verborgen zu halten.80 Die Chance, dass Angeklagte erneut oberserviert werden, oder gerade im Bereich der organisierten Kriminalität mit anderen Personen in Kontakt treten, die wiederum observiert werden könnten, sorgt für ein weiteres Problem der einsatzleitenden und nicht zuletzt dienstvorgesetzten Beamten.81


Die Frage, ob und wie eine Unkenntlichmachung von Zeugen vor Gericht gerechtfertigt werden kann, ist umstritten. So könnte eine solche Maßnahme als Mindermaßnahme der in der StPO verankerten Paragrafen zum Zeugenschutz, auf eine solche gestützt werden.82 Es kommen zum Beispiel Mindermaßnahmen zum Entfernen des Angeklagten während der Vernehmung nach § 247 StPO, der Vorschrift zur audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO oder auf den § 251 StPO (Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen) in Frage.


Eine analoge Heranziehung des § 247a StPO scheint hier jedoch problematisch, da es im Rahmen einer audio-visuellen Vernehmung primär nicht um die Verhüllung der Zeugen geht. Bei einer solchen Vernehmung ist kein großer Einschnitt in die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit erkennbar, so dass es sich bei einer Verhüllung eher um einen größeren Einschnitt in die Prozessmaxime handelt, als bei der live-übertragenen Zeugenvernehmung nach § 247a StPO.83 Eine Mindermaßnahme ist hier nicht erkennbar.

 

7.2 Bedeutende Gesetzesnovellierungen

Festzustellen ist, dass es in 2019 zu einer bedeutenden Novellierung in diesem Themenbereich gekommen ist.84 Ursprünglich geriet die Debatte um die Unkenntlichmachung vor Gericht aufgrund muslimisch-religiöser Interessen auf die Tagesordnung.85 Es ging zunächst um das Tragen von religiösen Kleidungsstücken, wie einer Burka oder einem Niqab.86 Dennoch hat die daraus resultierende Gesetzesänderung und seitdem angepasste Rechtsprechung unausweichlich Auswirkungen auf die polizeilichen Observationskräfte als Zeugen vor Gericht. Wo es bei dem „Burka-Verbot“ um die verfassungsrechtlich verankerte Religionsfreiheit aus Art. 4 GG ging, kommen beim Interesse der Polizei der Art. 2 Abs. 2 GG mit den Rechten auf Leben, körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Beamten sowie die bereits benannten Allgemeinen Persönlichkeitsrechte zum Tragen.87 Durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 13.12.201988 ist eine Umkehr der Anordnungsmöglichkeiten der Richter entstanden.89 Durch die damit geänderte Norm des § 176 Abs. 2 GVG sowie den neu eingeführten § 68 Abs. 3 S. 3 StPO wird nunmehr das Verbot sich vor Gericht ganz oder teilweise zu Verhüllen normiert. Eine Ausnahme kann durch den Vorsitzenden gemäß § 176 Abs. 2 GVG im Einzelfall gestattet werden, „wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.“ Bei einer feststellbaren Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person lässt der § 68 Abs. 3 S. 3 StPO eine weitere Ausnahme zum Schutze des Zeugen oder der aufgeführten anderen Personen zu.90 Der § 176 Abs. 2 GVG wird durch diese Ausnahme außer Kraft gesetzt und eine ganz oder teilweise optische Verhüllung ist zulässig. Nach Ansicht des Verfassers ist hier eine Verkleidung zur Unkenntlichmachung als mildere Form der Verhüllung unter diese Normen zu subsumieren.91 Seit 2019 muss der Vorsitzende nunmehr den Einzelfall betrachten und kann Anordnungen treffen, die dem Zeugen erlauben, sich teilweise oder gänzlich unkenntlich zu machen. Vor dieser Gesetzesnovelle gab es neben der sitzungspolizeilichen Generalklausel des § 176 Abs. 1 GVG keine Vorschriften diesbezüglich, sodass eine auf diesen Auffangtatbestand gestützte Anordnung des Richters im umgekehrten Fall zum Ablegen der zur Unkenntlichmachung genutzten Kleidungsstücke oder Gegenstände angewandt werden musste.92


Offen bleibt, wie es mit anderen Mitteln der Abschirmung aussieht. Maßnahmen wie die Verwendung einer Schattenwand oder eine Video-Live-Übertragung mit eingebautem Stimmenverzerrer scheinen ebenfalls geeignete Mittel zum Schutze der Identität des Zeugen und können weiterhin lediglich als Mindermaßnahmen anderer Zeugenschutzparagrafen diskutiert werden.


Dennoch schafft diese neue Regelung mehr Klarheit und sorgt auch für den Personenkreis der Observationskräfte für klarere gesetzliche Leitplanken. Zusammenfassend ist zu sagen, dass es in jedem Fall dem vorsitzenden Richter obliegt, eine Einzelfallentscheidung zu treffen.