Recht und Justiz

Die Verständigung im Strafverfahren

Von Staatsanwalt Dr. Sören Pansa, Kiel

 

2 Probleme bei Verfahrensabsprachen in der Hauptverhandlung


Leider ist zu konstatieren, dass mit Einführung der gesetzlichen Vorschriften die Schwierigkeiten für Gerichte und Staatsanwaltschaften bei der Durchführung von Verständigungen im Strafverfahren deutlich größer geworden sein dürften. Insbesondere die Vorschriften i.S d. §§ 243 Abs. 4, 257c StPO werfen viele Fragen und Probleme auf, die sich allein anhand der gesetzlichen Regelungen oder gar der Gesetzesbegründung kaum lösen lassen. Exemplarisch zu nennen ist diesbezüglich der Hinweis des § 257c Abs. 1 S. 2 StPO auf das Fortbestehen des Amtsaufklärungsgrundsatzes i.S.d. § 244 Abs. 2 StPO. Denn das einer Absprache zugrundeliegende Bedürfnis ist es gerade, eine ansonsten erforderlich werdende umfangreiche und zeitintensive Beweisaufnahme zu vermeiden, indem ein dem Anklagevorwurf entsprechendes Geständnis, welches aufgrund eines in Aussicht gestellten Strafrahmens erfolgt, wesentliches oder gar alleiniger Grundstein für den Schuldspruch ist. Die Beantwortung der Frage, wie dieses Ziel unter voller Berücksichtigung des § 244 Abs. 2 StPO erreicht werden soll, darf, euphemistisch gesprochen, zumindest als herausfordernd bezeichnet werden.11 Im Jahr 2013 sah sich der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen eines Grundsatzurteils gezwungen, umfangreiche Ausführungen zu Anwendung und Auslegung des § 257c StPO zu tätigen.12 Die Unklarheiten, die mit den gesetzlichen Regelungen einhergingen, führten aufgrund von Fehlern im Zusammenhang mit getroffenen Verständigungen zu einer Vielzahl von Urteilsaufhebungen durch den Bundesgerichtshof. Insbesondere in den Jahren 2016 und 2017 erfolgte eine regelrechte Welle derartiger höchstrichterlicher Entscheidungen. Angesichts des Umstands, dass also auch noch mehrere Jahre nach Einführung der gesetzlichen Vorschriften offensichtlich erhebliche Unklarheiten über die richtige Rechtsanwendung bestehen, muss das Ziel des Gesetzgebers, verbindliche und verständliche Vorgaben für die Rechtspraxis zu schaffen13, wohl als verfehlt angesehen werden. Aus Sicht des Angeklagten kann deshalb nach wie vor auf folgende Ausführungen des Leitenden Oberstaatsanwaltes a.D. Folker Bittmann verwiesen werden: „Wer materiell-rechtlich über kaum Verteidigungsaussichten verfügt, kann zumindest auf Verfahrensfehler hoffen. Derzeit sind die Chancen dafür am größten, lässt man sich auf eine Verständigung ein: Die vom Gericht dabei einzuhaltenden Vorgaben sind so kleinteilig, dass es immer mal möglich ist, die ein oder andere Nuance zu übersehen – und damit die Aufhebung des Urteils vorzuprogrammieren“.14Es soll daher nun auf drei Themenbereiche eingegangen werden, die sich auch aktuell noch aus Sicht von Gericht und Staatsanwaltschaft als besonders komplex erweisen.

 


B 2: Oberlandesgericht Hamburg

 

2.1 Gegenstand von Verfahrensabsprachen

Der Regelung des § 257c Abs. 2 StPO sind zwar einige Vorgaben bezüglich des potentiellen Inhalts von Verfahrensabsprachen zu entnehmen. Diese vermögen jedoch nicht die vielfältigen Möglichkeiten abzubilden, welche die Verfahrensbeteiligten in der gerichtlichen Praxis für etwaige Vereinbarungen als relevant ansehen könnten. In zahlreichen Konstellationen erfolgen daher Vorgaben des Bundesgerichtshofes, wobei die Entscheidungen leider nicht immer eindeutig und teilweise sogar widersprüchlich sind.

So ist bereits fraglich, welche Anforderungen an ein Geständnis des Angeklagten zu stellen sind, auf welches eine Verfahrensverständigung gestützt werden darf. Es wäre beispielsweise denkbar, ein sogenanntes qualifiziertes Geständnis zu fordern, also eine umfangreiche Einlassung des Angeklagten, deren Glaubhaftigkeit seitens des Gerichts durch weitere Beweiserhebungen zu überprüfen ist.15 Die überwiegende höchstrichterliche Rechtsprechung dürfte jedoch wohl eher nach dem Umfang der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten differenzieren. Liegt dem Verfahren ein einfacher Sachverhalt zugrunde, ist es ausreichend, wenn der Angeklagte kurz den Tatvorwurf im Sinne der Anklageschrift einräumt, wobei das Gericht diese Angaben lediglich mit dem Akteninhalt abgleichen muss.16 Bei komplexeren Sachverhalten hingegen, muss das Geständnis des Angeklagten detaillierter ausfallen und dieses muss grundsätzlich auch noch durch weitere Beweiserhebungen flankiert werden.17

Auch wäre es aus Sicht des Angeklagten höchstinteressant, mittels Verfahrensabsprachen die oftmals empfindlichen Vermögensabschöpfungsmaßnahmen i.S.d. §§ 73ff. StGB zumindest abzumildern. Derartigen Begehrlichkeiten wurde jedoch bezüglich solcher Vorschriften ein Riegel vorgeschoben, deren Umsetzung zwingend vorgeschrieben und nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.18 Dies betrifft die wesentlichen Vorschriften der Vermögensabschöpfung, weshalb sich etwaige Absprachen lediglich auf Regelungen wie etwa §§ 421, 459g StPO beziehen können.

Ferner ist es ebenfalls ein typisches Anliegen des Angeklagten, in die Verfahrensabsprache sämtliche gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe einzubeziehen.19 Dies betrifft auch Verfahren, bezüglich welcher die öffentliche Klage noch nicht oder bei einem anderen Gericht erhoben worden ist. Denn hinsichtlich solcher Verfahren droht im Fall einer Verurteilung mittels der nachträglichen Gesamtstrafenbildung i.S.d. § 55 StGB das für den Angeklagten positive Ergebnis der Verständigung verwässert zu werden. Insofern ist für den Angeklagten ein Vorgehen gemäß § 154 StPO besonders erstrebenswert, da durch die Verfahrenseinstellung keine Erhöhung der potentiellen Strafe droht. Diesbezüglich ist eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft unabdingbar, da eine Einstellung i.S.d. § 154 StPO, auch unabhängig vom Zustandekommen einer Verständigung, deren Antrag voraussetzt. Ob ein Vorgehen im Sinne des § 154 StPO zum Gegenstand einer Verständigung gemacht werden kann, wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung differenziert beurteilt. Sind die Tatvorwürfe Gegenstand desselben Verfahrens, hat das Gericht grundsätzlich die Befugnis, deren Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO in eine Absprache einzubeziehen. Andere Verfahren können hingegen nicht zum Gegenstand von Absprachen i.S.d. § 257c StPO gemacht werden. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft, anlässlich der Verständigung, ankündigt, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung einzustellen oder auf eine Einstellung bereits bei Gericht anhängiger Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinzuwirken, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um einen von der Bindungswirkung der Verständigung erfassten Bestandteil handelt.20 Solche Möglichkeiten stellen den an den Verständigungsgesprächen beteiligten Staatsanwalt jedoch vor nicht unerhebliche Probleme, da dies Verfahren betreffen kann, deren Inhalte er nicht kennt und für deren Bearbeitung er nicht zuständig ist. Er ist insofern gezwungen, zeitintensive Rücksprachen zu halten, was die Dauer der Verständigungsgespräche erheblich ausdehnen kann. Ferner ist sehr fraglich, ob solche Zusagen, insbesondere bezüglich Einstellungen i.S.d. § 154 Abs. 1 StPO, für die Staatsanwaltschaft bindend sind, bzw. ob sie einer späteren Wiederaufnahme der Ermittlungen entgegenstehen können.21