Recht und Justiz

Anwalt der ersten Stunde

Von ORR Ass. jur. Frank Grantz, Altenholz

2.3.2 § 140 StPO – Notwendige Verteidigung

Der § 140 I StPO gibt eine Art Katalog vor, in welchen Fällen eine notwendige Verteidigung vorliegt. Während die meisten der in der Enumeration dargelegten Fallgestaltungen, bereits in der alten Fassung der StPO vorhanden waren, sind im Zuge der Änderung des Änderungsgesetzes einzelne Formulierungen umgewandelt worden, aber auch einzelne neue Elemente mit aufgenommen worden.


Gem. § 140 I Nr. 1 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vom Oberlandesgericht dem Landesgericht – oder was neu hinzugekommen ist22 – dem Schöffengericht stattfindet. Hierbei wird durch die Formulierung „wenn zu erwarten ist“ deutlich, dass hier von der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug gesprochen wird. Hinsichtlich der Ergänzung des Schöffengerichts ist hier allerdings nur die bisherige Rechtsprechungspraxis festgeschrieben worden.23


Die Vorschrift des § 140 I Nr. 4 StPO ergänzt die notwendige Verteidigung, wenn der Beschuldigte, insbesondere auch nach den §§ 115, 115 a, 128 I oder 129 StPO, einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist. Der Begründung zum Regierungsentwurf ist dabei zu entnehmen, dass die Einbeziehung der §§ 128 und 129 StPO in den Katalog der Fälle notwendiger Verteidigung nur für den Fall vorgesehen sind, dass die vorläufige Festnahme auch tatsächlich zu einer Vorführung führt. Solange die Notwendigkeit der Vorführung nicht feststeht, könne die festgenommene Person auch ohne Beiordnung eines Rechtsbeistandes erst einmal vernommen und anschließend vorgeführt werden.24


Ebenso erstrecken sich die Vorschriften der notwendigen Verteidigung nunmehr auch auf das beschleunigte Verfahren gem. § 127b StPO und die Hauptverhandlungshaft gem. § 230 II und 329 III StPO, wie sich aus der Bezugnahme auf § 115 und § 115a StPO ergibt. Im Wege der vorläufigen Festnahme ist der Beschuldigte dem Haftrichter gem. § 128 I StPO jedoch nur fortzuführen, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird.25


Gem. § 140 I Nr. 5 StPO liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet. Auf die voraussichtliche Dauer der Inhaftierung kommt es nicht mehr an.26


Neu hinzugekommen sind die in § 140 I Nr. 10 und 11 StPO angeführten Fälle notwendiger Verteidigung. Sie erweitern den Anwendungsbereich jedoch nur unwesentlich und waren bisher nur an anderer Stelle geregelt.27 Der Gesetzgeber hat allerdings die antragsabhängigen Fälle notwendiger Verteidigung auch auf sehbehinderte Beschuldigte ausgedehnt und damit diese gleichgesetzt. Zu bedenken ist, dass dem seh-, hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten gem. § 140 II StPO in Verbindung mit § 141 II S. 1 Nr. 3 StPO von Amts wegen ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, sobald infolge der Einschränkung des Beschuldigten ernsthafte Zweifel an seiner Verteidigungsfähigkeit bestehen.28


Auch das neue Recht enthält wie bisher eine Generalklausel, die sich in § 140 II StPO ausformuliert findet. Sie bezieht sich auf solche Fälle, wo wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Beiziehung geboten erscheint oder es sich zeigt, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Hierbei ist nunmehr auch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge der Tat mit umfasst, was bisher lediglich von der Rechtsprechung herausgebildet wurde.29


Aus der Formulierung der Generalklausel ergibt sich ebenfalls die deutliche Vorverlagerung der Pflichtverteidigung, denn durch die Formulierung „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ wird klar, dass bereits im Ermittlungsverfahren eine Prognoseentscheidung über die weitere Verfahrensentwicklung zu erfolgen hat und damit bereits zu dem Zeitpunkt, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich der Begehung eines Verbrechens vorliegen, oder auch eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr mit Blick auf die Schwere der Rechtsfolge im Raum steht.30

2.3.3 § 141 StPO – Bestellungsvoraussetzungen

Während § 140 StPO somit zumindest seiner Struktur nach erhalten geblieben ist, sind die folgenden §§ 141 ff. StPO nahezu gänzlich neu gefasst worden. Ohne dazu durch die Vorgaben der Prozesskostenrichtlinie verpflichtet gewesen zu sein, hat der Gesetzgeber die Umsetzung zum Anlass genommen die Regelung über das ob, wie und wann der Verteidigerbestellung umfassend neu zu regeln.31


In den Fällen des § 140 I Nr. 1 bis 3, 5 bis 9 und II StPO a.F. war über die Beiordnung von Amts wegen regelmäßig erst bei Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden, soweit der Angeklagte noch keinen Verteidiger hatte (§ 141 I StPO a.F.). Für das Vorverfahren konnte außerhalb der Fälle der Haft gem. § 141 III StPO a.F. nur die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers stellen, wenn nach ihrer Auffassung im weiteren Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund des § 140 StPO a.F. geboten war. Das Gericht selbst durfte ohne Antrag der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren keine Beiordnung vornehmen, auch der Beschuldigte hatte kein eigenes Antragsrecht.


§ 141 I S. 1 StPO n.F. gewährt dem Beschuldigten im Unterschied zum früheren Recht nun sogar ein eigenes Antragsrecht. Dieses Recht besteht zusätzlich zu einer von Amts wegen erforderlichen Bestellung eines Pflichtverteidigers.32 Unverzüglich bedeutet dabei nicht sofort, aber so rechtzeitig, dass die Verteidigungsrechte gewahrt werden, also regelmäßig vor einer Vernehmung oder Gegenüberstellung.33 Der Antrag kann mündlich gestellt und nur abgelehnt werden, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.34 In dem Zeitraum in dem die Verteidigung gem. §140 StPO bereits notwendig ist, aber noch keine Pflicht zur Beiordnung eines Verteidigers von Amts wegen besteht, hängt es dementsprechend vom Willen des Beschuldigten ab ob ein Pflichtverteidiger bestellt wird. Damit kann ein Fall notwendiger Verteidigung und eine daran gebundene Beiordnungspflicht bereits sehr früh im Ermittlungsverfahren anzunehmen sein.35 Das Antragsrecht entsteht jedoch erst ab Eröffnung des Tatvorwurfs36, so dass den Ermittlungsbehörden letztlich auch ein kleiner Spielraum gegeben ist, da sie nicht schon bei Vorliegen der notwendigen Verteidigung preisgeben müssen, dass sie ermitteln, sondern den Tatvorwurf ggf. auch erst kurz vor Abschluss der Ermittlungen tätigen können.37 Ahnt der Beschuldigte, dass gegen ihn ermittelt wird und stellt einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers, so ist dieser vor der förmlichen Eröffnung des Tatvorwurfs unzulässig;38 die Bestellung einer Wahlverteidigung gem. 138 StPO bleibt aber unbenommen.39


Die Belehrungsvorschriften, die sich in den §§ 136 I S. 5, 58 II, 114b II 1 Nr. 4a StPO befinden, wurden entsprechend angepasst. Das bedeutet für die polizeiliche Praxis, dass in den Fällen der 136 I StPO i.V.m. 163a IV StPO – wenn eine Beiordnung in Betracht kommt – diese Belehrung durch Polizeibeamte nach pflichtgemäßer Bewertung des jeweiligen Standes des Ermittlungsverfahrens zu erfolgen hat.40 Dabei ist der Beschuldigte gem. § 136 I 5 Hs. 2 StPO jedoch auch weiterhin auf die gesetzliche Kostenfolge des § 465 StPO hinzuweisen.41


Im Ermittlungsverfahren muss der Beschuldigte den Antrag bei den Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft stellen. Diese leitet diesen dann mit einer Stellungnahme an das zuständige Gericht zur Entscheidung weiter oder entscheidet in Eilfällen selbst.42 Um den zeitlichen und sachlichen Vorgaben genügen zu können ergibt sich, dass die Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft den Antrag unverzüglich an diese weiterleiten muss.43 Der Beschuldigte kann eine Ablehnung der beantragten Bestellung gegebenenfalls gerichtlich überprüfen lassen.44