Recht und Justiz

Dateneingriffe zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung

Teil 1

 

4 Online-Streife als präventive Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung


Die Aufgabe der Polizei ist es, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhindern sowie präventiv zu bekämpfen.14 Um diesem nachzukommen und bei der Bevölkerung das Sicherheitsgefühl zu steigern, ist die Polizeistreife – sei es zu Fuß, auf dem Fahrrad oder motorisiert – ein probates Mittel, da der Bürger durch die Präsenz eines uniformierten Beamten den Eindruck gewinnt, dass der Staat sein Gewaltmonopol wahrnimmt, als direkter Ansprechpartner zur Verfügung steht und zwielichtige Personen von möglichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten abgeschreckt werden. Neben der Gefahrenabwehr, die als präventive Maßnahme einen potentiellen Schadenseintritt verhindern möchte, hat die Polizei auch die repressive Aufgabe der Strafverfolgung, sprich im Nachgang zu einer begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit den Verantwortlichen zu identifizieren. Dabei ist die Abgrenzung zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen der Polizei nicht immer einfach und die Übergänge teilweise fließend, so dass eine Beurteilung am konkreten Einzelfall vorgenommen werden muss.15 Relevant ist die Unterscheidung in Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage, denn handelt es sich um eine präventive Maßnahme, ist in der Regel eine Norm aus dem Polizei(aufgaben)gesetz einschlägig, hingegen dürfte die repressive Handlung im Normalfall auf die Strafprozessordnung gestützt sein. Es gibt jedoch Maßnahmen, bei denen von vornherein sowohl präventive als auch repressive Elemente denkbar sind und somit eine Mischform vorliegt. Zu einer solchen Doppelfunktionalität des polizeilichen Handels kann es kommen, wenn mit ein und derselben Maßnahme einerseits mögliche Gefahren beseitigt werden sollen, und andererseits die Verursacher verantwortlich gemacht und sanktioniert werden sollen.16 Ein Beispiel für eine solche doppelfunktionale Maßnahme ist die sogenannte „Online-Streife“.

 

4.1 Online-Streife – Eine Begriffsbestimmung

Wenn ein Mitarbeiter der Polizei im Internet öffentlich zugängliche Bereiche sichtet, wird dieses als Online-Streife, Internetstreife oder hoheitliches Surfen bezeichnet. Dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist,17 dürfte inzwischen jedem bekannt sein. Anders aber als in der realen Welt, scheint die Hemmschwelle für Straftaten verschiedenster Couleur im Netz niedriger zu sein. Dies mag daran liegen, dass sich die Täter dort durch die (gefühlte) Anonymität in Sicherheit wägen und dadurch ein anderes Verhalten an den Tag legen, als sie es im wirklichen Leben tun würden. In einer Gesellschaft, die das Internet und mobile Kommunikation als Selbstverständlichkeit ansieht und diese Technik tagtäglich nutzt, sollte es ebenso selbstverständlich sein, dass auch der Staat im Rahmen der Gefahrenabwehr diese Bereiche regelmäßig frequentiert. Die Online-Streife ist als polizeiliche Maßnahme derweil nicht so neuartig, wie man vielleicht denken könnte. Seit längerem zählt sie zu den üblichen Maßnahmen der Polizei zu Präventionszwecken im Internet.18 Bereits 1998 gab es im Landtag von Nordrhein-Westfalen Stimmen die forderten, dass Polizeibeamte im Internet auf Streife gehen sollten; primär um Kindesmissbrauch und Kinderpornographie effektiver zu verfolgen und wirksamer zu bestrafen.19 Die Polizei sollte technisch und personell so ausgestattet werden, dass sie dazu befähigt ist, zur Gefahrenabwehr anlassunabhängig im Internet zu surfen. Doch schon damals gab es Zweifler, die es als Illusion bezeichneten, dass die bundesrepublikanische Polizei oder gar eine Polizeidienstelle in der Lage wäre, das Internet effektiv zu überwachen.20 Diese Bedenken dürften auch heute noch bestehen und beim Blick auf die rasante Entwicklung des Internets und der dort eingespielten Datenmenge noch größer geworden sein. Dass die Streife im Internet nicht so schnell zur Selbstverständlichkeit und zu einem Mittel der effektiven Gefahrenabwehr geworden ist, wie es wünschenswert gewesen wäre, kann man auch aus den politischen Zielen ableiten, die immer wieder formuliert wurden. So vereinbarten beispielsweise die Parteien der Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag im Jahr 2009, dass gemeinsam mit den Ländern durch den Einsatz von Internetstreifen durch die Polizei eine verbesserte Strafverfolgung in Kommunikationsnetzen erreicht werden solle.21 Vergleichbar mit der Streifenfahrt in der realen Welt, soll durch die Präsenz von Polizeibeamten im virtuellen Raum sowohl eine gewisse Abschreckung in Bezug auf potentielle Straftäter erzeugt, sowie bei einer Straftat oder Gefahrensituation schnell reagiert werden, als auch ein Sicherheitsgefühl beim Bürger gestärkt werden, dem der Beamte als Ansprechpartner zur Verfügung steht.22

 

4.2 Rechtliche Einordnung

Nun kann man sich die Frage stellen, ob durch die Internetstreife ein Grundrechtseingriff erfolgt, für den es einer entsprechenden Ermächtigungsbefugnis bedarf, die das Handeln der Polizei legitimiert. Am naheliegendsten ist ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis gem. Art. 10 Abs. 1 GG als auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und speziell das RIS gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das BVerfG hat in einer Entscheidung im Jahr 2002 konstatiert, dass „unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden [wird], der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt.“23 Diese Auffassung wurde weiterentwickelt, wobei der Fokus auf die Bewertung der Wirkung staatlichen Handelns gelenkt wurde. So kann bereits ein Grundrechtseingriff vorliegen, wenn es dem Grundrechtsträger aufgrund von Staatshandeln nicht mehr möglich ist, seine Grundrechte in vollem Umfang zu verwirklichen, diese Beeinträchtigung dem Staat zuzuschreiben ist und sie eine bestimmte Erheblichkeit aufweist.24 In Hinblick auf die Sichtung des Internets hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung aus dem Jahre 2008 jedoch festgestellt, dass der Staat nicht in Grundrechte eingreift, wenn er im Internet öffentlich zugängliche Kommunikationsinhalte wahrnimmt oder sich dort an öffentlich zugänglichen Kommunikationsvorgängen beteiligt.25 Somit lässt sich festhalten, dass durch eine reine Online-Streife noch kein Grundrechtseingriff vorliegt. Denn Nutzer des Internets und sozialer Netzwerke, die freiwillig ihre personenbezogenen Daten der Öffentlichkeit oder zumindest einem nicht weiter abgegrenzten Personenkreis zu Verfügung stellen, dürfen nicht darauf vertrauen, dass Behörden diese Inhalte nicht beobachten.26 Aufgrund des nicht vorhandenen Grundrechtseingriffs und fehlender Spezialbefugnisse für eine schlichte Sichtung der im Internet verfügbaren Inhalte kann diese Maßnahme aufgrund der allgemeinen Aufgabenzuweisung in den Polizei(aufgaben)gesetzen erfolgen. Sollten im Rahmen der Sichtung Auffälligkeiten zu einer gezielten Suche im Netz führen, kann dieses auf Grundlage der Generalklausel erfolgen. Würden die im Zuge der allgemeinen Sichtung der öffentlich zugänglichen Bereiche des Internets gewonnen Informationen jedoch gezielt zusammengetragen, gespeichert und – gegebenenfalls durch die Kombination mit weiteren Daten – ausgewertet, dann besteht dadurch die (abstrakte) Gefahr der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils der betroffenen Personen und somit einer spezifischen grundrechtlichen Gefährdungslage für das RIS.27