Recht und Justiz

Das neue VersFG BE – Eine kritische Betrachtung der Entkriminalisierungstendenzen

Von PD Michael Wernthaler, Bruchsal

2.1.3 Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 26 Abs. 2 Nr. 3 VersFG BE)

Ebenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird, „wer gegen eine Anordnung zur Durchsetzung des Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbots nach § 19 Abs.1 VersFG BE verstößt“. Die im BVersG nominierten Straftaten des Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbots sind auch im neuen Berliner Versammlungsgesetz als Straftaten sanktioniert, sie unterliegen jedoch, wie die Regelungen zum Waffenverbot „nicht technischer Waffen“, ebenfalls der Verwaltungsakzessorietät, werden also erst strafbar, wenn zuvor eine polizeiliche Anordnung erfolgt ist, die die verbotenen Gegenstände benennt.


Das Vermummungsverbot im VersFG BE bezieht sich ausschließlich auf Versammlungen unter freiem Himmel und nicht mehr – wie bisher im § 17 a Abs. 1 BVersG – auch auf sonstige öffentliche Veranstaltungen. Die Begrenzung ausschließlich auf Versammlungen dient der Regelungsklarheit und ist systematisch zu begrüßen. Die entstandene Regelungslücke für Veranstaltungen (bspw. Fußballspiele) sollte jedoch zeitnah wieder geschlossen werden.


Das Vermummungsverbot gehört traditionell zu den strittigsten Themen deutscher Versammlungsgesetze. § 19 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE normiert das deutschlandweit am engsten gefasste Verbot. Erstmalig wird nur das Verwenden, nicht aber das Mitführen von Vermummungsgegenständen verboten. Gegen diese Neufassung ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden, sie dürfte aber in der polizeilichen Praxis zu erheblichen Problem führen, da die Polizei bei Kontrollen Personen mit Vermummungsgegenständen passieren lassen muss, um dann, wenn diese sich zu einem „schwarzen Block“ formieren und gleichzeitig ihre Vermummung anlegen, ein Einschreiten wesentlich schwieriger und nur mit erheblichem Ressourcenmehraufwand möglich ist.


Des Weiteren betrifft das Vermummungsverbot in Berlin (wie in Schleswig-Holstein, § 17 Abs. 1 Nr. 1 VersFG SH) ausdrücklich nur Personen, die den Vermummungsgegenstand verwenden, um eine zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durchgeführte (polizeiliche) Identitätsfeststellung zu verhindern. Auf der Grundlage der übrigen deutschen Versammlungsgesetze gibt es demgegenüber zwei Auffassungen, von denen eine Ansicht eine verbotene Vermummung annimmt, wenn sich die Vermummung gegen polizeiliche Identitätsfeststellungen richtet. Die – u.a. von der bisherigen Berliner Rechtsprechung vertretene – Gegenmeinung geht davon aus, dass eine Vermummung selbst dann verboten ist, wenn sie gar nicht wegen der Polizei getragen wird. In diesem Punkt hat der Berliner Gesetzgeber nun für Klarheit gesorgt.


Kritisch gesehen wird jedoch erneut die Regelung zur Verwaltungsakzessorietät, d.h. die Regelung, dass eine Strafbarkeit erst dann eintritt, wenn zuvor „die zuständige Behörde [in Berlin die Polizei gem. § 31 VersFG BE] zur Durchsetzung des Verbots Anordnungen trifft, in denen die vom Verbot erfassten Gegenstände bezeichnet sind“ (§ 19 Abs. 2 VersFG BE). Erneut bestehen Zweifel, dass die Regelungen der Verwaltungsakzessorietät für die Polizei eine tatsächlich größere Flexibilität durch Wegfall der Legalitätspflicht ergeben. Es wird eher die Problematik des erhöhten Verwaltungsaufwandes und der Komplexität einer gerichtsverwertbaren behördlichen Anordnung (vgl. Ziffer 2.1.1) gesehen.


Eine weitere Liberalisierung erfolgte beim Vermummungsverbot dadurch, dass das Mitführen solcher (Vermummungs-)Gegenstände nach dem VersFG BE nunmehr nicht mehr untersagt ist, während es im BVersG weiterhin eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 17a Abs. Nr. 2 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1a VersG). Was erlaubt ist, kann nicht sanktioniert werden und somit ist eine Beschlagnahme von Vermummungsgegenständen auf dem Weg zu einer Versammlung nicht mehr zulässig. Es muss also abgewartet werden, bis die Vermummung angelegt wurde, um repressiv agieren zu können. Es wird bezweifelt, ob diese Regelung der Befriedung und einer Reduzierung gewalttätiger Versammlungsaktivitäten dient.

 

2.2 Ordnungswidrigkeiten (§ 27 VersFG BE)

Signifikant im neuen Berliner Versammlungsgesetz ist im Vergleich zum BVersG die in einigen Punkten vorgenommene Herabstufung bislang strafbaren Verhaltens zu Ordnungswidrigkeiten. Dies betrifft insbesondere:


die Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 VersFG BE [ehem. § 23 VersG]),


die Durchführung einer nicht angezeigten (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE [ehem. § 26 Nr. 2 VersG]) bzw. verbotenen Versammlung (§ 27 Abs. 1 Nr. 4 VersFG BE [ehem. § 26 Nr. 1 VersG]),


die von den Angaben in der Anzeige wesentlich abweichende Durchführung einer Versammlung (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 VersFG BE [ehem. § 25 Nr. 1 VersG]),


Verstöße gegen das Uniformverbot (§ 27 Abs. 1 Nr. 6 VersFG BE [ehem. § 28 VersG]) und


die Verhinderung oder Vereitelung der Durchführung einer nicht verbotenen Versammlung (§ 27 Abs.1 Nr. 3 VersFG BE).


Nach Auffassung des Autors hat der Berliner Gesetzgeber durch die „Ent-Kriminalisierung“ der genannten Tatbestände dem aktuellen Trend der Liberalisierung, wie in den neuen Versammlungsgesetzten von Niedersachsen (NVersG) und Schleswig-Holstein (VersFG SH) – wenn auch in deutlich stärkerer Intensität – Rechnung getragen und dabei den strafrechtlichen Versammlungsschutz erheblich reduziert.10

 

2.2.1 Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung (§ 14 Abs. 7 i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 2 VersFG BE)

Im BVersG ist die Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (§ 23 VersG). Das VersFG BE sanktioniert bei nahezu wortgleichem Straftenor das rechtswidrige Verhalten nunmehr nur noch als Ordnungswidrigkeit und sieht bei Zuwiderhandlung eine Geldbuße von bis zu zweitausendfünfhundert Euro vor.


Das Herabstufen des Straftatbestands der „Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung“ zu einer Ordnungswidrigkeit war bislang bundesweit nur im VersFG SH erfolgt, während ansonsten und damit auch im liberalen NVersG, die Regelung als Straftat Bestand hat. Vom Verfasser wird diese Entkriminalisierungsmaßnahme äußerst kritisch geschehen, haben Versammlungen, die einem vollziehbaren Verbot unterliegen, doch einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung hinsichtlich ihrer Friedlichkeit oder Gefahrenlosigkeit für die Versammlungsteilnehmer oder Dritter nicht standgehalten und dennoch wird der (Erst-Recht-)Aufruf zur Teilnahme an der gerichtlich verbotenen Versammlung künftig als geringfügiger Verstoß bewertet. Es bestehen äußerste Zweifel, ob diese Liberalisierungsmaßnahme zu einer Stärkung der Rechtstreue führen wird. Aus den bisherigen polizeipraktischen Erfahrungen des Verfassers wird die Entkriminalisierung eher zu einer Enthemmung und damit Missachtung der Bestimmung, insbesondere bei den extremistischen Versammlungsteilnehmern, führen.