Polizei

Coronakrise und die Auswirkungen auf Polizei, Kriminalität und Freiheitsrechte

Interviewreihe. Von Prof./Ltd. Regierungsdirektor a.D. Hartmut Brenneisen, Preetz/Worms

Landespolizeidirektor Michael Wilksen: „Wir sind und bleiben in Schleswig-Holstein eine Bürgerpolizei und setzen auf den Dialog mit der Bevölkerung“

 

Am 21. Juli 2020 ging es in einem Interview mit Landespolizeidirektor Michael Wilksen um die Auswirkungen der Coronakrise auf die Arbeit der Landespolizei Schleswig-Holstein.

Kriminalpolizei: Sehr geehrter Herr Wilksen, das „Coronavirus SARS-CoV-2“ hat zu einer weltweiten Ausnahmesituation geführt und vielen tausend Menschen das Leben gekostet. Das RKI hat für Schleswig-Holstein bis heute (Stand 21.7.2020) 3.278 Infizierte und 155 Todesfälle gemeldet. Sind auch Mitarbeiter der Landespolizei unmittelbar betroffen?

Michael Wilksen: Ja, allerdings. Glücklicherweise hat es in der Mitarbeiterschaft aber keinen Todesfall im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gegeben. Es gab sowohl Infektionsfälle als auch Erkrankungen. Insgesamt konnten wir feststellen, dass die Betroffenheit von Erkrankungen und Quarantäne-Anordnungen doch deutlich geringer ausfiel, als dies zu Beginn der Pandemie zu befürchten war. Dies ist nicht zuletzt dem verantwortlichen Handeln aller Kolleginnen und Kollegen und dem umsichtigen und engagierten Umgang der Dienststellen mit möglichen Infektionsgefahren zu verdanken. Wir haben sehr sorgfältig unsere Einsatzleitlinien und internen Maßnahmen an die jeweilige Lageentwicklung angepasst. In der Rückschau bestätigen die positiven Erfahrungen und Entwicklungen unser Vorgehen.

Kriminalpolizei: Durch Rechtsverordnungen sind Kontaktbeschränkungen, Versammlungs- und Veranstaltungsverbote, die Schließung bestimmter Einrichtungen sowie Betretungsverbote angeordnet worden. Erfolgt hier eine Kontrolle durch die Landespolizei und – wenn ja – wie hoch ist der Personalaufwand?

Michael Wilksen: Vorrangigsind die Gesundheits- und Ordnungsbehörden für die entsprechenden Kontrollenzuständig. Die Polizei unterstützt im Rahmen der Amts- und Vollzugshilfe. Diese Maßnahmen waren teilweise fordernd, beispielsweise in der Phase der Zugangsbeschränkungen für einige Inseln. Außerdem stellen wir auch in Schleswig-Holstein ein reges Versammlungsgeschehen fest und haben in den letzten Wochen, insbesondere an den Wochenenden, die Präsenz deutlich verstärkt. Eine abschließende Bilanz zum Personalaufwand kann noch nicht gezogen werden. Aber alleine am Himmelfahrtstag haben wir rund 500 zusätzliche Kräfte in den Dienst gesetzt.

Kriminalpolizei: Haben die Kontrollen negative Auswirkungen auf den Regeldienst und die Wahrnehmung der sonstigen polizeilichen Aufgaben?

Michael Wilksen: Alles in allem eher nicht. Insgesamt ließ sich ein kooperativer, verantwortungsvoller Umgang mit den Beschränkungen in der Bevölkerung feststellen, so dass den Maßnahmen der Ordnungsbehörden und auch der Polizei ganz überwiegend mit Verständnis begegnet wurde und wird. Während des weitgehenden gesellschaftlichen „Lockdowns“ hat sich der polizeiliche Fokus aber etwas verändert. Es gab deutliche weniger Verkehrsdelikte und -unfälle und ein temporäres Absinken des Kriminalitätsniveaus in bestimmten Deliksfeldern. Dafür musste an anderer Stelle der Aufwand erhöht werden, wie z.B. durch zusätzliche Kontrollen und eine stärkere Präsenz. Ein positiver Nebeneffekt war, dass im Rahmen des Homeoffice aufgestaute Vorgänge in einem standardisierten Verfahren gezielt bearbeitet werden konnten. Diese „Halden“ wurden teilweise komplett abgebaut.

Kriminalpolizei: Was ist mit der Aus- und Fortbildung? Ruhen alle Bildungsmaßnahmen und wie werden die Lehrkräfte, die Studierenden und Auszubildenden in dieser Zeit beschäftigt?


B 3, 4: „Vermummungsgebot“ bei Versammlungen in Kiel während der Coronakrise.

 

Michael Wilksen: Um unnötigen Infektionsrisiken zu begegnen, hat die Landespolizei eine Reihe interner Maßnahmen ergriffen. Der Aus- und Fortbildungsbetrieb in der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung und für die Bereitschaftspolizei Eutin (PD AFB) und der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Altenholz (FHVD) fand nicht mehr in der gewohnten Weise statt. Die Dienstanfänger erarbeiteten sich den Unterrichtsstoff abgestuft im Selbststudium und wurden dabei von den Dozentinnen und Dozenten intensiv unterstützt und begleitet. Wichtig ist aber, dass es keinen Stillstand geben durfte und darf. Wir sind auf die gut und umfassend ausgebildeten Nachwuchskräfte angewiesen. Es ist dank des Engagements und der Kreativität der Beteiligten gelungen, sowohl die Ausbildung als auch das Studium situationsgerecht und rechtssicher zu gestalten und zum 1.8.2020 in den jeweiligen Jahrgängen abzuschließen. Dabei haben wir in sehr kurzer Zeit durchaus positive Erfahrungen mit digitalem Lernen gemacht, welches sicherlich mittelfristig und auch zukünftig einen höheren Stellenwert in der Landespolizei erhalten dürfte. Diese Facette der Corona-Pandemie begreifen wir als Chance und Motor, den eingeschlagenen Weg auch künftig fortzusetzen.

Kriminalpolizei: In einigen Ländern werden für die Überwachung der Beschränkungen besondere technische Einsatzmittel wie Drohnen eingesetzt. Ist dies auch in Schleswig-Holstein ein Thema?

Michael Wilksen: Wir sind und bleiben in Schleswig-Holstein eine Bürgerpolizei und setzen auf den Dialog mit der Bevölkerung und das Verständnis für die getroffenen Anordnungen und Maßnahmen. Das ist aus meiner Sicht sinnvoller, als mit Drohnen bei der Bevölkerung einen subjektiven Überwachungsdruck zu erzeugen. In Schleswig-Holstein ist dieses Vorgehen auch schlicht nicht erforderlich gewesen. Vielmehr haben wir unsere Präsenz und Kontakte vor Ort verstärkt.

Kriminalpolizei: Stehen alle Mitarbeiter der Polizei auf den Dienststellen zur Verfügung oder befinden sich einige im Homeoffice? Wenn ja, welche Erfahrungen hat die Landespolizei mit Telearbeitsplätzen gemacht?

Michael Wilksen: Wo es geboten und möglich war bzw. ist, sind zunächst auf den Dienststellen die notwendigen Entscheidungen getroffen worden, um eine räumliche Distanz oder den Schutz von Personen durch bauliche Maßnahmen zu schaffen und zu gewährleisten. Auch gibt es Funktionsbereiche in der Polizei, in denen eine Tätigkeit im Homeoffice schlicht unmöglich ist, der Streifendienst ist hier ein gutes Beispiel. Ansonsten habe ich aber wahrgenommen, dass sehr kurzfristig und sehr flexibel Möglichkeiten geschaffen wurden, um Heimarbeit sinnvoll umzusetzen. Neben dieser Möglichkeit haben viele Organisationseinheiten aber auch andere kreative Lösungen gefunden, um die potenziellen Kontakte zu reduzieren, gleichzeitig aber die wesentlichen Aufgaben zu erledigen. Das hat insgesamt gut funktioniert. Es wurden nach derzeitiger Betrachtung positive und ebenso einige differenzierte Erfahrungen mit der Aufgabenerledigung im Homeoffice gemacht. Hier werden wir zukünftig bestimmt von gewinnbringenden Erkenntnissen profitieren. Allerdings bestanden die Möglichkeiten der Wohnraumarbeit bereits vor der Corona-Pandemie und wurden in unterschiedlicher Intensität in der Polizei genutzt. Insbesondere im Umgang mit Angehörigen von Risikogruppen prüfen wir derzeit noch immer sehr sorgfältig, in welchen Fällen sich das Homeoffice aus Fürsorgegründen anbietet.

Kriminalpolizei: Hat sich die Kriminalitätslage im Norden durch die Pandemie geändert? Eine regionale Tageszeitung titelte vor einigen Tagen beispielsweise wie folgt: „Corona erschwert Einbrüche“.

Michael Wilksen: Im März und April war die Zahl der Straftaten in Schleswig-Holstein deutlich niedriger als im Vorjahreszeitraum, mittlerweile steigt diese aber wieder an. Die allgemeine Kriminalitätslage hat zwar noch nicht wieder das Niveau des Vorjahres erreicht, aber es gibt deutliche Zunahmen bei einzelnen Deliktsgruppen. Dies betrifft vor allem die Gruppe der Betrugsdelikte. Da viele Menschen im Zuge der Coronakrise vermehrt Waren online bestellen, besteht hier ein erhöhtes Risiko, Opfer eines Waren- oder Warenkreditbetrugs zu werden. So gehen bei der Polizei vermehrt Anzeigen zu sog. Fake-Shops ein. Die Fallzahlen der Eigentumsdelikte wie Ladendiebstahl, Einbrüche in Gewerbebetriebe oder Wohnungen sind dagegen weiterhin rückläufig. Auch die Fallzahlen im Deliktsfeld Häusliche Gewalt stagnieren seit Anfang März in Schleswig-Holstein. Bei der Betrachtung des Hellfeldes, also der polizeilich bekannten und angezeigten Fälle, muss man jedoch auch beachten, dass das Anzeigeverhalten durch weniger Sozialkontrolle in der derzeitigen Situation beeinflusst worden sein könnte. Darüber hinaus fehlen Ausweichmöglichkeiten für mögliche Betroffene. Auch diese Umstände hatten und haben durchaus Einfluss auf das Anzeigeverhalten.

Kriminalpolizei: Bürgerrechtler haben mit Blick auf die angeordneten Beschränkungen eindringlich auf die hohe Bedeutung der Freiheitsrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen. Haben Sie angesichts der bedrohten höchstwertigen Rechtsgüter Verständnis für diese kritische Haltung?

Michael Wilksen: Wenn über Grundrechtseingriffe nicht mehr diskutiert und gestritten werden würde, wäre dies kein gutes Zeichen für unseren demokratischen Rechtsstaat. Daher habe ich durchaus Verständnis für eine kritische Haltung, sofern diese friedlich ausgeübt wird. Insbesondere der niemals wegzudenkenden Meinungs- und Versammlungsfreiheit kommt hier eine hohe Bedeutung zu. Die Einschränkungen, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, waren wohl einmalig seit Inkrafttreten des Grundgesetzes. Solche intensiven Eingriffe können immer nur unter sehr restriktiven Kautelen und temporär erfolgen. Es ging und geht vor allem darum, dass Infektionsgeschehen zu kontrollieren und damit höchste Rechtsgüter wie Leib und Leben zu schützen. Diese Aspekte und Abwägungen sind in Schleswig-Holstein nach meiner Einschätzung verantwortungsbewusst, verhältnismäßig und unaufgeregt vorgenommen und umgesetzt worden. Ich habe ein hohes Vertrauen in die bestehenden Institutionen und auch in die Grundwerte unserer Gesellschaft, die in dieser Form seit über 70 Jahren prägend, handlungsleitend und stabilisierend für uns sind.

Kriminalpolizei: Extremisten und sog. Verschwörungstheoretiker versuchen aktuell, die Ängste vieler Menschen für ihre fragwürdigen Ziele auszunutzen. In diesem Kontext wird u.a. immer wieder der „Demokratische Widerstand“ genannt. Sind aus Schleswig-Holstein problematische Aktionen dieser Kreise bekannt?

Michael Wilksen: Bislang liegen uns auf Grundlage der Auswertungen des Veranstaltungsgeschehens keine eindeutigen Erkenntnisse dafür vor, dass die bisherigen „Anti-Corona-Demonstrationen“ in Schleswig-Holstein von extremistischen Kreisen unterwandert worden sind. Gleichwohl erscheint es aus hiesiger Sicht nicht ausgeschlossen, dass insbesondere dem rechten Spektrum zuzuordnende Initiatoren/Gruppen eine solche Unterwanderung anstreben. Vor Ort konnte bislang registriert werden, dass die überwiegende Mehrheit der Versammlungsteilnehmer dem bürgerlichen Spektrum zuzuordnen ist.

Kriminalpolizei: Gibt es besondere Erkenntnisse aus der jüngeren Vergangenheit, die aus Ihrer Sicht für die künftige Polizeiarbeit unbedingt berücksichtigt werden sollten?

Michael Wilksen: Mit großer Freude erfüllt mich zu sehen, dass die Landespolizei auch unter den schwierigen Bedingungen einer bisher einmaligen Infektionslage sehr gut reagiert und funktioniert hat. Das Engagement und die Kompetenz, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch bei persönlichen Belastungen, den Sorgen um die Kinderbetreuung, die Eltern oder Großeltern zeigen, erfüllen mich mit Stolz. Das sind für mich ganz wichtige und wesentliche Erkenntnisse. Im Einzelnen werden wir nun in den nächsten Monaten viele Aspekte genauer betrachten. Einige Impulse wie beispielsweise die IT-Ausstattung, Digitalisierung, Aus- und Fortbildung sowie Onlineanzeigen bei der Polizei werden wir sicher als Chance für unsere Weiterentwicklung nutzen.


Anmerkung

Michael Wilksen ist seit 1978 Angehöriger der Landespolizei Schleswig-Holstein. Seit 2018 ist er Landespolizeidirektor.