Ausländer im Bann der Kriminalität

Ursachen und Präventionsansätze zur Vorbeugung der Delinquenz von Ausländern und Migranten


Von PK`in Hülya Duran, Münster1

 

Abstract

 

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass über die Clankriminalität und mit ihr einhergehend über die Kriminalität von Ausländern- und Migranten debattiert wird. Asylbewerber und ausländische Tätergruppierungen im Rahmen Organisierter Kriminalität waren Gruppen, die in der Diskussion um Ausländerkriminalität Bedeutung gewannen und durch rechtspopulistische Parteien als ein Werkzeug der Stigmatisierung eingesetzt wurden. Zweifelsohne gewinnen verübte Straftaten von Ausländern- und Migranten eine größere öffentliche Aufmerksamkeit als von anderen Straftätern. Ein differenzierter und kritischer Blick auf diese Thematik ist kaum noch möglich. Und sobald der Rechtsstaat an irgendeiner Stelle angreifbar wird, gewinnen Populisten und Extremisten an Zulauf. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD feiern u.a. aus diesem Grund große Wahlerfolge, denn sie instrumentalisieren, verallgemeinern und verdrehen Tatsachen, was zu Unmut und Hetze in der Bevölkerung sorgt. Aber auch Äußerungen und Sätze wie „Migrationsfrage als Mutter aller politischen Probleme“ und „Keine Hetzjagd in Chemnitz“; „Shuttle-Service“ bestärken die Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppierungen und führen dazu, noch mehr Hass gegenüber Ausländern in der Bevölkerung zu verbreiten. Dass sie oft selbst keine Lösungen bieten, ist für diesen Effekt zweitrangig. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass es durchweg immer einen bestimmten Anteil an Antisemiten, Rassisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremen in Deutschland gab. Fraglich ist jedoch, wie Einzelfälle zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem instrumentalisiert und eine überaus heterogene Gruppe als kriminell diffamiert werden kann. In diesem Kontext ist es umso wichtiger den Ursachen der Kriminalität von jungen Ausländern- und Migranten nachzugehen. Was bewegt einen jungen Ausländer etwa dazu, in Deutschland kriminell zu werden? Welche Rolle spielen dabei die Mentalität, Lebensweise und die Hintergründe im Ursprungsland? Und sind die Ausländer wirklich krimineller als die Deutschen? Noch wichtiger ist, wie generalpräventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Ausländerkriminalität aussehen könnten, wie sie derzeit praktiziert werden und in welchen Bereichen noch Verbesserungsbedarf besteht.

 

 

1 Einleitung


Flucht und Vertreibung haben in der deutschen Geschichte schon immer eine Rolle gespielt. Von der Zwangsimmigration während des zweiten Weltkrieges bis hin zur Völkerwanderung von 1939 bis 1950, die etwa 25 bis 30 Millionen Menschen erfasste. Viele verloren ihre Heimat, gewaltige Flüchtlingsströme waren die Folge. Der Großteil der Flüchtlinge zog nach Westdeutschland und musste sich in die auch dort durch den Krieg gebeutelte Gesellschaft integrieren. Schon damals gehörten Bedenken und Ängste zur universalen Geschichte von Geflüchteten und tauchen in unterschiedlichen Mustern immer wieder auf. Bis heute sind die Gründe der Flucht und Vertreibung stets vielfältig, nicht zuletzt in den Jahren 2014/2015 aus religiösen, ethnischen und politischen Gründen. Größere Aufmerksamkeit in Deutschland hat das Thema der Flüchtlinge im Herbst 2015 erhalten, als die Grenzen Deutschlands für Schutzsuchende geöffnet wurden und die rechtlichen Grundlagen hierfür bis heute umstritten sind. Für Negativschlagzeilen im Zusammenhang mit der Ausländerkriminalität sorgte auch die Kölner Silvesternacht. Hierbei stellte sich die Frage nach Kontrolle und Freizügigkeit von Ausländern in Deutschland von neuem und noch intensiver. Allerdings wurde die Ausländerkriminalität auch von nationalistischen Gruppierungen und Parteien instrumentalisiert. Mit der pauschalen Kategorie „Ausländer“ bzw. „Ausländerkriminalität“ wurden unterschiedliche Gruppen von Ausländern und Migranten miteinander verglichen, deren Kriminalität sich jedoch differenziert und es daher von hoher Notwendigkeit ist, dass derartige Gruppierungen auseinandergehalten werden müssen.

 

2 Ausländer- und Migrationsanteil in Deutschland


In den letzten Jahren hat die Zuwanderung in Deutschland stark zugenommen. Die meisten waren Schutzsuchende, Unionsbürger sowie auch Deutsche. So hatten im Jahr 2018 rund 20,8 Mio. der insgesamt 81,6 Mio. Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund (MH) – das entspricht einem Anteil von 25,5 % an der Gesamtbevölkerung. Von den 20,8 Mio. waren 10,9 Mio. Deutsche (mit MH) und 9,9 Mio. Ausländer (52,4% / 47,6%). Mehr als jede vierte Person mit MH lebte dabei in Nordrhein-Westfalen (25,8%), jeweils etwa jede Sechste in Baden-Württemberg und Bayern (17,5% / 15,8%). Bezogen auf die jeweilige Bevölkerung der Bundesländer war ihr Anteil in den Stadtstaaten Bremen (35,1%), Hamburg (33,3%) und Berlin (31,6%) sowie in den Flächenländern Hessen (33,6%), Baden-Württemberg (33,4%) und Nordrhein-Westfalen (30,4%) am höchsten. In Ostdeutschland lag der Anteil der Personen mit MH an der Gesamtbevölkerung bei lediglich 8,0%. Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland weiterhin im Vergleich zu den anderen EU-Staaten ein Hauptzielland von Migration ist und in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen hat. Die meisten der 20,8 Mio. Personen mit MH stammten im Jahr 2018 aus der Türkei (13,3%), gefolgt von Polen (10,8%), Russland (6,6%), Rumänien (4,6%), Italien (4,2%), Kasachstan (6 %) und Syrien (3,9%). Im Hinblick auf die aufgelisteten Zahlen wird nachfolgend zu prüfen sein, wie sich die Kriminalität eben durch diesen Zuzug von Ausländern und Migranten entwickelt hat.

 

3 Kriminalität im Kontext der Zuwanderung


Debatten um die Kriminalität der Ausländer gab es schon zur Zeiten der Gastarbeiter in den 1950er Jahren. Mit dem Wirtschaftswunder der Bundesrepublik wurden immer mehr Arbeitnehmer gesucht, die auf dem inländischen Markt nicht mehr zu finden waren. Die Folge war, dass die Bundesrepublik am 20. Dezember 1955 mit Italien das erste Anwerbeabkommen abschloss. Bereits fünf Jahre danach erfolgten Abkommen mit Griechenland und Spanien, dann mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und dem ehemaligen Jugoslawien (1968). Auseinandersetzungen und Befürchtungen eines alarmierenden Anwachsens der Gastarbeiterkriminalität wurden bereits damals intensiv geführt und werden heute durch die neuen Generationen fortgeführt. Und so sehr die Frage nach der Ausländerkriminalität bereits in der der Ausgangsfrage umstritten ist, so sehr streitet man weiter um die Befunde, ob die Ausländer- und Migranten tatsächlich mehr Straftaten begehen als Deutsche und ob ein Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität besteht. Um diese Fragen zu beantworten, beruft man sich u.a. auf die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Da diese nur die die polizeilich registrierten Fälle der Kriminalität erfasst, unterliegt sie vielfältigen statistischen Verzerrungen und Ungenauigkeiten, sodass ihre Aussagekraft relativiert wird. Ein Aspekt, der die Aussagekraft der PKS einschränkt, liegt u.a. im Bereich des sog. Dunkelfeldes. Während das Hellfeld die polizeilich registrierten Delikte umfasst, betrifft das Dunkelfeld Geschehnisse, die der Polizei als Straftaten hätten gemeldet werden können, aber nicht gemeldet worden sind. Damit betrifft die Aufklärungsquote auch nur die statistischen Angaben des Hellfeldes.

Laut PKS wurden 2018 bundesweit rund 5,5 Mio. kriminelle Fälle registriert. Im Bereich der Tatverdächtigen liegt diese Zahl bei 2,05 Mio. Dies stellt im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 2,9% dar. Der Anteil der deutschen Tatverdächtigen an den Straftaten beträgt 1.342.886 (Rückgang um 2,4%). Der Anteil der Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit beträgt 708.380 (Rückgang um 3,8%) und hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr reduziert. Im Jahr 2018 wurden zudem bundesweit 163.063 (2017: 179.848) ausländerrechtliche Verstöße registriert. Die Fallzahl ist im Vergleich zum Vorjahr um 9,3% gesunken. Insbesondere die rückläufigen Fallzahlen bei „unerlaubte Einreise“ (2018: 39.476, 2017: 50.147) sowie „unerlaubter Aufenthalt“ (2018: 106.860, 2017: 116.344) sind für den starken Rückgang verantwortlich. Diese Delikte können naturgemäß nur von Ausländern begangen werden und sind im Zusammenhang mit den Migrationsströmen zu begründen. Im Bereich der Raubdelikte waren mehr als vier von den zehn Tatverdächtigen Nichtdeutsche. Dies stellt einen Wert von rund 40,6% dar. Überpräsentiert waren die nichtdeutschen Tatverdächtigen in der Kategorie Raub, räuberische Erpressung auf/gegen Geld und Werttransporte sowie bei dem Handtaschenraub. Körperverletzungsdelikte wurde im Berichtsjahr 2018 in rund 554.635 Fällen registriert. Die Anzahl der Tatverdächtigen lag bei 466.753. Davon waren 37,5% Minderjährige oder Heranwachsende. Unter den Tatverdächtigen waren insgesamt 148.030 Nichtdeutsche und 318.723 Deutsche. Die überwiegende Mehrheit der Nichtdeutschen waren nach der PKS männlich und jünger als 30 Jahre.

 

4 Kriminogene Faktoren für die Delinquenz junger Ausländer und Migranten


Nach Darlegung der Zahlen zeigt sich, dass der Anteil der Straftaten seitens der Ausländer eher im Bereich der ausländerspezifischen Delikte liegt. Diese können, wie bereits erwähnt, naturgemäß nur von Ausländern begangen werden. Zweifelsohne begehen Ausländer Straftaten, jedoch müssen sie dabei nicht krimineller sein als durchschnittliche Deutsche, um den Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen zu erhöhen. Es ist zu beachten, wenn seit 2015 über 2,14 Mio. Zuwanderer nach Deutschland gekommen sind, dass sich auch das zahlenmäßige Verhältnis von Deutschen zu Nichtdeutschen (und damit einhergehend die Straftaten) verändert hat. Es ist im Zusammenhang mit der Ausländerkriminalität wichtig, nach den Gründen für die Begehung der genannten Delikte zu fragen. Das delinquente Verhalten junger Menschen aus Einwanderungsfamilien wird häufig in Zusammenhang mit einer unzureichenden Integration in die Gesellschaft gebracht. In vielerlei Hinsicht wird auch von dem geborenen Verbrecher gesprochen, den man an seinem Aussehen identifizieren könne und somit die Anzeigenbereitschaft gegen Nichtdeutsche höher klassifiziert ist als gegen Deutsche. Hinsichtlich der Kausalerklärungen von Ausländerkriminalität wurden unterschiedliche kriminologische Theorien dargelegt, die die Delinquenz ausländischer Bevölkerung und der Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus verschiedenen Blickwinkeln deuten.

4.1 Kulturkonflikttheorie

Die Kulturkonflikttheorie bezog sich in den 1930er Jahren auf die Kriminalität von Zugewanderten in den USA. Nach dieser Theorie bringen Einwanderer kulturelle Wertvorstellungen mit, die von denen des Gastlandes abweichen. Wollen sie jedoch weiterhin nach den Verhaltensnormen ihres Herkunftslandes leben oder können sie sich nicht zwischen den Verhaltensnormen ihres Gast- oder Herkunftslandes entscheiden, dann entstehen daraus kulturelle Konflikte. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen der Wahl von Kulturen, der Familie, der Heimat und der Adoptivkultur. Die Unmöglichkeit oder die Widerwilligkeit der Anpassung und die Andersartigkeit bezüglich Sprache, Bildung, ethnischer Zugehörigkeit und sozialen Anschauungen führen meist zu Benachteiligungen und Ausgeschlossenheit innerhalb der Gesellschaft. So weichen die Ideal- und Denkvorstellungen hinsichtlich der Systeme voneinander ab und es entsteht eine Gefahr der Verunsicherung, Desorientierung und Fehleinschätzung der Rechtsordnung des Gastlandes. Das Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Heimatlosigkeit und der Ablehnung seitens der Gesellschaft stäken die Faktoren für eintretende delinquente Verhaltensmuster. So könnten Delinquenzen entstehen, die durch Frustration über nicht erreichte Ziele (z.B. aufgrund des Ausländerstatus) hervorgerufen werden und als Folge des Kulturkonflikts definiert werden.

4.2 Anomie- und Drucktheorie

Die Anomietheorie verknüpft Kriminalität mit den Bedingungen der Sozialstruktur. Hauptaussage dieser Theorie ist, dass Kriminalität auf einem Missverständnis zwischen den allgemeinen gesellschaftlichen Zielen und den vorhandenen sozialen Mitteln basiert. So führen die sozial instabilen Verhältnisse eines jungen Ausländers/Migranten beispielsweise dazu, dass Bedürfnisfrustration entsteht, was wiederum zur Kriminalität führt. Man verschafft sich dann mit illegalen Mitteln die Güter, die legal unerreichbar wären. Bezogen auf die Ausländerkriminalität ist diese Theorie ein Symbol für die soziale Desintegration und Mittellosigkeit. Denn die meisten der in Deutschland lebenden Ausländer sind männlich, jung, ärmer als der Durchschnitt und in Großstädten ansässig. Diese Faktoren erhöhen statistisch gesehen das Risiko straffällig zu werden. Ein fehlender oder niedriger Bildungsabschluss kann zur Arbeitslosigkeit führen. Mit der Arbeitslosigkeit verbunden ist die Geldnot. Dies wiederum erhöht das Risiko kriminelle Handlungen zu begehen. Die Enttäuschung über den fehlenden Zugang zu den als wertvoll erachteten Ressourcen erzeugt Frustrationen, die sich als Aggressionen oder in alternativen Wegen der Beschaffung (u.a. Diebstahl) niederschlagen können. Nach dieser Theorie können auch die Zuwanderer mit legaler Arbeit sich und ihren Familien unmöglich ein ausreichendes Einkommen verschaffen und tendieren eher dazu, illegalen Aktivitäten nachzugehen.

4.3 Sozialisationstheorie / Theorie der sozialen Desintegration

Sozialisation wird als ein Vorgang bezeichnet, in dem der Mensch gewisse Normen, Werte und Orientierungen einer Gruppe erlernt, der er angehört. Sie erfolgt im Rahmen des durch die soziale Umwelt vermittelten Lernens von Verhaltensweisen, Denkstilen, Gefühlen, Kenntnissen und Werthaltungen. Das Erlernen dieser Vorgänge kann dann beispielsweise durch Beobachtung, Nachahmung, Vergleich, Vermeidung, Einübung und Einsicht erreicht werden. Das Ziel der Sozialisation liegt insbesondere darin, interkulturelle Fähigkeiten zu erlangen, Selbstsicherheit zu gewinnen, die Motivation/Leistung zu stärken, Gewissensbildung sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zur produktiven Konfliktbewältigung. Diese Theorie dürfte insbesondere im Bereich der Ausländer- und Migrantenkriminalität eine große Rolle spielen. Denn ihre Idealvorstellungen sind nicht immer zu erreichen. Faktoren wie die soziale Benachteiligung der ausländischen Bevölkerung, mangelnde Wertübereinstimmung und -ausrichtung innerhalb der Bevölkerung, das Gefühl des Nichtankommens in der Mehrheitsgesellschaft, enge und ghettoähnliche Wohnverhältnisse, ungesicherter Rechtsstatus der Eltern, Sprach- und Anpassungsschwierigkeiten, höhere Arbeitslosenquote sowie die Schlechterstellung in der Schul- und Berufsausbildung stärken das Desinteresse an einer Integration und führen oftmals in die Kriminalität.

Ein weiterer wichtiger Faktor dieser Theorie liegt in der Sozialstruktur. Laut Untersuchungen zur Kriminalitätsgeografie fördert das Großstadtleben und das dort vorhandene Milieu bestimmte Kriminalitätsfaktoren, die sich dann auf die ausländische und einheimische Bevölkerung ausdehnen. Dass sich das Großstadtleben auf die Kriminalität bestimmter Gruppen auswirken kann, belegt die PKS. So werden Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern angezeigt, dessen Kriminalitätsbelastungen sich enorm unterscheiden: Je mehr Einwohner eine Stadt verzeichnet, desto höher die statistische Anzahl der dort registrierten Straftaten.

 

5 Präventionsansätze gegen die Kriminalität junger Ausländer und Migranten

 

Aus kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht ist die Begrifflichkeit Prävention ein Zentralbegriff für kriminalitäts- und sicherheitsbezogenes Engagement. Unter Kriminalprävention sind alle Maßnahmen zu verstehen, die einen Beitrag dazu leisten, mit demokratischen Mitteln das Ausmaß und die Schwere der Kriminalitätserscheinungen zu verringern. Der Begriff Prävention wird heute in die Felder der primären, sekundären und tertiären Prävention unterteilt. Die primäre Kriminalprävention beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie Kriminalität entsteht und welche Bedingungen daran angeknüpft sind. So werden Ursachen, die von psychosozialen Bedingungen bis hin zur Armut reichen, betrachtet und es wird versucht, das erstmalige Auftreten von Straftaten zu verhindern. Die primäre Prävention hat somit als Ziel, die Ursachen kriminellen Handelns zu beseitigen, indem sie etwa bereits im Bereich Erziehung, Schule, Arbeit, Wohnen und Freizeit ansetzt. Während die primäre Prävention die allgemeinen Bedingungen der Kriminalität betrachtet, richtet sich die Maßnahme der sekundären Kriminalprävention gegen eine klare Zielgruppe wie etwa Kinder und Jugendliche. Diese Zielgruppe erweist sich auf Grund ihrer Entwicklung oder Lebensbedingungen zu potentiellen Tätern. Das Ziel ist präventiv zu handeln bevor es zur Kriminalität kommen kann. Die Sekundärprävention soll im Allgemeinen die Tatgelegenheiten reduzieren und das Entdeckungsrisiko für Täter erhöhen. Sie ist eine klassische Aufgabe der Polizei. Die Zielgruppe der tertiären Kriminalprävention umfasst Personen, die bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Diese Form der Kriminalprävention setzt im Gegensatz zu den vorgenannten Formen eine strafrechtlich relevante Handlung voraus. Ziel dieser Prävention ist die Vermeidung von Rückfällen der strafrechtlich belasteten Täter. Wie diese drei Bereiche der Kriminalprävention in der Praxis angewendet werden, soll im Folgenden anhand eines sozialen Projektes in Nordrhein-Westfalen vorgestellt werden.

 

6 „Farids QualiFighting“ als generalpräventiver Faktor junger Ausländer und Migranten


Das „Boxzentrum Münster“ mit dem sozial integrativen Projekt „Farids QualiFighting“ befindet sich im Stadtteil Coerde, das zu dem kritischen und kriminell stark belasteten Teil Münsters gehört. Viele der dort lebenden Menschen verfügen über einen Migrationshintergrund und gehören zum sozial schwachen Milieu. Von der Kriminalität und der sozialen Randlage sind vor allem die Kinder und Jugendlichen stark betroffen. Viele schaffen nur bedingt den Hauptschulabschluss und geraten so oftmals in die Jugendarbeitslosigkeit. Maßnahmen und Angebote zur Berufsförderung werden nicht oder nur missmutig angenommen. Durch die fehlende Bildung und folglich fehlende Arbeit schaffen es nur wenige, aus diesem Stadtteil herauszukommen. Das Resultat ist dann häufig eine finanzielle Notlage und die Betroffenen können ihre Freizeit nur schwer mit Hobbys und Sport füllen. Viele dieser Kinder und Jugendlichen verbringen ihre Zeit auf der Straße und rutschen schnell über falsche Freunde in ein kriminelles Umfeld ab. Vor diesem Hintergrund engagiert sich das Boxzentrum Münster mit seinem sozialen Projekt für die Perspektiven dieser Kinder- und Jugendlichen. „Farids QualiFighting“ ist ein Betreuungskonzept, das 2006 gegründet wurde. Ganz nach dem Credo „Boxen macht schlau!“, verknüpft das soziale Bildungskonzept schulische und sportliche Leistungen der Kinder, Jugendlichen sowie Heranwachsenden im Boxzentrum. Das Augenmerk dieses Projektes liegt vor allem auf die Kombination der Lernförderung, Vermittlung von Tugenden wie Disziplin, Pünktlichkeit, Respekt vor anderen Geschlechtern und Religionen. Die Mission des Sportvereins besteht aus „fordern und fördern“. Durch den sportlichen Einsatz, Fleiß und diszipliniertem Lebensstil sollen die Teilnehmer eine sportliche, schulische und gesellschaftliche Förderung erhalten. Diese aufgezählten Werte zeigen, wie wichtig die Bildung für die jungen Ausländer und Migranten ist. Der Boxsport vermittelt somit Schlüsselqualifikationen, die für die Berufs- und Lebensbewältigung von großer Bedeutung sind: Selbstdisziplin, Respekt, Umgang mit Erfolg und Niederlage sowie ein konstruktiver Umgang mit der eigenen Aggressivität.

„Farids QualiFighting“ betreut 161 Kinder und Jugendliche, die alle aus unterschiedlichen Herkunftsländern kommen und oftmals schon polizeilich in Erscheinung getreten sind. Die Kinder und Jugendlichen bekommen dort die Chance ihre schulischen und boxerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die Lerneinheiten erfolgen vier Mal pro Woche jeweils vor dem Boxtraining. Es gilt stets die Devise: Wer nicht lernt, darf auch nicht boxen. Die Jungen und Mädchen bekommen Auflagen wie etwa mit Alkohol und Drogen aufzuhören und ihre Noten zu verbessern. So werden am Anfang eines Schuljahres sog. Wunschzeugnisse erstellt. Darauf arbeiten die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hin. Sollten die Noten sich nach einem halben Jahr nicht verbessert haben, gilt ein sechsmonatiges Boxverbot. Im Erfolgsfalle werden sie weiter kostenlos trainiert. Hauptziel von „Farids QualiFighting“ ist es, die jungen Boxerinnen und Boxer nachhaltig und eigenverantwortlich zu einer gewandelten Lebensführung zu bringen. Die Kinder und Jugendlichen lernen ihre Leistungsbereitschaft, die sie beim Boxen zeigen, auch in Alltagssituationen umzusetzen. Dieser sportliche Gedanke überträgt sich so beispielsweise auf die Leistungen in der Schule. Folglich wird eine Klausur wie ein Wettkampf gesehen, auf den man sich gezielt vorbereiten muss. Sie lernen einzuschätzen, ob ihren Vorbereitungen ausreichend waren, um den Test zu bestehen. Dieses Projekt wurde bereits mit etlichen Auszeichnungen wie dem Preis der deutschen Stiftung für Kriminalprävention, Deutscher Bürgerpreis, das grüne Band oder Reiner-Klimke-Preis der Stadt Münster geehrt. Die Schirmherrschaft hat der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen übernommen.

 

7 Fazit


Die Thematik der Ausländerkriminalität ist nach wie vor schwierig und kann bei einer unkritischen Sicht zur Stigmatisierung und Instrumentalisierung führen. Ein Schweigen oder Ignorieren dieses Spannungsfeldes führt jedoch nicht weiter. Vielmehr bedarf es einer ernsten und offenen Diskussion. Erst dann können Fragen nach den Gründen für eine Kriminalitätsbelastung junger Ausländer und Migranten beantwortet werden. Keineswegs soll die Kriminalität junger Ausländer und Migranten kleingeredet werden, jedoch bringt es dem demokratischen Rechtsstaat und dem Zusammenleben in unserem Land wenig, diese Aspekte beispielsweise als „Mutter aller Probleme“ oder die Rettung von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer mit einem „Shuttle-Service“ zu vergleichen. Denn genau solche Äußerungen bieten Spielraum für rechtspopulistische Gruppierungen, die ihren Zorn auf Grundlage von Gefühlen statt Fakten schüren.

 

Anmerkung


Die Autorin ist in Deutschland geboren und arbeitet als Polizeikommissarin in NRW. Sie spricht neben ihrer deutschen und kurdischen Muttersprache noch die türkische, englische, spanische und arabische Sprache. Neben ihrer Tätigkeit im Streifendienst fungiert sie als ehrenamtliche Helferin im sozialen Projekt „Farids QualiFighting“ in Münster. Dort unterstützt sie sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Zudem lehrt sie an der HSPV das Studienfach „Interkulturelle Ko