„System Change not Climate Change“

Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus

 

Von Dr. Udo Baron, Hannover1

 

1 Die Klimaschutzbewegung

 

Es ist der 20. September 2019. Weltweit demonstrieren Millionen Menschen am dritten globalen Klimastreiktag für den Klimaschutz. In mehr als 160 Staaten gehen Klimaschutzaktivisten in rund 2900 Städten, darunter in New York, London, Brüssel und Kapstadt auf die Straße. Anlass für die Kundgebungen ist der bevorstehende Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York. In Deutschland ziehen allein in Berlin etwa 100.000 Menschen durch das Regierungsviertel, während zeitgleich die Bundesregierung ihr Maßnahmenpaket gegen den Klimawandel präsentiert. In Hamburg protestieren rund 70.000 Menschen, 40.000 sollen es in München sein. Möglicherweise sind es noch deutlich mehr. In Deutschland sprechen die Veranstalter am Abend von insgesamt 1,4 Millionen Demonstranten. Eine vor allem von Schülern und Studenten getragene Bewegung namens „Fridays for Future“ (FfF) hatte zu den Protesten aufgerufen.2


Der Klimaschutz ist ein Thema, das die Menschen zurzeit weltweit bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Um der globalen Erderwärmung und ihren Folgen entgegenzuwirken, hat sich deshalb in den letzten Jahren eine international agierende Klimaschutzbewegung formiert. Ihr Ziel ist es, den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, damit sie aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen und dadurch der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase drastisch verringert werden kann. Mit zahlreichen Demonstrationen und Protestaktionen will vor allem die FfF-Bewegung dazu beitragen, dass die im Pariser Klimaschutzabkommen vom 12. Dezember 2015 getroffenen Vereinbarungen noch erreicht und die globale Erderwärmung auf deutlich unter Zwei-Grad gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden kann.


Die Klimaproteste in Deutschland machen aber auch deutlich, dass nicht nur Demokraten, sondern auch Linksextremisten den Klimaschutz für sich entdeckt haben und versuchen, die Klimaschutzbewegung für ihre Interessen zu vereinnahmen. So mobilisieren neben demokratischen auch linksextremistische Parteien, Gruppierungen und Organisationen zur Teilnahme an den Klimaschutzprotesten. Wer aber sind die Akteure einer linksextremistischen Einflussnahme? Wer sind ihre Objekte? Mit welcher Strategie versuchen sie, Einfluss auf die Klimaschutzbewegung zu nehmen? Wie wirken sich diese Einflussversuche aus?

 

 

2 Linksextremistische Einflussversuche auf die Klimaschutzbewegung


Linksextremisten greifen gesellschaftlich relevante und auf breite Akzeptanz stoßende Themen wie den Antifaschismus oder den Antirassismus in der Erwartung auf, mit diesen bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu werden. Mit Hilfe ihrer Bündnis- und Kampagnenpolitik, die auf ein zeitlich und thematisch begrenztes Ziel ausgerichtet ist, versuchen sie auf Basis eines Minimalkonsenses taktische bzw. aktionsbezogene Bündnisse mit dem demokratischen Spektrum zu schließen, um dieses für ihre Interessen zu instrumentalisieren und über gemeinsame Aktionen zu radikalisieren.3


Der Klimaschutz ist vor dem Hintergrund der angestrebten Energiewende in Deutschland und der damit vorgesehenen Stilllegung von Kohlekraftwerken in den letzten Jahren zunehmend in das Blickfeld von Linksextremisten gerückt. Für sie ist der Umwelt- und Klimaschutz stets ein Themenfeld gewesen, welches sich unproblematisch mit ihrer antikapitalistischen Grundeinstellung in Einblick bringen lässt. Während nach linksextremistischer Auffassung der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse basiert, stellen Umwelt und Klima in diesem Kontext letztlich eine Erweiterung dieser Ausbeutung dar. Vor allem die zunehmende politische und mediale Aufmerksamkeit, die die Klimaschutzbewegung erfährt, macht sie für die linksextremistische Szene attraktiv, gibt sie ihr doch die Möglichkeit, durch gemeinsame Aktionen von deren Popularität und Erfolgen zu profitieren.

 

3 Die Akteure der linksextremistischen Einflussversuche


Ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass immer wieder demokratische Organisationen in den Fokus von Linksextremisten geraten sind. Vor allem die Friedens- und Umweltschutzbewegungen gehör(t)en dabei zu den Objekten linksextremistischer Begierde. Verschiedene linksex-tremistische Parteien und Gruppierungen versuchen bis heute, über eine ausgefeilte Bündnis- und Kampagnenpolitik Einfluss auf das demokratische Spektrum zu nehmen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass nunmehr auch die Klimaschutzbewegung auf das Interesse von Linksextremisten gestoßen ist.

3.1 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

1982 entstand aus dem maoistisch orientierten „Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands“ (KABD) im Rahmen einer weitgehenden Umstrukturierung die MLPD. Ideologisch orientiert an den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tsetung, versteht sie sich als eine marxistisch-leninistische Partei maoistisch-stalinistischer Ausprägung.4 Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu werden, greift sie aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen auf und versucht sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. So führte sie seit 2003 sogenannte Montagsdemonstrationen gegen die Arbeitsmarktreformen der damaligen rot-grünen Bundesregierung durch. Zeitweise nahmen Tausende an diesen Protestveranstaltungen gegen die Agenda 2010 teil, zumeist ohne einen Bezug zur MLPD herzustellen. Das schnelle Ende der „Montagsdemonstrationen“ kam, nachdem ihr MLPD-Hintergrund nicht mehr zu leugnen war.5

 

In der letzten Zeit konzentriert sie sich vor allem auf den Umwelt- und Klimaschutz und versucht dadurch Anschluss an die Klimaschutzbewegung zu finden. Die Relevanz dieses Thema für die MLPD spiegelt sich dabei nicht nur in einem eigenen Kapitel dazu in ihrem Parteiprogramm wieder,6 sondern auch in einem von ihrem langjährigen Vorsitzenden Stefan Engel vorgelegten Buch zum Umwelt- und Klimaschutz.7 Mit Hilfe der im November 2014 gegründeten und von ihr beeinflussten Umweltgewerkschaft8 sucht sie zudem den „engen Schulterschluss zwischen Arbeiter- und Umweltbewegung im Kampf gegen die Hauptverursacher [der Klimakrise] in Konzernzentralen, Banken und Regierungen“.9

3.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

Am 25. September 1968 konstituierte sich die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) unter dem Namen DKP neu. Als westdeutscher Interventionsapparat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war sie finanziell von ihr abhängig und folgte bis zur friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 vorbehaltlos ihren ideologischen und politischen Vorgaben. Auch nach 1990 behielt die DKP ihre marxistisch-leninistischen Überzeugungen bei. Bis heute versteht sie sich als die „revolutionäre Partei der Arbeiterklasse der Bundesrepublik Deutschland“.10 Mit Hilfe von Vorfeldorganisationen wie der „Deutschen Friedens-Union“ (DFU) oder dem „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“ (KOFAZ) gelang ihr vor 1990 im Rahmen ihres sogenannten Kampfes um den Frieden der Schulterschluss mit demokratischen Organisationen, insbesondere mit Teilen der westdeutschen Friedensbewegung.11


Heutzutage verfügt die DKP nicht mehr über die Möglichkeiten wie zu Zeiten des Kalten Krieges, sie folgt aber weiterhin ihren marxistisch-leninistischen Leitbildern und ihrer bündnispolitischen Strategie. Diese besagen, dass es sich beim Klimaschutz zwar nur um einen Nebenwiderspruch im Gegensatz zum marxistischen Hauptwiderspruch, der Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalisten, handelt. Der Kampf um den Umwelt- und Klimaschutz kann daher im Verhältnis zum „Kampf um den Frieden“ nur eine nachgeordnete Rolle spielen. Die Klimaschutzbewegung empfindet manches DKP-Mitglied daher weitgehend als „bürgerlich unterwandert“.12 Dennoch bietet sie der seit Jahrzehnten unter Überalterung und Mitgliedermangel leidenden Partei die Chance, wieder Einfluss auf eine wachsende Protestbewegung nehmen zu können. Aus diesem Grunde unterstützte die DKP bislang die Aufrufe zu den globalen Klimastreiktagen und verband den Klimaschutz mit ihrer generellen Systemkritik und ihrem antikapitalistischen Kampf.13

3.3 Interventionistische Linke (IL)

Ungelöste Organisationsdebatten und eine theoretische Orientierungslosigkeit haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass Teile der autonomen Szene versuchen, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Die Politik dieser oftmals als postautonom bezeichneten Gruppierungen ist langfristiger angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Sie wollen innerhalb des autonomen Spektrums eine strategische Bündnisorientierung mit einer breiten Öffnung ins demokratische Spektrum und zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten betreiben, um dort für einen Bruch mit dem Kapitalismus zu werben.


Die zurzeit bedeutendste postautonome Organisation ist die IL. Entstanden 1999, entwickelte sie sich mit den Jahren zu einem bundesweit agierenden Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem in geringem Maße auch nichtextremistische Personen angehören. Inhaltlich orientiert sich die IL „am langfristigen Ziel einer radikalen Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Ihr Ziel ist der „revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen“, denn um „den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln […] und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung“.14


Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu werden, greift die IL ebenso wie die MLPD und die DKP auf Themen zurück, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen. So gehört der Umwelt- und Klimaschutz schon seit längerem zu ihren Kernbereichen, um den sich insbesondere eine extra dafür eingerichtete Klima AG kümmert. Zudem geben sich ihre Akteure ideologisch bewusst undogmatisch. Zugleich bemühen sie sich um ein gemäßigteres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonisten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, hinter dem sich eine latent vorhandene Militanz verbirgt. Diese Vorgehensweise ermöglicht es ihr, eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einzunehmen.15

 

4 Die Objekte der Einflussversuche


Die Klimaschutzbewegung ist kein monolithischer Block, sondern setzt sich aus zahlreichen Gruppierungen und Organisationen zusammen. Linksextremisten haben zwar die Bewegung in Gänze im Blick, sie konzentrieren sich aber mit ihren Einflussversuchen auf die erfolgreichsten und ihrer Ideologie am offensten gegenüberstehenden Organisationen. Im Folgenden werden die beiden bislang begehrtesten Objekte linksextremistischer Einflussversuche vorgestellt. Extinction Rebellion (XR) befindet sich nicht darunter, da bislang keine nachhaltigen Versuche linksextremistischer Einflussnahme bekannt geworden sind.16

4.1 Ende Gelände (EG)

EG trat erstmals 2014 mit der Organisierung von Protesten gegen den Braunkohleabbau in Erscheinung. Ihr gehören sowohl demokratische als auch linksextremistische Gruppierungen an. Dabei versteht sich EG als „ein breiter Zusammenschluss von Menschen aus den Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegungen, aus Bürgerinitiativen, NGO´s, linken Polit-Gruppen und anderen“. Sie alle „eint der Gedanke, dass wir sofort aus der Kohle-Verbrennung aussteigen müssen, ebenso wie die Erkenntnis, dass unser Wirtschaftssystem die Basis des Problems ist“.17 Die Kampagne EG wendet sich gegen die weitere Nutzung der Braun- und Steinkohle und fordert einen „tiefgreifenden, sozial-ökologischen Wandel“ durch eine „Abkehr vom fossilen Kapitalismus“. Unter dem Motto „System Change not Climate Change“ will EG deshalb die Infrastruktur der Kohleindustrie möglichst öffentlichkeitswirksam lahmlegen, um so den verantwortlichen Betreiberkonzernen einen möglichst hohen finanziellen Schaden zuzufügen und sie langfristig in den Ruin zu treiben. Seit 2015 organisiert die Kampagne jährlich ein bis zwei Großaktionen in deutschen Braunkohlerevieren. So führte die Kampagne z.B. vom 29. November bis zum 1. Dezember 2019 eine „Massenaktion zivilen Ungehorsams“ im Lausitzer Braunkohlerevier in Form von Blockaden, Aktionen und Besetzungsversuchen durch.18


Standen bislang die Proteste gegen den Kohleabbau in nordrhein-westfälischen Garzweiler und in der sächsischen Lausitz sowie der Kampf um den Erhalt des vom Braunkohleabbau bedrohten Hambacher Forstes, eines wenige hundert Hektar großen Waldes in Nordrhein-Westfalen (NRW) zwischen Köln und Aachen, für EG im Vordergrund, so legt die Kampagne seit Anfang 2020 nunmehr ihren Fokus auf den Widerstand gegen die Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln IV. Datteln IV soll dabei zu einem „Hambi 2.0“ werden, d.h. zu einem weiteren Symbol der Klimaschutzbewegung nach dem Kampf gegen die Rodung des Hambacher Forstes.


Die linksextremistische IL ist nach eigenen Angaben bereits von Anfang an in der Kampagne EG engagiert. Formell ist sie nur eine Unterstützergruppe von vielen, sie war und ist aber maßgeblich an der Gründung von EG-Ortsgruppen und deren Aufbau beteiligt und dort ein steuernder Faktor. Sie beansprucht sogar die Gründungsinitiative von EG für sich, wenn sie auf ihrer Website schreibt: „Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen“.19 Dass es der IL mit EG letztlich nicht nur um den Klimaschutz geht, sondern dieser nur Mittel zum Zweck ist, macht sie in ihrem Positionspapier „Globale Solidarität statt systemischer Wahnsinn“ deutlich, wo es heißt: „Die Macht des fossil-industriell-militärischen Komplex und die Binnen-‚Logik‘ des Kapitals sind nicht voneinander zu trennen. Ziel massenhaften Ungehorsams ist nicht ‚nur‘ Be- bzw. Verhinderung konkreter Zerstörungen, sondern selbstverständlich auch Vertiefung und Intensivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die herrschenden Zustände insgesamt. Eine Klimabewegung wird bei aller Dringlichkeit ihres Anliegens nicht als Ein-Punkt-Bewegung erfolgreich sein können. Sie muss sich vielmehr in Beziehung setzen und verbinden mit weiteren Kämpfen u.a. für Solidarität mit Geflüchteten, Care-Revolution, Recht auf Stadt, gegen Austerität, das herrschende Arbeits- bzw. Prekaritätsregime, Militarismus sowie jegliche weitere Herrschaftsformen“.20


Insbesondere junge Menschen sollen über das populäre Thema „Klimaschutz“ sowie über die Protestaktionen gegen die „Profitmaximierung der Großkonzerne“ angesprochen, politisiert und langfristig an die linksextremistische Szene gebunden werden. Für die IL ist die Kampagne EG aufgrund ihres Bekanntheitsgrades und der verbreiteten Verortung im zivilgesellschaftlichen Spektrum somit von entscheidender Bedeutung für ihre Einflussversuche, zumal EG und die IL unter dem Motto „Ende Gelände goes Europe“ eine Internationalisierung der Proteste anstreben.

4.2 Fridays for Future (FfF)

Im Gegensatz zu EG ist FfF ohne eine bislang erkennbare linksextremistische Einflussnahme entstanden. Es handelt sich vielmehr um eine weitgehend von Schülern und Studenten getragene globale soziale Bewegung, die sich in unzähligen Ortsgruppen, davon alleine etwa 600 in Deutschland, basisdemokratisch organisiert. FfF versteht sich als Graswurzelbewegung und engagiert sich für umfassende, schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen. Ihr Ziel ist es, die „Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich stark zu reduzieren“, um so die im Pariser Klimaschutzabkommen vom 12. Dezember 2015 beschlossene „Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5°C-Ziels“ noch zu erreichen. Konkret fordert FfF für Deutschland eine Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2035 auf „netto null“, den „Kohleausstieg bis 2030“, eine 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035“, das „Ende der Subventionen für fossile Energieträger“, ein Abschalten eines 1/4 der Kohlekraft“ und eine „CO2-Steuer auf alle Treibhausgasemissionen“.21


Dem Vorbild der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg folgend, gehen Schüler seit einigen Monaten weltweit immer freitags während der Unterrichtszeit für den Klimaschutz auf die Straßen, um so Druck auf die Regierungen auszuüben, etwas für den Klimaschutz zu unternehmen. Am ersten weltweit organisierten Klimastreiktag, dem 15. März 2019, sollen annähernd eine Millionen Menschen an den Demonstrationen von FfF teilgenommen haben, darunter laut Veranstaltern 300.000 Menschen in Deutschland. Beim zweiten globalen Klimastreiktag am 24. Mai 2019 waren es laut Veranstalterangaben gar weltweit 1,8 Millionen Menschen.22


In jüngster Zeit bietet die IL nunmehr auch der FfF-Bewegung ihre Unterstützung bei der Organisierung und Durchführung der Klimaproteste an. Zugleich tritt sie als Mitveranstalter und Anmelder auf. So hat die IL z.B. auf einer gemeinsamen öffentlichen Pressekonferenz in Hannover mit Vertretern der nichtextremistischen Organisationen FfF Hannover, Students for Future Hannover und dem BUND zur Teilnahme an den Klima-Protestaktionen aufgerufen. An der Hannoveraner Demonstration nahmen Akteure der IL mit einem Transparent unter dem Motto „Systemwandel statt Klimawandel“ teil und machten damit deutlich, dass für sie konsequenter Klimaschutz nur möglich ist, wenn der Kapitalismus und der ihn schützende demokratische Rechtsstaat überwunden sind.


Wie offen die noch junge FfF-Bewegung für linksextremistische Annäherungsversuche ist, zeigt auch ihre Vernetzung mit EG, z.B. bei einer gemeinsamen Aktion unter dem Namen „Anti-Kohle-Kidz“ am 30. November 2019 oder ihre Teilnahme an der von der linksextremistischen Tageszeitung Junge Welt“ organisierten XXV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar 2020 in Berlin.23

 

5 Ausblick


Die heutigen Beeinflussungsversuche von Linksextremisten wecken Erinnerungen an die Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss aus dem Jahre 1979. Die NATO hatte damals beschlossen, auf die Vorrüstung der Sowjetunion mit atomaren Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 mit einer Nachrüstung mit atomaren Pershing II-Raketen und Cruise-Missiles-Marschflugkörpern zu reagieren, sollte die UdSSR nicht zu Verhandlungen mit den USA und infolgedessen zur Abrüstung ihrer Waffen bereit sein. Vor dem Hintergrund eines drohenden neuen atomaren Wettrüstens verfielen große Teile der damaligen bundesrepublikanischen Gesellschaft in eine neurotische Züge annehmende Angst vor einem atomaren „Holocaust“ mit einem Schlachtfeld Deutschland. Es formierte sich eine neue Friedenbewegung, die diese „German Angst“ aufgriff und in die Mitte der Gesellschaft transportierte. Auch zum damaligen Zeitpunkt nahm die Auseinandersetzung bei aller berechtigten Sorge zeitweise hysterische Züge an. Damals wie heute versuchten Linksextremisten von dieser weit verbreiteten Angst und der daraus resultierenden Popularität der Friedensbewegung zu profitieren. Vor allem die DKP versuchte mit Hilfe ihrer Tarnorganisationen steuernden Einfluss auf die Friedensbewegung zu nehmen. Mit der inhaltlichen Anleitung und materiellen Unterstützung aus der DDR konnte sie zwar den NATO-Doppelbeschluss nicht verhindern, aber es gelang ihr, Einfluss auf die politische Bewusstseinsbildung von Teilen der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu nehmen, deren Reflexe bis heute nachwirken.24


Heutzutage sind die Umstände andere als es sie in den 1980er Jahren waren. Der Kalte Krieg ist vorbei, die DKP fristet nur noch ein Randdasein, andere bestimmen gegenwärtig den Linksextremismus. Dennoch lassen sich auch heute bestimmte Muster linksextremistischer Einflussnahme bei der Auseinandersetzung um den Klimaschutz erkennen. Unübersehbar greifen linksextremistische Parteien wie die MLPD und die DKP und postautonome Gruppierungen wie die IL im Rahmen ihrer Bündnis- und Kampagnenpolitik den Umwelt- und Klimaschutz auf und versuchen, über dieses Thema an den demokratischen Protest anschlussfähig zu werden, um ihn langfristig für ihre systemüberwindenden Ziele zu instrumentalisieren.


Im Gegensatz zur DKP und zur MLPD – letztere steht eher außerhalb der lokalen Bündnisse, da sie sich weigert, auf parteibezogene Darstellungen wie Fahnen, Flyer und Plakate bei Demonstrationen zu verzichten – ist die IL allein aufgrund ihrer undogmatischen Ausrichtung attraktiver, insbesondere für jüngere Menschen. Geschickt bietet die IL den politisch eher unerfahrenen Klimaschutzaktivisten von FfF Hilfe bei der Organisierung und Durchführung von Protestaktionen an. Sie inszeniert sich als Teil einer legitimen Protestbewegung, macht sich dadurch zunehmend unentbehrlicher und versucht so versteckt die Klimaschutzbewegung zu organisieren und durch rechtswidrige Aktionen zu radikalisieren. Zugleich bemüht sie sich, die Klimaaktivisten für Themen jenseits des Umwelt- und Klimaschutzes wie den Antifaschismus oder den Antirassismus zu mobilisieren. Sie hofft, dass so demokratischer und linksextremistischer Protest immer enger zusammenrücken und die Grenzen zwischen ihnen zunehmend verschwimmen. Gemeinsame Proteste von Klimaschutz- und Friedensbewegung wie die gegen die Münchener Sicherheitskonferenz vom Februar 2020 zeigen, dass es sich bei diesen Versuchen nicht nur um bloße Theorie handelt.25 Es kommt nun für die Klimaschutzbewegung – und vor allem für FfF – darauf an, diese Einflussversuche zu erkennen, sie zu benennen, sich von ihnen zu distanzieren und sie unmissverständlich zu unterbinden. FfF hat bislang sowohl die Annäherungsversuche der MLPD als auch der DKP und der IL öffentlich gemacht und sich weitgehend von Extremisten abgegrenzt. So durfte in Hamburg 2019 eine Zubringer-Demonstration von Linksextremisten nicht an dem Demonstrationszug von FfF teilnehmen.26 Gegen eine Teilnahme von Mitgliedern der MLPD mit ihren Parteisymbolen klagte FfF erfolglos.27 Ein steuernder Einfluss auf das demokratische Protestspektrum oder eine Infiltration durch Linksextremisten konnte daher bislang nicht festgestellt werden.28 Zwar gibt es mit der EG eine unter nicht unerheblichen Einfluss der IL entstandene und weiterhin stehende Umwelt- und Klimaschutzorganisation. Dennoch kann nach bisherigen Erkenntnissen die Klimaschutzbewegung in ihrer Gesamtheit nicht als ein Produkt linksextremistischer Beeinflussungsversuche bezeichnet werden. Weder haben Linksextremisten entscheidenden Einfluss auf ihre Entstehung genommen, noch haben sie bislang steuernden Einfluss. Vielmehr ist sie bisher in ihrer weitüberwiegenden Mehrheit ein demokratischer Zusammenschluss weitgehend besorgter Bürger vor den Folgen des Klimawandels.


„Wir lassen uns nicht vereinnahmen“ hat einer der Sprecher von FfF in einem Interview verkündet.29 Wie ernst diese junge Klimaschutzbewegung und vor allem ihr Aushängeschild FfF auch künftig genommen werden können, hängt u.a. auch davon ab, wie erfolgreich sich ihre Protagonisten künftig von der linksextremistischen Szene abgrenzen und ihre Eigenständigkeit bewahren können.


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Anmerkungen

 

  1. Dr. Udo Baron ist seit 2008 als Referent für den Bereich Linksextremismus im Niedersächsischen Verfassungsschutz zuständig.
  2. Vgl. „Fridays for Future“ - Kundgebung. Millionen fürs Klima, in: www.tagesschau.de/inland/klimastreiks-friday-for-future-105.html (gelesen am 25.2.2020).
  3. Vgl. Udo Baron, Linksextremisten in Bewegung, in: www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/261924/linksextremisten-in-bewegung (gelesen am 20.2.2020).
  4. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Entstehung und Entwicklung der MLPD, in: ders., Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bonn 2015, S. 102-109, hier: S. 102.
  5. Vgl. Armin Pfahl-Traughber, Die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD). Eine analytische Betrachtung zu Entwicklung und Stellenwert einer politischen Sekte, in: www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/33628/mlpd?p=0 (gelesen am 9.2.2020).
  6. Vgl. Parteiprogramm der MLPD, in: www.mlpd.de/parteiprogramm (gelesen am 18.2.2020).
  7. Vgl. Stefan Engel, Katastrophenalarm: Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?, Essen 4. Auflage 2014.
  8. Vgl. In der neuen Umweltgewerkschaft steckt viel MLPD, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 16.2.2015, in: www.waz.de/staedte/gladbeck/in-der-neuen-umweltgewerkschaft-steckt-viel-mlpd-id10359780.html (gelesen am 10.2.2020).
  9. Grundsatzprogramm der Umweltgewerkschaft e.V., in: www.umweltgewerkschaft.org/de/
  10. Vgl. Deutsche Kommunistische Partei (Hrsg.), Programm der Deutschen Kommunistischen Partei. Beschlossen vom Mannheimer Parteitag der DKP, 20.-22.10.1978, Düsseldorf 1978, S.7.
  11. Vgl. Udo Baron, Kalter Krieg und heißer Frieden – Der Einfluss der SED und ihrer westdeutschen Bündnisorganisationen auf die Partei „Die Grünen“, Münster et al. 2003.
  12. Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Kommunistische Diskussionsbeiträge zu #FridaysForFuture, in: www.dkp-mv.de/kommunistische-diskussionbeitraege-zu-fridaysforfuture/ (gelesen am 17.2.2020).
  13. Vgl. Deutsche Kommunistische Partei (DKP), 20.9.2019: Klimastreik und Systemkritik, in: www.redglobe.de/deutschland/umwelt/54584-20-september-2019-klimastreik-und-systemkritik (gelesen am 17.2.2020).
  14. Interventionistische Linke (IL), IL im Aufbruch – ein Zwischenstandspapier, in: interventionistische-linke.org/positionen/il-im-aufbruch-ein-zwischenstandspapier (gelesen am 25.2.2020).
  15. Vgl. Udo Baron, Vom Autonomen zum Postautonomen – Wohin steuert die autonome Bewegung?, in: Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.), Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2015/16 (II), Brühl/Rheinland 2016, S.
  16. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der AfD, Drucksache 19/15300 vom19. November 2019. Darin hält die Bundesregierung fest: „Hinsichtlich ‚Extinction Rebellion‘ (XR) bestehen nach Erkenntnis der Bundesregierung keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen.“ Und weiter: „Organisatorische Verbindungen [zu Linksextremisten] sind bisher nicht bzw. nur anlassabhängig zu erkennen.“
  17. Interventionistische Linke (IL), Raus aus der Kohle – aber wie?, in: interventionistische-linke.org/beitrag/raus-aus-der-kohle-aber-wie (gelesen am 13.2.2020).
  18. Ende Gelände 2020. Kohle stoppen. Klima schützen. Pressemitteilung v. 23.0.2019, in: www.ende-gelaende.org/press-release/pressemitteilung-vom-23-09-2019/ (gelesen am 4.2.2020. Üblicherweise treten ihre Akteure dabei in weißen Maleranzügen in Aktion.
  19. Interventionistische Linke (IL) Ende Gelände 2016, in: interventionistische-linke.org/beitrag/ende-gelaende-2016 (gelesen am 25.2.2020).
  20. Interventionistische Linke (IL), Globale Solidarität statt systemischer Wahnsinn, in: interventionistische-linke.org/beitrag/globale-solidaritaet-statt-systemischer-wahnsinn (gelesen am 24.2.2020).
  21. Fridays for Future, Unsere Forderungen an die Politik, in: fridaysforfuture.de/forderungen/ (gelesen am 17.2.2020.
  22. Vgl. Statistics/List Towns, in: fridaysforfuture.org/statistics/list-towns (gelesen am 17.2.2020).
  23. Fridays for Future auf der XXV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, in „Junge Welt“ v. 20.12.2019, S. 4.
  24. Vgl. Baron, Kalter Krieg (Anm. 10).
  25. Vgl. Ralph Hub, Fridays for Future in München: Demo zur Siko geplant, in: www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.am-14-februar-fridays-for-future-in-muenchen-demo-zur-siko-geplant (gelesen am 27.2.2020).
  26. Vgl. Helene Bubrowski/Matthias Wyssuwa, Grenzen verschwimmen. Wie Extremisten Anschluss an die Mitte suchen, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ v. 26.8.2019.
  27. Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.2019 – 11 ME 385/19 -, juris.
  28. Vgl. Antwort der NRW-Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3206 der AfD v. 29.11.2019, Drucksache 17/8343 vom 23.12.2019.
  29. Vgl. Interview mit Linus Steinmetz, in „Junge Welt“ v. 27./28.4.2019, S. 2.