Innere Sicherheit weiterdenken: Ausgrenzung, Hass und Gewalt

mit einem Bericht zur 65. Herbsttagung des BKA (Teil 2)


Von Prof. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.

 

Im ersten Teil des Aufsatzes wurde Hasskriminalität zunächst als kriminalwissenschaftliche Begriffskategorie dargestellt und in einem knappen Exkurs in die Signifikanz und Genese von menschlichem Hass aus psychologischer und soziologischer Sicht eingeführt. Zudem wurde Hasskriminalität im deutschen Strafrecht beschrieben. Der zweite Teil wird wesentliche Inhalte der 65. BKA-Herbsttagung1, die sich mit den Herausforderungen für den Rechtsstaat und insbesondere für die Sicherheitsbehörden, die aus Vorurteilskriminalität erwachsen, befasst hat, widerspiegeln. In der Einladung zur Herbsttagung kennzeichnete das BKA das Phänomen Hasskriminalität als Symptom sozialen Integrationsverlustes und warf zugleich Fragen nach den Ursachen für eine diagnostizierte tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft, nach Faktoren, die das demokratische Miteinander gefährden bzw. fördern, auf. Diesen Fragen und der Relevanz des Phänomens für die Sicherheitsbehörden ging die Tagung nach.

 

1 Die innenpolitische Perspektive

 

… auf Hass, Hetze und vorurteilsgeleitete Kriminalität verdeutlichte der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hans-Georg Engelke. Der Umgang mit Hasskriminalität sei, so hob er hervor, stets ein Ringen um einen angemessenen Ausgleich von Positionen. Die Komplexität beginne bereits damit, dass es beim Kampf gegen Ausgrenzung und Hass nicht nur Schwarz-Weiß gäbe, sondern viele Grauzonen. Es gehöre fraglos zu den schwierigsten Aufgaben des Staates, eine Balance zwischen Persönlichkeitsrechten und Meinungsäußerungsfreiheit, Ehrschutz und Pressefreiheit oder Diskriminierungsfreiheit und allgemeiner Handlungsfreiheit zu finden.


Ausführlich ging der Redner auf das am 30.10.2019 durch die Bundesregierung verabschiedete Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität ein. Neben der im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu verankernden Meldepflicht für Telemedienanbieter gegenüber dem BKA, beinhaltet dieses Bündel von Maßnahmen u. a. auch den verbesserten Schutz von Lokalpolitikern und Angehörigen des medizinisches Personal von ärztlichen Notdiensten und in Notfallambulanzen vor Hassdelikten.2


Der Umfang und die Geschwindigkeit der Verbreitung von Hetze und Hass in der gespaltenen deutschen Gesellschaft stellten besondere Anforderungen an die Sicherheitsbehörden. Vor diesem Hintergrund erklärte der Redner, dass die Sicherheitsbehörden personell und materiell adäquat ausgestattet sein müssten. Er begrüßte es daher ausdrücklich, dass das Bundeskriminalamt, wie auch andere Sicherheitsbehörden sichtbar gestärkt aus den aktuellen Haushaltsverhandlungen hervorgegangen seien. Allein das BKA erhalte im Jahr 2020 über 800 neue Stellen und rund 65 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.


Engelke hob weiter hervor, dass zu einer langfristigen Strategie gegen Hass und Gewalt neben dem sicherheitsbehördlichen Ansatz auch eine Weiterentwicklung der politischen Kultur, eine Heimatpolitik, die die Gesellschaft eine und nicht spalte, und nicht zuletzt politische Bildung gehörten.

 

2 Die Perspektive des BKA – Hasskriminalität – Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden


Bereits im Rahmen seiner Begrüßung hatte BKA-Präsident Holger Münch darauf hingewiesen, dass rechtsmotivierte Straftaten seit Jahren über die Hälfte der politisch motivierten Delikte insgesamt ausmachten. Ein ähnliches Bild zeige sich bei den Gewaltstraftaten und den fremdenfeindlichen und antisemitischen Delikten, die ebenfalls überwiegend rechtsmotiviert seien. Deshalb konzentriere er sich in seinem Vortrag auf die politisch motivierte Kriminalität des rechten Spektrums.

2.1 Exkurs Lagebild

Die Fallzahlen der Hasskriminalität sind, so das Lagebild Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) des BKA für 2018 gegenüber dem Jahr 2017 leicht gestiegen.3 8.113 waren es in 2018 gegenüber 7.913 im Vorjahr. Den überwiegenden Anteil machten fremdenfeindliche Straftaten aus, die im Vergleich zum Vorjahr um 19,7% zugenommen hatten (2018: 7.701; 2017: 6.434). Antisemitische Straftaten waren um 19,6% gegenüber dem Jahr 2017 angestiegen (2018: 1.799; 2017: 1.504). Nach wie vor sind diese Delikte überwiegend dem Phänomenbereich PMK -rechts- zuzuordnen (89,1%). Darüber hinaus werden seit Januar 2017 Straftaten in den zusätzlich eingeführten Unterthemen „antiziganistisch“, „christenfeindlich“, „islamfeindlich“ und „sonstige ethnische Zugehörigkeit“ gesondert erfasst. Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 121 christenfeindliche Straftaten erfasst (2017: 129). Ein großer Teil dieser Straftaten (47; entspricht 39% an allen christenfeindlichen Straftaten; 2017: 84) wurde dem Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie- zugeordnet, 42 Straftaten entfallen auf den Phänomenbereich PMK -rechts- (2017: 20). Im Jahr 2018 wurden insgesamt 910 Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund erfasst (2017: 1.075). 840 Straftaten davon entfielen auf den Phänomenbereich PMK -rechts-, was einen Anteil von 92,3% dieser Straftaten ausmacht (2017: 994). Im Unterthema „antiziganistisch“ wurden für das Jahr 2018 insgesamt 63 Straftaten gemeldet (2017: 41), davon entfielen 58 Straftaten auf den Bereich PMK -rechts- (2017: 39). 56 Straftaten richteten sich im Jahr 2018 gegen sonstige ethnische Zugehörigkeiten (2017: 31).


Bei Delikten, die sog. Hasspostings zugeordnet werden, ist 2018 interessanterweise ein statistischer Rückgang gegenüber dem Vorjahr festzustellen.

 



Hier sei ausdrücklich auf die Ausführungen von Thomas-Gabriel Rüdiger auf der Herbsttagung verwiesen, der den Ressourceneinsatz deutscher Polizeien im Bereich der Internetkriminalität kritisch betrachtet und die Entwicklung der entsprechenden Fallzahlen in diesem Kontext analysierte.

 


In seinen weiteren Ausführungen unterstrich der BKA-Präsident, dass die Bedrohung von rechts virulent sei und wachse und sie könne, das wisse man spätestens seit den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), bis hin zur Bildung von terroristischen Gruppierungen innerhalb des rechten Spektrums reichen. Man stelle auch fest, dass es unverändert fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen in unserer Gesellschaft gebe. Man verzeichne eine beispiellose Welle von Hasskriminalität, darunter auch Morddrohungen und Gewaltaufrufe gegen Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. Diese Aussagen fanden sich auch im Redebeitrag des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg wieder, der einen dramatisch gesunkenen Ansehensverlust der Politik und ein „Politiker-Bashing“ sowohl auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene konstatierte.

2.2 Handlungserfordernisse für das BKA

Aus dem dargestellten Bedrohungsszenario leitete Münch eine Reihe Handlungserfordernissen ab. Dazu gehörten:

 

  • Anpassung des erprobten Instruments RADAR-iTE an die Erfordernisse der Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität rechts
  • Überprüfung, ob die aktuelle Zahl der 46 Gefährder und 126 relevanten Personen bereits ein realistisches Bild der Lage zeichnet
  • Intensivierung der operativen Informationserhebung zum Sichtbarmachen von Schnittstellen zwischen rechter Szene und Allgemeinkriminalität
  • rechten Hetzern und Straftätern ihren „digitalen Resonanzraum“ zu entziehen
  • Aufbau einer Zentralstelle zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet beim BKA mit dem Ziel
    • des Ausbaus des Monitorings im Internet und
    • der Feststellung der Urheber von rechten Hassbotschaften im Internet, um dieser einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen.

Um das zu erreichen, sollten die Telemediendienstleister künftig dazu verpflichtet werden, verdächtige Inhalte einschließlich der dazugehörigen IP-Adressen an die Strafverfolgungsbehörden auszuleiten. Auch insoweit nahm Münch Bezug auf die Ausführungen von Staatssekretär Engelke und das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.


Neben einer Reihe weiterer Aufgaben für das Bundeskriminalamt betonte der Redner auch, dass es wichtig sei, weiterhin sehr genau hinschauen, was in den eigenen Reihen geschehe. Fortlaufend müsse überprüft werden, ob Präventionsmaßnahmen, beispielsweise die regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, noch ausreichend seien.

 

3 Die Perspektive der Totalitarismusforschung – Die Bedeutung von Feindbildern für Hasskriminalität


Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen rechter, linker und islamistischer Hasskriminalität betrachtete der Stellvertretende Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden Prof. Uwe Backes im Rahmen seines Vortrages. An den Beginn seiner Ausführungen stellte der Redner die Feststellung, dass extremistische Gewalt-Radikalisierung auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen sei. Allerdings sei sie ohne das Verstehen der oft manichäischen4, also eine auf Reinheit beruhende, Freund-Feind-Wahrnehmung der politischen Kontrahenten nicht angemessen zu verstehen. Darauf beruhe sowohl das politische Selbstverständnis als auch die Legitimierung von Gewalt und Hass. Feindbilder erfüllten wichtige Funktionen in extremistischen Milieus. Sie wirkten einerseits integrierend, indem sie heterogene Akteure im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind vereinten. Sie wirkten weiterhin mobilisierend, indem sie Gefahren beschwörten, die es gemeinsam abzuwehren gelte. Sie wirkten legitimierend, da der Kampf gegen die Feinde das eigene politische Handeln mit Sinn erfülle und sie wirkten letztlich ideologisierend, da sie Weltdeutungen transportierten, die den heroischen Kampf der Gerechten mit einem vage umrissenen Zukunftsziel verbinden würden, so Backes.


In seinen weiteren Ausführungen verdeutlichte der Redner, dass Feindbilder in den einzelnen Milieus Veränderungen unterlägen. So sei etwa bei rechtsextremistischen Akteuren eine Abschwächung des Antikommunismus festzustellen. Hingegen seien Positionierungen wie „Kampf gegen den Islam als Rückeroberung des eigenen Landes“, „Verteidigung des jüdisch-christlichen Abendlandes“ oder „Mit den Juden gegen die Muslime“ festzustellen. Im linksextremistischen Spektrum sei zunehmend eine Verknüpfung des Antifaschismus mit Antikapitalismus, Antirepression, Antigentrifizierung, Antiimperialismus zu verzeichnen. Antirepression richte sich gegen Repräsentanten des Staates, der Wirtschaft und Finanzwelt. Neuerdings würden zunehmend Verknüpfungen mit der sog. Klimakatastrophe hergestellt.


Bei der Entwicklung der Feindbilder für Dschihadisten und militante Salafisten wiederum sei festzustellen, dass militante Linke und Rechte in der Regel Teil einer größeren Feindgemeinschaft, die durch ihren Unglauben, ihre gotteslästerlichen Ansichten und Lebensweisen („nicht-rechtgläubige“ Muslime eingeschlossen) gekennzeichnet sei, zugeordnet würden.


Zum Schluss seiner Ausführungen erläuterte der Redner Wechselbeziehungen und Interaktionsmuster zwischen den Täter- und gefährdeten Opfergruppen.

 

4 Hasskriminalität im digitalen Raum


Thomas-Gabriel Rüdiger, Cyberkriminologe und Dozent an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg griff nicht nur die durch mehrere Vorredner recht allgemein angedeutete Resonanzverstärkung von Hass durch das Internet und speziell durch die sozialen Medien auf. Er erläuterte, worin diese aus seiner Sicht bestünden und verdeutlichte zudem, dass die Konfrontation mit Hass im Netz sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch ihrer Alltäglichkeit zu einem gesellschaftlichen Problem von bedrückendem Ausmaß herangewachsen sei. Eine Studienreihe der Landesanstalt für Medien NRW belege, dass 96% der Befragten 14 bis 24Jährigen im Jahr 2018 im Internet im Allgemeinen bereits mit Hasskommentaren konfrontiert worden seien. Insgesamt 73% begegneten Hasskommentaren im Netzt sogar häufig bis sehr häufig. Diese Erfahrungen veranlassten 38% der Befragten, sich erst gar nicht im Internet zu äußern, um sich nicht Anfeindungen auszusetzen. Unter Bezugnahme auf die bereits im Jahr 1968 durch Popitz veröffentlichte Theorie der „Präventivwirkung des Nichtwissens“ unterstrich der Redner weiter, dass diese über den digitalen Raum in Ansätzen aufgebrochen werde. Das Dilemma bestehe, so Rüdiger, darin, dass viele Menschen einerseits feststellten, dass Tathandlungen im Internet begangen würden und andererseits eine staatliche Sanktionierung nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrnehmen würden. Allerdings, erklärte der Redner, sei der Versuch, alle Tathandlungen im Internet verfolgen zu wollen, zum Scheitern verurteilt, da er das System überfordern würde. In seinen weiteren Ausführungen bezog sich Rüdiger auf eine These von Balschmiter aus dem Jahr 2017, dass die positive Gesamtentwicklung der Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in den vergangen Jahren vornehmlich auf einer Verlagerung von Delikten in den digitalen Raum basiere.5 Da die Ressourcen der Sicherheitsbehörden aber offenbar nicht im gleichen Maße mit verschoben wurden, existiere in der PKS zwar ein insgesamt verringertes Hellfeld, aber kein gestiegenes Hellfeld für digitale Delikte.

 



Unter Verweis auf die Broken Windows Theorie von Wilson/Kelling6 stellte Rüdiger den sog. Broken Web Circle (Abb.) dar und entwickelte Thesen, wie dieser zu durchbrechen sei. Im Vergleich zur Broken Windows Theorie, verkörperten dabei die eingeschlagenen digitalen Fensterscheiben, also die beschriebenen sichtbaren Begegnung mit Kriminalität im digitalen Raum ohne staatliche Reaktionen, eine Art Broken Web Phänomen.7 Die Gesellschaft habe es zugelassen, dass Menschen heranwüchsen, die im digitalen Raum sozialisiert würden, ohne dass sie erlebten, dass der Rechtstaat in diesem seine Regeln durchsetze und z.B. durch sichtbare digitale Polizeistreifen im öffentlichen Bereich des Internets auch aktiv sein Gewaltmonopol wahrnehme. Zum Aufbrechen des Broken Web Kreislaufs schlug Rüdiger insbesondere eine deutlich verstärkte Internetpräsenz der deutschen Polizeien vor und regte ein Nachdenken über die Einführung des Opportunitätsprinzips bei derartigen Delikte an.

 

5 Die nachrichtendienstliche Perspektive – Früherkennungs- und Analysefähigkeiten weiterentwickeln!


In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass Hass und Gewalt zu den besonderen Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden gehörten. Wie andere Redner auch, bezog er sich dabei insbesondere auf das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten

Dr. Walter Lübcke und den Anschlag auf eine Synagoge in Halle.


Dabei hob er hervor, dass sprachliche Gewalt den Boden für reale Gewalt, Hass, Radikalismus und Extremismus bereite.


Die Ursachen für diese Entwicklungen sah der Redner insbesondere in

  • einem offensichtlich fruchtbaren Nährboden für Extremismus, der sich u.a. aus Krisen, Kriegen und Konflikten, zunehmenden Ungewissheiten bezüglich der eigenen und gesellschaftlichen Zukunft und dem Wegbrechen alter Gewissheiten speise;
  • einer zunehmenden Polarisierung der politischen Kultur in feindselige Lager, dem anwachsenden Vertrauensverlust gegenüber Leitmedien und öffentlichen Funktionsträgern und damit einhergehend einer allgemeinen Verrohung des politischen Klimas sowie
  • im Wegbrechen von ehemals trennscharfen Brandmauern zur Mitte der Gesellschaft.

Zu den Aufgaben seines Amtes im Kontext der beschriebenen Herausforderungen zählte Haldenwang u.a.:

  • die Verstärkung der nachrichtendienstliche Vorfeldaufklärung, um die Informationsgewinnung zu verbessern
  • die Stärkung der Analysekompetenz – gerade im digitalen Einsatzraum
  • den Ausbau der operativen Internetbeschaffung, um relevante Plattformen aufklären zu können und ein digitales Lagebild zu erzielen, das „Laufwege“ von Hass und Hetze sowie Radikalisierungsverläufe widerspiegele

 

6 Das Spektrum der Redner …


reichte auch in diesem Jahr wieder von Praktikern aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden über Wissenschaftler bis zu Vertretern der Zivilgesellschaft. Weitere Redner der Tagung waren u.a. Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe, Sozialpsychologe und Publizist, Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW), der Journalist Frank Jansen, der ehemalige Ortsbürgermeister der Gemeinde Tröglitz, Markus Nierth sowie der Leiter der neuseeländischen Polizei, Mike Bush, der zum Tathergang des Terroranschlags auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch am 15. März 2019 als auch zu den bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen zum Tatverdächtigen referierte.

 

7 „Gehasst wird aufwärts und abwärts …“8


Diese Feststellung der Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Carolin Emcke, die sich dabei auf den italienischen Philosophen Giorgio Agamben9 bezog, verdeutlicht, dass es sich bei Hass um ein ubiquitäres Phänomen handelt, dass Hass also in faktisch allen Milieus vorkommt und unabhängig von den sozialen Stellungen der Hassenden, deren Bildungsgrad oder weltanschaulicher bzw. religiöser Positionierungen existiert.


Beispiele ließen sich in einer lange Reihe aufführen: Neben dem aus mutmaßlich rechtsextremistischer Motivation begangenen Tötungsverbrechen an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und damit verbundenen Hasspostings10 steht etwa das Verbot eines Auftrittes von palästinensischen „Hass-Rappern“ am Brandenburger Tor, die dazu aufgerufen hatten, Juden zu zertreten und Tel Aviv zu bombardieren11. Da stoßen die von „Fans“ des Fußballvereins Borussia Dortmund gezeigten Hassplakate in Fußballstadien der Bundesliga (zuletzt im Dezember 2019) gegen den Mäzen des Profifußballvereins TSG 1899 Hoffenheim, Dietmar Hopp12, genauso ab, wie die menschenverachtende Aufforderung einer „Comedian“, man müsse die Stadt Chemnitz wegen ihrer „braunen Gesinnung“ mit Napalm bombardieren13 oder die Einschüchterungsversuche und Hassausbrüche, mit denen Täter ein schwules Paar in Köln drangsalierten14.

 

8 Gräben zuschütten oder vertiefen? Auf Hass mit Hass antworten?


(Nicht nur) auf der BKA-Herbsttagung wurde es deutlich ausgesprochen: Hass hat in einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft nichts zu suchen und ihm ist überall, wo er durch Menschen geäußert und verbreitet wird, entschieden zu begegnen. Ob alle Reaktionen, auch der Judikative, geeignet sind, Gräben zuzuschütten, darf vor dem Hintergrund etwa des Beschluss des LG Berlin (27 AR 17/19) zu massiven Beleidigungen gegenüber der Grünen-Politikerin Renate Künast15 oder der Entscheidung des BVerfG vom 16.1.2017 zu dem natürlich nur als massive Beschimpfung anzusehenden Slogan „All Cops Are Bastards“ (A.C.A.B.)16 durchaus hinterfragt werden.


Eher fragwürdig, weil destruktiv, erscheint etwa die durch den Deutschlandfunk publik gemachte Forderung des Musikkritikers Jens Balzer, „Wir müssen wieder hassen lernen – und zwar richtig.“ Und das hieße jene zu hassen, die bestimmen wollten, wer mehr und wer weniger wert sei, die glaubten, uns sagen zu dürfen, wie andere leben sollten, wen man lieben und mit wem man zusammenleben dürfe, erklärte Balzer.17 Fragwürdig erscheint dieser Aufruf nicht nur, weil hier Grundwerte einer aufgeklärten und offenen Gesellschaft missachtet werden; fragwürdig auch deshalb, weil damit genau das dualistischen Weltbild, das die Zuordnungen in die Guten und die Bösen, in schwarz und weiß vornimmt, die den gesellschaftsgefährdenden Charakter von Hass ausmachen, als Wertmaßstab für die Beurteilung menschlichen Handelns angelegt wird. Die bereits zitierte Carolin Emcke widerspricht einem solchen gedanklichen Ansatz vehement, indem sie fordert: „Fanatismus und Rassismus muss nicht nur in der Sache, sondern auch in der Form widerstanden werden. Das bedeutet eben nicht, sich selbst zu radikalisieren. Das bedeutet eben nicht, mit Hass und Gewalt das herbeiphantasierte Bürgerkriegsszenario (oder das einer Apokalypse) zu befördern. Es braucht vielmehr ökonomische und soziale Interventionen an den Orten und in den Strukturen, wo jene Unzufriedenheit entsteht, die in Hass und Gewalt umgeleitet wird.“18 Kriminalistik und Kriminologie haben hierbei eine nicht zu unterschätzende, wenngleich natürlich nicht eine alleinige oder prominente Rolle zu spielen.

 

9 Fazit


Die Bedeutung gesellschaftlicher Spaltungsprozesse, die Entstehung und die Auswirkungen von Hass und damit einhergehende Herausforderungen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden waren das zentrale Thema der 2019’er Herbsttagung des BKA. Sie war wohl eine der politischsten in der Geschichte dieser Veranstaltungsreihe; eine übrigens erneut ausgezeichnet organisierte Tagung, die bei den Teilnehmern viel Nachdenklichkeit erzeugte und eine Vielzahl von Handlungserfordernissen (nicht nur) für die Sicherheitsbehörden aufzeigte.

 

Bildrechte: Prof. Ralph Bertel, Frankenberg/Sa.

 

Anmerkungen

 

  1. Im Rahmen dieses Aufsatzes kann nur exemplarisch auf einige Inhalte der Tagung eingegangen. Eine umfassende Übersicht über alle (dem Bundeskriminalamt als Dateien) vorliegenden Redebeiträge können auf der Homepage des BKA eingesehen werden. www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/
  2. Ausführlich: www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2019/10/ kabinett-beschliesst-massnahmen-gg-rechtsextrem-u-hasskrim.html sowie www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2019/massnahmenpaket-bekaempfung-rechts-und-hasskrim.pdf; Abruf: 20.12.2019.
  3. Statistische Angaben vgl. Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat, Politisch Motivierte Kriminalität im Jahr 2018, Bundesweite Fallzahlen, S. 5 – 6, www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2019/pmk-2018.pdf, Abruf: 26.12.2019.
  4. Manichäismus ist eine nach ihrem Begründet, dem Perser Mani (* 14. April 216 † 276/277) benannte dualistisch-gnostische Religion der Spätantike und des frühen Mittelalters. Sie verlangt einerseits von den Menschen Askese und Reinheit, um zur Erlösung zu gelangen. Andererseits teilt sie die Welt und Menschen in Gut und Böse ein und betrachtet die Welt als Schauplatz eines Kampfes zwischen, zwischen den Mächten des Lichtes und denen der Finsternis. (https://anthrowiki.at/Manich%C3% A4ismus, Abruf: 21.12.2019.
  5. Balschmiter, Peter, et al. Erste Untersuchung zum Dunkelfeld der Kriminalität in Mecklenburg-Vorpommern. Abschlussbericht, 2017, S. 54, www.fh-guestrow.de/doks/forschung/dunkelfeld/Abschlussbericht_ 2017_11_05.pdf, Abruf: 11.12.2019.
  6. Zur Broken Windows Theorie vgl. u. a. www.krimlex.de/artikel.php, Abruf: 26.12.2019.
  7. Rüdiger, Thomas-Gabriel: Das Broken Web: Herausforderung für die Polizeipräsenz im digitalen Raum. In: Thomas-Gabriel Rüdiger und Petra Saskia Bayerl (Hg.): Digitale Polizeiarbeit. Herausforderungen und Chancen. Wiesbaden: Springer VS (Research), 2018, S. 259.
  8. „Gehasst wird aufwärts und abwärts, in jedem Fall in einer vertikalen Blickachse, gegen „die da oben“ oder „die da unten, immer ist es das kategorial ‚Andere‘, das das ‚Eigene‘ unterdrückt oder bedroht, das ‚Andere‘ wird als vermeintlich gefährliche Macht oder als vermeintlich minderwertiges Ding phantasiert – und so wird die spätere Misshandlung oder Vernichtung nicht bloß als entschuldbare, sondern als notwendige Maßnahme aufgewertet. Der Andere ist der, den man straflos denunzieren oder missachten, verletzen oder töten kann.“ Emcke, Caroline, Gegen den Hass, 3. Aufl. 2016, S. 12.
  9. Agamben, Giogio, Homo Sacer, Die Souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2002.
  10. www.bild.de/regional/frankfurt/frankfurt-aktuell/nach-mord-an-walter-luebcke-lka-prueft-mehr-als-100hassbotschaften-63889660.bild.html, Abruf: 3.12.2019.
  11. www.morgenpost.de/berlin/article227189291/Brandenburger-Tor-Innenverwaltung-verbietet-Auftritt-von-antisemitischen-Rappern.html, Abruf: 3.12.2019.
  12. www.sportbuzzer.de/artikel/dietmar-hopp-bvb-fans-beleidigung-kritik-plakate -hass-strafe-stadion-verbot/; www.derwesten.de/sport/fussball/bvb/borussia-dortmund-bvb-dietmar-hopp-id215402577.html, Abruf: 22.12.2019.
  13. https://www.youtube.com/watch?v=uVqSZlSQKz4, Abruf: 3.12.2019.
  14. m.focus.de/regional/koeln/koeln-morddrohung-und-hakenkreuze-koelner-schwulen-paar-wir-haben-angst-um-unser-leben_id_11417695.html, Abruf: 3.12.2019.
  15. www.handelsblatt.com/politik/deutschland/umstrittene-entscheidung-urteil-gegen-kuenast-anwaelte-zeigen-berliner-richter-an/25062430.html, Abruf: 22.12.2019.
  16. Das BVerfG spricht in seiner Entscheidung u.a. davon, dass die Parole „A.C.A.B.“ „eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck bringe“. Es handele sich damit um eine Meinungsäußerung im Sinne der vom Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit. Beleidigt werde ja nicht der einzelne Beamte, sondern das gesamte Kollektiv und seine soziale Funktion. 1 BvR 1593/16, www.bundesverfassungsgericht. de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/01/rk20170116_1bvr159316.html.
  17. www.deutschlandfunkkultur.de/umgang-mit-rassismus-hassen-ja-aber-das-richtige.1005.de.html, Abruf: 22.12.2019.
  18. Emcke, a.a.O. S. 190.