Kriminalitätsbekämpfung

Der Tatortbefundbericht:

„Die Subjektivität desobjektiven Befundes“

2.2 Ursachen

Die Ursachen für den hohen Anteil subjektiver Einflüsse in der Berichterstellung einerseits sowie dem beim Leser erzeugten Eindruck der Tatortsituation andererseits sind vielfältig und werden hier nur kurz angeführt. Die selektive Wahrnehmung schützt unser Gehirn vor Reizüberflutung, wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, auf das für uns Wichtige, Interessante oder Vertraute.


„Wusstest Du, dass das das Gehirn unnötige Informationen automatisch ignoriert?“8 Ist Ihnen beim Lesen aufgefallen, dass im vorstehenden Satz ein „das“ zu viel vorhanden ist?


Selektive Wahrnehmung, die frühzeitige Unterscheidung in wichtig und unwichtig, ist aber der Fertigung eines objektiven Befundes nicht zuträglich. Andererseits ist es nicht möglich, jedes kleine Detail zu erfassen und zu beschreiben, für den Fall, dass es im aktuellen Fall doch von Bedeutung ist. In Abhängigkeit der Fähigkeiten des Beschreibenden werden Genauigkeit und Objektivität durch die Wahl von Begrifflichkeiten, Umschreibungen, Interpretationen und Wertungen zusätzlich eingeschränkt.


Die Leser werden das Geschriebene ihrerseits gemäß ihrer eigenen Vorstellung interpretieren – oftmals ohne am Ende eine realistische Vorstellung von dem zu haben, was der Verfasser ursprünglich gemeint hat. Die Praxis zeigt, dass selbst ausführliche Berichte in Gerichtsverhandlungen der Nachfrage, Konkretisierung und Erläuterung bedürfen.


Nachfolgendes Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus einem, wie ich meine, gut geschriebenen Tatortbefundbericht:


„… Die betroffenen Objekte liegen direkt an der Friedrich-Ebert-Straße, einer in Nord-/Südrichtung verlaufenden Hauptstraße mit in der Fahrbahnmitte verlegten Schienen der ÖPNV-Linie 901, ohne eigenen Gleiskörper …


…Die Häuser Nr. 330 und 332 bilden gemeinsam mit den benachbarten Gebäuden eine geschlossene Häuserfront. Das Haus Nr. 330 bildet eine Eckfront, deren südlicher Gebäudeteil um etwa vier Meter in Richtung Straße vorversetzt ist. Es handelt sich um 4-geschossige Wohnhäuser mit jeweils einem Ladenlokal im Erdgeschoss. Das Gebäude Nr. 330 beherbergt einen Kiosk mit begehbarem Ladenlokal, in Haus 332 befindet sich ein Friseursalon …


… Fenster und Türen beider Häuser weisen insgesamt 13 Schussbeschädigungen auf, die von Süd nach Nord mit E1 bis E13 gekennzeichnet wurden. E1 bis E9 befinden sich in der Kiosktür und der angrenzenden Fensterfront. Sie verlaufen bei E1 beginnend, kontinuierlich abwärts, von 226 cm bis 102 cm Höhe. Die Beschädigung E10 liegt in der Haustür von Nr. 330 in einer Höhe von 127,5 cm. Die Einschüsse E11 bis E 13 liegen in der Fensterfront des Friseursalons und verlaufen aufwärts von

118 cm bis 170 cm Höhe …“


Der geneigte Leser kann anhand dieses Textauszugs selbst überprüfen, wie konkret er sich die Tatortsituation vorstellen kann.

2.3 Problemlösung

2.3.1 Althergebrachte Verfahrensweise

Bei der dargestellten Problematik handelt es sich zugegebenermaßen nicht um neue Erkenntnisse. Darum hat sich in der polizeilichen Praxis die Ergänzung des Tatortbefundberichtes durch

 

  • Skizzen (je nach Bedarf mit oder ohne Maßstab),
  • Lichtbildmappen,
  • vollsphärische Digitalaufnahmen und Dokumentationssoftware,
  • Laserscanner oder
  • elektrooptische Messverfahren

längst als notwendig erwiesen und bewährt.


Allerdings wird nach wie vor überwiegend an der umfassenden Beschreibung der Tatortsituation festgehalten, die, insbesondere bei Kaptaldelikten, durchaus einen Umfang von 20 Seiten DIN A4 oder mehr haben kann. Ergänzt wird dieser ausführliche Text dann durch eines der vorstehend genannten Hilfsmittel, vorzugsweise in Form einer Lichtbildmappe.


So stammen beispielsweise nachfolgende Lichtbilder aus der ergänzend zum Text aus Kapitel 2.2.1 erstellten Lichtbildmappe:

 

Abb. 2: Übersicht Tatort, Fahrtrichtung Brauerei (Süden).

 

Abb. 3: Kiosk mit Schussbeschädigungen 1 bis 10.


Die Ergänzung des Tatortbefundberichtes durch Lichtbilder vermittelt einen recht genauen und objektiven Eindruck der Tatortsituation. Darüber hinaus unterliegen die Fotos eben nicht der selektiven Wahrnehmung, so dass, wenn sie nach den Grundsätzen der kriminalistischen Fotografie gefertigt werden, auch Details erfasst werden, die der Verfasser des objektiven Befundes zunächst als unwichtig erachtet hat. In Zeiten von Arbeitsverdichtung und Personalknappheit muss es allerdings erlaubt sein, auch über Arbeitsökonomie nachzudenken, wenn damit keine Qualitätseinbußen einhergehen.