Wissenschaft  und Forschung

Wirtschaftskriminalität durch entgleiste Führungskräfte

Analysen zu Derailment und Managerversagen

8 Die „dunkle Triade“ als persönlichkeits-psychologisches Erklärungsmodell

 

Die „dunkle Triade“ ist ein psychologisches Persönlichkeitskonstrukt, das auf die kanadischen Psychologen Delroy Paulhus und Kevin Williams von der University of British Columbia in Vancouver zurückgeht.7 Die „dunkle Triade“ ist die meist recht gefährliche Kombination von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. In moderaten Ausprägungsgraden kann diese Triade durchaus positive Effekte haben. Je stärker jedoch Egoismus, Selbstgerechtigkeit, emotionale Kälte, Empathiemangel, Aggressivität, Impulsivität und Risikofreude (sensation seeking) hinzukommen, desto gefährlicher wird sie. Die Leidtragenden sind dann das private Umfeld, die persönlichen Beziehungen, die Mitarbeiter im Berufsfeld und das Unternehmen als Ganzes.

Narzissmus ist meist mit einer grandiosen Selbstsicht und einem Streben nach Bewunderung verbunden. Die Merkmalsausprägung „Machiavellismus“ steht meist für ein sehr forciertes Machtstreben. Entsprechend sind solche Führungskräfte sehr autoritär, dominant und autokratisch. Sie gewinnen dann mit zunehmender Macht immer mehr die Züge von Tyrannen und Despoten. Nicht minder gefährlich ist die Merkmalsausprägung „Psychopathie“, die vor allem oft mit antisozialem Verhalten und Kriminalität assoziiert ist.

Die oben dargestellten eindrucksvollen Beispiele von Thomas Middelhoff, Heinrich Maria Schulte, Helge Achenbach und Uli Hoeneß verdeutlichen, wie relevant und aktuell dieses Thema ist. Führungskräfte mit starken Tendenzen der „dunklen Triade“ sind stark verbreitet. Dies hängt damit zusammen, dass Menschen mit diesen Persönlichkeitszügen bevorzugt in Führungspositionen gelangen und auch im Aufstieg auf der Karriereleiter oft bevorzugt werden. Bei Personalentscheidungen wie der Vergabe von Führungspositionen oder Beförderungen werden oft die positiven Seiten der dunklen Triade in den Vordergrund gestellt: selbstbewusstes Auftreten, Durchsetzungsfähigkeit, hohe Entscheidungskraft, charmantes Auftreten oder Charisma bis hin zu einer gewissen Furchtlosigkeit und Risikofreude. Die negativen Aspekte werden dann oft ausgeblendet und erst dann deutlicher wahrgenommen, wenn diese Führungskraft entgleist. Nur ein geringer Teil der Führungskräfte mit Persönlichkeitszügen der „dunklen Triade“ entgleist so stark, dass sie angeklagt werden, vor dem Richter stehen und möglicherweise zu einer Haftstrafe verurteilt werden wie die oben dargestellten Protagonisten des kriminellen Derailments (Middelhoff, Schulte, Achenbach, Hoeneß). Die nichtkriminellen Führungskräfte mit diesen Persönlichkeitszügen richten jedoch ebenfalls viel Schaden an und erzeugen viel Leid. Vor allem die Beziehungspartner im privaten Leben und die Mitarbeiter im Beruf haben unter ihren Verhaltensweisen zu leiden. Und per se sind diese Führungskräfte meist mit viel Macht ausgestattet, so dass ihre Opfer kündigen oder krank werden, während die destruktiven Führungskräfte fest im Sattel sitzen bleiben. Im Arbeitsleben wird dieses Problem zunehmend erkannt und diskutiert. Dies zeigt sich darin, dass alleine im wissenschaftlichen Springer-Verlag in den letzten Jahren drei Bücher zu diesem Thema erschienen: „Dark Leadership“ von Marco Furtner8, „Coaching und Narzissmus“ von Christoph Schneck9 sowie „Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen“ von Kai Extembrink und Moritz Keil10.

 

9 Narzissmus

 

Die Narzissmus-Komponente steht meistens für Bewunderung und Selbstüberhöhung bis zur Grandiosität oder Größenwahn. Narzissten können sich gut präsentieren und wirken charismatisch. Sie setzen ihre Kompetenzen geschickt ein, sind gute Selbstdarsteller und „verkaufen sich gut“. Narzissten folgen dem Motto: „Die anderen sind dazu da, um mich zu bewundern.“

 

10 Machiavellismus

 

Die Machiavellismus-Komponente steht für Machtbesessenheit und skrupellosem Egoismus. Machiavellisten sind sehr realistisch, haben wenig Empathie und sind emotional distanziert. Sie verfolgen rücksichtslos ihre Ziele und versuchen, andere für ihre eigenen Ziele einzuspannen und auszunutzen. Sie folgen dem Grundsatz: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Der Zweck, den sie verfolgen, ist jedoch selten auf Gemeinsamkeit, Solidarität und Kooperation hin orientiert, sondern es geht ihnen immer um die eigenen egoistischen Ziele.

 

11 Psychopathie

 

Die psychopathische Komponente zeichnet sich durch rücksichtslose, asoziale und oft kriminelle Verhaltensmuster aus. Psychopathen haben meist eine recht geringe Angst vor Konsequenzen oder Strafen, sind kaltblütig und berechnend, haben eine hohe Impulsivität, eine geringe Empathie sowie eine hohe Risikofreude (sensation seeking) und Aggressionsbereitschaft. Unter den Merkmalsausprägungen der „dunklen Triade“ erscheint hinsichtlich krimineller Entgleisung die Narzissmuskomponente noch am verträglichsten. Machiavellismus und Psychopathie hingegen prädestinieren zu einer kriminellen Entgleisung. Bei Forschern über die dunkle Triade werden deshalb diese beiden Komponenten als die „maliziösen Zwei“ genannt.

 

12 Dark Leadership

 

Mit dem Konzept der „dunklen Triade“ erfolgt meist die Fokussierung auf die Führungskraft, die diese Persönlichkeitsmerkmale zeigt. In der Praxis der Wirtschaftspsychologie, z.B. in der Personalentwicklung, Organisationsberatung, Coaching und Supervision interessiert besonders die Wechselwirkung zwischen der „dunklen Führungskraft“ und dem Unternehmen. Die Fähigkeit zum Entgleisen oder das Risiko des Abgleitens in die Kriminalität hängt stark von den Umgebungsbedingungen und der Unternehmenskultur ab.11 Es gibt Unternehmen mit starken und effizienten Kontrollsystemen oder mit wirksamer externer Beratung. Andere Unternehmen vermeiden oder verhindern jedoch diese Sicherungsinstrumente. Im Wirecard-Skandal besteht gegenwärtig der Verdacht, dass sich in der Führungsriege, insbesondere bei den Vorstandsmitgliedern eine Art „Bandenkartell“ verbündet hat. Sie haben sich eng eingeschworen, gemeinsam die kriminellen Handlungen (z.B. Bilanzfälschungen) durchzuführen und wechselseitig nach außen geheimzuhalten. Dies erfolgte unter dem Motto „Solange alle Mitwisser dichthalten, dringt nichts nach außen.“ Wirtschaftspsychologen, die besonders die Wechselwirkungen der Führungskräfte mit dem Gesamtunternehmen im Blick haben, sprechen von „Dark Leadership“. Hier ist quasi das Konzept der „dunklen Triade“ die Basis für ein Konzept von Leadership. Der Psychologie-Ordinarius Marco Furtner von der Universität Innsbruck spricht in seiner Monographie deshalb von „narzisstischer Führung“, „machiavellistischer Führung“ oder „psychopathische Führung“.12 Die „dunkle Triade“ ist hier also Basis für die genannten markanten Führungsstile. In der Arbeit von Sandra Julia Schiemann und Eva Jonas13 werden vor allem die negativen Folgen für das Unternehmen durch „Dark Leadership“ analysiert.