Recht und Justiz

„Äußerste Kraft zurück“:

Vom Kurswechsel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Versuch des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls

 

3 Auswirkungen auf ermittlungstaktische Maßnahmen im Bereich des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls


Die aktuellen Beschlüsse des 4. und 5. Senats erleichtern die Arbeit der eingesetzten Ermittlungsbeamten erheblich. Man stelle sich die bereits geschilderte Situation vor, dass die Tatverdächtigen durch Observationskräfte in den Bereich einer aus freistehenden Einfamilienhäusern bestehenden Wohnsiedlung verdeckt begleitet worden sind. Es ist hierbei angesichts der typischerweise engen Bebauung bereits eine erhebliche Herausforderung, einerseits die Fühlung nicht abreißen zu lassen, aber andererseits auch einen Abstand einzuhalten, der die Gefahr einer Entdeckung minimiert. Ferner ist der Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme sorgfältig zu wählen. Denn bei „reisenden Tätergruppierungen“ muss zwingend innerhalb der Frist des § 128 StPO ein dringender Tatverdacht bezüglich einer Straftat begründet werden, auf welche ein Haftbefehl gestützt werden könnte. Ohne einen solchen werden sich die Tatverdächtigen erfahrungsgemäß unverzüglich der Durchführung eines Strafverfahrens effektiv entziehen. Erfolgt der Zugriff vor dem Vorliegen eines unmittelbaren Ansetzens i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB, so liegt ggf. nur ein Hausfriedensbruch i.S.d. § 123 StGB vor, auf welchen sich ein Haftbefehl kaum stützen lassen dürfte. Der bereits erwähnte § 30 Abs. 2, 3. Var. StGB hilft hierbei nur sehr eingeschränkt weiter. Zum einen bedarf es mindestens zweier Tatverdächtiger. Zum anderen muss ein dringender Tatverdacht bezüglich der Verabredung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens vorliegen.27 Ein solches ist oftmals nicht ohne Weiteres zu belegen, gerade wenn die jeweiligen (potentiellen) Tatbeiträge ungleich gewichtet sind. Man denke etwa an die häufige Konstellation zweier Tatverdächtiger, wobei sich nur einer zu dem Tatobjekt begibt und der andere lediglich „Schmiere steht“. Ein zu früh durchgeführter Zugriff könnte folglich den Fortgang der Ermittlungen zu einem abrupten Ende führen. Andererseits ist ein bewusstes „Durchlaufenlassen“ eines schweren Wohnungseinbruchdiebstahls und eine anschließende vorläufige Festnahme samt Stehlgut aus offensichtlichen Gründen ausgeschlossen. Insofern sollte der Zugriff idealerweise im Moment des unmittelbaren Ansetzens zu einem Versuch i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB erfolgen. Anhand der Anforderungen, die der 4. und 5. Senat nunmehr hinsichtlich eines solchen konstituiert haben, können die Ermittlungsbeamten beim ersten Werkzeugeinsatz an dem Tatobjekt aktiv werden. Ein weiteres Zuwarten seitens der eingesetzten Kräfte wäre ohnehin nicht möglich, da bei einem Eindringen in das Tatobjekt eine unmittelbare Drittgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden könnte. Würden daher die erhöhten Anforderungen der bezeichneten Beschlüsse des 5. Senats vom 4. Juli und 1. August 2019 an ein unmittelbares Ansetzen zugrunde gelegt werden, wäre die Erwirkung eines Haftbefehls trotz vorläufiger Festnahme eines Tatverdächtigen am Tatobjekt aus den erläuterten Gründen oftmals nicht möglich. Ein solches Ergebnis würde sicherlich erhebliches Unverständnis bei den Bewohnern der tatbetroffenen Grundstücke auslösen. Ferner erscheint die Ablehnung eines unmittelbaren Ansetzens trotz begonnener Einwirkung auf einen Schutzmechanismus aber auch hinsichtlich der potentiellen Tatfolgen inkonsistent. Denn das geschützte Rechtsgut des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB ist nicht nur das Eigentum, sondern ebenfalls das Sicherheitsgefühl der Inhaber der dauerhaft genutzten Privatwohnungen.28 Letzteres wird jedoch bereits in erheblicher Weise durch die bloße Einwirkung auf das Tatobjekt beeinträchtigt, insbesondere wenn die Bewohner während der Tatausführung im Haus anwesend sind und diese unmittelbar wahrnehmen.

 

4 Resümee


Die bezeichneten Beschlüsse des 4. und 5. Senats des Bundesgerichtshofes vom 14. Januar und 28. April 2020 sind uneingeschränkt zu begrüßen. Der in diesen Entscheidungen vertretene Ansatz bezüglich des unmittelbaren Ansetzens erlaubt die effektive Strafverfolgung von Wohnungseinbrechern. Eine solche ist, wie die jüngere Vergangenheit gezeigt hat, äußerst wichtig, da ansonsten das Sicherheitsgefühl in weiten Teilen der Bevölkerung in erheblicher Weise beeinträchtigt werden könnte. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich auch die übrigen Senate des Bundesgerichtshofes dem anschließen werden. Hinsichtlich des 2. Senats ist trotz des bezeichneten Beschlusses vom 20. September 2016 nicht zwingend davon auszugehen, dass weiterhin ein divergierender Ansatz verfolgt werden könnte. Zum einen hat der Senat in inzwischen geänderter personeller Zusammensetzung am 14. Juni 2017 entschieden, ein unmittelbares Ansetzen könnte bereits mit dem Betreten eines Grundstückes vorliegen.29 Zum anderen haben bereits einige aktuelle Entscheidungen des 2. Senats gezeigt, dass aufgrund der nunmehr geänderten personellen Zusammensetzung an der bisheriger Rechtsprechung nicht festgehalten worden ist.30 Sollte es jedoch zukünftig zu einer divergierenden Rechtsprechung der verschiedenen Strafsenate des Bundesgerichtshofes diesbezüglich kommen, so ist aufgrund der Äußerungen des 4. Senats in dem bezeichneten Beschluss vom 20. Januar 2020 eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen zu erwarten.