Wissenschaft  und Forschung

Wirtschaftskriminalität durch entgleiste Führungskräfte

Analysen zu Derailment und Managerversagen

5 Uli Hoeneß – vom FC Bayern-Präsidenten zum Steuerhinterzieher

 

Uli Hoeneß war von 1967 bis 1979 bekannter Profi-Fußballspieler. Etwa zehn Jahre spielte er als Profi beim FC Bayern München. Er war Mitglied der deutschen Nationalmannschaft und wurde mit dieser 1972 Europa- und 1974 Weltmeister. Mit 27 Jahren musste er seine Fußballer-Karriere verletzungsbedingt beenden. Von 1972 bis 2019 war er Manager des FC Bayern München und von 2009 bis 2019 dessen Präsident. Die Präsidentschaft wurde unterbrochen durch einen Gefängnisaufenthalt. Am 20.3.2013 wurde er verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro wurde er wieder freigelassen. Am 13.3.2014 verurteilte ihn das Landgericht München wegen Steuerhinterziehung in 7 Fällen (in den Jahren 2003 bis 2009) in Höhe von 28,5 Millionen Euro zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Uli Hoeneß verbrachte 7 Monate in der JVA Landsberg und anschließend 13 Monate im offenen Vollzug. Über Uli Hoeneß wurden im deutschen Fernsehen drei Fernsehporträts ausgestrahlt und ein Theaterstück geschrieben. Mittlerweile liegen acht Bücher über Uli Hoeneß vor.

 

6 Markus Braun und Jan Marsalek (Ex-Wirecard-Vorstände) – vermutlich die Haupttäter im größten Wirtschaftskrimi der BRD

 

Jeder, der sich professionell oder aus Interesse mit Wirtschaftskriminalität beschäftigt, wird zwangsläufig gespannt die aktuelle Wirecard-Affäre verfolgen. Bislang (Stand Juli 2020) ist nur die Spitze des Eisbergs sichtbar. Die Ermittlungen dürften noch lange dauern, da Wirecard ein sehr komplexer Konzern mit vielen Tochterfirmen auf allen fünf Kontinenten ist. Die Wirecard-AG wurde 1999 gegründet und hat ihren Firmensitz in Aschheim bei München. Der Konzern gehört zur Branche der Zahlungsdienstleister. Die Produktpalette besteht überwiegend aus Dienstleistungen in den Bereichen Mobiles Bezahlen, E-Commerce, Finanztechnologie und Mehrwert-Dienste. Die Wirecard-AG kooperierte mit fast dreihunderttausend anderen Unternehmen, mit großen Konzernen wie BASF, Telefonica, Aldi, Ikea oder KLM. Auch Kreditkarten-Konzerne wie Visa, Mastercard oder American Express waren Geschäftspartner. Im September 2018 hatte die Wirecard-AG einen Börsenwert von 24,4 Milliarden Euro.3 Heute befindet sich die Firma in Insolvenz, ist zahlungsunfähig und weitgehend wertlos. Der Wirtschaftsprüfer-Experte Hansrudi Lenz, Ordinarius für Wirtschaftsprüfung an der Universität Würzburg, kommentierte die Lage wie folgt:4„Das Geld ist weg. Die Aktie ist wertlos.“ Der Ex-Vorstandsvorsitzende Hans Markus Braun, der frühere Finanzvorstand und der Chef der Buchhaltung befinden sich derzeit in Untersuchungshaft.5 Einer der mutmaßlichen Haupttäter – der Vertriebsvorstand Jan Marsalek, wird per internationalem Haftbefehl gesucht und hat vermutlich in Russland Unterschlupf gefunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrug, Bilanzfälschung und „gewerbsmäßigem Bandenbetrug“. Durch vorgetäuschte Gewinne und Bilanzfälschungen haben die verantwortlichen Akteure bei der Wirecard-AG Bankenkredite in Höhe von rund 3,2 Milliarden erschwindelt. Im September 2018 ist die Wirecard-AG in den Dax aufgestiegen und zählte dann bezüglich Marktkapitalisierung (Börsenwert) zu den dreißig größten deutschen Unternehmen. Die Wirecard-AG verdrängte die Commerzbank-AG, die wegen eines gesunkenen Börsenwertes aus dem DAX ausscheiden musste. Mittlerweile ist bekannt, dass die Bilanzfälschungen bereits im Jahr 2015 begannen, also drei Jahre bevor die Wirecard-AG in die deutsche Börsen-Oberliga aufstieg. In den Medien wurde Wirecard oft als Fintech – Vorzeigekonzern gefeiert, wobei Fintech für Finanztechnologie steht. Eine dubiose Firma mit einem neuen und schwer durchschaubaren Geschäftsmodell hat also eine ehemalige Großbank wie die Commerzbank im Dax ersetzt. Gelungen ist dies durch Bilanzfälschungen und Betrug. Auf dem Höhepunkt ihres „Erfolges“ hatte die Wirecard-AG weltweit fast sechstausend Mitarbeiter. Die Hauptgeschädigten sind vermutlich die Banken, die ihre Kredite nicht zurückbezahlt bekommen, die Aktionäre, die viel Geld verloren haben und letztlich die Mitarbeiter, die arbeitslos werden.6

 

7 Wirtschaftskriminalität als Derailment – entgleiste Führungskräfte

 

In der Wirtschaftspsychologie wird oft der Fachbegriff „Derailment“ für Managerversagen oder für die Entwicklung zum Wirtschaftskriminellen verwendet. Dieser Begriff stammt aus der Welt der Eisenbahn und beschreibt die Entgleisung: „Der Zug springt aus den Gleisen und es kommt zu einem Unglück oder einer Katastrophe.“ Ähnlich ist es bei „entgleisten Führungskräften“. Die Wirtschaftspsychologie und die Kriminologie interessiert sich dafür, was zur Entgleisung führt. Denn Thomas Middelhoff, Heinrich Maria Schulte, Helge Achenbach, Uli Hoeneß und Markus Braun zeigten ja jahrzehntelang deutlich prosoziales Verhalten, waren als Manager erfolgreich, wurden bewundert und bekamen Auszeichnungen. Wodurch wurden sie kriminell? Zur Beantwortung dieser Frage gibt es verschiedene Zugänge:

  • Die wissenschaftliche Derailment-Forschung aus dem Fachgebiet der Wirtschaftspsychologie
  • Kriminologische Forschungen.
  • Selbstdarstellungen von Wirtschaftskriminellen in Autobiographien

Bemerkenswert ist ja, dass im Vergleich zu anderen Delikten oder Straftaten die genannten entgleisten Führungskräfte keinerlei Vorstrafen haben. Bei anderen Straftätern, z.B. bei Gewaltdelikten, Diebstahl oder Einbruch, findet sich bei den Tätern oft schon ein Beginn der kriminellen Laufbahn im Jugendalter. Die Straftäter stehen wiederholt wegen ähnlichen Delikten vor dem Richter und werden verurteilt. Die Straftaten werden im Verlauf der Jahre immer schwerer und die verhängten Strafen werden höher. Aus Geldstrafen werden Bewährungsstrafen und aus diesen schließlich Gefängnisstrafen. Das ist oft der traurige Verlauf von „Kriminellen Karrieren“. Dies ist bei den hier dargestellten entgleisten Führungskräften gerade nicht der Fall. Die Jahrzehntelang erfolgreichen Manager standen im Fokus der Öffentlichkeit, waren angesehen und bewundert und sind dann doch „entgleist“. Bei den meisten hier geschilderten Führungskräften erfolgten die Straftaten nach dem 50. Lebensjahr. Was waren die Motive und inneren Antriebe für diese Entgleisungen?