Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht

 

§§ 94, 98, 110 StPO – Beschlagnahme, Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien; hier: Beschlagnahme in einer Anwaltskanzlei. Für die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten einer Rechtsanwaltskanzlei geltend nach Rechtsprechung des BVerfG besonders strenge Voraussetzungen, da durch diesen umfassenden Zugriff das für das jeweilige Mandantenverhältnis vorausgesetzte und rechtliche geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Mandaten und den für die tätigen Berufsträgern schwerwiegend beeinträchtigt wird. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit bedeutet dies, dass eine Erforderlichkeit der Beschlagnahme des gesamten Datenbestandes einer Rechtsanwaltskanzlei dann nicht erforderlich ist, wenn die Sicherung beweiserheblicher Daten auf eine andere, die Betroffenen weniger belastende Weise ebenso gut erreicht werden kann. In Betracht kommt hier etwa das Erstellen einer Teilkopie betreffend die verfahrensrelevanten Daten und das Löschen bzw. die Herausgabe verfahrensirrelevanter Daten. Auch die Nutzung von vorgegebenen Datenstrukturen (Nutzungsbeschränkung etc.) und die Zuordnung durch die Eingabe von Suchbegriffen oder Suchprogrammen sind denkbar. Da eine sorgfältige Sichtung und Trennung der Daten am Durchsuchungsort nicht immer möglich sind, steht als mildere Maßnahme zudem die Durchsicht der Daten gem. § 110 StPO im Raum. Soweit aus den Gründen der besorgten Datenverschleierung eine Beschlagnahme des gesamten Datenbestandes für erforderlich erachtet wird, bedarf es hierfür einer dezidierten, einzelfallbezogenen Begründung, die dem Übermaßverbot Rechnung trägt. (AG Aachen, Beschl. v. 7.8.2019 – 620 Gs 766/19)


§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten, Verfahren bei der Durchsuchung; hier: Bewusstes Hinwegsetzen über Richtervorbehalt, keine Berücksichtigung des hypothetischen Ersatzeingriffs durch Tatrichter. Der Angeklagte (A) war an einem Morgen im betrunkenen Zustand auf einer Landstraße unterwegs und wurde von der Polizei angetroffen. Im Rahmen einer Durchsuchung zur Eigensicherung wurde bei ihm ein Joint und eine kleine Menge Marihuana aufgefunden. Eine daraufhin durchgeführte Wohnungsdurchsuchung führte zum Auffinden von insgesamt 85,28 g Marihuana, 8,19 g Haschisch, Verpackungsmaterial und Betäubungsmittelutensilien. Zugunsten des A wurde davon ausgegangen, dass die Drogen zum Eigenkonsum bestimmt waren. Durch Urteil des AG wurde der A wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 20,00 Ä belegt. Im Berufungsverfahren hat das LG ihn nur wegen des bei ihm aufgefundenen Joints sowie einer kleinen Menge Marihuana des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 Ä verurteilt. Eine Verurteilung wegen des weitergehenden Tatvorwurfs des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – bezogen auf die in der Wohnung verwahrten Betäubungsmittel – erfolgte nicht, da das LG einen Tatnachweis insoweit als nicht geführt angesehen hat. Der Verwertung der aus der Wohnungsdurchsuchung bei dem A erlangten Beweismittel, die wegen Gefahr im Verzug durch einen PHK angeordnet worden ist, stand nach Auffassung des LG ein Beweisverwertungsverbot entgegen, da sich der Polizeibeamte bewusst über den Richtervorbehalt hinweggesetzt habe, obwohl die Voraussetzungen zur Annahme von Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hätten.


Mit der rechtsfehlerhaften richterlichen Bewertung, Polizeibeamte hätten sich bewusst bei der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung über den Richtervorbehalt hinweggesetzt, entzieht sich der Tatrichter einer Berücksichtigung der Rechtsfigur des hypothetischen Ersatzzugriffs mit der Folge, dass das Urteil regelmäßig auf diesem Rechtsfehler beruht. Es wurde versäumt, sich mit der naheliegenden Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass sich die Polizei zum Zeitpunkt der Anordnung in der konkreten Situation über die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug geirrt haben könnte. Bei einer im Besitz oder unter Betäubungsmitteleinfluss stehenden Person ist es naheliegend, dass diese weitere verbotene Drogen im Besitz haben könnte. Gerade für die Wohnung besteht ein hohes Maß an Auffindungswahrscheinlichkeit. Da die Möglichkeit einer hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung verkannt wurde, ist die Sache neu zu verhandeln. (OLG Zweibrücken, Urt. v. 18.6.2018 − 1 OLG 2 Ss 3/18)


§§ 102, 103 StPO – Durchsuchung bei Beschuldigten, bei anderen Personen; hier: Durchsuchung einer von Dritten genutzten Wohnung. In einem gegen den Beschuldigten B (Bruder der Beschwerdeführerin (Bf)) geführten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ordnete ein AG am 4.1.2018 auf der Grundlage von § 102 StPO die Durchsuchung der Wohnungen des B an. Der Durchsuchungsbeschluss bezog sich auf ein großes Gutshaus, das im Miteigentum der Bf und des B steht. Die Bf wohnt dort; der B war bis November 2017 unter dieser Anschrift gemeldet und hatte bei seiner Abmeldung keine neue amtliche Meldeadresse in Deutschland angegeben. Der Beschluss wurde am 17.1.2018 vollzogen. Dabei wurden Unterlagen des B in den Wohnräumen der Bf aufgefunden und sichergestellt. Die Beschwerde der Bf, mit der sie geltend machte, die Durchsuchung ihrer Wohnung hätte nur auf der Grundlage von § 103 StPO durchgeführt werden dürfen, blieb erfolglos.


Wohnungen und Räume im Sinne des § 102 StPO sind Räumlichkeiten, die der Verdächtige tatsächlich innehat, gleichgültig, ob er sie befugt oder unbefugt nutzt, ob er Allein- oder Mitinhaber ist und ob ihm das Hausrecht zusteht. Bei Mitbenutzung oder Mitgewahrsam mehrerer Personen, von denen nur ein Teil verdächtig ist, gilt daher § 102 StPO. Unterbleiben muss eine Durchsuchung nach § 102 StPO nur dann, wenn eine eindeutige Zuordnung zum verdächtigen Mitbewohner unmöglich ist. Für eine rechtmäßige Durchsuchung auf der alleinigen Grundlage von § 102 StPO ist es nicht erforderlich, dass der B in dem Durchsuchungsobjekt wohnt; es genügt allein ein vorübergehendes Nutzen oder Mitnutzen. (BVerfG, Beschl. v. 9.8.2019 – 2 BvR 1684/18)


§ 163b Abs. 1 StPO – Maßnahmen zur Identitätsfeststellung; hier: Zwingende Eröffnungspflicht hinsichtlich Tatvorwurf. In vorliegendem Fall war jedoch schon die Einhaltung der für Maßnahmen nach § 163b Abs. 1 StPO vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten nicht ersichtlich. Gemäß § 163b Abs. 1 S. 1, letzter Halbsatz in Verbindung mit § 163a Abs. 4 S. 1 StPO hätten die eingesetzten Beamten dem Antragsteller nämlich zu Beginn ihrer Identitätsfeststellungsmaßnahmen eröffnen müssen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Das ist ersichtlich nicht geschehen, jedenfalls nicht aktenkundig geworden. Solange allein dieser Punkt nicht aufgeklärt worden ist, kann bereits die Rechtswidrigkeit des Handelns der Beamten nicht verneint werden. (OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.10.2018 – 1 Ws 109/18)

 

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