Kriminalität

Innere Sicherheit weiterdenken: Ausgrenzung, Hass und Gewalt

mit einem Bericht zur 65. Herbsttagung des BKA (Teil 2)

2.2 Handlungserfordernisse für das BKA

Aus dem dargestellten Bedrohungsszenario leitete Münch eine Reihe Handlungserfordernissen ab. Dazu gehörten:

 

  • Anpassung des erprobten Instruments RADAR-iTE an die Erfordernisse der Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität rechts
  • Überprüfung, ob die aktuelle Zahl der 46 Gefährder und 126 relevanten Personen bereits ein realistisches Bild der Lage zeichnet
  • Intensivierung der operativen Informationserhebung zum Sichtbarmachen von Schnittstellen zwischen rechter Szene und Allgemeinkriminalität
  • rechten Hetzern und Straftätern ihren „digitalen Resonanzraum“ zu entziehen
  • Aufbau einer Zentralstelle zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet beim BKA mit dem Ziel
    • des Ausbaus des Monitorings im Internet und
    • der Feststellung der Urheber von rechten Hassbotschaften im Internet, um dieser einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen.

Um das zu erreichen, sollten die Telemediendienstleister künftig dazu verpflichtet werden, verdächtige Inhalte einschließlich der dazugehörigen IP-Adressen an die Strafverfolgungsbehörden auszuleiten. Auch insoweit nahm Münch Bezug auf die Ausführungen von Staatssekretär Engelke und das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.


Neben einer Reihe weiterer Aufgaben für das Bundeskriminalamt betonte der Redner auch, dass es wichtig sei, weiterhin sehr genau hinschauen, was in den eigenen Reihen geschehe. Fortlaufend müsse überprüft werden, ob Präventionsmaßnahmen, beispielsweise die regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, noch ausreichend seien.

 

3 Die Perspektive der Totalitarismusforschung – Die Bedeutung von Feindbildern für Hasskriminalität


Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen rechter, linker und islamistischer Hasskriminalität betrachtete der Stellvertretende Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden Prof. Uwe Backes im Rahmen seines Vortrages. An den Beginn seiner Ausführungen stellte der Redner die Feststellung, dass extremistische Gewalt-Radikalisierung auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen sei. Allerdings sei sie ohne das Verstehen der oft manichäischen4, also eine auf Reinheit beruhende, Freund-Feind-Wahrnehmung der politischen Kontrahenten nicht angemessen zu verstehen. Darauf beruhe sowohl das politische Selbstverständnis als auch die Legitimierung von Gewalt und Hass. Feindbilder erfüllten wichtige Funktionen in extremistischen Milieus. Sie wirkten einerseits integrierend, indem sie heterogene Akteure im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind vereinten. Sie wirkten weiterhin mobilisierend, indem sie Gefahren beschwörten, die es gemeinsam abzuwehren gelte. Sie wirkten legitimierend, da der Kampf gegen die Feinde das eigene politische Handeln mit Sinn erfülle und sie wirkten letztlich ideologisierend, da sie Weltdeutungen transportierten, die den heroischen Kampf der Gerechten mit einem vage umrissenen Zukunftsziel verbinden würden, so Backes.


In seinen weiteren Ausführungen verdeutlichte der Redner, dass Feindbilder in den einzelnen Milieus Veränderungen unterlägen. So sei etwa bei rechtsextremistischen Akteuren eine Abschwächung des Antikommunismus festzustellen. Hingegen seien Positionierungen wie „Kampf gegen den Islam als Rückeroberung des eigenen Landes“, „Verteidigung des jüdisch-christlichen Abendlandes“ oder „Mit den Juden gegen die Muslime“ festzustellen. Im linksextremistischen Spektrum sei zunehmend eine Verknüpfung des Antifaschismus mit Antikapitalismus, Antirepression, Antigentrifizierung, Antiimperialismus zu verzeichnen. Antirepression richte sich gegen Repräsentanten des Staates, der Wirtschaft und Finanzwelt. Neuerdings würden zunehmend Verknüpfungen mit der sog. Klimakatastrophe hergestellt.


Bei der Entwicklung der Feindbilder für Dschihadisten und militante Salafisten wiederum sei festzustellen, dass militante Linke und Rechte in der Regel Teil einer größeren Feindgemeinschaft, die durch ihren Unglauben, ihre gotteslästerlichen Ansichten und Lebensweisen („nicht-rechtgläubige“ Muslime eingeschlossen) gekennzeichnet sei, zugeordnet würden.


Zum Schluss seiner Ausführungen erläuterte der Redner Wechselbeziehungen und Interaktionsmuster zwischen den Täter- und gefährdeten Opfergruppen.

 

4 Hasskriminalität im digitalen Raum


Thomas-Gabriel Rüdiger, Cyberkriminologe und Dozent an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg griff nicht nur die durch mehrere Vorredner recht allgemein angedeutete Resonanzverstärkung von Hass durch das Internet und speziell durch die sozialen Medien auf. Er erläuterte, worin diese aus seiner Sicht bestünden und verdeutlichte zudem, dass die Konfrontation mit Hass im Netz sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch ihrer Alltäglichkeit zu einem gesellschaftlichen Problem von bedrückendem Ausmaß herangewachsen sei. Eine Studienreihe der Landesanstalt für Medien NRW belege, dass 96% der Befragten 14 bis 24Jährigen im Jahr 2018 im Internet im Allgemeinen bereits mit Hasskommentaren konfrontiert worden seien. Insgesamt 73% begegneten Hasskommentaren im Netzt sogar häufig bis sehr häufig. Diese Erfahrungen veranlassten 38% der Befragten, sich erst gar nicht im Internet zu äußern, um sich nicht Anfeindungen auszusetzen. Unter Bezugnahme auf die bereits im Jahr 1968 durch Popitz veröffentlichte Theorie der „Präventivwirkung des Nichtwissens“ unterstrich der Redner weiter, dass diese über den digitalen Raum in Ansätzen aufgebrochen werde. Das Dilemma bestehe, so Rüdiger, darin, dass viele Menschen einerseits feststellten, dass Tathandlungen im Internet begangen würden und andererseits eine staatliche Sanktionierung nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrnehmen würden. Allerdings, erklärte der Redner, sei der Versuch, alle Tathandlungen im Internet verfolgen zu wollen, zum Scheitern verurteilt, da er das System überfordern würde. In seinen weiteren Ausführungen bezog sich Rüdiger auf eine These von Balschmiter aus dem Jahr 2017, dass die positive Gesamtentwicklung der Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in den vergangen Jahren vornehmlich auf einer Verlagerung von Delikten in den digitalen Raum basiere.5 Da die Ressourcen der Sicherheitsbehörden aber offenbar nicht im gleichen Maße mit verschoben wurden, existiere in der PKS zwar ein insgesamt verringertes Hellfeld, aber kein gestiegenes Hellfeld für digitale Delikte.

 



Unter Verweis auf die Broken Windows Theorie von Wilson/Kelling6 stellte Rüdiger den sog. Broken Web Circle (Abb.) dar und entwickelte Thesen, wie dieser zu durchbrechen sei. Im Vergleich zur Broken Windows Theorie, verkörperten dabei die eingeschlagenen digitalen Fensterscheiben, also die beschriebenen sichtbaren Begegnung mit Kriminalität im digitalen Raum ohne staatliche Reaktionen, eine Art Broken Web Phänomen.7 Die Gesellschaft habe es zugelassen, dass Menschen heranwüchsen, die im digitalen Raum sozialisiert würden, ohne dass sie erlebten, dass der Rechtstaat in diesem seine Regeln durchsetze und z.B. durch sichtbare digitale Polizeistreifen im öffentlichen Bereich des Internets auch aktiv sein Gewaltmonopol wahrnehme. Zum Aufbrechen des Broken Web Kreislaufs schlug Rüdiger insbesondere eine deutlich verstärkte Internetpräsenz der deutschen Polizeien vor und regte ein Nachdenken über die Einführung des Opportunitätsprinzips bei derartigen Delikte an.