Polizei

Coronakrise und die Auswirkungen auf Polizei, Kriminalität und Freiheitsrechte

Interviewreihe. Von Prof./Ltd. Regierungsdirektor a.D. Hartmut Brenneisen, Preetz/Worms


Prof. Dr. Sabrina Schönrock: „Wir werden das Online-Semester stemmen, aber es wird Qualitätsverluste geben“


Die Corona-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die Durchführung der polizei- und sicherheitsspezifischen Studiengänge an den Hochschulen des Bundes und der Länder. Seminare, Kolloquien, Vorlesungen und Prüfungen mussten ausgesetzt oder auf den Online-Betrieb umgestellt werden. Am 24. April 2020 äußerte sich die Dekanin am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, Frau Prof. Dr. Sabrina Schönrock, zu dieser Problematik.

 

Kriminalpolizei: Sehr geehrte Frau Schönrock, ist der Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement von der Corona-Pandemie unmittelbar getroffen worden? Gibt es infizierte Personen unter den Lehrkräften, Verwaltungsmitarbeitern und Studierenden?

Sabrina Schönrock: Mir sind keine Fälle von Corona erkrankten Personen am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement bekannt. Allerdings befinden wir uns als Lehrende und Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bereits seit dem 20. März 2020 im Homeoffice. Der Semesterstart wurde auf den 20. April 2020 verlegt – jedoch nicht in Präsenz, sondern zunächst als Online-Semester. Das bedeutet auch, dass Corona-Erkrankungen von Studierenden gar nicht unbedingt bekannt werden. Von Kolleginnen und Kollegen wie auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung des Fachbereichs sind mir keine Erkrankungsfälle bekannt. Dies gilt auch für die HWR Berlin insgesamt – allerdings weiß ich nicht, ob Personen mit Krankheitssymptomen auch immer auf das Coronavirus getestet werden.

Kriminalpolizei: Wie in allen Ländern der Bundesrepublik dürfen auch in Berlin zurzeit Hochschulen nicht für den Präsenzbetrieb sowie den Publikumsverkehr geöffnet sein. Gleiches gilt für die Bibliotheken. Was bedeutet diese Regelung konkret für Ihren Fachbereich?

Sabrina Schönrock: Für die Lehre bedeutet dies, dass wir von einem kompletten Online-Semester ausgehen. Sollte noch während des Semesters ein Unterricht in Präsenz möglich sein, können die Lehrenden entscheiden, ob sie die Lehre in Präsenz oder aber weiter online durchführen. Letzteres könnte sinnvoll sein, weil sie ihr didaktisches Konzept auf ein Online-Semester ausgerichtet haben. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung sieht es so aus, dass nach aktuellem Stand nur sog. Schlüsselpersonen die Hochschule betreten dürfen. Wenn sich dies ändern soll, haben wir Hygienevorschriften zu beachten und müssen auch zunächst ein entsprechendes Konzept erstellen. Nach der aktuellen „SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung“ (Vierte ÄnderungsVO vom 21. April 2020) können die Bibliotheken der Hochschulen wieder geöffnet werden. Auch hier sind natürlich die Hygienevorschriften – insbesondere Abstandsregelungen – zu beachten. Gerade die Öffnung der Bibliotheken ist sehr wichtig, da die gesamte Forschungs- und Lehrliteratur online gar nicht verfügbar ist.

Kriminalpolizei: Können ausgefallene Vorlesungen durch Instrumente der Online-Lehre aufgefangen werden? Wie ist die HWR Berlin in diesem Bereich aufgestellt und gibt es Qualitätsunterschiede im Vergleich zum klassischen Präsenzunterricht?

Sabrina Schönrock: In der Tat ist es so, dass nicht alle Vorlesungen, die eigentlich in Präsenz stattgefunden hätten, eins-zu-eins als Videolehre umgesetzt werdenkönnen und müssen. Vielmehr bleibt es den Lehrenden überlassen, auf welche Weise sie den im Curriculum vorgesehenen Lehrstoff übermitteln. Hier kommt die Lernplattform moodle zum Einsatz, aber auch Videokonferenzsysteme wie Yitsi, BigBlueButton, Microsoft Teams oder auch Zoom. Wir bekommen eine sehr gute Unterstützung durch unser E-Learning Zentrum der HWR Berlin (ELZ) und unsere IT-Abteilung. Zudem haben wir einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an unserem Fachbereich, der sich die persönliche Unterstützung der Lehrenden bei der Online-Lehre zur Aufgabe gemacht hat. Insgesamt habe ich hier den Eindruck, dass wir uns als Kolleginnen und Kollegen gegenseitig sehr gut unterstützen.Natürlich gibt es Unterschiede in der Qualität zum klassischen Präsenzunterricht: Einige Lehrinhalte können online nicht hinreichend oder sogar gar nicht transportiert werden wie beispielsweise Verschlussangelegenheiten. Auch praktische Übungen müssen zum Teil in die Präsenzphase verschoben werden (Tatort-Seminar). Und nicht zuletzt fehlt uns Lehrenden und den Studierenden natürlich auch die lebendige Interaktion. Ich weiß auch nicht immer genau, ob die Studierenden den eingestellten Lehr- und Lernstoff wirklich lesen und verarbeiten, und ob sie mir in meiner Online-Vorlesung folgen. Auch die aktive Beteiligung ist nicht gleichermaßen möglich wie in einer Präsenzveranstaltung. Also: Wir werden das Online-Semester stemmen, aber es wird einige Qualitätsverluste geben.

Kriminalpolizei: Prüfungen können gemäß § 13 III SARS-CoV-2-
EndmaßnV Berlin durchgeführt werden, soweit ein Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen den anwesenden Personen gewährleistet ist. Ist diese Regelung für den Fachbereich umsetzbar?

Sabrina Schönrock: So einfach ist das leider nicht, da es nach richtiger Lesart mit der Einhaltung des Abstands nicht getan ist. Vielmehr muss ein Hygienekonzept nachgewiesen werden, in dem beispielsweise die geeigneten Räume ausgewiesen sind. Die genutzten Tische müssen auch desinfiziert werden. Auch der Zugang ist zu regeln, wie auch der Zustand der sanitären Anlagen zu prüfen etc. Es ist also leider nicht ganz einfach. Am wenigsten problematisch scheint es für die mündlichen Prüfungen zu sein – diese sind allerdings auch am unkompliziertesten online durchzuführen. Wünschenswert wäre es, wenn wir die Klausuren in Präsenz durchführen können und auch für unsere Planübungen im Rahmen der Einsatzlehre würden wir uns sehr freuen, wenn diese auch tatsächlich in Präsenz stattfinden könnten.

Kriminalpolizei: Für welchen Zeitraum gelten die Einschränkungen? Wann wird der Fachbereich voraussichtlich wieder in den Normalbetrieb zurückkehren?

Sabrina Schönrock: Das wissen wir leider nicht und ich möchte auch keine Prognose wagen. Letztendlich ist dies keine Entscheidung des Fachbereichs oder der Hochschule, sondern der Senatskanzlei. Ich hoffe auf ein „normales“ Semester im Winter.

Kriminalpolizei: Gibt es aus der aktuellen Situation heraus Ansätze und Erkenntnisse, die sogar Vorteile für das Studium mit sich bringen, auf den Regelbetrieb übertragbar sind und übernommen werden sollen?

Sabrina Schönrock: In der Digitalisierung und dem Blended-Learning haben wir nun einen riesigen Fortschritt gemacht. Wir haben uns Wissen angeeignet, das für viele neu ist und haben gerade auch die Chance, einige neue Methoden auszuprobieren. Diese Kreativität ist für sich schon mal ein Plus. Die Hemmschwellen zur Online-Lehre sind überwunden, so dass die Methoden künftig unterrichtsbegleitend angewendet werden können und damit auch Eingang in den Regelbetrieb finden.Vielleicht wird manche Konferenz – ich meine in der Gremienarbeit, nicht die Lehre – auch einmal online stattfinden, so dass Fahrwege gespart werden. Auch die Netzwerk-Arbeit mir anderen Hochschulen oder Forschungseinrichtungen könnte hiervon profitieren, weil doch einige Hürden, sich online zu treffen, abgebaut wurden.

Kriminalpolizei: Sehr geehrte Frau Schönrock, Sie sind neben Ihrer Tätigkeit als Dekanin Professorin für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten der Grund- und Menschenrechte. Halten Sie aus Ihrer fachlichen Perspektive heraus die angeordneten Einschränkungen für rechtmäßig? Ist der historisch wohl einmalige „Shutdown“ oder „Lockdown“, sind Kontakt- und Reisebeschränkungen in dieser Form überhaupt mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen? Oder ist der Staat über das Ziel hinausgeschossen und hat dabei den Rahmen des Grundgesetzes verlassen?

Sabrina Schönrock: Natürlich muss man bedenken, dass es einer schnellen Entscheidung bedurfte. Insofern ist es sicherlich nachvollziehbar, dass Regelungen in den Eindämmungsverordnungen zunächst sehr pauschal und auch (zu) weitgreifend erfolgten. Das macht sie natürlich nicht verfassungsgemäß. Denn es ist zu beachten, dass es um lediglich vorläufige Maßnahmen geht, die differenziert bewertet werden sollten. Das kommt meines Erachtens zu kurz. Die unterschiedlichen Gewährleistungsgehalte der verschiedenen betroffenen Grundrechte sind zu beachten, insbesondere wenn diese in ihrem Kerngehalt berührt oder gar vorbehaltlos gewährleistet sind. Nur dann kann ein Eingriff auch verhältnismäßig sein. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die zunächst sehr großzügige Rechtsprechung ihren Prüfungsmaßstab nunmehr verschärft und damit dem rechtstaatlichen Rechtfertigungsprogramm von Grundrechtseingriffen wieder Geltung verleiht. Dies ist dann vom Verordnungsgeber umzusetzen.


Anmerkung

Prof. Dr. Sabrina Schönrock ist seit April 2016 Dekanin am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin. Daneben ist sie u.a. ehrenamtliche Richterin des VerfGH Berlin, Herausgeberin und Autorin zahlreicher Fachpublikationen zu Themen des Öffentlichen Rechts sowie Redakteurin einer namhaften polizeilichen Fachzeitschrift.