Recht und Justiz

„Äußerste Kraft zurück“:

Vom Kurswechsel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Versuch des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls

 

2 Relevante Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung


Ab welchem Zeitpunkt ein strafbarer Versuch vorliegt, ist gemäß § 22 StGB klar geregelt, nämlich sobald der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Tat ansetzt. Nach der Formel der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss der Täter dafür aus seiner Sicht die Schwelle zum „jetzt geht’s los“ überschreiten. Das ist der Fall, wenn er eine Handlung vornimmt, die nach dem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll.15 Obwohl diese Definition seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung einheitlich angewendet wird, führt diese bezüglich des versuchten (schweren) Wohnungseinbruchsdiebstahls zu erheblich divergierenden Ergebnissen, wie den nun zu erläuternden Entscheidungen eindrucksvoll zu entnehmen ist.

2.1 Beschluss des 2. Senats vom 20. September 201616

Diese Entscheidung erging zwar noch vor dem Inkrafttreten des § 244 Abs. 4 StGB, hat aber auch nach neuer Rechtslage uneingeschränkte Gültigkeit. Der Sachverhalt wurde durch den Senat lediglich rudimentär mitgeteilt. Der Angeklagte plante wohl in das Wohnhaus des Geschädigten einzubrechen, um dort nach Stehlenswertem zu suchen und dieses dann zu entwenden. Zu diesem Zwecke drang er über das Gartentor in den Garten des Grundstücks ein, leuchtete die Rollläden der Fenster an und machte sich auch an der Terrassentür zu schaffen. Dann wurde der Geschädigte durch die von dem Angeklagten verursachten Geräusche auf ihn aufmerksam und der Angeklagte verließ den Tatort. Der Senat stellte zunächst fest, dass es für das unmittelbare Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen auf das Ansetzen bezüglich des Grunddelikts ankäme. Das Betreten des Gartens würde hierfür nicht ausreichen, da nach der Vorstellung des Angeklagten nicht im Garten, sondern in dem durch weitere Sicherungen geschützten Haus auf dem Grundstück nach Stehlenswertem gesucht werden sollte. Auch die Aktivität des Angeklagten an dem Wohnhaus selbst könnte kein unmittelbares Ansetzen begründen, da durch das Landgericht kein Tatplan des Angeklagten mitgeteilt worden wäre und deshalb kein konkreter Hinweis ersichtlich wäre, ob die Wegnahme, als ein unmittelbar bevorstehendes Einwirken auf fremden Gewahrsam, unmittelbar bevorgestanden hätte. Diese Entscheidung hat in Ergebnis und Begründung Zuspruch gefunden.17

2.2 Beschlüsse des 5. Senats vom 4. Juli 201918 und 1. August 201919

Den 5. Senat beschäftigte jeweils der modus operandi des sog. Bohrens. Hierbei bohren die Täter mittels manuell betriebener Werkzeuge ein Loch in den Kunststoffrahmen von Fenstern oder Terrassentüren, schieben anschließend einen Draht durch die Öffnung und manipulieren mittels diesen den Griff, wodurch sich das Fenster oder die Tür geräuschlos von außen öffnen lässt. Diesbezüglich lassen sich nach der Erfahrung des Verfassers oftmals DNA-Spuren in dem Bohrloch feststellen, da einige Täter, wohl gewohnheitsbedingt, die Späne aus dem Bohrloch pusten. In beiden Entscheidungen hatte der Täter jeweils bereits ein solches Loch gebohrt, wobei er jedoch in einem Fall durch die Bewohner bemerkt wurde und deshalb von seinem Vorhaben abließ20 und in dem anderen Fall die Terrassentür aufgrund eines zusätzlich angebrachten Schlosses nicht zu öffnen vermochte.21 In beiden Fällen verneinte der Senat ein unmittelbares Ansetzen, wobei er dies nicht begründete, sondern lediglich auf die bezeichnete Entscheidung des 2. Senats verwies.

2.3 Beschluss des 4. Senats vom 14. Januar 202022

Mit dieser Entscheidung setzte der 4. Senat ein deutliches Zeichen gegen die ersichtlich restriktive Tendenz der bezeichneten Entscheidungen des 2. und 5. Senats bezüglich des Beginns des unmittelbaren Ansetzens. Der Senat hatte unter anderem über zwei Taten zu entscheiden, bei welchen der Angeklagte jeweils am Vormittag des Tattages ein Küchenfenster bzw. die Terrassentür eines Einfamilienhauses aufhebelte, um im Anschluss hieran in das Gebäudeinnere einzudringen und Stehlenswertes zu entwenden. Nach erfolgreichem Aufhebeln von Fenster bzw. Terrassentür wurde er von einer Nachbarin bzw. von den zurückkehrenden Hauseigentümern entdeckt und angesprochen; woraufhin sich der Angeklagte entfernte. Der Senat bejahte jeweils ein unmittelbares Ansetzen i.S.d. §§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB. Er führte aus, dass bei Qualifikationstatbeständen das unmittelbare Ansetzen bezüglich des Grunddeliktes lediglich ein Kriterium von vielen darstellen würde, um kritisch überprüfen zu können, ob der Täter im jeweiligen Einzelfall nach seiner Vorstellung von der Tat bereits die Schwelle überschritten hätte, die ohne weitere Zwischenakte in die vollständige Verwirklichung des Tatbestands münden sollte. Handelte der Täter etwa bei dem Aufhebeln eines Fensters in der Vorstellung, in unmittelbarem Anschluss hieran in die Wohnung einzudringen und hieraus Stehlenswertes zu entwenden, so wäre ein unmittelbares Ansetzen grundsätzlich zu bejahen. Ferner nahm der Senat ausdrücklich Bezug auf die bezeichneten Entscheidungen des 2. sowie 5. Senats und äußerte, dass diese dem Ergebnis nicht entgegenstehen würden. Ferner wurde jedoch ausdrücklich klargestellt, sollte „den Beschlüssen des 5. Strafsenats allerdings die Rechtsauffassung zugrunde liegen, dass die Annahme eines Versuchs in Fällen des Einbruchsdiebstahls generell und losgelöst von den Feststellungen im Einzelfall ausscheidet, solange der Täter nicht unmittelbar zur Wegnahme angesetzt hat, könnte der Senat dem nicht folgen“. Diesen Ausführungen ließ sich unverhohlen die Bereitschaft entnehmen, ggf. gemäß § 132 Abs. 2 GVG den Großen Senat für Strafsachen bemühen zu wollen.

2.4 Beschluss des 5. Senats vom 28. April 202023

Der 5. Senat nutzte zeitnah die Gelegenheit, auf die Äußerungen des 4. Senats zu reagieren. Dieser Entscheidung lagen zwar auch Taten im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB zugrunde, mitgeteilt wurde seitens des Senats jedoch lediglich ein Sachverhalt bezüglich eines geplanten Aufbruches eines Zigarettenautomaten. Der Angeklagte legte am Automaten verschiedenes Einbruchswerkzeug ab, dessen Einsatz teilweise elektrischen Strom erforderte. Mit einem Handtuch und einer Plane verhüllt er den Automaten, um die Geräusche seines Tuns zu dämpfen. Er ging davon aus, in unmittelbarer Nähe einen Stromanschluss zu finden. Deshalb legte er mittels einer mitgebrachten Kabeltrommel über die Straße zu einem Schuppen eine Stromleitung. Er fand jedoch keine Steckdose. Der Angeklagte erkannte, dass er den Zigarettenautomaten nun mit den übrigen Werkzeugen zwar noch aufbrechen könnte, sich dies jedoch erheblich aufwändiger gestalten würde. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da er sich – zutreffend – entdeckt wähnte und die Alarmierung der Polizei fürchtete. Er verließ fluchtartig unter Zurücklassen des Aufbruchswerkzeugs den Tatort. Der Senat tätigte umfangreiche Ausführungen bezüglich verschiedener Konstellationen versuchter Einbruchsdiebstähle, die weit über einen unmittelbaren Bezug zu dem mitgeteilten Sachverhalt hinausgingen. Hinsichtlich eines unmittelbaren Ansetzens wäre unter anderem entscheidend, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr des Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut bestehen würde. Wäre dessen Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert, würde für den Versuchsbeginn grundsätzlich der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus ausreichen. Bei einem Tatplan, der die Überwindung mehrerer Schutzmechanismen vorsähe, wäre schon bei einem Angriff auf den ersten davon regelmäßig von einem unmittelbaren Ansetzen auszugehen, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen sollte. So würde jedenfalls der strafbare Versuch eines Diebstahls vorliegen, wenn der Täter ein Einbruchswerkzeug bereits angesetzt hätte, um damit einen Schutzmechanismus zu überwinden und anschließend in ein Gebäude zum Stehlen einzudringen. Hinsichtlich des Zigarettenautomaten läge ein unmittelbares Ansetzen vor, da das potentielle Stehlgut durch das Handeln des Angeklagten bereits konkret gefährdet worden wäre. Im Übrigen stellte der Senat klar, dass er an seiner bisherigen entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festhalten würde, wobei er ausdrücklich die Beschlüsse vom 4. Juli24 und 1. August 201925 nannte. Diesen neuen Kurs setzte der Senat bereits mit Beschluss vom 26. Mai 2020 konsequent fort.26 In diesem wurde ein unmittelbares Ansetzen zu einem versuchten Diebstahl eines Angeklagten bejaht, der erfolglos mit einem Hammer auf die Scheibe des verglasten Verkaufsraums einer geschlossenen Tankstelle einschlug, um daraus Stehlenswertes zu entwenden.