Kriminalität

Professionelle polizeiliche Arbeit am Ereignisort

Eine Frage der Berufsehre

7 Fazit


Im alltäglichen Einsatzgeschehen passiert es regelmäßig, dass Eigentumsdelikte, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Verkehrsunfälle und weitere Ereignisse sich ablösen oder sogar zeitgleich bekannt werden. Die Einsätze häufen sich und es steht nur ein kleines Zeitfenster für den „Ersten Angriff“ zur Verfügung. Es kommt vor, dass die Kräfte des Sicherungsangriffs zugleich große Teile des Auswertungsangriffs realisieren müssen. Plötzlich will man eine deutlich sichtbare daktyloskopische Spur an einem Kühlschrank aus Edelstahl sichern. Die Mitnahme des Spurenträgers scheidet wegen seiner Größe aus. Es muss also ein so genannter Hilfsspurenträger her, d.h. die Spur muss mittels einer Folie gesichert werden. Welches Adhäsionsmittel ist das geeignete? Da hilft ein simpler Trick. Man produziert eine eigene Spur an einer Stelle, wo mit Sicherheit keine Täterspuren zu erwarten sind, und probiert es einfach aus. Bei kleineren Spurenträgern (Flaschen, Schachteln, Verpackungen, Handwerkzeug usw.) kommt eine Mitnahme in Betracht. Keinesfalls sollten die eingesetzten Polizeibeamten vergessen, die Tatortsituation fotografisch zu dokumentieren. Dabei sind die Spuren eindeutig zu nummerieren und die Aufnahmen nach den Regeln der Tatortfotografie zu fertigen. Die Spurennummer darf nicht mehr geändert werden. Der sachkundige Ermittler sollte sich im Klaren darüber sein, welche Fragen er der jeweiligen Spur widmet und an den Gutachter stellt. Bei Tatorten von Kapitalverbrechen oder Unfallorten mit schwer verletzten Personen stellt dies ein besonderes Erfordernis dar. Dazu ist das „Protokoll über kriminaltechnische Tatortarbeit“22 zu fertigen. Es wird die Spur wie ein Beipackzettel begleiten. Nur so weiß der Gutachter, was er mit der Spur anstellen soll. Hier lässt man sich am besten von erfahrenen Kriminaltechnikern helfen. Aus eigener Erfahrung vor Gericht wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Bedeutung der Lichtbildanlage als sichtbare Erinnerung an das vorgefundene Erscheinungsbild des Ereignisortes verwiesen. Vorgesetzte, Gutachter, Staatsanwälte und Richter können sich so leichter in die Lage versetzten und das Geschehen richtig zu beurteilen. Unterstrichen wird die Dokumentation durch den Tatortbefundbericht (TOB).23 Die Dokumentation des Sicherungsangriffs und der TOB nach abgeschlossenem „Ersten Angriff“ sind nicht nur unverzichtbar, sie sind auch Pflichtdokumente. Das wiederum bedeutet, sich von Anfang an auf diese Aufgabe einzustellen und die notwendigen Informationen zu ermitteln. Wichtiger Bestandteil ist dabei der sog. subjektive Befund, also die Darstellung der eigenen Schlüsse aus den Ermittlungsergebnissen. Man kann hier z.B. schildern, in welcher chronologischen Reihenfolge Spuren entstanden sein könnten, was wiederum Rückschlüsse auf die Bewegungsrichtung des Täters zulässt. Man kann auch Fragen aufwerfen und begründete Hypothesen zu Alter, Geschlecht, Körpergröße, Fähigkeiten, Motivation des Täters u.a. aufstellen. Es geht dabei immer um die Beschreibung des möglichen Tatgeschehens und was die Spuren darüber verraten. Offene Fragen, die den weiteren Gang der Ermittlungen beeinflussen dürften, sind hier zu platzieren. Aber auch die strafrechtlichen Fragen zu möglicherweise verletzten Tatbeständen und zur Tatbestandsmäßigkeit und Täterschaft können hier aus eigener Sicht aufgeworfen werden. Wichtig ist indes, dass objektive und subjektive Befundung eindeutig und zweifelsfrei getrennt werden!24 Es ist ein großer Unterschied, ob „die Spurenlage auf einen ca. 1,85 m großen männlichen Täter hindeutet“ oder „der Täter männlich und 1,85 m groß ist“. Der TOB sollte zeitnah und von den Beamten erstellt werden, die den Befund erhoben haben. Auf „Bandwurmsätze“ ist zu verzichten, sondern es sollten vielmehr kurze, klare Sätze in Gegenwartsform formuliert werden.


Bild 3: Abgebranntes Kupferlager.


Weiter sei darauf hingewiesen, dass die digitale Fotografie einzusetzen ist, um im Nachhinein das Foto zur „frischen“ Erinnerung nutzen zu können. Die Polizei, der professionelle Ermittler, ist dann eben in der Lage, Dinge zu beschreiben, die vor Ort schlicht vergessen werden können (z.B. die Stellung von Schaltern, Schlossriegeln und Fenstern). Es sollte im Zuge des „Ersten Angriffs“ nie vergessen werden, dass man es selbst in der Hand hat, die wichtigen Kleinigkeiten am Tatort oder den entscheidenden Zeugen im Wahrnehmbarkeitsbereich zu suchen und zu finden. Dies ist zu einem beträchtlichen Anteil eine Frage der Berufsehre und gilt grundsätzlich nicht nur für spektakuläre Ereignisse, sondern auch für die Bandbreite der täglichen Routineeinsätze. Was wir heute richtig machen, kann zur Basis für die spätere Klärung werden. Andererseits können unheilbare Fehler am Ereignis-/Tatort zum Ende aller Bemühungen führen. Die Konsequenzen können vielfältig und schwerwiegend sein. Ungeklärte Mordfälle, die über 20 Jahre zurückliegen und plötzlich zur spektakulären Verurteilung des Täters führen, zeugen von fachlicher Kompetenz und dem unbedingten Aufklärungswillen der damaligen Ermittlergeneration. Manchen Spuren konnten mit den damaligen Möglichkeiten eben nur Teile ihrer Geheimnisse entlockt werden. Aber sie wurden gesichert und so konserviert, dass sie über Jahre ihren auswertefähigen Zustand behalten haben. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass bei solchen Sachverhalten häufig die besten Spezialisten und ausreichend Personal in temporär errichteten Ermittlungsgruppen zur Verfügung standen. Diese besondere Ausgangslage darf nicht mit dem polizeilichen Alltagsgeschehen verglichen werden, das von einer ständig wechselnden Einsatzlage geprägt ist und von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dennoch zeigen spektakulären Ermittlungserfolge, was für ein Potential im „Ersten Angriff“ steckt. Insofern sind sie schon als motivierende Beispiele geeignet.
Abschließend noch eine Anmerkung: Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf fachlich-inhaltliche Vollständigkeit, weder zum „Ersten Angriff“ im Allgemeinen noch zu den vielen Besonderheiten bei bestimmten Standardereignissen im Besonderen.

Bildrechte: Autor.

Anmerkungen

  1. KHK a.D. Rolf Strehler war über 20 Jahre in verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei tätig, zuletzt als Leiter Kriminaldienst in einem Revierkommissariat, wobei „Erster Angriff/Tatortarbeit“ zu den dienstlichen Tätigkeiten gehörte. Zuletzt gab er sein Wissen und seine spezifischen Erfahrungen als Fachlehrer für Kriminalistik an der Fachhochschule Polizei des Landes Sachsen-Anhalt in Aschersleben in Aus- und Fortbildung weiter. Daneben war er viele Jahre Vorsitzender des FA Kriminalpolizei beim Geschäftsführenden Landesbezirksvorstand der GdP Sachsen-Anhalt und zugleich Mitglied des BFA Kriminalpolizei der GdP. Aus einer tiefen Überzeugung von der herausragenden Bedeutung des „Ersten Angriffs“ in der polizeilichen Praxis entstand dieser Beitrag.
  2. Zum Begriff vgl. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, Handbuch der Kriminalistik, 5. Auflage 2019, S. 109; Weihmann/de Vries, Kriminalistik, 13. Auflage 2014, S. 244; zur Bedeutung siehe auch PDV 100, 2.2.3.
  3. Zur Vereinfachung wird in diesem Beitrag hauptsächlich dieser Begriff verwendet (vgl. EN 10).
  4. Zu beachten ist aber, dass die Rolle des Ereignisortes in Abhängigkeit vom Ausgangssachverhalt mehr oder weniger von Bedeutung sein wird. Zeitpunkt, Notwendigkeit und Umfang seiner Besichtigung hängen also vom Sachverhalt und von weiteren Umständen ab.
  5. Daktylus = Finger; Daktyloskopie = (vereinfacht ausgedrückt) die Lehre vom Fingerabdruck.
  6. Dazu gehören auch Delikte die im Straßenverkehr begangen werden.
  7. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 119.
  8. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 125.
  9. Zum Begriff der Leitlinien vgl. PDV 100, Anlage 20; dazu auch PDV 100, 1.2.
  10. Der Autor verwendet für diesen Beitrag vornehmlich den Oberbegriff „Ereignisort“, weil alle Polizeikräfte, die mit dem Ersten Angriff beauftragt sind, angesprochen werden sollen.
  11. Vgl. PDV 100, 2.2.3 („Erster Angriff“) und 2.2.12 („Verkehrsunfallaufnahme und Verkehrsunfallbearbeitung“).
  12. Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO für eine konkret begangene verfolgbare Straftat mit personalen und/oder sachverhaltsbezogenen Anhaltspunkten.
  13. z.B. Täter einer extremistischen Szene rotten sich zusammen und begehen erneut Straftaten, so dass die eingesetzten Beamten der Kriminalpolizei nicht störungsfrei ihre Maßnahmen des „Ersten Angriffs“ durchführen können.
  14. Zur Bedeutung sog. „Gemengelagen“ vgl. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 128; Weihmann/de Vries, Kriminalistik, 13. Auflage 2014, S. 249.
  15. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 125.
  16. Dazu Ackermann, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 170; Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 60, 119.
  17. Zur „Aufklärung am Tatort“ siehe Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 249.
  18. Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 119.
  19. Dazu Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 149.
  20. Dazu Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 149.
  21. Auf detaillierte Ausführungen zur Spurenlehre wird an dieser Stelle verzichtet.
  22. Bezeichnung des Spurensicherungsberichtes in Sachsen-Anhalt.
  23. Clages, in: Ackermann/ Clages/Roll, a.a.O., S. 152; Weihmann/de Vries, a.a.O., S. 255.
  24. Vgl. Clages, in: Ackermann/Clages/Roll, a.a.O., S. 124.
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