„Wir müssen der Ort sein, an dem auch unbequeme Fragen zur Entwicklung der Polizei diskutiert werden“

Gespräch mit Hans-Jürgen Lange, Präsident der DHPol


Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange (*1961 in Bochum) ist seit dem 1. Juli 2014 gewählter Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol). Unser verantwortlicher Redakteur Prof. Hartmut Brenneisen sprach mit ihm über den aktuellen Entwicklungsstand der universitären Einrichtung in Münster.

Kriminalpolizei: Sehr geehrter Herr Prof. Lange, im März 2016 hat die DHPol ihr 10-jähriges Bestehen gefeiert. 2004 wurde der Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ akkreditiert und 2006 begann die Gründungsphase der DHPol. Hat sich die Fortentwicklung des ehemaligen „Polizei-Instituts“ bzw. der „Polizei-Führungsakademie“ (PFA) zu einer universitären Hochschule gelohnt?

Prof. Lange: Die PFA war die Antwort auf die Modernisierung der Polizei in den 70er Jahren. Sie war eine gute Ausbildungsstätte für den höheren Dienst. Ende der 90er Jahre wurde deutlich, dass eine Weiterentwicklung notwendig wird. Ich habe am letzten Wochenende das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn besucht. Mir wurde anhand der verschiedenen Ausstellungen dort noch einmal sehr bewusst, wie sehr sich die Bundesrepublik seit 1990 verändert hat. Es war nicht nur die Wiedervereinigung. Die zunehmende europäische Integration ist zu nennen, der Wegfall des West-Ost-Konflikts, die offenen Grenzen, die damit verbunden sind, die zunehmende Globalisierung. Die Gesellschaft verändert sich durch alle diese Entwicklungen in einem enormen Tempo. Alles scheint sich zu beschleunigen. Die Polizei bleibt davon nicht unberührt. Im Gegenteil. Innere Sicherheit ist zu einem wichtigen Gut geworden. Die Menschen erwarten vom Staat, dass er angesichts der verstärkt empfundenen Verunsicherungen, die mit diesen Entwicklungen verknüpft sind, Sicherheit vermittelt. Für die Polizei wie überhaupt für die öffentliche Sicherheitsverwaltung wird die Arbeit komplizierter, die Anforderungen an die Polizei wachsen. Die Gründung der DHPol im Jahre 2006, als Idee entstanden Ende der 90er Jahre, war auch Ausdruck dieser Veränderungen. Hinzu kam, dass sich die Bildungs- und Hochschullandschaft in Europa durch die Bologna-Reform tiefgreifend veränderte, die zum Ziel hat, einen vergleichbaren Standard für Bildungs- und Hochschulabschlüsse zu schaffen. Der Wandel von der PFA zur DHPol war darauf eine richtige und wegweisende Entscheidung. Die Polizeiausbildung und deren Abschluss zum höheren Dienst sollten im Vergleich zu anderen Disziplinen auf Augenhöhe erfolgen, ihre Absolventinnen und Absolventen anderen akademisch Ausgebildeten gleichgestellt sein.

Kriminalpolizei: Wurde die DHPol nicht erst mit Aufnahme in das Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (HG NRW) im Jahr 2016 eine „richtige“ Universität?

Prof. Lange: Das ist ein Missverständnis, das sich leider hartnäckig hält. Einen universitären Status erhielt die DHPol schon 2006 bei ihrer Gründung, abzulesen z.B. an ihrem Promotionsrecht. Der Wandel von einer Akademie zu einer Hochschule hin zu einer Universität verlief allerdings schwierig und stockend. Der Wissenschaftsrat (WR), der die Qualität von Hochschulen prüft, sah die DHPol stets als eine nicht-staatliche Hochschule an, die zudem die Standards einer Universität nicht erfülle. Auch fiel es der Hochschule, ebenso lange Zeit ihren Trägern, schwer, sich von dem Denken und den Strukturen einer Behörde zu lösen und stattdessen konsequent von einer Hochschule auszugehen.

Kriminalpolizei: Ist es richtig, dass mit Ihrem Amtsantritt 2014 zugleich der Wunsch der Träger verbunden war, die Entwicklung hin zu einer Universität voranzutreiben?

Prof. Lange: Es war unabhängig von meiner Person bei den Trägern, konkret im Kuratorium der DHPol, der Wunsch gereift, nach der förmlichen Gründung der Hochschule nun auch ein Modell zu entwickeln, welches die Zielsetzung realisiert, einerseits universitäre Hochschule zu sein, andererseits die Besonderheiten der DHPol zu berücksichtigen. Diese besteht darin, eben nicht allgemeine und „offene“ Hochschule zu sein, sondern den höheren Polizeivollzugsdienst der Länder und des Bundes in Form eines anerkannten, sprich akkreditierten Masters auszubilden. Als mich die Findungskommission 2013 ansprach, ob ich mir vorstellen könne, das Präsidentenamt der DHPol zu übernehmen, war mir wichtig, dass wir uns auf diese Zielsetzung, ein solches universitäres Hochschulmodell zu entwickeln, von Anfang an ausdrücklich verständigen und auch die Bereitschaft besteht, die DHPol entsprechend zu verändern und neu auszurichten. Wir haben uns darauf schnell geeinigt und ich muss sagen, dass das Kuratorium in allen Belangen zu seinem Wort gestanden hat und steht und den entsprechenden Prozess verlässlich und konstruktiv unterstützt.

Kriminalpolizei: Was ist bislang umgesetzt worden?

Prof. Lange: Wir haben 2015 die Hochschulorganisation komplett umgebaut. Zuerst die Hochschulverwaltung. Dann haben wir die Fachgebiete in drei Departments (vergleichbar zu Fachbereichen bzw. Fakultäten) thematisch gebündelt, hierbei bewusst polizeilich und professoral geleitete Fachgebiete zusammengebracht. Wir haben das Profil der Hochschule geschärft, indem wir die Polizeiwissenschaft jetzt als integrative Verwaltungs- und Polizeiwissenschaft verstehen, die damit anschlussfähig geworden ist an die allgemeine Wissenschafts- und Forschungslandschaft. 2016 wurde der Haushalts- und Stellenplan der DHPol erweitert, zum einen um neue Fachgebiete und eine Forschungsförderungsstelle einzurichten, zum anderen konnten wir damit die Auflagen des Wissenschaftsrates aus der Reakkreditierung des Jahres 2013 erfüllen, die die DHPol massiv in Frage gestellt hatten. Ende 2016 gelang es dann, die DHPol zusätzlich zum weiterhin bestehenden Staatsvertrag, der auf das Jahr 1972 zurückgeht, und zum nach wie vor gültigen Gesetz über die DHPol in das HG NRW mit einem eigenen Artikel einzubringen (Art. 81a). Mit dieser Aufnahme wurde die bis dato fehlende hochschulrechtliche Verankerung vorgenommen. Die DHPol ist jetzt eine anerkannte staatliche Universität der Polizei, getragen weiterhin von den Ländern und vom Bund. Es kommt hinzu, dass wir 2016 eine grundlegende bauliche Sanierung des gesamten DHPol-Campus begonnen haben. Der Zustand der Gebäude ist schlecht und entspricht nicht dem Standard einer modernen Hochschule. Die entsprechenden Mittel dafür wurden bewilligt.

Kriminalpolizei: Sie haben danach einen umfangreichen Strategieprozess gestartet, der bis 2022 dauert. Warum war das nach Aufnahme in das HG noch notwendig?

Prof. Lange: Nach der Stabilisierung der DHPol durch die Aufnahme ins HG NRW entfiel die Qualitätskontrolle durch den WR. Mir war wichtig, dass wir uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen, nun ist alles gut und es ist Ruh´. Es war klar, dass von uns erwartet wird, z.B. vom Wissenschaftsministerium NRW, das uns bei der Aufnahme ins HG unterstützt hatte, ebenso aber auch von den Universitäten des Landes insgesamt, dass wir nun unter Beweis stellen, dass wir auch tatsächlich Universität sind. Wir sind jetzt erstmals in der Situation, eigenständig bestimmen zu können, wie wir uns mit welchen Zielen entwickeln wollen, was unsere Schwerpunkte sein sollen, welches unser Selbstverständnis ist. Bis dato war dies immer vorgegeben worden von außen, z.B. durch Akkreditierungsverfahren. Wobei „Wir“, so meine Überzeugung, immer bedeuten muss, dass wir dies als Hochschule gemeinsam mit den Trägern entwickeln. Nur wenn beide Seiten sich auf ein gemeinsames Konzept einigen, kann dieses ein dauerhaftes, ein belastbares und ein nachhaltiges sein. Es muss eben auch Konflikte aushalten können, ohne dass es in einem solchen Fall sofort in Frage gestellt oder der akademischen Abgehobenheit verdächtigt werden würde. Aus diesem Grunde ist z.B. die „Strategiekommission“, in der alle Beratungen der Arbeitsgruppen zusammenlaufen, paritätisch besetzt mit acht Vertretern aus der Hochschule und acht aus den Ländern und dem Bund.

Kriminalpolizei: Aber warum bis 2022? Ist das nicht nahezu endlos und zu sehr akademisch?

Prof. Lange: Die DHPol war, ist und bleibt ein kompliziertes Gebilde: Getragen von 16 Bundesländern und vom Bund, wobei dieser vertreten ist vom BMI, vom BKA und von der Bundespolizei. Also 19 Akteure. Es sind zwei Wissenschaftsministerien dabei, NRW als Sitzland der Hochschule sowie das Wissenschaftsministerium des Landes, das jeweils den Vorsitz im Kuratorium ausübt. Macht 21 Akteure. Wir sind eng verbunden mit den Fachhochschulen und Akademien der Länder und des Bundes, beispielsweise in der Durchführung des ersten Jahres des Masterstudiengangs. Das sind weitere 18 Partner, die wir einbeziehen. Macht bereits 39 Mitspieler. In der DHPol sind alle fünf Statusgruppen beteiligt: Professoren, polizeiliche Fachgebietsleiter und Lehrkräfte für besondere Aufgaben, die wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen, die nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen sowie die Studierenden. Wir haben es also mit rund 44 unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen zu tun. Wenn wir ein tragfähiges Modell der DHPol als Universität der Polizeien in Deutschland entwickeln wollen, müssen wir diese Stimmen einbeziehen. Und in einigen Punkten sind diese sehr unterschiedlich. Am Ende entscheiden die Gremien, Senat und Kuratorium.



Kriminalpolizei: Wer leitet oder moderiert diesen Prozess?

Prof. Lange: Der Präsident der DHPol gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Kuratoriums.

Kriminalpolizei: Und das funktioniert angesichts so vieler „Player“?

Prof. Lange: Ja, erstaunlich gut. Es benötigt aber Zeit, von 2017 bis 2022. Der Lackmustest kommt zum Schluss. Es soll dann ein Konzept vorliegen, das alle beteiligten Akteure zumindest in den grundlegenden Fragen mittragen.

Kriminalpolizei: Schauen wir aus einer anderen Perspektive darauf: Häufig wird die zunehmende Akademisierung in der Polizeiausbildung kritisiert, mehr Praxisorientierung eingefordert und herausgestellt, dass der Polizeiberuf schließlich ein Erfahrungsberuf sei. Ist diese Kritik berechtigt und gilt sie auch für das Studium an der DHPol, insbesondere unter den universitären Vorzeichen?

Prof. Lange: Die Forderung nach Praxisorientierung ist eine Forderung, mit der sich nahezu alle Studiengänge, vor allem aber solche, die auf einen konkreten Beruf vorbereiten, konfrontiert sehen. Anders als in der Polizei liegen z.B. für den Lehrerberuf Studien vor, die sich damit beschäftigen, was Praxis aus Sicht der Studierenden bedeutet. Dabei zeigt sich, dass Praxisorientierung aus Sicht der Studierenden nicht mit der tatsächlichen Berufspraxis übereinstimmt. Akademische Ausbildungen zielen gerade deshalb darauf ab, die Absolventinnen und Absolventen nicht nur auf die aktuelle, sondern und vor allem auf die zukünftige Berufstätigkeit vorzubereiten. Dazu bedarf es umfassender Theorie- und Methodenkenntnisse, die möglicherweise von den Studierenden als praxisfern wahrgenommen werden. Die Herausforderung in der Lehre besteht darin, den Studierenden die Funktion der Inhalte und Methoden für ihre berufsfeldbezogene akademische Qualifizierung deutlich zu machen. Aus unseren Absolventenstudien wissen wir, dass Inhalte, die im Studium als praxisfern bewertet wurden, nach Abschluss des Studiums als besonders nützlich bewertet werden. Betrachtet man die Veränderungen des polizeilichen Berufsfeldes in den letzten Jahren, so zeigt sich, dass Erfahrungen ein hohes Gut sind und in Routinesituationen des Berufsalltags sich als sehr hilfreich erweisen. Die Aufgaben der Polizei ändern sich jedoch so rasant wie unsere Gesellschaft. Deswegen müssen die Führungskräfte von morgen fähig sein, ihr Vorgehen immer wieder neu- und weiter zu entwickeln. Die Methoden und die Analysefähigkeiten dafür lernen sie bei uns.

Kriminalpolizei: Wie kann dieser Kritik konkret begegnet werden?

Prof. Lange: Ich wünschte mir eine methodisch fundierte Auseinandersetzung mit dem Praxisbezug, wie es sie beispielsweise für die Lehramtsstudiengänge, aber auch für anderer Berufe gibt. Auch allgemeine Universitäten bilden nicht nur Wissenschaftler/innen aus, sondern viel mehr praxisbezogene Berufe. Universität zu sein, bedeutet nicht reflexartig Praxisferne zu unterstellen. Sie steht dafür, Lehre und Forschung zusammenzubringen und damit Praxis ggf. neu zu durchdenken. An allgemeinen Universitäten fehlt den Studierenden in der Regel eine berufliche Praxiserfahrung. Unsere Studierenden haben diese reichlich. Das ist ein Potential, das wir erschließen müssen. Damit kann eine Grundlage geschaffen werden, um studentische Erwartungen und die Erfordernisse des Berufsfelds in Einklang zu bringen. Damit könnte eine substanzielle Weiterentwicklung der Diskussion um Praxisbezug ermöglicht werden.

Kriminalpolizei: Der natürliche „Unterbau“ der DHPol besteht aus den Fachhochschulen und Akademien des Bundes und der Länder. Hat die Gründung der DHPol auch die Inhalte und Konzepte dieser Studienstätten beeinflusst?

Prof. Lange: Wesentlicher als die Entwicklung der DHPol zur universitären Hochschule erscheint mir der Bologna-Prozess gewesen zu sein. Bei aller berechtigten allgemeinen Kritik an dessen Umsetzung sind die Ziele, die mit diesem Reformprozess verbunden sind, gerade für die polizeilichen Studiengänge geeignet, um den Einklang von akademischer und beruflicher Qualifizierung nachzuweisen und das polizeiliche Bildungswesen anschlussfähig zu machen. Durch das Verfahren der Akkreditierung konnte ein gemeinsames Qualitätsverständnis für akademische polizeiliche Bildung etabliert werden. Die Verbindung der institutionellen Entwicklung der DHPol mit einer wissenschaftspolitischen Entwicklung war ein Glücksfall, um nachzuweisen, dass die strukturelle und organisatorische Weiterentwicklung einer Bildungseinrichtung auch mit qualitativen Entwicklungen der Bildungsarbeit einhergeht.

Kriminalpolizei: Stellt es aus Ihrer Sicht ein Problem dar, dass im Einzelfall (z.B. in Bayern) immer noch am Diplomstudiengang festgehalten wird?

Prof. Lange: Formal ist es kein Problem. Natürlich wäre ein harmonisches, vollständig auf die gestuften Studienabschlüsse ausgerichtetes polizeiliches Hochschulwesen wünschenswert. Da aber auch im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb noch Disziplinen an den alten Abschlüssen festhalten (z.B. Ingenieurwissenschaften), erscheint es aus meiner Sicht bedeutsamer, dass das Bildungsangebot qualitativ dem Qualifikationsrahmen deutscher Hochschulabschlüsse entspricht.

Kriminalpolizei: Im Leitbild der DHPol wird das partnerschaftliche Zusammenwirken mit „Bildungs- und Forschungseinrichtungen der Region, des In- und Auslandes“ besonders hervorgehoben. Die polizeilichen Bildungseinrichtungen werden dort nicht genannt. Sind diese nicht von grundlegender Bedeutung für die DHPol und müssten dementsprechend besonders herausgestellt werden?

Prof. Lange: Der § 4 Abs. 1 des DHPolG führt die Zusammenarbeit mit polizeilichen Bildungseinrichtungen als eine der Aufgaben der DHPol auf. Die Verbindlichkeit ist damit höher als im Leitbild. Zu gegebener Zeit werden wir das Leitbild der weiterentwickelten Hochschule anpassen.

Kriminalpolizei: Es wird teilweise kritisiert, dass die DHPol nur einen „Einheitsstudiengang“ anbietet und damit im Sinne der anzustrebenden „Handlungskompetenz“ keine oder kaum spartenspezifische Schwerpunkte setzt. Bietet es sich nicht an, beispielsweise einen gesonderten Studiengang für kriminalpolizeiliche Inhalte anzubieten?

Prof. Lange: Der Masterstudiengang stellt die Ausbildung für Führungskräfte in den Mittelpunkt. Er ist kein Fachstudiengang, der eine fachliche Spezialisierung zum Ziel hat. Die Träger betonen, dass sie an der Leitorientierung des Generalisten festhalten wollen. Gerade in kleineren Bundesländern lässt sich ein spartenbezogener Bedarf auch kaum planen. Darüber hinaus umfasst der Studiengang seit der letzten Akkreditierung zwei Wahlpflichtbereiche, die eine Schwerpunktsetzung im Umfang von 10 ECTS-Punkten (300 Stunden) verpflichtend im zweiten Studienabschnitt vorsehen. Zählt man die Pflichtanteile hinzu und schreibt die Masterarbeit ebenfalls zu einem gewünschten Schwerpunkt, so ist es auch jetzt schon möglich, rund 40 % des Studiums beispielsweise mit Kriminalistik oder Einsatzmanagement zu belegen. Von daher trifft es nicht zu, den Master-Studiengang als „Einheitsstudiengang“ zu beschreiben.

Kriminalpolizei: Angehörige der Polizeien aus Bund und Ländern belegen in nicht geringer Zahl an der Universität Hamburg, der Steinbeis-Hochschule Berlin und der Ruhr-Universität Bochum angebotene Masterstudiengänge „Kriminologie“ und „Kriminalistik“. Deutet dies nicht auf fehlende Angebote an der DHPol hin?

Prof. Lange: Aus meiner Sicht ist das große Interesse von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten an akademischen Studiengängen externer Hochschulen ein Ausdruck individuellen Bildungsinteresses. Das Studienangebot an den Fachhochschulen und der DHPol ist hingegen stark institutionell geprägt und dient der Qualifizierung des beruflichen Nachwuchses und der Führungskräfte. Eine individuelle akademische Ausbildung ohne Einbindung in die Karriereplanung der Dienstherren kann ich mir derzeit kaum vorstellen. Davon unabhängig besteht natürlich ein grundsätzliches Interesse der DHPol an der Weiterentwicklung des Studienangebots. Dabei werden wir uns angesichts der wachsenden inhaltlichen, methodischen und organisatorischen Herausforderungen aktuell auf den Masterstudiengang konzentrieren. Sowohl die Reakkreditierung als auch der Strategieprozess erfordern noch mehr Wahlmöglichkeiten und eine stärkere Differenzierung. Darüber hinaus planen wir das Fortbildungsangebot der DHPol zu erweitern – auch mit zertifizierten Angeboten.

Kriminalpolizei: Die Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg entwickelt gerade einen Masterstudiengang „Kriminalistik“ und will damit im Herbst 2020 starten. Unterstreicht dies nicht fehlende Studienangebote an der DHPol?

Prof. Lange: Die DHPol hat eine Monopolstellung für den Zugang zum höheren Dienst. Daran wollen die Länder und der Bund auch festhalten. Der geplante Master in Brandenburg soll dagegen eine Spezialisierung für den gehobenen Dienst anbieten. Grundsätzlich bin ich auch nicht der Auffassung, dass alle akademischen Studiengänge an der DHPol durchgeführt werden müssen. Ich setze mehr auf eine intensive Kooperation und arbeitsteiliges Vorgehen.

Kriminalpolizei: Zu einer Hochschule gehört neben einer qualifizierten Lehre auch Forschung. Welche Bedeutung kommt diesem Aufgabenfeld an der DHPol zu und verfügt die Hochschule hier über ausreichend Ressourcen?

Prof. Lange: Forschung ist neben Lehre und Studium eine wesentliche Säule einer universitären Hochschule. Man kann sagen, dass die DHPol sich in der Forschungslandschaft national und international etabliert hat. Sowohl die Teilhabe an nationalen wie auch internationalen Forschungsprogrammen zeigt, dass die Hochschule ein gefragter Partner und auch ein angesehener und erfolgreicher Antragsteller geworden ist. Der aktuell veröffentlichte Forschungsbericht umfasst für die Förderphase 2014 bis 2018 genau 36 Forschungsprojekte, was für eine kleine Hochschule mit 15 Fachgebieten eine beachtliche Leistung darstellt. Für die Unterstützung der Forschungsaktivitäten unterhält die Hochschule eine Organisationseinheit Forschungsförderung und hat administrative Kapazitäten eingerichtet, um die Drittmittelverwaltung zu professionalisieren. Selbstverständlich wären zusätzliche Haushaltsmittel für die Anschubfinanzierung und personelle Unterstützung bei der Antragstellung wünschenswert. Wir beraten auch dieses Thema im Strategieprozess. Angesichts der Erfolgsbilanz erfolgt hochwertige Forschung aber bereits schon jetzt in der bestehenden Struktur.

Kriminalpolizei: Als besonders bedeutsam ist im Profil der DHPol eine „anwendungsorientierte, bedarfs- und ebenengerechte Weiterbildung“ ausgewiesen. Sind Sie mit dem derzeitigen Standard zufrieden?

Prof. Lange: Wenn ich mir die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ansehe, scheinen unsere Fortbildungsangebote die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Zielgruppe zu erfüllen. Doch auch ein gutes Angebot muss kontinuierlich methodisch und inhaltlich weiterentwickelt werden. Daher ist der Bereich Weiterbildung ein wichtiger Themenbereich im Strategieprozess.

Kriminalpolizei: An allen Hochschulen sind aktuell deutlich steigende Studierendenzahlen festzustellen, die ausreichend personelle und sachliche Ressourcen erfordern. Gerade hinsichtlich des Lehrpersonals steht die DHPol dabei in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Hochschulen aber auch zu den Polizeieinrichtungen des Bundes und der Länder. Wie wirkt sich diese Konkurrenz auf die Personalgewinnung der DHPol aus?

Prof. Lange: Probleme bei der Gewinnung von Lehrenden haben wir an der DHPol ausschließlich in den polizeilichen Disziplinen. Hier konkurrieren wir mit den Fachhochschulen. Viele Bewerber/innen scheuen nach unseren Erfahrungen die mitunter weiten Entfernungen vom Wohnort nach Münster. Da diese Stellen auf dem Weg der Abordnung besetzt werden, arbeiten wir aktuell mit den Trägen der DHPol an einem Konzept, um die Attraktivität der Lehrtätigkeit an der DHPol zu erhöhen.

Kriminalpolizei: Kommen wir zu einem übergeordneten Aspekt. Wie gehen Sie mit der „Internationalisierung“ um, die zunehmend an allen Hochschulen gefordert wird?

Prof. Lange: Wir sind, überspitzt gesagt, in der Situation, dass wir nicht auf das Thema Internationalisierung zugehen müssen, sondern das Thema kommt eigenständig immer stärker auf uns zu. Es ist faktisch so, dass die DHPol für viele Staaten das Aushängeschild und der erste Ansprechpartner ist, wenn es im weitesten Sinne um polizeiliche Aus- und Fortbildung, auch um polizeibezogene Forschung in Deutschland geht. Die Entwicklung der DHPol wird in vielen Ländern sehr genau beobachtet und, das ist jetzt kein Eigenlob, als vorbildlich gesehen. Was in unserer Polizei häufig, Sie sprachen es an, als Problem gesehen wird: „Muss das denn sein mit der Akademisierung?“ oder “Passen Wissenschaft und Praxis wirklich zusammen?“, all diese Punkte, für die wir uns immer wieder rechtfertigen müssen, stoßen in vielen Polizeien im Ausland auf großes Interesse. Wir haben ständig internationale Delegationen bei uns, die sich beraten lassen wollen, wie ein solcher Masterstudiengang vergleichbar zur DHPol eingerichtet werden kann und wie polizeiliche Aus- und Fortbildungseinrichtungen einen vergleichbaren universitären, mindestens hochschuladäquaten Status erlangen können. Viele Akademien und Hochschulen möchten Kooperationsabkommen mit uns abschließen – und wir haben schon eine lange Liste bestehender Abkommen. Gerade aufgrund der steigenden Nachfrage überarbeiten wir derzeit unser Internalisierungskonzept.

Kriminalpolizei: Was meinen Sie genau?

Prof. Lange: Zum einen müssen wir in Zukunft noch genauer definieren, was wir mit unseren internationalen Beziehungen erreichen und wo wir Schwerpunkte setzen wollen. Die internationalen Beziehungen an der DHPol werden von außen oftmals als eine Luxustätigkeit angesehen, getreu dem Motto, es sind schöne exotische Reisen zu Partnern in aller Welt, bringen aber ansonsten keinen polizeilichen Nutzen. Eine Lesebrille zur besseren Nahbetrachtung aufzusetzen kann hier hilfreich sein. Wir beklagen uns gerne darüber, dass der europäische Grenzschutz nicht ausreichend funktioniert, auch darüber, dass einige Polizeien in der EU zweifelhafte rechtsstaatliche Grundlagen aufweisen, die polizeilichen Kompetenzen dort häufig dürftig sind. Wenn diese Staaten bei sich genau zu der gleichen Problemeinschätzung kommen, ist es dann sinnvoll, dass wir auf diese Anforderungen nicht eingehen, weil wir meinen, die DHPol ist nur für Deutschland da? Wir sind Teil des europäischen Rechts- und Sicherheitsraumes. Und wenn die DHPol dafür kein Ansprechpartner ist, wer dann? Wenn wir diese Aufgabe aber erfüllen wollen, müssen wir uns als relativ kleine Hochschule auf die Aufgaben konzentrieren, die wir sicherheitspolitisch leisten sollten und die wir leisten können. Ich bin der Überzeugung, dass wir uns auf die polizeiliche Zusammenarbeit mit Aus- und Fortbildungseinrichtungen in der EU konzentrieren müssen. Und ein Kooperationsabkommen zu schließen ist nur dann sinnvoll, wenn wir es mit Leben füllen können. Von daher bin ich dagegen, dass wir mit allen Einrichtungen weltweit, die dies möchten, entsprechende Abkommen schließen, die dann eventuell für die Partner einen symbolischen Wert haben, aber keinen wirklichen gegenseitigen Nutzen bringen. Hierbei ist zudem die demokratische und rechtsstaatliche Frage zu stellen. Die Polizei als Organ der Strafermittlung muss mit allen Staaten zusammenarbeiten, um internationale Kriminalitätsverbindungen bekämpfen zu können. Wir als DHPol sind aber keine Polizeibehörde, sondern eine polizeiliche Hochschule. Von daher sollten wir nur mit solchen Einrichtungen kooperieren, die zumindest ernsthaft gewillt sind, eine demokratisch und rechtsstaatlich organisierte Polizei entwickeln zu wollen. In allen anderen Fällen laufen wir Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden, entweder als Feigenblatt oder um fachliches Wissen abzuschöpfen, das zu repressiven Unterdrückungsmethoden verwendet wird.

Kriminalpolizei: Wie wollen Sie diese zusätzliche Aufgabenfülle persönlich bewältigen?

Prof. Lange: Eine Person allein kann das nicht leisten. Bei meinem Amtsantritt war mir deshalb wichtig, die Aufgaben der Hochschulleitung neu abzugrenzen. Mein Tätigkeitsfeld umfasst neben der Leitungsfunktion speziell die Hochschulentwicklung, die Zusammenarbeit mit den Akademien und Hochschulen der Länder und des Bundes sowie die enge Abstimmung mit den Innenministerien ebenfalls der Länder und des Bundes. Darüber hinaus beinhaltet es die Repräsentanz der Hochschule gegenüber den politischen Institutionen sowie gesellschaftlichen, gewerkschaftlichen, wissenschaftlichen, medialen und sonstigen Organisationen in der Bundesrepublik. Der Vizepräsident konzentriert sich auf das umfangreiche Tätigkeitsfeld der internationalen Beziehungen und vertritt dabei die Hochschule in Fragen von Aus- und Fortbildung sowie Forschung, insbesondere auch in den Gremien wie CEPOL und anderen. Bei CEPOL wird beispielsweise für die Jahre 2020/21 die Präsidentschaft an die DHPol herangetragen. Dies bietet für die Hochschule eine gute Gestaltungsmöglichkeit für die angesprochene europäische Zusammenarbeit in den Belangen von Studium, Lehre und Fortbildung. Es erfordert allerdings auch eine intensive Präsenz auf der europäischen Bühne.

Kriminalpolizei: Hat sich diese Arbeitsteilung in der Hochschulleitung bewährt? Sie ist für die DHPol ja neu und für eine Polizeieinrichtung eher ungewohnt.

Prof. Lange: Sie hat sich wunderbar bewährt. Mit dem bisherigen Vizepräsidenten, Herrn Zeiser, der uns aufgrund einer neuen Verwendung in seinem Bundesland leider verlassen hat, konnten wir so beide Themenfelder, die bundesdeutschen wie die internationalen, insbesondere die europäischen Belange, sehr gut abdecken. Von daher werden wir diese Arbeitsteilung fortsetzen. Die Stelle des Vizepräsidenten wurde entsprechend so neu ausgeschrieben.

Kriminalpolizei: Sie sind seit dem 1. Juli 2014 Präsident der DHPol und haben dafür den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Sicherheitsforschung und Sicherheitsmanagement sowie die Tätigkeit als Dekan an der Universität Witten/Herdecke aufgegeben. Haben Sie diese Entscheidung in den zurückliegenden Jahren schon einmal bedauert?

Prof. Lange: Nein. Ich habe mich an der Universität Witten/Herdecke sehr wohl gefühlt. Es ist eine sehr lebendige Universität. Ich habe dort neben dem Lehrstuhl die kulturwissenschaftliche Fakultät geleitet, die auch das Studium fundamentale der Uni bereitstellt. Mein Wechsel von Witten nach Münster bot mir die Gelegenheit, wieder wesentlich stärker in meinem Schwerpunkt der Polizei- und Sicherheitsforschung, ein Thema, das mich seit meiner Habilitation nicht mehr loslässt, tätig und wirksam zu sein. Das macht mir viel Freude. Ein wenig bedauere ich, dass es schon rein zeitlich nicht möglich ist, ein Studium fundamentale an der DHPol einzuführen, wie ich es in Witten schätzen gelernt habe. Es besteht dort aus geistes-, kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, die jeder Studierende im Umfang von 10 % seines Studiums studiert. Es trägt zu einer höheren Lebens- und Berufszufriedenheit auch schon im Studium bei. Jedoch kostet es auch Zeit und ich habe an der DHPol die Verantwortung dafür, die Polizisten punktgenau in zwei Jahren zu einem Masterabschluss zu führen, der sie auf eine Führungsposition in der Polizei vorbereitet.

Kriminalpolizei: Worin unterscheidet sich Ihre zurückliegende Tätigkeit von Ihrer jetzigen Funktion an der DHPol?

Prof. Lange: In Witten war ich als Dekan zuständig für eine Fakultät. Das bedeutet auch, in der Universität mit den anderen Fakultäten um die spezielle Förderung der eigenen Fakultät zu ringen. Im Falle des Nicht-Gelingens kann man dann immer gut die Hochschulleitung dafür verantwortlich machen, dass etwas schlecht gelaufen ist. (… lacht). Das geht jetzt nicht mehr. Als Präsident bin ich oft in der Situation, Nein sagen zu müssen, weil die Pläne der Hochschule andere sind oder die Ressourcen nicht ausreichen, um eine neue Idee umzusetzen. Und diejenigen, zu denen ich Nein sage, finden das gar nicht gut. Das ist manchmal schwer. Und man trägt die Verantwortung für alles, auch wenn man persönlich gar nicht beteiligt war. Unterm Strich gleicht es sich aber wieder aus, weil natürlich ein beachtlicher Gestaltungsspielraum besteht. Und den nutze ich gern.

Kriminalpolizei: Sie waren in der Vergangenheit nicht nur als Lehrender, sondern auch in der Forschung, im Schrifttum und als Gutachter in Akkreditierungsverfahren mit polizeilichem Bezug aktiv. Lassen Ihre aktuellen Aufgaben diese Tätigkeiten überhaupt noch zu?

Prof. Lange: Für Vorträge und Publikationen ja. Für Forschungsprojekte und Lehre nein. Gutachten für Akkreditierungen nehme ich nicht mehr an. Es entstünde hier ein Interessenkonflikt, weil ich ja im Rahmen meiner DHPol-Tätigkeit mit den Hochschulen der Polizeien der Länder und des Bundes zusammenarbeite. Dann kann ich nach meiner Überzeugung nicht über diese Einrichtungen neutral gutachten.

Kriminalpolizei: Eine letzte Frage: Was wünschen Sie sich für die DHPol und für sich persönlich in Ihrer zweiten Amtszeit, die am 1. Juli beginnt?

Prof. Lange:Für die DHPol: Dass wir unbequemer werden. Wir sind ja daran interessiert, die weitere Entwicklung im Konsens voranzutreiben. Dazu stehe ich. Es ist aus den genannten Gründen notwendig. Und es gelingt ja auch. Wir müssen aber zugleich der Ort sein, an dem auch unbequeme Fragen zur Entwicklung der Polizei diskutiert werden, auch kontrovers. Das ist für die Polizeikultur aber noch ungewohnt. Kritik, gerade wenn sie von Wissenschaftlern formuliert wird, vor allem wenn sie an polizeilichen Hochschulen arbeiten, wird immer noch sehr schnell als „Angriff“ missverstanden. Wenn wir als DHPol und als Universität aber nicht der Ort sind, an dem kritische Befunde vorgelegt und diskutiert werden können, wo soll das sonst geschehen? Kritik darf nicht immer etwas sein, was nur von außen kommt. Wir sind eine Polizei und dazu gehört auch die Wissenschaft, etwas, auf das man auch stolz sein kann. Es sollte aber dabei auch akzeptiert werden, dass wir als Hochschule nicht nur Teil der Polizei sind, sondern auch des Wissenschaftssystems. Wir müssen also den Standards von zwei Bezugssystemen gerecht werden – der Polizei und der Wissenschaft.



Für mich: Ich wünsche mir, dass es mir weiterhin gelingt, diese hybride Rolle der DHPol zu vermitteln. Und in den Bereichen, wo mir es noch nicht gelungen ist, es in Zukunft besser zu machen. Und ich hoffe, auch weiterhin innerhalb und außerhalb der DHPol die Unterstützung zu finden, um die Zielsetzung einer DHPol als ein neues Modell einer Universität, die die Balance zwischen Polizei und Wissenschaft, zwischen Praxis und Theorie hält, erfolgreich und dauerhaft umsetzen zu können.

Sehr geehrter Herr Prof. Lange, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen für Ihre anspruchsvollen Aufgaben und Ihre persönlichen Ziele viel Erfolg sowie stets eine glückliche Hand.

Eine etwas kürzere Fassung des Interviews lesen Sie in der Printausgabe der Kriminalpolizei 2/2019, S. 28 ff.

Bildrechte (Porträt und Campus): DHPol.