Kriminalität

Wirtschaftskriminalität

Lage und Herausforderungen

 

7 Anzeige- und Aussagebereitschaft


„Entsprechend gering ist die Anzeigebereitschaft, da sich die Geschädigten selten ihrer Opferrolle tatsächlich bewusst sind. Nicht nur die Bereitschaft zur Anzeigeerstattung wird durch die Spezifik der Wirtschaftsdelinquenz beeinflusst. Auch das Aussageverhalten und die Bereitschaft zur Aussage im Strafverfahren stellen sich signifikant anders, als bei anderen Delikten dar. Einer Vielzahl von Geschädigten kommt es bei der staatlichen Reaktion auf wirtschaftskriminelles Handeln lediglich auf die Wiedergutmachung des ihnen entstandenen Schadens an. Sie ziehen daher nicht selten zivilrechtliche Regelungsmöglichkeiten vor. Zudem darf bei der Betrachtung der Mitwirkungs- und Kooperationsbereitschaft von Geschädigten nicht vergessen werden, dass sie in vielen Fällen mit den Tätern als Marktteilnehmer vertragsrechtliche Beziehungen eingegangen waren und auch zukünftig an solchen Interesse haben könnten. Auch die Gefahr eigener strafrechtlicher Verantwortlichkeit, etwa bei der Anlage nicht versteuerter Einkünfte, kann das Aussageverhalten beeinflussen.“16


Das bedeutet, dass eine präzise Beschreibung des Ausmaßes und der Schäden, die durch Wirtschaftsstraftaten verursacht werden, kaum möglich ist. Einen gewissen, wenngleich ebenfalls nicht vollständigen Einblick können Täterbefragungen liefern. Die wenigen in Deutschland vorliegenden Untersuchungen erlauben allerdings einen zumindest gewissen Einblick in das Dunkelfeld der Wirtschaftskriminalität und die Struktur und Motivlage der Täter.

 

8 Die Täter


Mittlerweile existiert eine Reihe von Untersuchungen zur Persönlichkeitsstruktur von Wirtschaftsstraftätern. Häufig ist darin von der sog. machiavellistischen Intelligenz der Täter die Rede.17 Gemeint ist damit eine besondere sozialmanipulative Intelligenz. Benannt ist diese Fähigkeit nach dem Politiker und Schriftsteller Niccollo Machiavelli, der von 1469 bis 1527 lebte und der zu seiner Zeit eine Führungsphilosophie der Skrupellosigkeit entwickelte. Moralvorstellungen ordnet Machiavelli darin allein dem Erfolg unter. Eine Reihe von Autoren griff dieses Konzept, das sich zunächst auf das Staatswesen bezog, auf und wandte seine Inhalte auf die Beschreibung von Wirtschaftsstraftätern an. So stellte Hare 2001 folgende Spezifika von Persönlichkeitsprofilen von Wirtschaftsstraftätern heraus:

  • Egozentrizität
  • Grandiosität
  • Anspruchsdenken
  • Impulsivität
  • Hemmungslosigkeit
  • Machtstreben
  • Manipulativität
  • Gefühls- und Reuelosigkeit.18


In diesem Kontext legte Müller 2010 eine interessante Untersuchung zu Persönlichkeitsprofilen von Wirtschaftskriminellen vor.19 Er interviewte insgesamt neun verurteilte Wirtschaftsstraftäter. Dabei bezog er die bereits von Knecht zitierten „Big Five“ in die Beschreibung der Persönlichkeiten ein. Dabei handele es ich um:

  • Extraversion vs. Introversion
  • Offenheit
  • Verträglichkeit
  • Hohe vs. geringe Stabilität (Neurotizismus) sowie
  • Gewissenhaftigkeit.

 

9 Deliktische Schwerpunkte



Im Rahmen des Bundeslagebildes werden folgende Phänomenbereiche betrachtet:

  • Betrug als Wirtschaftskriminalität
  • Anlage- und Finanzierungsdelikte
  • Betrug/Untreue i.Z.m. Kapitalanlagen
  • Wettbewerbsdelikte
  • Insolvenzdelikte sowie
  • Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen


Gesondert betrachtet werden zudem die Straftaten, bei denen das Internet genutzt wurde, um Wirtschaftsstraftaten zu begehen. Im Bundeslagebild wird dazu ausgeführt, dass sich die Anzahl der Fälle, in denen das Internet für die Begehung von Wirtschaftsdelikten genutzt wurde, seit 2013 kontinuierlich verringert hat. Lediglich im Jahr 2016 hatte sich die Fallzahl etwa verdoppelt. Die rückläufige Entwicklung wird damit begründet, dass im Jahr 2016 umfangreiche Verfahren unter Nutzung des Internets als Tatmittel in die PKS eingeflossen waren. Da diese Verfahren im Jahr 2016 abgeschlossen wurden, fanden sie folglich auch keinen Eingang mehr in die statistische Erfassung im Jahr 2017.


Aus der Betrachtung der deliktischen Schwerpunkte soll hier exemplarisch der Betrug mit dem Modus Operandi CEO-Fraud kurz dargestellt werden. Seit dem Jahr 2014 hat das Phänomen CEO-Fraud zum Nachteil deutscher Unternehmen kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Gleichwohl hat sich die Zahl der vollendeten CEO-Fraud-Fälle im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbiert und sank auf 23 Fälle (2016: 56 vollendet Fälle). Der Wirtschaftsprüf- und Unternehmensberatungsdienstleister PricewaterhouseCoopers (PWC) spricht in diesem Zusammenhang gleichwohl von einem Massenphänomen. Im Februar 2018 informierte PWC darüber, dass im Rahmen der 9. Studie Wirtschaftskriminalität, die auf einer repräsentativen Befragung von 500 deutschen Unternehmen beruht, 46% der Firmen angegeben hätten, sie seien innerhalb der vergangenen 24 Monate zumindest einmal Ziel einer CEO-Fraud-Attacke gewesen. In fünf Prozent der Fälle hatten die Angreifer dabei Erfolg gehabt. Die durchschnittliche Schadenssumme liege deutlich höher als bei anderen Cyber-Delikten.20 Beim CEO-Fraud geben sich Täter – nach Sammlung jeglicher Art von Information über das anzugreifende Unternehmen – beispielsweise als Geschäftsführer (CEO) des Unternehmens aus und veranlassen einen Unternehmensmitarbeiter zum Transfer eines größeren Geldbetrages ins Ausland.21


Wenngleich die für 2017 erfassten Fälle einen Rückgang des Phänomens suggerieren, ist weiterhin von einem erheblichen Gefährdungspotenzial auszugehen und von einem beachtlichen Dunkelfeld, allein wegen des befürchteten Reputationsverlustes bei Bekanntwerden eines erfolgreichen Angriffes.