Recht und Justiz

Die Steuerhinterziehung

§ 370 AO im Überblick

2.4 Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen

Subjektiv setzt § 370 AO gem. § 369 II i.V.m. § 15 StGB vorsätzliches Handeln voraus. Vorsatz i.S.d. § 15 StGB wird üblicherweise umschrieben als das Wissen und Wollen der den objektiven Tatbestand verwirklichenden Umstände.53 Differenziert wird in der Strafrechtslehre zwischen Absicht (Wollen des Taterfolges (dolus directus 1.Grades)54, Wissentlichkeit (sicheres Wissen hinsichtlich des Eintretens des Taterfolges (dolus directus 2. Grades)55) und Eventualvorsatz (nach der sog. Billigungstheorie das für möglich und nicht ganz fernliegend halten und dabei billigend in Kauf nehmen des Taterfolges)56. Besonders von praktischer Relevanz ist hier der bedingte Vorsatz, denn gerade bei einer so komplexen Materie wie dem Steuerrecht hat sich der eine oder andere, etwa bei der Anfertigung seiner Einkommensteuererklärung, in einer Situation wiedergefunden, in der er von der Richtigkeit einzelner Angaben nicht vollständig überzeugt war.57 Da hier bereits das für möglich und nicht ganz fernliegend Halten der Unrichtigkeit der Angabe und der damit verbundenen Steuerverkürzung bei Festsetzung durch die Finanzbehörde auf kognitiver Ebene ausreicht und voluntativ allein die Billigung dieses Ergebnisses im Sinne eines „Na wenn schon“58 für den Eventualvorsatz vorausgesetzt wird, wird hier sowohl die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit als auch die Behandlung von Irrtümern über die Steuerrechtslage virulent. Denn nicht eventualvorsätzlich sondern bewusst fahrlässig handelt, wer zwar die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, hierbei aber auf das Ausbleiben derselben vertraut.59 Für die Behandlung von Irrtümern hält das StGB zwei Regelungen vor: §§ 16 und 17 StGB. Nach § 16 I StGB handelt ohne Vorsatz (und im Hinblick die Steuerhinterziehung damit höchstens nach § 378 AO ordnungswidrig), wer bei Begehung der Tat Umstände nicht kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Nach § 17 StGB handelt hingegen ohne Schuld, wem bei Begehung der Tat die Unrechtseinsicht fehlt; dies gilt allerdings nur dann, wenn der Täter diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.60 Wenn sich der Steuerpflichtige nun über etwa die Steuerbarkeit gewisser Umsätze irrt (vgl. auch oben), ist also fraglich, ob dieser Irrtum nach § 16 StGB oder nach § 17 StGB zu behandeln ist. Für den Täter ist eine Anwendbarkeit des § 16 StGB günstiger, da es hier nicht auf die Vermeidbarkeit seines Irrtums ankommt; dieser setzt aber einen Irrtum über einen Tatumstand und damit die Behandlung des Merkmals „steuerlich erhebliche Tatsachen“ als normatives Tatbestandsmerkmal voraus.61 Die h.L. und Rspr. vertreten hierzu die sog. Steueranspruchstheorie, nach der zum Inhalt des Vorsatzes der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will62 und kommt somit - dogmatisch etwas unsauber63 - zu einer Anwendung von § 16 StGB.64

 

A verkannte vorliegend seine Arbeitgeberstellung. Bei irrtümlicher Annahme, der Steueranspruch wäre nicht entstanden, liegt ein Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 StGB vor; ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft in § 41a EStG und die hieraus folgende Steuerpflicht schließt somit gem. § 16 I StGB den Vorsatz aus.65 A hat sich also mangels Vorsatzes nicht nach § 370 I Nr. 2 AO strafbar gemacht.


 

3 Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO

 

Ist der objektive Tatbestand des § 370 AO erfüllt, fehlt es aber an einem vorsätzlichen Handeln, kommt eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 I AO in Frage. Hiernach ordnungswidrig handelt, wer die in § 370 I AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Unter Leichtfertigkeit versteht man einen höheren Grad an Fahrlässigkeit, der in etwa dem der groben Fahrlässigkeit entspricht.66 Insofern leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.67

 

In Frage kommt aber eine Verwirklichung des § 378 AO durch den A, sofern das Verkennen der Arbeitgebereigenschaft leichtfertig erfolgte. Für die Beurteilung dieser Frage bietet der Beispielsachverhalt hingegen nicht genügend Anhaltspunkte.


 

4 Exkurs: Selbstanzeige, § 371 AO


Trotz Tatvollendung der Steuerhinterziehung kann der Täter (oder Teilnehmer i.S.d. §§ 26, 27)68 gem. § 371 AO Straffreiheit erreichen, indem er zu allen Steuerstraftaten in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Bei § 371 AO handelt es sich – wie etwa § 24 StGB69 – um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, die Selbstanzeige bewirkt also Straffreiheit nur für den Anzeigeerstatter70.71 Nach überwiegender Auffassung bezweckt § 371 AO die Erschließung bisher verheimlichter Steuerquellen.72 § 371 AO lässt sich seinem Tatbestand nach in positive und negative Wirksamkeitsvoraussetzungen zur Straffreiheit aufteilen. Positiv wird zunächst eine Berichtigung vorausgesetzt, d.h. unrichtige, unvollständige oder fehlende Angaben durch richtige und vollständige ersetzen.73 § 371 AO setzt diesbezüglich eine vollständige Berichtigung voraus. Hierfür sieht § 371 I 2 AO einen sog. erweiterten Berichtigungsverbund vor, nach welchem die Berichtigung alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber alle (auch verjährte Steuerstraftaten)74 innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre betreffen muss.75 Als weitere positive Wirksamkeitsvoraussetzung setzt § 371 III AO die vollständige und fristgerechte Nachzahlung voraus, durch welche bei wirksamer Berichtigungserklärung der staatliche Strafanspruch auflösend bedingt ist.76


§ 371 AO enthält in Abs. 2 negative Wirksamkeitsvoraussetzungen: § 371 II Nr. 1 AO sieht, mit Unterschieden im Einzelnen, prüfungsbezogene Sperrgründe vor; Nr. 2 schließt die Straffreiheit aus, sofern die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung bereits ganz oder zum Teil entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Nr. 3 und 4 stehen einer Straffreiheit dann entgegen, wenn der verkürzte Betrag 25.000 Euro je Tat übersteigt oder ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung nach den Nrn. 2-6 vorliegt; in diesen Fällen sieht § 398a AO aber ein Absehen von der Verfolgung der Steuerstraftat vor, sofern neben der Nachentrichtung (vgl. § 398a I Nr. 1) ein Zusatzbetrag i.S.d. § 398a I Nr. 2 AO gezahlt wird. § 371 IV AO hält die sog. Fremdanzeige vor; diese Norm soll den Interessenkonflikt des aus § 153 AO Erklärungsverpflichteten lösen, welcher bei einer Berichtigung nach § 153 AO die Steuerstraftat eines Dritten aufdecken würde.77 Nach § 378 III AO besteht unter vereinfachten Voraussetzungen auch eine Selbstanzeigemöglichkeit bei lediglich leichtfertiger Steuerverkürzung.