Recht und Justiz

Strafbarkeit des Cybermobbings de lege lata und de lege ferenda

Von Prof. Dr. Anja Schiemann, Münster

3 Strafantrag

Einer Verfolgung klassischer Cybermobbing-Fälle steht häufig trotz verwirklichter Straftatbestände die fehlende Anzeigebereitschaft der Opfer entgegen. Die Bonner Studie von Weber hat gezeigt, dass im Raum Bonn nur 1,7% der Cybermobbing-Opfer Strafanzeige erstattet haben.36 Nun sind aber gerade die oben aufgezeigten – bei Cybermobbing typischerweise in Betracht kommenden Straftatbestände – Antragsdelikte.
Das Strafantragserfordernis des § 194 StGB bezieht sich grundsätzlich nicht nur auf die Beleidigung gem. § 185 StGB, sondern auf alle Beleidigungstatbestände des 14. Abschnitts.37 Auch § 33 KunstUrhG ist als reines Antragsdelikt ausgestaltet. Bei der Nachstellung gem. § 238 StGB und einem Verstoß nach § 201a StGB ist ebenfalls ein Antrag des Opfers erforderlich, es sei denn, die Staatsanwaltschaft bejaht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§§ 205, 238 Abs. 4 StGB in Fällen des Abs. 1). Wird nicht innerhalb der kurzen Frist von 3 Monaten gem. § 77b StGB ein Strafantrag gestellt und im Fall der relativen Antragsdelikte – sofern man überhaupt Kenntnis von dem Cybermobbing-Fall erhält – ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneint, so besteht ein Strafverfolgungshindernis. Hinzu kommt, dass einige der beim Cyber-
mobbing in Betracht kommenden Straftatbestände, wie etwa die Ehrverletzungsdelikte, Privatklagedelikte nach § 374 StPO sind, so dass die Staatsanwaltschaft bei fehlendem öffentlichen Interesse selbst bei Anzeige auf den Privatklageweg verweisen und von einer öffentlichen Klage gem. § 376 StPO absehen wird.

4 Kriminalpolitische Forderung

Wegen der ineffektiven Strafverfolgung von Cybermobbing wird regelmäßig gefordert, einen eigenständigen Cybermobbing-Straftatbestand im StGB zu implementieren. Bereits im Koalitionsvertrag 2013 hat die Bundesregierung den Erlass eines Cybermobbing-Gesetzes angekündigt, allerdings lediglich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft treten lassen. Dieses – äußerst umstrittene – Gesetz nimmt aber einseitig die Betreiber sozialer Netzwerke in die Pflicht, rechtswidrige Inhalte zu löschen.38 Ein Cybermobbing-Straftatbestand wurde noch nicht geplant, der aktuelle Koalitionsvertragt von 2018 sieht einen solchen auch nicht vor.
Bereits 2009 forderte Beck die Einfügung einer Qualifikation der Ehrverletzungsdelikte mit einem höheren Strafrahmen für Beleidigungshandlungen vor einer unbegrenzten Öffentlichkeit, insbesondere, wenn sie durch einen anonymen Täter erfolgen.39 Cornelius sieht sogar die Notwendigkeit der Einführung eines speziellen Cybermobbing-Tatbestands, da die derzeitige Rechtslage das Spezifikum einer andauernden und wiederholenden Bloßstellung durch das dynamische Zusammenwirken vieler Personen, die einen erheblichen psychischen Druck beim Opfer erzeugen, nicht abbilden können.40 Auch Heckmann/Paschke forderten jüngst einen eigenen Straftatbestand der besonders schweren Ehrverletzung im Internet.41 Hierzu formulieren Sie einen umfangreichen Gesetzentwurf mit ausführlicher Begründung, der neben dem Straftatbestand nach österreichischem Vorbild u.a. auch die Ausgestaltung als Offizialdelikt vorsieht und Anpassungen zum Opferschutz in der StPO vornimmt.42

5 Fazit


Ein eigenständiger Straftatbestand des Cybermobbings hätte den Charme, den öffentlichen Fokus auf den besonderen Unrechtsgehalt dieser Handlungen und deren Strafwürdigkeit zu legen. Allerdings besteht bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit, ehrverletzende Mobbinghandlungen mittels Internet oder Sozialen Medien durch die oben beschriebenen Qualifikationstatbestände der Ehrverletzungsdelikte abzubilden und dem erhöhten Unrechtsgehalt durch einen bereits existierenden höheren Strafrahmen Rechnung zu tragen. Allein bei der klassischen Beleidigung und der Formalbeleidigung greift kein Qualifikationstatbestand, der dem besonderen Unrechtsgehalt der öffentlichen Verbreitung und der besonderen Dynamik des Internets auch einen höheren Strafrahmen entgegensetzen würde. Eine – moderate – Anpassung des § 185 und § 192 StGB erscheint jedenfalls zielführender, als die Etablierung eines eigenen Cybermobbing-Straftatbestands, da es dann zu Dopplungen des bestehenden Rechts, Rissen in der Systematik der Ehrverletzungsdelikte und zu einem reinen Symbolstrafrecht kommen würde.

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