Recht und Justiz

Strafbarkeit des Cybermobbings de lege lata und de lege ferenda

Von Prof. Dr. Anja Schiemann, Münster

2.2 Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs

§ 201a StGB stellt die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen unter Strafe. Anlass der erst 2004 ins StGB eingefügten Vorschrift war die Diskrepanz zwischen dem durch § 201 StGB gewährleisteten Schutz der Vertraulichkeit des nicht öffentlich gesprochenen Wortes und dem bis zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich nicht geschützten Rechts auf Wahrung des persönlichen Lebensbereichs vor unbefugten Bildaufnahmen. Durch die Einführung neuer Technologien, die den Aufwand von Aufnahmen und deren Verbreitung immer geringer machten, wuchs das praktische Bedürfnis, den Persönlichkeitsschutz im Bildbereich zu stärken.19 Gleichzeitig wurde die Gefahr erkannt, dass solche Aufnahmen sofort ins Internet übertragen und in sozialen Netzwerken verbreitet und veröffentlicht werden.20 Insofern kommt auch beim Cybermobbing eine Verletzung des § 201a StGB in Betracht.21
Strafbar ist gem. § 201a StGB u.a. das unbefugte Anfertigen und die Weitergabe von Bildaufnahmen einer Person, die sich in einer Wohnung oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden oder von Bildaufnahmen, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen, sofern hierdurch der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt wird (§ 201a Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB). Auch sofern man eine durch eine Tat der Nr. 1 oder Nr. 2 erlangte Bildaufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht, ist eine Handlungsalternative erfüllt (§ 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Schließlich werden sogar solche Handlugen erfasst, nach denen befugt hergestellte Bildaufnahmen wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich gemacht werden, wenn dies den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt (§ 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB).
Ebenfalls erfüllt sein kann der Straftatbestand des § 201a Abs. 2 StGB, der 2015 mit dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz neu eingeführt wurde, der peinliche bzw. entwürdigende Darstellungen mit einbezieht und laut Gesetzesbegründung vor allem der Bekämpfung von Cybermobbing über soziale Medien dient.22 Strafbar ist demnach, wer unbefugt eine Bildaufnahme von einer anderen Person, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Hier kommt es im Gegensatz zu Abs. 1 nicht auf eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs an, da in diesen Fällen stets das Persönlichkeitsrecht verletzt sein soll.23
Die Strafdrohung knüpft entscheidend daran an, dass die Bildaufnahme aufgrund deren Darstellung geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Die Abgrenzung zwischen Eignung und Nichteignung zur Ansehensschädigung kann dabei mehr als schwierig sein, so dass die Kommentarliteratur die Vagheit der Begrifflichkeiten kritisiert.24 Je minderwertiger, peinlicher, ekliger oder abstoßender die jeweilige Aufnahme erscheint, umso eher wird die Eignung zur Ansehensschädigung festgestellt werden können. Problematisch ist allerdings, dass sich ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was im Einzelfall minderwertig, eklig, peinlich oder wegen seiner Ehrenrührigkeit geheimhaltungsbedürftig erscheint, kaum finden lässt.25 Dennoch dürfte sich eine Zuordnung nicht nur auf Extremfälle beschränken,26 sondern auch klassische Cybermobbing-Fälle, sofern Bildmaterial verwendet wird, unter § 201a Abs. 2 StGB zu subsumieren sein.Enthält die Videoaufnahme eine Tonspur oder werden nichtöffentliche Äußerungen aufgezeichnet und weitergegeben, so kommt neben der Verwirklichung des § 201a StGB auch eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB in Betracht.27

2.3 Recht der Selbstdarstellung

Das Recht der Selbstdarstellung wird durch die Strafnorm des § 33 KunstUrhG geschützt, nach der insbesondere die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen entgegen §§ 22, 23 KunstUrhG ohne Einwilligung des Betroffenen verboten ist. Bildnisse sind alle Abbildungen, die die äußere Erscheinung einer Person erkennbar wiedergeben, wobei ausreichend ist, dass der Betroffene begründeten Anlass hat zu befürchten, er könne aufgrund der Abbildung im Bekanntenkreis identifiziert werden.28 Auf die Art der Darstellung und das Darstellungsmedium kommt es nicht an, so dass auch Karikaturen des Betroffenen erfasst werden.29 Werden im Rahmen von Cybermobbing solche Bildnisse ohne Einwilligung des Betroffenen im Internet oder sozialen Medien veröffentlicht, so ist eine Strafbarkeit gem. § 33 KunstUrhG gegeben. Allerdings hat dieser Straftatbestand eine geringe praktische Bedeutung, da es sich um ein Privatklagedelikt handelt und ein Verstoß lediglich mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden kann.30

2.4 Nachstellung

Cyberstalking wird zwar von einigen Forschern dem Cybermobbing zugeordnet, entspringt aber einer anderen Motivlage.31 Dennoch kann auch das Cybermobbing Elemente der Nachstellung enthalten und eine Strafbarkeit gem. § 238 StGB begründen. Auch beim Straftatbestand der Nachstellung handelt es sich um eine relativ junge Vorschrift, die erst 2007 in Kraft getreten ist. In Betracht kommt insbesondere der Auffangtatbestand des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB, nach dem die Vornahme einer „anderen vergleichbaren Handlung“ erfasst ist und der erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durch den Rechtsausschuss aufgenommen wurde, um der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen und Strafbarkeitslücken zu schließen.32 Erfasst werden hiernach alle Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch geeignet sind, seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen.33 In der strafrechtlichen Literatur sind Fallgruppen gebildet worden, die unter den Auffangtatbestand zu subsumieren sind, hier sieht die Literatur auch Fälle des klassischen Cybermobbings als davon erfasst an.34 Insofern ist aber zu kritisieren, dass in diesen Fällen bereits andere Straftatbestände (s.o.) einschlägig sind, so dass die rechtspolitische Notwendigkeit dieses Auffangtatbestands bezweifelt werden muss.35


Von Cybermobbing betroffene junge Frau.