Lebensmittelstrafrecht
Ein nicht alltägliches Sanktionssystem
6.3 Beteiligung der Überwachungsbehörden bei der weiteren Strafverfolgung
Üblicherweise wird die zuständige Überwachungsbehörde an den weiteren Ermittlungen beteiligt, sei es bei den polizeilichen Vernehmungen quasi als sachverständiger Beistand, sei es bei den Durchsuchungen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Mögliche Schutzbehauptungen können eher widerlegt werden; die zuständige Kontrollpersonen kennen die räumlichen und personellen Strukturen „ihres“ Betriebs besser als die Ermittlungsbehörden.
Bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Durchsuchungen wird im Übrigen immer wieder festgestellt, dass von den bei der ursprünglichen Kontrolle vorhandenen Produkten nichts oder weniger als bei der vorherigen Betriebskontrolle vorhanden ist. Die Einlassung dazu lautet dann regelmäßig, dass man nach der Kontrolle einige Zeit gewartet, aber nichts mehr gehört und dann geglaubt habe, es sei alles in Ordnung und der Verkauf könne weitergehen. Dass dahinter natürlich oft eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit steckt, ist klar.
Problematisch wird es, wenn tatsächlich einige Monate vergehen, ehe der Betroffene mit weiteren Maßnahmen konfrontiert wird bzw. ihm aufgrund fehlender konkreter Erkenntnisse oder fahrlässiger Unterlassung der bestehende Tatverdacht nicht deutlich genug mitgeteilt oder der Weiterkauf schriftlich untersagt wurde. Dann wird es für den Staatsanwalt schwer, einen in Kenntnis des Mangels erfolgten Weiterverkauf nachzuweisen. Wobei wir merkwürdigerweise die Erfahrung gemacht haben, dass auch in Betrieben, deren Verantwortliche eigentlich mit staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen rechnen mussten, keine Unterlagen vernichtet oder sonst beiseitegeschafft worden waren. Und je größer der Betrieb, umso wahrscheinlicher ist es, dass noch alle beweisrelevanten Dokumente vorhanden sind, weil man sich dort eine Vernichtung von Unterlagen wegen des fortwährenden Betriebsablaufes und der Vorzeigepflicht gegenüber anderen Behörden überhaupt nicht leisten kann.
7 Art und Weise der Verfahrenserledigung
Die Zahl der Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO – also mangels Tatnachweises – ist im Gegensatz zu Ermittlungen in allgemeinen Strafsachen sehr gering. Das Lebensmittelstrafrecht ist von dem objektiven Sachbeweis (Urkunden, Augenscheinsobjekte, Sachverständige) geprägt. Es handelt sich dabei um einige wenige Fälle pro Jahr und geht meist darauf zurück, dass in der von Wein- oder Lebensmittelkontrolle erstatteten Strafanzeige der falsche Verantwortliche genannt wurde. In diesen Fällen decken häufig erst die polizeilichen Vernehmungen den tatsächlich Verantwortlichen auf. Gegen diesen wird das Verfahren dann weitergeführt.
Einen breiten Raum nehmen Einstellungen nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO ein. Die Beschuldigten sind in der Mehrzahl nicht vorbestraft und hinsichtlich ihrer Verfehlung einsichtig. Das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung kann in der Regel durch die Auflage, einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen, beseitigt werden.
Viele Verfahrensabschlüsse erfolgen auch im Wege des Strafbefehlsantrages. Eine beachtliche Rolle spielt dabei der Strafbefehl mit Freiheitsstrafe (§ 407 Abs. 2 StPO), der bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung festgesetzt werden kann, zum Teil kombiniert mit einer zusätzlichen Geldstrafe (§ 41 StGB). Nicht selten sind es die Beschuldigten und ihre Verteidiger, die einen solchen Verfahrensabschluss ausdrücklich anregen, weil sie die diskrete Verfahrensweise einer öffentlichen Hauptverhandlung vorziehen. Auch ist zu bedenken, dass in solchen Fällen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht eine Hauptverhandlung erspart bleibt. Ein Umstand, der angesichts der eingeschränkten Ressourcen von Polizei und Justiz nicht zu vernachlässigen ist.
Letztlich erfolgt nur bei den schwereren Fällen die Anklageerhebung sowie bei Sachverhalten, bei denen Betroffene nicht mit schriftlich erteilten Sanktionen einverstanden waren. Allein dieser verbliebene Rest birgt aber oft schon ein gewisses „Konfliktpotential“, welchem durch sorgfältige Vorbereitung und sicheres Auftreten vor Gericht gut begegnet werden kann. Wobei hier noch kurz auf einen Aspekt einzugehen ist, der sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verwaltungsbehörde gelegentlich Schwierigkeiten bereitet: Lebensmittelstrafsachen sind aufgrund ihrer Komplexität auch für Strafrichter aufwändig. Zudem treten Angeklagte oft mit Spezialanwälten und entsprechend konfrontativ auf. Will man vermeiden, dass der – meist ebenfalls überlastete – Strafrichter deren Argumentation folgt und das Verfahren einstellt, ist eine exzellente Vorarbeit und vor allem eine zwingende Teilnahme der Verwaltungsbehörde an der Hauptverhandlung angezeigt.
Zum Wirtschaftsschöffengericht oder gar zur Wirtschaftsstrafkammer gelangen Fälle eklatanter Herstellungsverstöße und/oder Betrügereien. Selbstverständlich prüfen wir auch, ob ein Berufsverbot (§§ 70 ff. StGB) und/oder Einziehungsmaßnahmen (§§ 73 ff. StGB) in Betracht kommen. Eine Anklage zum Landgericht ist auch dann zulässig, wenn es um die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch ein Obergericht geht (§§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Gerade diese Konstellation verlangt jedoch eine sorgsame Berücksichtigung der betroffenen Bürgerrechte.
8 Fazit
Das Lebensmittelstrafrecht ist eines der spannendsten Rechtsgebiete überhaupt. Stark europäisch geprägt unterliegt es häufigem Wandel, was sich kaum mit dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB (u.U. Straflosigkeit durch Sanktionslücke) verträgt. Weiterhin ist es vom verwaltungsrechtlichen Überwachungsgedanken beeinflusst. Eine enge Zusammenarbeit mit der jeweiligen Überwachungsbehörde ist auch angesichts zunehmender Globalisierung in der Lebensmittelwirtschaft unabdingbar. Gute Ermittlungsarbeit ist nach den Erfahrungen der Landeszentralstelle nicht nur von Arbeitsbelastung, Erfahrung und Handhabung von Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen abhängig. Sie basiert in besonderem Maße auf der Tätigkeit der Überwachungsbehörden, die wiederum von ihrer personellen und finanziellen Ausstattung sowie der behördeninternen Priorität von Lebensmittelstrafsachen abhängt. Im letzten Stadium des Verfahrens sind dann die fachliche Kenntnis von Polizei, Staatsanwaltschaft, Verteidigung sowie Strafrichter ausschlaggebend, um zum Schutz der Verbraucher nicht nur eine engmaschige Kontrolle angebotener Produkte, sondern auch die strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen vor dem Hintergrund der Generalprävention zu gewährleisten.
Anmerkungen
1 Der Autor ist als Dezernent bei der Landeszentralstelle für Wein- und Lebensmittelstrafsachen der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach tätig; der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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