Lebensmittelstrafrecht
Ein nicht alltägliches Sanktionssystem
Halten wir fest: Der Chef ist nicht für alles verantwortlich! Er kann bestimmte Bereiche auf nachgeordnete Mitarbeiter delegieren. So kann der Restaurantinhaber seinem Koch nicht nur das eigentliche Kochen überlassen, sondern auch den Einkauf der Zutaten sowie das Lagern der Lebensmittel und ggfs. sogar das Putzen der Küche. Entscheidend ist daher das Maß der Selbstständigkeit. Deshalb verwundert es nicht, dass Ermittler nicht selten von dem eigentlichen Inhaber der Firma die Auskunft erhalten, sie hätten damit nichts zu tun, dies sei Aufgabe des Mitarbeiters. Hierzu ein Tipp: Diese erhöhte Verantwortung des Mitarbeiters sollte sich allerdings auch im Gehalt (Arbeitsvertrag!) niederschlagen.
Zudem: Wer Verantwortungsbereiche auf nachgeordnete Mitarbeiter delegiert, kommt nicht an der Pflicht vorbei, diese in regelmäßigen Abständen zu überwachen. Dies geschieht durch ein betriebsinternes Eigenkontrollsystem, z.B. durch Stichproben, Personalgespräche, Arbeitsanweisungen („Hier spricht der Chef“). Man spricht hier vom Prinzip der Gesamtverantwortung. Eine Strafbarkeit bzw. Ahndung erfolgt dann unter dem Gesichtspunkt eines Organisationsverschuldens.
Eine Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe bestimmt sich auch im Lebensmittelstrafrecht nach allgemeinen Grundsätzen: Entscheidend ist die innere Haltung zu Tat und Taterfolg, maßgeblich sind z.B. das finanzielle Eigeninteresse, Tatherrschaft und Umfang des eigenen Tatbeitrags. Als Täter kommen in erster Linie in Betracht: Betriebsinhaber, Gesellschaftsorgane, leitende Angestellte. Täter sind auch solche Angestellte, die unter Überschreitung ihrer Befugnisse einen Straftatbestand erfüllen, z.B. das (nicht mehr taufrische) Beispiel eines Milchausfahrers, der den Kannen eigenmächtig Milch entnimmt und dafür Wasser hinzugießt; oder der Angestellte, der seinem Meister Ärger bereiten will und Mäusekot in das Brot einbackt.
6 Justiz, Polizei und Lebensmittelüberwachung
6.1 Enge Zusammenarbeit als Regelfall
Die Bearbeitung von Lebensmittelstrafsachen setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen Justiz, Polizei und den zur Lebensmittelüberwachung berufenen Behörden voraus. Es gibt nicht viele Gebiete, auf denen sich die Strafverfolgungsbehörden so häufig der Feststellungen und vor allem des Sachverstandes von Angehörigen von Überwachungs- und Kontrollbehörden bedienen, wie im Lebensmittelbereich. Dies bringt schon die Natur der Sache mit sich. Der Sachverhalt, der einem Diebstahl oder einer Sachbeschädigung zugrunde liegt, lässt sich notfalls auch mit – hoffentlich – bei allen Beteiligten vorhandenem gesunden Menschenverstand, Allgemeinwissen und Lebenserfahrung bei der Prüfung eines möglichen Gesetzesverstoßes nachvollziehen.
Demgegenüber bedarf es im Bereich der Lebensmittel oft schon bei den tatsächlichen Feststellungen vor Ort besonderen Sachverstandes und entsprechender Erfahrung, und erst recht bei deren Auswertung und Beurteilung, z.B. der Frage, auf Grund welcher Umstände die angetroffenen Hygienemängel (zumeist bloße Owi) als ekelerregend (i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB; Straftat bei Vorsatz) zu bewerten sind. Dabei müssen die Ermittlungsbehörden nachvollziehen können, was seitens der Lebensmittelkontrolle festgestellt wurde und (hinsichtlich der Plan- oder Verdachtsproben) sachverständig ausgeführt wird und sich vor allem darauf verlassen können, dass all das, was für ihre Entscheidung notwendig ist, vollständig und richtig erfasst wurde und vorgetragen wird.
6.2 Behördliche Betriebskontrolle als „Tatortarbeit“
Die Verwaltungsbehörde legt z.B. einen lebensmittelrechtlichen Vorgang – sei es als Strafanzeige, sei es als Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid – der Staatsanwaltschaft vor. Weitere Berührungspunkte ergeben sich dann während möglicherweise weiterer zu führenden Ermittlungen sowie bei der Frage einer möglichen Einstellung und im Rahmen einer Gerichtsverhandlung. Sachverständige hingegen werden bei gerichtlichen Straf- und Bußgeldverfahren dadurch beteiligt, dass sie entweder bereits gutachterliche Ausführungen zu einer Plan- bzw. Verdachtsprobe gefertigt haben (z.B. bei Vermarktung von Schlankheitsmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben) und der Gutachter von der Staatsanwaltschaft dem Gericht als Beweismittel benannt wird. Oder es ergeht seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft ein Gutachtenauftrag.
Doch setzt die aus Sicht der Justiz relevante Tätigkeit tatsächlich schon viel früher an, nämlich bei der Kontroll-, Überwachungs- und Beanstandungstätigkeit vor Ort und bei den dabei festgehaltenen Ergebnissen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft handelt es sich selbst bei einer nach §§ 42 - 44 LFGB „verdachtslos“ vorgenommenen Betriebskontrolle mit Blick auf ein mögliches späteres Lebensmittelstrafverfahren schlichtweg um Tatortarbeit („Erster Angriff“). Wenn in diesem frühen Stadium der Kontrolle lückenhafte Feststellungen getroffen oder sonstige Fehler gemacht werden, nützen anschließend die besten wissenschaftlichen Ausführungen nichts, weil diesen dann relativ einfach von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vor Gericht die tatsächlichen Grundlagen entzogen werden können, z.B. Ergebnis der Bestandszählung von Sportlernahrung (nur im Regal oder auch im Lager?).
Der Anlass der Überprüfung und die an Ort und Stelle angetroffenen tatsächlichen Verhältnisse bestimmen naturgemäß wesentlich Art und Umfang der zu treffenden Feststellungen und den weiteren Verfahrensfortgang. Verhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit und Angemessenheitsind Gradmesser für die Intensität des Handelns. Ein Großbetrieb rechtfertigt und erfordert ein anderes Vorgehen als ein kleines Ladengeschäft. Da angesichts des überall bestehenden Missverhältnisses zwischen der (geringen) Zahl der Kontrolleure und Sachverständigen einerseits und der eigentlich notwendigen Kontrolldichte andererseits diese Intensität der Kontrolle in der Regel überhaupt nicht möglich ist, muss jeweils bei dem Einzelfall vor Ort entschieden werden, wie vorzugehen ist. Wenn sich bei der Auswertung und/oder im Labor Beanstandungen ergeben oder verfestigt haben, muss gegebenenfalls eine weitere Kontrolle durchgeführt werden. Oder die Lebensmittelkontrolle wendet sich direkt an die Polizei oder Staatsanwaltschaft, um z.B. mögliche Verdunklungshandlungen zu verhindern. Dann spielt natürlich auch der Zeitfaktor eine Rolle und welche Hinweise dem Betroffenen vor Ort gegeben werden. Gelegentlich scheitern Durchsuchungsanträge beim Ermittlungsrichter in „kleineren“ Lebensmittelstrafsachen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabei wird oft übersehen, dass gerade Kleinbetriebe ihr gewerbliches Handeln auch unter Einbeziehung von Privaträumlichkeiten vornehmen; umso mehr in Zeiten zunehmenden Online-Handels.
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