Recht und Justiz

Lebensmittelstrafrecht

Ein nicht alltägliches Sanktionssystem

4 Verbraucherschutz durch Strafverfolgung – eine europäische Lösung


Um sich den Zugang zum Lebensmittelstrafrecht zu erschließen, muss man sich zunächst vor Augen halten, dass das Lebensmittelrecht durch zwei Grundprinzipien geprägt ist, die seit Jahrhunderten bis heute fortwirken und für das Verständnis des geltenden Rechts von Bedeutung sind:

  • Schutz der menschlichen Gesundheit
  • Schutz des Verbrauchers vor Täuschung und Übervorteilung
  • In den Mittelpunkt rückt zunehmend auch eine weitere Schutzrichtung des Lebensmittelrechts, nämlich:
  • Unterrichtung aller Wirtschaftsbeteiligter einschl. des Verbrauchers.

Von zentraler Bedeutung ist die im Januar 2002 in Kraft getretene VO (EG) Nr. 178/2002. Den geneigten Leser möchte ich im Folgenden nicht mit einer Vielzahl von EG-Verordnungen belasten. Wer aber einen Einblick in das Lebensmittelstrafrecht gewinnen will, kommt an dieser EG-Verordnung nicht vorbei, die im Übrigen auch „Basisverordnung“ genannt wird. Sie regelt nicht nur allgemeine Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts und die Einrichtung einer europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, sondern auch z.B. das Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Ablauf von Rückrufaktionen etc.). Daneben ist auf nationaler Ebene das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) geschaffen worden. Es enthält zahlreiche Vorschriften zum Verkehr mit Lebensmitteln, Futtermitteln, Kosmetika und sonstigen Bedarfsgegenständen wie z.B. Spielwaren, Scherzartikeln, Bettwäsche oder aber Haarteilen; detaillierte Vorgaben finden sich zudem in den einschlägigen nationalen Verordnungen wie z.B. der BierVO. Sofern keine bzw. unzureichende gesetzliche Regelungen existieren, muss auf sonstige „Hilfsmittel“ wie die „Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“ oder Handelsbräuche zurückgegriffen werden.

Neben weiteren – teils weniger sinnigen – Vorschriften wie z.B. den § 2 Abs. 2 LFGB („Lebensmittel sind Lebensmittel i.S.d. Art. 2 der VO (EG) Nr.178/2002“) lassen sich im 10. Abschnitt neben der Bußgeldnorm in § 60 LFGB auch Strafvorschriften in §§ 58, 59 LFGB entdecken. Hier integriert das LFGB einzelne Verstöße gegen unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht in den entsprechenden Reglungszusammenhang, vgl. z.B. § 58 Abs. 2 und § 59 Abs. 2 LFGB: Dort wird bestraft, „wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 178/2002“ durch bestimmte, im Einzelnen numerisch genannte Handlungen verstößt.

So lautet z.B. § 58 Abs. 2 Nr. 1 wie folgt:

(Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer…)
Ebenso wird bestraft, wer gegen die Verordnung ..., indem er
(Nr. 1)
entgegen Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchstabe a ein Lebensmittel in den Verkehr bringt,…

Vergleichen wir diese Vorschriften mit den altbekannten Straftatbeständen aus dem StGB, z.B. § 242 Abs. 1 StGB (Diebstahl). § 58 Abs. 1, 2 Nr. 1 LFGB lässt demgegenüber gar nicht erkennen, welches konkrete Verhalten strafbewehrt ist. Dafür muss man sich regelrecht auf die Suche nach der entsprechenden Verordnung begeben:

In Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 a) der VO (EG) Nr. 178/2002 findet sich folgender Hinweis:

Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürften nicht in Verkehr gebracht werden.
Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie
(a)
gesundheitsschädlich sind, …
Wann gilt ein Lebensmittel überhaupt als „gesundheitsschädlich“? Art. 14 Abs. 4 gibt folgendes vor:
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, sind zu berücksichtigen:
a) die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generation,
b) die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen,
c) die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für die Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist.

Weshalb nun diese Verweisungstechnik? Der Vorteil liegt – jedenfalls aus Sicht des Normgebers – auf der Hand: Schnelles Reagieren auf Entwicklungen im schnelllebigen Lebensmittelsektor ohne aufwändiges Gesetzgebungsverfahren sowie detaillierte, produkt- bzw. gefahrenbezogene Regelungen, welche üblicherweise in den jeweiligen Anlagen zu den EU-Verordnungen festgehalten sind (z.B. Allergien-Listen in Anhang II der VO (EU) Nr. 1169/2011 (sog. Lebensmittelinformationsverordnung). Der Nachteil ist, dass dieses Nebeneinander von nationalem und EU-Recht komplex und teils auch unübersichtlich ist; wenn z.B. § 58 Abs. 3 LFGB oder aber § 48 Nr. 4 WeinG keinerlei Hinweise auf einen Tatbestand enthalten, sondern wie folgt formulieren:

wer

einer unmittelbar gelten Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in Nummer 2 genannten Vorschriften ermächtigen, soweit eine Rechtsverordnung nach § 51 für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.

Damit diese, (noch) als verfassungsgemäß angesehenen Blankett-Strafvorschriften mit (tatbestandlichem) Leben gefüllt werden können, mussten nationale Durchsetzungsverordnungen – quasi als Brücke zwischen der nationalen Blankettstrafnorm und den Tatbeständen des jeweiligen, nach Art. 249 EG-Vertrag für die Mitgliedsstaaten zumeist bindenden Europarechts – geschaffen werden, z.B. die lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung v. 19.9.2006.