Cybermobbing

Erscheinungsformen,Epidemiologie, Folgen, Prävention


Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg1

1 Definition von Cybermobbing


Unter Cybermobbing versteht man die Verleumdung, Belästigung oder Nötigung anderer Menschen über das Internet oder über Mobiltelefone. Synonyme sind die Begriffe Internetmobbing oder Cyberbullying. Umfragen in Deutschland haben ergeben, dass etwa 30–40% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereits Opfer von Cybermobbing geworden sind. In ihrem umfassenden Werk „Generation Internet“ haben John Palfrey und Urs Gasser2 bereits darauf hingewiesen, dass heutzutage Cybermobbing die größte Gefahr sei, die vom Internet für Jugendliche und Kinder ausgeht. Die Folgen für die Opfer von Cybermobbing sind häufig psychosozialer Rückzug, soziale Isolation, körperliche Stress-Symptome, psychische Störungen und im Extremfall Suizid. Cybermobbing ist eine neue Form von Gewalt und Aggression, die in ihren Dimensionen offensichtlich erst die Spitze eines Eisberges zeigt. Eine besondere Brisanz liegt darin, dass die im Internet veröffentlichten Texte, Fotos oder Videos weiterverbreitet und anderen Menschen zugänglich gemacht werden können. Umfang und Auswirkungen dieser Veröffentlichungen zum Nachteil des Opfers sind somit weitgehend unkontrollierbar und unberechenbar. Da das Internet quasi nichts vergisst, können die verbreiteten Inhalte immer wieder auftauchen, selbst wenn die ursprünglichen Quellen gelöscht wurden.

2 Erscheinungsformen


Es lassen sich direkte und indirekte Formen von Cybermobbing unterscheiden. Bei den direkten kommt es zu einem tatsächlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer. In etwa 50% kennen sich Täter und Opfer, meistens bleibt jedoch der Täter anonym, so dass das Opfer gar nicht weiß, von wem die Aggression ausgeht. Diese Unsicherheit erhöht natürlich die Angst und den Leidensdruck. Bei den indirekten Cybermobbing-Formen kommt es zu keinem direkten Kontakt zwischen Täter und Opfer. Die Verleumdung, die Demütigung und Bloßstellung erfolgt über indirekte Wege (z.B. Verleumdung bei anderen).

Folgende direkte Cybermobbing-Formen werden genannt:3

 

  • Flaming – Beleidigungen und Beschimpfungen
  • Harassment – Belästigung und Diffamierung mit „zielgerichteten Attacken“
  • Cyberthreats – Androhung von Gewalt bis hin zu Todesdrohungen
  • Happyslapping – das Opfer wird tatsächlich in demütigender Weise geschlagen, dabei gefilmt und verspottet; das gedrehte Video wird über das Internet verbreitet. Das Happyslapping geht über das übliche Cybermobbing hinaus, da es zu einer realen Körperverletzung kommt. Diese wird dann aber über das Internet zur weiteren Demütigung verbreitet.


Folgende indirekte Formen von Cybermobbing werden differenziert:

 

  • Denigration – Anschwärzen, Gerüchte verbreiten. Über das Internet wird das Opfer vor anderen diffamiert und bloßgestellt, Gerüchte und Lügen werden verbreitet. Zusätzlich können auch demütigende Fotos und Videos verbreitet werden.
  • Impersonation – Auftreten unter falscher Identität; über gefälschte Profile oder gestohlene Passwörter wird eine andere Person vorgegeben und im Namen dieser werden Lügen oder Gerüchte verbreitet.
  • Outing and Trickery – Bloßstellung und Betrügerei; der Täter führt mit dem Opfer eine vermeintliche vertrauliche Kommunikation und suggeriert Ausschließlichkeit, Vertrautheit und Intimität der wechselseitigen Mitteilungen. In Wirklichkeit werden aber alle Inhalte – oft auch vertrauliche Bilder und Videos – an eine große Gruppe weitergeleitet, z.B. der ganzen Schulklasse.
  • Exclusion – Ausschluss und Ausgrenzung; der Täter agiert im Verborgenen mit allen Mitgliedern einer Online-Gruppe und veranlasst diese, das Opfer auszuschließen. Der Ausschluss wird meist mit Lügen, Beleidigungen und Bloßstellungen und Gerüchten begründet. Es geht darum, das Opfer zu isolieren und damit verletzlicher zu machen.

Einige Forscher ordnen auch das Cybergrooming, Cyberstalking, Sexting und Sextortion dem Cybermobbing zu. Bei diesen vier Formen geht es meist um Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Wie strafbar diese Handlungen sind, hängt entscheidend vom Alter der Opfer ab. Cybergrooming ist die online-basierte Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs von einem Kind. Dies ist die enge Definition, denn Cybergrooming bei Kindern ist immer strafbar, bei Jugendlichen ist die Rechtslage anders. Es hängt auch davon ab, ob ein realer Kontakt stattgefunden hat, oder ob der Täter bei seinem Online-Werben ertappt wurde. Soziale Netzwerke und Onlinespiele mit Chatprogrammen spielen beim Cybergrooming eine große Rolle.

Beim Cyberstalking werden meist heimlich begehrte Personen oder Expartner durch digitale Kommunikation verfolgt, bedrängt und belästigt. Die Motivlage ist hier eine andere als bei den meisten Formen von Cybermobbing, denn die begehrte Person wird ja positiv dargestellt oder idealisiert. Es wird ja ein Kontakt mit dem Opfer gewünscht. Das Opfer wünscht diesen Kontakt jedoch nicht, es möchte in Ruhe gelassen werden.

Beim Sexting kommt es zu einem digitalen Austausch von Nacktfotos und oder Sexvideos. Dies ist prinzipiell nicht strafbar, solange dies im wechselseitigen Einvernehmen unter Erwachsenen geschieht. Oft ist es der Fall, dass nach der Trennung einer Paarbeziehung der Partner über Bilder oder Videos des Ex-Partners verfügt und diese dann nach der Trennung ohne Zustimmung der gezeigten Person im Internet verbreitet. Dies geschieht oft aus Rachebedürfnissen.

Sextortion ist die Kombination von Sexting und Tortion (Erpressung). Beim Sextortion wird das Opfer über soziale Netzwerke (Facebook oder Dating-Plattformen) kontaktiert und anfangs mit Komplimenten versorgt und persönliches Interesse vorgetäuscht. Nach einer gewissen Vertrautheit schlägt der Täter vor, in einen Video-Chat zu wechseln. Dort verführt er das Opfer dazu, sich nackt auszuziehen und sich sexuell zu stimulieren. Täter und Opfer sind hier meist gegengeschlechtlich. Suggeriert wird von Anfang an eine wechselseitige Partnersuche und gemeinsames Interesse aneinander. Das Opfer wird oft Tage später mit dem Videomaterial konfrontiert und mit Geldforderungen bedacht. Sextortion ist eine moderne digitale Form der Erpressung. Opfer sind meistens Menschen, die bei ihrer Online-Partnersuche zu offen und leichtgläubig sind.

Die obige Darstellung zeigt, dass das Phänomen Cybermobbing sehr vielgestaltig und facettenreich ist. Es ist meistens Ausdruck einer versteckten Form von Aggression und Gewalt. Das Heimtückische liegt in der Unkontrollierbarkeit, der ungeheuren Verbreitungsmöglichkeit und dem intensiven Ausgeliefertsein. Das frühere Schulmobbing als Gerangel am Pausenhof hat manchmal nach einer Stunde ein Ende gefunden. Die Opfer von Cybermobbing sind jedoch wie in einer Endlosschleife gefangen: Sie sitzen regelrecht in der Falle.

3 Epidemiologische Daten


Im Jahr 2017 wurden offizielle Daten der OECD vorgestellt, die im Rahmen der Pisastudien des Jahres 2015 durchgeführt wurden. Unter anderem wurden in 35 Ländern weltweit die Prävalenzzahlen zu Mobbing an Schulen erhoben. Gefragt wurden 15-jährige Schüler der jeweiligen Länder. Im Durchschnitt der untersuchten OECD-Staaten hatten 18,7% der befragten Schüler Mobbing-Erfahrungen. In Deutschland lag die Prävalenzrate bei 15,7%. Am niedrigsten war die Rate in den Niederlanden mit 9,3%, am höchsten in asiatischen Staaten wie China (27,3%), Russland (27,5%) und Hongkong (32,3%). Für Deutschland bedeutet dies, dass jedes sechste Schulkind bereits Mobbing-Opfer war. Die OECD-Studie fragte nicht gezielt nach Cybermobbing. Dies erfolgte allerdings in der vom „Bündnis gegen Cybermobbing“ durchgeführten Cyberlife II-Studie.4 In dieser Studie wurden 1.924 Schülerinnen und Schüler in den Jahren 2016 und 2017 zu Erfahrungen mit Cybermobbing befragt. 13,2% der untersuchten Schüler gaben an, Opfer von Cyber-Mobbing gewesen zu sein. Da die Studie keine repräsentative Stichprobe hatte, sind Hochrechnungen problematisch. Nach Angaben des Deutschen Bundestages zu einer Mobbing-Anfrage (Drucksache 19/3468, S. 68 v. 19.7.2018) gibt es in Deutschland etwa 8,4 Millionen Schülerinnen und Schüler an insgesamt 33.493 Schulen. Die Studienautoren der Cyberlife-II-Studie5 machten trotz fehlender Repräsentativität Hochrechnungen und sprechen von 1,4 Millionen Schülerinnen und Schülern, die in Deutschland Opfer von Cybermobbing wurden. Die Ergebnisse der OECD-Studie und der Cyberlife-II-Studie haben einige Bundestagsabgeordnete veranlasst, eine Anfrage an den Deutschen Bundestag zu richten. Diese befindet sich in der bereits genannten Drucksache 19/3468 zum Thema „Wirksame Bekämpfung von Mobbing am Schulen“. Die Bundesregierung hat für entsprechende Anti-Mobbing-Projekte Finanzmittel von 20 Millionen Euro pro Jahr zugesagt.6

Das Smartphone kann zur Waffe werden.

4Online-Mobbing versus Aggression im realen Leben – Übergänge und Komplexität


Ein Großteil des Cybermobbings findet zwischen Jugendlichen statt. Es ist in vielen Fällen eine Form des Schulmobbings, das vom Pausenhof oder vom Klassenzimmer in den virtuellen Raum verlagert wurde. Cybermobbing und Mobbing im realen Leben schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern treten oft in Kombination auf. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass das Mobbingopfer im realen Leben wahrnehmen kann, welcher Mitschüler es beleidigt, beschimpft oder Lügen verbreitet. Einige der oben dargestellten Erscheinungsformen des Mobbings treten immer gemeinsam auf – sowohl online als auch reales Mobbing. Dies ist zum Beispiel beim Happyslapping der Fall. Es findet eine reale Körperverletzung statt, die dann gefilmt wird und online als Video verbreitet wird. Beim Cybergrooming ist die Reihenfolge umgekehrt: Der Erstkontakt findet online statt, der sexuelle Kindesmissbrauch im realen Leben.

5 Das Handy als Tatwaffe


Beim Cybermobbing wird das Internet zum Tatort und das Smartphone zur Waffe. Catarina Katzer forscht seit mehr als zehn Jahren intensiv über Cybermobbing.7 Sie war eine der ersten deutschen Psychologinnen, die über Cybermobbing promoviert hat. Der Titel ihrer Dissertationsschrift an der Universität Köln im Jahre 2007 lautet:8„Gefahr aus dem Netz – der Internet-Chatroom als neuer Tatort für Bullying und sexueller Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen.“ Sehr früh hat sie auf die Bedeutung des Smartphones als „Waffe“ hingewiesen. So ist deshalb nicht verwunderlich, dass ihr 2014 erschienenes Buch „Cybermobbing“ den Untertitel „Wenn das Internet zur Waffe wird“ trägt.9Catarina Katzer ist Mitgründerin und Vorstand im Bündnis gegen Cybermobbing e.V. Die positiven Funktionen und die enorme Verbreitung von Smartphones sind beeindruckend bis überwältigend. Wird es jedoch destruktiv zum Mobbing eingesetzt, kann es zur Tatwaffe werden und schädigend auf unschuldige Opfer wirken.

6 Täter und Opfer sind oft Jugendliche


Da Cybermobbing überwiegend über das Smartphone läuft und Jugendliche besonders viel Zeit damit verbringen, ist Cybermobbing bei dieser Altersgruppe am ausgeprägtesten. Kinder und Jugendliche sind die bevorzugte Altersgruppe für bestimmte Cybermobbing-Formen, wie zum Beispiel Cybergrooming. Die bevorzugten Opfer für online-basierten sexuellen Missbrauch oder Vergewaltigung sind Kinder und Jugendliche. Im Verlauf des Lebens nimmt die Zahl der Menschen, die schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden sind, verständlicherweise zu. Das Bündnis „Cybermobbing“ führte in drei europäischen Ländern – Deutschland, Österreich, Schweiz – eine Studie an 4.001 Erwachsenen durch. In dieser Studie wurden allerdings sowohl Cybermobbing als auch andere Mobbing-Formen erfasst. Bei Erwachsenen spielte Mobbing am Arbeitsplatz eine große Rolle. Die Ergebnisse:10 in Deutschland sind 30,1%, in Österreich 32,5% und in der Schweiz 34,8% der Befragten schon einmal Opfer von Mobbing-Attacken gewesen. Diese Zahlen beziehen sich auf alle Mobbing-Formen. Speziell für Cybermobbing bei Erwachsenen lagen die Prävalenzraten in Deutschland bei 9,2%, in Österreich bei 9,4% und in der Schweiz bei 8,6%.

Schülerprojekt gegen Cybermobbing.

7 Opfer-Täter-Transition – aus Opfern werden Täter


Wie bereits bei anderen Gewaltformen ist auch in der Cybermobbing-Forschung festgestellt worden, dass ein hoher Prozentsatz der Opfer später zu Tätern werden. In der Cyber-Life II-Studie11 wurde festgestellt, dass etwa 20% der Täter selbst schon einmal Opfer von Cybermobbing gewesen sind. Die Täter wurden in der Studie nach ihren Motiven gefragt. Dabei gaben 43% an, dass sie mit dieser Person schon einmal Ärger hatten, 28% erklärten, dass sie von dieser Person schon einmal gemobbt wurden und 18% gaben an, dass sie andere, die gemobbt worden sind, rächen wollten. Insgesamt tauchten sehr häufig Rachebedürfnisse und Neidgefühle als Motive der Täter auf. Durch die Täter-Opfer-Transition und die ausgeprägten Rachebedürfnisse kommt es zu einer Perpetuierung der Gewalt. Der Gewaltzirkel lädt sich neu auf und dreht sich weiter, es kommt zu einem Teufelskreis der Gewalt.

8 Psychische Folgen für die Opfer


Die Folgen von Cybermobbing können ähnlich wie bei anderen Formen von ausgeprägten negativem Stress auf folgenden Ebenen analysiert werden: Emotionale Reaktionen, kognitive Reaktionen, Körpersymptome, Einflüsse auf das Verhalten. Auf der Gefühlsebene stehen Kränkungen, Verletztsein, Wut, Angst und Depression im Vordergrund. Überwiegend sind ja Schüler vom Cybermobbing betroffen. Entsprechend gibt es auch schulbezogene Folgen wie Schulangst, Vermeidungsverhalten, deutlichen Leistungsknick und oft Verschlechterung der Schulnoten. In der Cyberlife-II-Studie12 wurde auch nach den Folgen und Auswirkungen gefragt: 62% der Opfer fühlten sich verletzt, 47% waren wütend und 36% hatten Angst. Bei 20% war der Leidensdruck so hoch, dass sie Suizidgedanken hatten.

9 Extremes Cybermobbing mit Suizid des Opfers: Bullycide


2007 suizidierte sich in Los Angeles die 13-jährige Megan Meier, weil sie die Beleidigungen und Demütigungen durch Cybermobbing nicht mehr ertrug. Im Jahr 2012 beschäftigten besonders die Suizide der 15-jährigen Amanda Todd aus Kanada und des 20-jährigen Tim Ribberink aus den Niederlanden die Medien. In diesen beiden Fällen wandten sich die Eltern mit eindrucksvollen Appellen an die Öffentlichkeit und erhielten eine entsprechend große Resonanz in den Medien. Die Zahl der Suizidopfer nach Cybermobbing ist mittlerweile beträchtlich gestiegen und das Phänomen ist ein trauriges Kapitel auf allen Kontinenten der Welt.

Aus der Cyberlife-II-Studie geht hervor, dass 20% der Opfer von Cybermobbing unter Suizidgedanken leiden.13 Die Studienautoren geben nach einer entsprechenden Hochrechnung 280 000 deutsche Cybermobbing-Opfer an Schulen an, die einen so starken Leidensdruck hatten, dass sie unter Suizidgedanken litten.

Der Cybermobbing-Experte Wolke hat mit seinen Mitarbeitern (Lereya at al.) hierzu eine interessante Studie durchgeführt.14 Sie untersuchten zwei Kohorten von Schülern in zwei verschiedenen Ländern, 4.026 Schüler aus Großbritannien und 1.420 aus den USA. Das Ergebnis der Studie war, dass die Schüler unter dem Mobbing mehr litten als unter körperlichen Misshandlungen durch Erwachsene. In der FAZ wurde die Studie unter der Überschrift „Mobbing schadet Kindern mehr als Misshandlung“15 vorgestellt. Die Zeitung „Welt“ formulierte den Titel etwas salopper: „Mobbing schadet der Seele mehr als Prügel zu Hause“.16 Die Studie von Lereya et al. gilt als besonders aussagekräftig, weil die Stichprobe insgesamt fast 5.500 Probanden enthält und die Untersuchung mit sehr aufwändigen standardisierten Erhebungsinstrumenten durchgeführt wurde. Bei den Zielvariablen wurden auch Selbstverletzungen und Suizidalität erfasst. Die Prävalenzzahlen hierzu lagen in der britischen Kohorte bei 12% und in der amerikanischen Kohorte bei 13%. Die Studie von Lereya et al.17 wurde in der renommierten Zeitschrift „Lancet“ publiziert und unterstreicht die hohe klinische Relevanz von Suizidgefahr bei Opfern von Cybermobbing.

In Deutschland führte der Suizid von Robert Enke im Jahr 2009 zu einer großen Zahl von Nachahmungssuiziden (Werther-Effekt, Enke-Effekt). Suizidforscher und namhafte Medienwissenschaftler haben deshalb eine sehr restriktive Suizidberichterstattung gefordert. Nach einer entsprechenden Empfehlung von einer Expertenkommission wird deshalb über neue Fälle von Suiziden bei deutschen Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht in den Medien berichtet. Medienberichte in deutschen Zeitungen über Suizide nach Cybermobbing beziehen sich deshalb auf ausländische Fälle. Im anglo-amerikanischen Raum ist das Phänomen der Suizide nach Cybermobbing so stark ausgeprägt, dass bereits vor mehr als zehn Jahren ein eigener Begriff in der Fachliteratur eingeführt wurde: „Bullycide“. Dieses Wort setzt sich aus den beiden Worten „bullying“ und „suicide“ zusammen. Bullying oder Cyberbullying sind in den USA die geläufigeren Begriffe für Mobbing und Cybermobbing. Innerhalb Europas sind die meisten Bullycide-Fälle in Großbritannien aufgetreten. Dort gab es Suizidserien von mehreren Jugendlichen während der Amtszeit des Premierministers David Cameron, so dass sich sogar die Regierung und das Parlament mit diesem Phänomen beschäftigt haben.  

10 Strafbarkeit und Forderungen nach einem neuen Cybermobbing-Gesetz


In Deutschland ist Cybermobbing kein eigener Straftatbestand. Es kann jedoch strafrechtlich verfolgt werden und verschiedene andere Straftatbestände erfüllen. Beim Cybermobbing können folgende Straftatbestände in Frage kommen: Beleidigung, Üble Nachrede, Verleumdung, Nachstellung, Nötigung und Bedrohung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Beim Cybergrooming mit folgenden realen Kontakten liegt oft der Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauchs vor. Happyslapping erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung und Sextortion den der Erpressung. Die Vielfalt der Erscheinungsformen von Cybermobbing spiegelt sich auch in der großen Zahl von Strafdelikten, die erfüllt sein können. Im Zivilrecht sind zusätzlich Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Zahl der Gerichtsverhandlungen, die zu einer Verurteilung der Täter von Cybermobbing geführt haben, nimmt von Jahr zu Jahr mit hohen Steigerungsraten zu. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung fordern zahlreiche Institutionen und Politiker ein neues Cybermobbing-Gesetz. Das „Bündnis gegen Cybermobbing“ und die Kinderschutzorganisationen „Internet Watch Fondation“ und „Innonence in Danger“ plädieren seit Jahren dafür.

Sehr wichtig sind jedoch auch neue Gesetzgebungen, die die neue Gefahrenlage berücksichtigen. Der Missbrauchs-Beauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Röhrig und die ehemalige Justizministerin Katharina Barley fordern vor allem strengere Gesetze bezüglich Cybergrooming, weil von ihm durch den sexuellen Kindesmissbrauch die gravierendsten Straftagen drohen.

11 Prävention


Da vor allem Kinder und Jugendliche Opfer von Cybermobbing werden, ist bei der Prävention die Vermittlung einer fundierten Medienkompetenz von überragender Bedeutung. Sowohl die Schüler als auch ihre Eltern sollen für die Gefahren des Internets sensibilisiert werden. Ein wichtiger Beitrag für die Prävention ist die Polizeiarbeit. Einer der Pioniere ist der Kriminologe Thomas Gabriel Rüdiger, der als Dozent am Institut für Polizeiwissenschaft der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg tätig ist.18 Er forscht seit mehr als zehn Jahren als Cyber-Kriminologe und erhielt hierfür den Europäischen Zukunftspreis der Polizeiarbeit. Gemeinsam mit der niederländischen Sicherheitsexpertin Petra Saskia Bayerl gab er kürzlich den umfangreichen Sammelband „Digitale Polizeiarbeit“ heraus.19

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Anmerkungen

  1. Der Autor ist Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Zentrum für Innere Medizin der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Würzburg. Korrespondenzadresse: Csef_H@ukw.de.
  2. Palfrey J, Gasser U (2008): Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben. Was sie denken. Wie sie arbeiten. Hanser, München.
  3. Fawzi N (2009): Cyber-Mobbing. Ursachen und Auswirkungen von Mobbing im Internet. Baden-Baden, NOMOS Verlagsgesellschaft; Stephan R (2010) Gewalt im Web 2.0. Der Umgang Jugendlicher mit gewalttätigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik. Berlin, VISTAS Verlag.
  4. Leest U, Schneider C (2017): Cyberlife II. Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Bündnis gegen Cybermobbing.
  5. Deutscher Bundestag (2018): Wirksame Bekämpfung von Mobbing an Schulen. Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Margit Stumpp, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Drucksache 19/3229 v. 19.7.2018.
  6. Deutscher Bundestag, a.a.O. (EN 5)
  7. Katzer C (2011): Das Internet als Tatort: Cyberbullying und sexuelle Gewalt – Wer sind die Täter, wer wird zu Opfern? In: Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (Hrsg.), Cybermobbing – Medienkompetenz trifft Gewaltprävention, Hannover; ders. (2016): Cyberpsychologie. Leben im Netz: Wie das Internet uns verändert. dtv München.
  8. Katzer C (2007): Gefahr aus dem Netz – Der Internet-Chatroom als neuer Tatort für Bullying und sexuelle Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen. Dissertation, Universität Köln.
  9. Katzer C (2014): Cybermobbing – Wenn das Internet zur Waffe wird. Springer, Heidelberg.
  10. Schneider C, Leest U (2018): Mobbing und Cybermobbing bei Erwachsenen – die allgegenwärtige Gefahr. Eine empirische Bestandsaufnahme in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz. Bündnis gegen Cybermobbing.
  11. Leest, Schneider, a.a.O. (EN 4).
  12. Leest, Schneider, a.a.O. (EN 4).
  13. Leest, Schneider, a.a.O. (EN 4).
  14. Lereya ST, Capeland WE., Castello EJ, Wolke D (2015): Adult mental health consequences of peer bullying and maltreatment in childhood: two cohorts in two countries. www.thelancet.com/psychiatry Published online April 28, S. 1-8.
  15. Hucklenbroich Ch (2015): Mobbing schadet Kindern mehr als Misshandlung. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.5.2015.
  16. Mensch C (2015): Mobbing schadet der Seele mehr als Prügel zu Hause. WELT vom 30.4.2015.
  17. Lereya et al., a.a.O. (EN 14).
  18. Rüdiger T-G (2012): Cybergrooming in virtuellen Welten – Chancen für Sexualtäter? Internetkriminalität. Deutsche Polizei 2-2012, S 29-35.
  19. Rüdiger T-G, Bayerl P S, Hrsg. (2018): Digitale Polizeiarbeit. Herausforderungen und Chancen. Springer Wiesbaden.