Clankriminalität in Deutschland

Eine Bestandsaufnahme (Teil 2)

Von Patrick Rohde M.A., Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl und Prof. Dr. Sonja Labryga, Essen/Mülheim

Das BKA hat im Herbst 2019 erstmals Clankriminalität im Bundeslagebild Organisierte Kriminalität für das Berichtsjahr 2018 unter „ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ gesondert ausgewiesen. In diesem wurde neben dem ermittelten Schaden von etwa 16 Mio. Euro in insgesamt 45 Verfahren auf die Gefährlichkeit von gesellschaftlichen Parallelstrukturen hingewiesen.1 Auch die Innenminister der Länder verwiesen in diesem Kontext bereits im Sommer auf die Notwendigkeit effektiver Bekämpfungsmaßnahmen, für die sie Impulse während der Landesinnenminister-Konferenz in Kiel festlegten. Zeitgleich mit Erscheinen des Bundeslagebildes OK wurde der Bericht der „Bosbach-Kommission“2 vorgelegt, die einen 21-Punkte-Plan enthält. Während dessen gehen Sicherheitsbehörden bereits neue Wege, um Clankriminalität zu bekämpfen.

5 Konzepte der Polizei


In NRW wird die Bekämpfung der Clankriminalität im derzeit gültigen Koalitionsvertrag der CDU/FDP-geführten Landesregierung als politisches Ziel definiert.3 Im Grundsatz wird eine offen kommunizierte Strategie der „kleinen Nadelstiche“ seitens der staatlichen Institutionen verfolgt. Im Rahmen der sogenannten Ruhrkonferenz, die zur Stärkung des Ruhrgebiets als lebenswerten Standort geschaffen wurde, wird bei einem von mehreren möglichen Themenforen die Bekämpfung der Clankriminalität behandelt. Daraus wird deutlich, dass die Clankriminalität in NRW eine starke Priorität erfährt.4 Neue Wege geht bereits das stark betroffene Polizeipräsidium Essen, das inmitten des Ruhrgebiets gelegen, die meisten arabischen Großfamilien nach Berlin zählt und einen Brennpunkt der kriminellen Handlungen darstellt. Mit dem „Aktionsplan Clan“ wurde ein seit Dezember 2018 geschaffenes Konzept in den Strukturen einer BAO mit verschiedenen Einsatzabschnitten zur Bekämpfung der Clankriminalität geschaffen. Die ergriffenen Maßnahmen sind auf mehrere Jahre ausgerichtet.5 Dies ist aufgrund verfestigter krimineller Clanstrukturen, die über Jahre entstanden sind und aufgebrochen werden müssen, ein wichtiger Ansatz, um schnellen Erfolgen zu Nachhaltigkeit zu verhelfen.6 Dabei ist die Übertragung der Aufgaben auf eine für gewöhnlich nur kurzzeitig angelegte BAO in eine mittelfristige notwendig, um den komplexen OK-Verfahren, die zuweilen eine Verfahrensdauer von durchschnittlich gut 1,5 Jahren haben, Rechnung zu tragen.7 Der „Aktionsplan Clan“ und seine langfristige Ausrichtung verdeutlichen ebenfalls, dass es sich bei der Bekämpfung der Clankriminalität nicht um eine kurzfristige politische Stimmungsmache handelt. Wie sich der Essener Ansatz auf das Phänomen Clankriminalität vor Ort auswirkt, muss beobachtet werden.8

Auch in Niedersachsen existiert seit März 2018 die Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen, die von der dortigen Landesregierung formuliert wurde.9 Schon vor diesem Konzept befasste sich die niedersächsische Polizei im Rahmen einer Schwerpunktsetzung seit dem Jahr 2013 mit der Clankriminalität. In das Curriculum der Polizeiakademie Niedersachsen ist das Thema Clankriminalität aufgenommen worden. Die Akademie schafft so in Zusammenarbeit mit dem LKA Niedersachsen eine bedarfsorientierte Aus- und Fortbildung in diesem Bereich.10 In Berlin wurde Ende 2018 ein sogenanntes 5-Punkte Programm vorgestellt, mit dem die Clankriminalität beispielsweise verstärkt mit den Möglichkeiten des 2017 novellierten Gesetzes zur Vermögensabschöpfung11 bekämpft werden soll.12 Die Beschlagnahme von 77 Immobilien in Berlin durch die Staatsanwaltschaft steht in diesem Zusammenhang. Die Ansätze des 5-Punkte-Programms ähneln stark denen aus Niedersachsen und NRW und reichen von einer „Null-Toleranz-Strategie“ gegenüber Clanmitgliedern über den Aufbau spezialisierte Dienststellen bis zur behördenübergreifenden Zusammenarbeit.

6 Empfehlungen der Regierungskommission


Der Ansatz konsequenter Vorgehensweisen wird unter anderem auch von der Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ empfohlen, die von der Landesregierung NRW eingesetzt wurde, und einen „Zwischenbericht [...] zum Thema ‚Bekämpfung der Clankriminalität‘ durch Prävention und Strafverfolgung“13 vorgelegt hat. Die sog. Bosbach-Kommission, die im Rahmen ihres Auftrages Sicherheitsdefizite analysiert, hat auch das Phänomen Clan-Kriminalität betrachtet und zu dem empfohlenen administrativen Ansatz weitere 20 Empfehlungen zusammengetragen. Bemerkenswert bei der Analyse der Kommission und den dargelegten Empfehlungen sind (neben bereits bekannter) die praktischen und sehr konkret formulierten Forderungen nach verbesserter technischer Ausstattung der Polizei. Um bereits rechtlich vorhandene Maßnahmen durchführen zu können kommt die eingesetzte Kommission zu dem Schluss, dass u.a. die Mobilen Einsatzkommandos (MEK) besser ausgestattet werden müssen und in diesem Zug auch die Ausweitung der Nutzung von IMSI-Catchern14 anzustreben sei, zudem plädiert sie für eine Datenbank zur verbesserten Nutzung der Funkzellenauswertung.15 Normierte theoretische Eingriffsbefugnisse könnten dementsprechend auch praktisch besser genutzt werden.

Weiterhin ist ein neuer und bisher nicht beachteter, durchaus auch auf andere Kriminalitätsphänomene übertragbare, Aspekt in den Empfehlungen der Kommission und somit an prominenter Stelle zu finden. Die Problematik mit den Strafverfolgungsstatistiken. Sowohl die PKS, als auch die staatsanwaltliche Statistik werden mitunter als Arbeitsnachweise gesehen und nicht zuletzt als quantitativer Maßstab erfolgreicher Ermittlungsarbeit.16 Allerdings dokumentieren sie weder Zusammenhänge noch die Arbeitsintensität der jeweiligen Vorgänge. Entsprechend könnten überregionale Verfahren bei den regionalen Behörden aufgrund fehlender statistischer Zurechnung zu Motivationsproblemen führen.17 Geforderte Neuerungen in den statistischen Fallerfassungen sind ein erster Schritt die Strafverfolgungsstatistiken von dem Stigma des Arbeitsnachweises zu befreien.

Diese von Vorgaben befreite und dennoch sehr nahe an den Behörden analysierende Regierungskommission spricht in ihrem Papier Optimierungsbedürfnisse an, die schon länger Gegenstand polizeilicher Forderungen für eine effektivere Bekämpfung von Organisierter Kriminalität sind. Entsprechend gespannt darf man auf die Umsetzung einzelner Ansätze nicht nur in Nordrhein-Westfalen blicken.

7 Kontrollen und Razzien in der Diskussion


Besonders sichtbare und in den Medien bereits vieldiskutierte Maßnahmen sind Kontrollen, Razzien und Beschlagnahmen. In Berlin und Nordrhein-Westfalen werden diese Maßnahmen bereits seit Ende 2018 verstärkt eingesetzt. Diese „Taktik der 1000 Nadelstiche“ orientiert sich dabei an den Tätern, nicht an den Taten. Kleinste Vergehen sollen im Rahmen des Möglichen mit Strafen belegt werden, um die Strukturen offenzulegen und die Täter zu zermürben.18 Die Idee dahinter ist nicht neu und eine Art taktischer Klassiker gegen organisiert-kriminelle Strukturen, die in der Vergangenheit Erfolge erzielen konnte. Das Prinzip wurde auf gemeinsame und zum Teil großangelegte Kontrollen durch Polizei, Zoll, Ordnungs- und Finanzämter ausgeweitet. Entsprechend aufwendig sind sie für die beteiligten Behörden. Die Resultate besitzen dabei meist nur wenig strafrechtliche Relevanz, die eine weitere Bearbeitung durch die Polizei erfordern. Vielmehr liegen sie vor allem im Bereich von Ordnungswidrigkeiten und steuerlichen/strafrechtlichen Verfahren. Entsprechend kritisch werden sie betrachtet. Doch alleine in strafrechtlichen Prozessen erschöpfen sich die mittelfristigen Strategien keineswegs: Durch die kontinuierlichen Kontrollen und die sich anschließende intensive Ermittlungsarbeit konnte die Polizei in den vergangenen Monaten Erfahrungen sammeln und neue Bekämpfungsansätze generieren. Bisher unbekannte Strukturen können so erhellt werden. Dies ist insbesondere im Bereich der OK wichtig, zu der die Clankriminalität gezählt wird und an deren Definition sich die Definition der Clankriminalität orientiert.19

Ein anderer Aspekt ist die Kritik des Generalverdachtes der Polizei gegen ganze ethnische Gruppen.20 Insbesondere die Kontrollmaßnahmen werden in Zusammenhang mit Racial Profiling gebracht.21 Dies bedeutet die Ungleichbehandlung aufgrund phänotypischer Merkmale. Maßnahmen, die also aufgrund von Herkunft, Hautfarbe etc. getroffen werden, sind damit rechtswidrig.22 Vor allem Angehörige der in Rede stehenden Familien mit entsprechendem Hintergrund beschweren sich über den Generalverdacht, dem sie sich ausgesetzt fühlen. Dabei stellt sich prinzipiell immer die Frage, welche Erkenntnisse und Erfahrungswerte zu einer polizeilichen Maßnahme führen.23

Der Vorwurf des Racial Profiling wiegt in der polizeilichen Arbeit schwer, muss jedoch im Kontext der zugrundeliegenden Erfahrungswerte für die Einschätzung für polizeiliche Maßnahmen betrachtet werden. Die „Null-Toleranz-Strategie“ bezieht sich auf das die Regeln und Grenzen überschreitende Verhalten von Personen, die den Familien zuzuordnen sind und entsprechende Erfahrungen, die die Polizei im bisherigen Umgang mit ihnen gemacht hat. Sie werden also nicht verdachtsunabhängig und wahllos gegen eine ethnische Minderheit eingesetzt, um diese zu diskriminieren. Sondern sie stehen in einem sachlichen und häufig örtlichen Kontext. Zudem darf dieser Vorwurf nicht zu einer Täter-Opfer-Umkehr führen, die von den kriminellen Clanangehörigen als Verteidigungsstrategie missbraucht wird. Auch vernachlässigt die Diskussion die Tatsache, dass die Straftäter aus den Familien dafür verantwortlich sind, dass bereits gesellschaftliche Vorbehalte auch den Angehörigen entgegengebracht werden, die keinerlei kriminelle Bezüge haben. Ein für die Clankriminalität konstituierendes Merkmal ist die Familienzugehörigkeit und der damit einhergehende gelebte Zusammenhalt. Eine eindeutige Abgrenzung der nicht kriminellen Familienmitglieder von dem kriminellen Kern, würde ein erster Schritt gegen gesellschaftliche Vorbehalte sein.

8 Möglichkeiten der verbesserten Vermögensabschöpfung


In der Diskussion um Bekämpfungsansätze gegen Clankriminalität sind sich alle beteiligten Akteure einig, dass ein zentraler Aspekt das Entziehen inkriminierter Gelder darstellt. Entsprechend wichtig sind die Möglichkeiten des 2017 novellierten Gesetzes zur Vermögensabschöpfung.24 Diese Neuregelung sieht nach dem Grundsatz „Verbrechen darf sich nicht lohnen“ vor, dass „die strafrechtliche Vermögensabschöpfung einfacher und effizienter“25 wird. In der Vergangenheit stellten sich die formalen Bedingungen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung oftmals als kompliziert und fehleranfällig heraus. Insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität war es so vielfach nicht möglich, kriminell erlangte Vermögensvorteile staatlicherseits einzuziehen. Im Sinne des gerichtlichen Grundsatzes „in dubio pro reo“ musste der Nachweis, dass es sich um nicht inkriminiertes Vermögen handelte, nicht von den Beschuldigten geführt werden.

Nach § 76a StGB in Verbindung mit § 437 StPO kann nun, bei eklatantem Missverhältnis zwischen dem Wert eines Gegenstandes und den Einkünften des Besitzers, eben dieser Gegenstand eingezogen werden. Diese gesetzliche Neuerung ist ein erster Schritt zur vollständigen Beweislastumkehr, die im Bereich der Clankriminalität immer wieder und vermehrt gefordert wird.26 Entsprechende Verfahren werden aktuell geführt. Nach wie vor bleiben solche jedoch kompliziert: Mitglieder etwaiger Familienclans präsentieren – bevorzugt vertreten durch ihre Anwälte – ebenso abenteuerliche und schwer überprüfbare Erklärungen hinsichtlich der Herkunft von Geldern und Sachwerten. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Gerichte, die die durch die Polizei durchgeführten Maßnahmen der Einziehung bestätigen müssen, zu einem Urteil kommen, das durch die Mehrheitsgesellschaft nicht als lebensfremd aufgefasst wird und die Einziehung von kriminell erlangtem Vermögen bestätigt. Die nächsten Monate und Jahre werden diesbezüglich wegweisend sein.

9 Aberkennung der Staatsbürgerschaft

In der 210. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder wurde im Juni 2019 in Kiel über eine Gesetzgrundlage debattiert, die es ermöglicht, die deutsche im Falle einer doppelten Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn Bezüge zur OK nachgewiesen werden.27 Dieser Schritt ist vor dem Hintergrund zu begrüßen, da kriminelle Clanmitglieder häufig mehrere Staatsbürgschaften besitzen; zum Teil mit türkischen Namen, die sie den Behörden bewusst verschweigen. Auch spielt die Staatsangehörigkeit noch immer eine wichtige Rolle hinsichtlich der Praxis der strategischen Eheschließungen innerhalb der Clanstrukturen.28 Die Heirat findet dann auf dem Standesamt statt, wenn sie Nutzen für die Familie bringt, wie eben die Aussicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft für einen der Ehepartner.

Entsprechend könnte der Vorstoß zu Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität durch subkulturelle Strukturen in Deutschland generell sein. Unter anderem in den Niederlanden praktiziert man dies längst.29 Allerdings wird der Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft alleine nicht zwangsläufig Wirkung zeigen, wenn beispielsweise mit neuen Papieren plötzlich eine zuvor unbekannte syrische Staatsangehörigkeit dokumentiert wird, die dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel und Anspruch auf Transferleistungen ermöglicht. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist in Hinblick auf ihren Nutzen für kriminelle Clanmitglieder zu betrachten. In ihrem emotionalen Wert sollte sie nicht überschätzt werden. Zudem müssen in diesem Zuge weitere ausländerrechtliche Statuten auf den Prüfstand gestellt werden, wenn gegenwärtig Personen, die zum Teil Jahrzehnte keine Papiere vorgelegt haben und sich als Libanesen ausgaben, nun plötzlich mit syrischen Dokumenten in den Ämtern auftreten.

10 Zur Diskussion um die Wegnahme von Kindern aus den Familien


Kriminalität zu verhindern, bevor sie entsteht, ist Grundgedanke kriminalpräventiver Ansätze. Auch von diesen gibt es bereits viele, die meist vor Ort ansetzen und aktive Jugendsozialarbeit zum Inhalt haben. Eine gegenwärtig beliebte Forderung ist die, Kinder aus kriminellen Clanfamilien zu nehmen. Erstens, um so deren Weg in die Kriminalität frühzeitig zu verhindern und zweitens, um Eltern, die mit den Nachkommen ihren Wohlstand sichern wollen, zu schwächen.30 Die sog. Inobhutnahme gilt als das schärfste Mittel von Behörden, wenn das Kindswohl gefährdet ist. Art. 6 Satz 3 GG formuliert die Grundlage zur Herausnahme eines Kindes aus der Familie zwar recht vage, nämlich „wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“. Allerdings steht die Familie gemäß Art. 6 Satz 1 GG unter „dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Ein Kind oder Jugendlicher kann zeitweise oder in schweren Fällen dauerhaft aus seiner Familie genommen werden, wenn es konkrete Hinweise auf eine Gefährdung durch Unterversorgung, Verwahrlosung, sexuellen Missbrauchs oder schweren Misshandlungen gibt oder wenn die Eltern drogen- oder alkoholkrank sind und somit das Kind nicht vernünftig versorgen können. Somit ist es praktisch betrachtet gegenwärtig nicht möglich, Kinder aus kriminellen Familien herauszunehmen, wenn keine weiteren Faktoren für eine Kindswohlgefährdung vorliegen. Denn regelmäßig sind bei den Clanfamilien keine offensichtlichen Gefährdungen wie Verwahrlosung oder ähnliches zu beobachten.31 Dies zeigt auch die Erfahrung aus den Jugendämtern. Verbreitete Kriminalität in der Familie wird daher nur in den seltensten Fällen dem Klageweg der Eltern standhalten können.

Doch auch, wenn eine Grundgesetzänderung zu schnelleren Inobhutnahmen durch Jugendämter führen würde, stellt sich die Frage, ob diese Forderung wirklich zu Ende gedacht wurde. Denn dann müsste es bereits Konzepte geben, was mit den Kindern aus diesen Familien geschehen soll, ob sie in Pflegefamilien kommen und wie diese gerade in solchen Fällen ausgewählt und vorbereitet werden (ggf. erhöhtes Gefährdungspotential etc.), ob sie in staatliche Kinder- und Jugendeinrichtungen kommen usw. Auch muss in der Frage des Kindswohl eine Einschätzung getroffen werden können, welche die Auswirkung die Trennung des Kindes von seiner Familie auf dessen psychische Gesundheit hätte. So naheliegend der Gedanke ist, Kinder einer oben beschriebenen Entwicklung zu entziehen, so oberflächlich ist er bislang formuliert.

11 Fazit


Clankriminalität ist ein Komplex, der sich über Jahrzehnte in Deutschland entwickelt hat und dem nur auf den unterschiedlichsten Ebenen begegnet werden kann. Bereits jetzt werden Fragen laut, was die Initiativen der letzten Monate bislang gebracht haben. Dabei wird dieses Kriminalitätsphänomen erst seit jüngerer Zeit sowohl als gesellschaftspolitisches, als auch als kriminalpolitisches Problem wahrgenommen. Bestandsaufnahmen unterschiedlicher sicherheitspolitischer Akteure und Gremien haben die Dimension erkannt, die neue Herangehensweisen in der Bekämpfung erfordern. Begonnene Strategien müssen nun in der Strafverfolgungspraxis erprobt und die festgestellten praktischen und technischen Defizite behoben werden. Die nächsten Monate und Jahre werden somit wegweisend für eine effektivere Verbrechensbekämpfung von organisiert-kriminellen Strukturen sein. Dennoch bleibt stets zu beachten, dass vor allem diese Form Organisierter Kriminalität immer in einem asymmetrischen Verhältnis zur staatlichen Übermacht steht, die sich in den nächsten Jahren klar und mit jedem einzelnen seiner Vertreter durchsetzen muss. Im Endeffekt werden die Konsequenz im staatlichen Vorgehen und die interbehördliche Zusammenarbeit mit Bündelung aller unterschiedlichen Eingriffsbefugnisse der Maßstab für die Kriminalitätskontrolle in Deutschland sein. Behörden müssen dabei Zuständigkeiten übergreifend arbeiten können und das bedeutet auch, dass einzelne datenschutzrechtliche Vorgaben hinsichtlich ihrer Reichweite aber auch ihres Zweckes hin überprüft werden müssen. Clankriminalität ist unbestritten gegenwärtig das populärste kriminalpolitische Thema. Darin liegen Chancen und Risiken zugleich. Während die Initiativen, die aktuell formuliert und auch ausprobiert werden, großen Anklang innerhalb der Polizei finden, hat die Erfahrung gezeigt, dass sich politische Prioritäten rasch verändern können. Und gerade hier zeigt sich ein Problem unseres Zeitgeistes: Ein Problem, dass sich viele Jahre aufgrund politischer und weitestgehend gesellschaftlicher Ignoranz entwickeln konnte, soll nun binnen weniger Monate gelöst werden. Im Fokus der Verantwortung steht allerdings nicht die Politik, sondern vor allem die Polizei. Und sollte – egal, aus welchen Gründen – die Bekämpfung der Clankriminalität ihre politische Priorität verlieren, wird ebenfalls die Polizei den Schaden zu tragen haben.

Literatur


Abgeordnetenhaus Berlin (2018): Wortprotokoll des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung 34. Sitzung vom 10.12.2018.

BKA (Hrsg.) (2019): Organisierte Kriminalität - Bundeslagebild 2018, Wiesbaden.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2016) (Hrsg.): Kabinett beschließt Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, Pressemitteilung vom 13.7.2016.

Dienstbühl, Dorothee (2018a): Zwischen Realität und Erfassung – Kriminalität als Politikum, in: Deutsche Polizei 9/2018, S. 4–10.

Dienstbühl, Dorothee (2018b): Kampf gegen Windmühlen? Clankriminalität in Deutschland, in: Homeland Security 3/2018, S. 5-11.

Dienstbühl, Dorothee (2019a): Gegen kriminelle Clans: Die Taktik der Nadelstiche, in: Sicherheitsmelder.de vom 27.03.2019, zuletzt abgerufen unter: www.sicherheitsmelder.de/xhtml/articleview.jsf34 (24.09.2019).

Dienstbühl, Dorothee (2019b): Die Übertragung temporärer BAO zur mittelfristigen Kriminalitätsbekämpfung, in: Sicherheitsmelder.de vom 15.05.2019, zuletzt abgerufen unter: www.sicherheitsmelder.de/xhtml/articleview.jsf?id=1557904936_34 (24.09.2019).

Dienstbühl, Dorothee (2019c): Durchbruch schaffen. Der Staat gegen kriminelle Clans, in: Deutsche Polizei 10/2019, S. 4–8.

Froese, Judith (2017): Gefahrenabwehr durch typisierendes Vorgehen vs. Racial Profiling: Die Debatte um den Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht 2016/2017, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Band 132, Heft 5, S. 293-295.

Heine, Hannes (2019): Wie der Staat gegen Berliner Clans vorgeht, in: Tagesspiegel vom 20.02.2019, zuletzt abgerufen unter: www.tagesspiegel.de/berlin/treffpunkte-razzien-tatorte-wie-der-staat-gegen-berliner-clans-vorgeht/23989572.html, (25.09.2019).

LKA NRW (Hrsg.) (2019): Clankriminalität – Lagebild NRW 2018, Düsseldorf.

Landesregierungsparteien in Nordrhein-Westfalen CDU / FDP (Hrsg.)(2017): Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen 2017 – 2022.

Niederländische Zentralregierung (ohne Datumsanagbe): Intrekken Nederlandse nationaliteit door overheid, zuletzt abgerufen unter www.rijksoverheid.nl/onderwerpen/nederlandse-nationaliteit/nederlandse-nationaliteit-verliezen/intrekken-nederlandse-nationaliteit-door-overheid (30.9.2019)

Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (Hrsg.) (2018): Vorstellung des Lagebildes zu Organisierter Kriminalität (OK) 2017. Presseinformation, zuletzt abgerufen unter: www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/vorstellung-des-lagebildes-zu-organisierter-kriminalitaet-ok-2017--167596.html (25.9.2019).

N.N. (2019): Innenministerkonferenz in Kiel: Mit Passentzug gegen Clankriminalität vom 14.6.2019, zuletzt abgerufen unter: www.tagesschau.de/inland/clan-kriminalitaet-innenministerkonferenz-101.html (24.9.2019).

Polizeipräsidium Essen (Hrsg.) (2018): BAO Aktionsplan CLAN. Neue Wege beim Kampf gegen kriminelle Gruppen innerhalb von Großfamilien, Essen.

Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ (Hrsg.) (2019): Bekämpfung der Clan-Kriminalität durch Prävention und Strafverfolgung, ohne Ortsangabe.

Rohde, Patrick / Dienstbühl, Dorothee / Labryga, Sonja (2019a): Hysterie oder reale Bedrohung? Eine kriminologische Einordnung des Phänomens Clankriminalität in Deutschland, in: Kriminalistik 5/2019, S. 275-281.

Rohde, Patrick / Dienstbühl, Dorothee / Labryga, Sonja (2019b): Clankriminalität in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme (Teil 1), in: Kriminalpolizei 2/2019, S. 31-33.

Anmerkungen

&nb

  1. Vgl. BKA (2019), S. 34.
  2. Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ 2019.
  3. Landesregierungsparteien in Nordrhein-Westfalen CDU/FDP (2017), S. 59.
  4. Bürger setzen bei einer Online-Beteiligungsmöglichkeit durch Prioritätssetzung aus 14 Themen der einzelnen Ressorts 40,23% bzw. 1.374 Stimmen (Stand: 22.2.2019) die Priorität beim Themenforum Clankriminalität.
  5. Vgl. Polizeipräsidium Essen (2018), S.3, 5.
  6. Vgl. Rohde/Dienstbühl/Labryga (2019a), S. 280.
  7. Vgl. Dienstbühl (2019b).
  8. Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (FHöV) NRW begleitet die BAO „Aktionsplan Clan“ seit dem 1.9.2019 durch ein Forschungsprojekt, das von den Autorinnen dieses Beitrages geleitet wird. Die Dauer des Projektes ist zunächst auf drei Jahre angelegt.
  9. Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (2018).
  10. Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (2018), S. 3.
  11. Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (VermAbschRÄndG), welches zum 1.7.2017 in Kraft trat, vgl. BGBl. I 2017 Nr. 22, S. 872.
  12. Abgeordnetenhaus Berlin (2018).
  13. Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ (2019) S. 1.
  14. Mittels der IMSI-Catcher (International Mobile Subscriber Identity) können Teilnehmerkennungen von Mobiltelefonen ausgelesen werden, in dem diese eine Funkzelle oder Basisstation simulieren, in die sich nahegelegene Mobiltelefone einbuchen und über die eigene SIM-Karte abgehörte Gespräche unbemerkt an die angerufene Person weiterleiten.
  15. Vgl. Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ (2019) S. 12, Empfehlungen Nr. 17 und 18, S. 11 ff.
  16. Ausführlich zur Problematik im Umgang mit der PKS, vgl. Dienstbühl (2018a), S. 4 ff.
  17. Vgl. Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ (2019) S. 9.
  18. Vgl. Dienstbühl (2019a).
  19. Der Begriff Clankriminalität ist weiterhin umstritten. Das LKA NRW hat nachfolgende Arbeitsdefinition als Grundlage für den Bericht festgelegt: „Der Begriff Clankriminalität umfasst die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte Begehung von Straftaten unter Beteiligung Mehrerer, wobei in die Tatbegehung bewusst die gemeinsame familiäre oder ethnische Herkunft als verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente einbezogen wird, die Tatbegehung von einer fehlenden Akzeptanz der deutschen Rechts- oder Werteordnung geprägt ist und die Straftaten einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind“, vgl. LKA (2019), S. 7.
  20. Bereits der Begriff Clankriminalität wird in diesem Kontext kritisch gesehen. Die Diskussion um den Begriff der Clankriminalität als Stigma ist dem Umstand geschuldet, dass die familiären Zusammenschlüsse maßgeblich für das rechtswidrige Verhalten sind, der prozentuale Anteil an Tatverdächtigen (alleine im polizeilichen Hellfeld) überproportional hoch ist und Behörden einen operativen Begriff benötigen, um arbeiten zu können.
  21. Vgl. Rohde/Dienstbühl/Labryga (2019a), S. 278.
  22. Gleichwohl existiert keine Legaldefinition von RP. Das Verbot ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (nationales Recht) und aus Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 Abs. 1, 1. Alt. EMRK, Art. 26 Satz 2 IPbpR und Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) UN-Anti-Rassismus-Konvention (internationales Recht).
  23. Vgl. konkludent die Ausführungen des zulässigen Criminal Profiling von Froese 2017 zur Einschätzung des Polizeieinsatzes in Köln in der Silvesternacht 2016/2017, S. 293 ff.
  24. VermAbschRÄndG, a.a.O. (EN 12).
  25. Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz (2016).
  26. Vgl. Dienstbühl (2018b), S. 11.
  27. Vgl. N.N. (2019).
  28. Vgl. Rohde/Dienstbühl/Labryga (2019a), S. 277.
  29. Vgl. Niederländische Zentralregierung (ohne Datumsangabe).
  30. Dieser Ansatz geht auf Medienberichte zurück, wonach in Schweden Kinder aus Clanfamilien in Obhut genommen worden seien. Nachfragen der Autoren bei der schwedischen Polizei ergaben allerdings, dass in nur einem Fall der Inobhutnahme die Kriminalität der Familie und das gefährliche Umfeld der der Grund dafür war. Ansonsten handelte es sich um reguläre Verfahren aufgrund Kindswohlgefährdungen, Erkrankungen etc. Entsprechend sind etwaige Medienberichte irreführend im Verständnis.
  31. Vgl. Dienstbühl (2019c), S. 7.