Kriminalitätsbekämpfung

Clankriminalität in Deutschland

Eine Bestandsaufnahme (Teil 2)

10 Zur Diskussion um die Wegnahme von Kindern aus den Familien


Kriminalität zu verhindern, bevor sie entsteht, ist Grundgedanke kriminalpräventiver Ansätze. Auch von diesen gibt es bereits viele, die meist vor Ort ansetzen und aktive Jugendsozialarbeit zum Inhalt haben. Eine gegenwärtig beliebte Forderung ist die, Kinder aus kriminellen Clanfamilien zu nehmen. Erstens, um so deren Weg in die Kriminalität frühzeitig zu verhindern und zweitens, um Eltern, die mit den Nachkommen ihren Wohlstand sichern wollen, zu schwächen.30 Die sog. Inobhutnahme gilt als das schärfste Mittel von Behörden, wenn das Kindswohl gefährdet ist. Art. 6 Satz 3 GG formuliert die Grundlage zur Herausnahme eines Kindes aus der Familie zwar recht vage, nämlich „wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“. Allerdings steht die Familie gemäß Art. 6 Satz 1 GG unter „dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Ein Kind oder Jugendlicher kann zeitweise oder in schweren Fällen dauerhaft aus seiner Familie genommen werden, wenn es konkrete Hinweise auf eine Gefährdung durch Unterversorgung, Verwahrlosung, sexuellen Missbrauchs oder schweren Misshandlungen gibt oder wenn die Eltern drogen- oder alkoholkrank sind und somit das Kind nicht vernünftig versorgen können. Somit ist es praktisch betrachtet gegenwärtig nicht möglich, Kinder aus kriminellen Familien herauszunehmen, wenn keine weiteren Faktoren für eine Kindswohlgefährdung vorliegen. Denn regelmäßig sind bei den Clanfamilien keine offensichtlichen Gefährdungen wie Verwahrlosung oder ähnliches zu beobachten.31 Dies zeigt auch die Erfahrung aus den Jugendämtern. Verbreitete Kriminalität in der Familie wird daher nur in den seltensten Fällen dem Klageweg der Eltern standhalten können.

Doch auch, wenn eine Grundgesetzänderung zu schnelleren Inobhutnahmen durch Jugendämter führen würde, stellt sich die Frage, ob diese Forderung wirklich zu Ende gedacht wurde. Denn dann müsste es bereits Konzepte geben, was mit den Kindern aus diesen Familien geschehen soll, ob sie in Pflegefamilien kommen und wie diese gerade in solchen Fällen ausgewählt und vorbereitet werden (ggf. erhöhtes Gefährdungspotential etc.), ob sie in staatliche Kinder- und Jugendeinrichtungen kommen usw. Auch muss in der Frage des Kindswohl eine Einschätzung getroffen werden können, welche die Auswirkung die Trennung des Kindes von seiner Familie auf dessen psychische Gesundheit hätte. So naheliegend der Gedanke ist, Kinder einer oben beschriebenen Entwicklung zu entziehen, so oberflächlich ist er bislang formuliert.

11 Fazit


Clankriminalität ist ein Komplex, der sich über Jahrzehnte in Deutschland entwickelt hat und dem nur auf den unterschiedlichsten Ebenen begegnet werden kann. Bereits jetzt werden Fragen laut, was die Initiativen der letzten Monate bislang gebracht haben. Dabei wird dieses Kriminalitätsphänomen erst seit jüngerer Zeit sowohl als gesellschaftspolitisches, als auch als kriminalpolitisches Problem wahrgenommen. Bestandsaufnahmen unterschiedlicher sicherheitspolitischer Akteure und Gremien haben die Dimension erkannt, die neue Herangehensweisen in der Bekämpfung erfordern. Begonnene Strategien müssen nun in der Strafverfolgungspraxis erprobt und die festgestellten praktischen und technischen Defizite behoben werden. Die nächsten Monate und Jahre werden somit wegweisend für eine effektivere Verbrechensbekämpfung von organisiert-kriminellen Strukturen sein. Dennoch bleibt stets zu beachten, dass vor allem diese Form Organisierter Kriminalität immer in einem asymmetrischen Verhältnis zur staatlichen Übermacht steht, die sich in den nächsten Jahren klar und mit jedem einzelnen seiner Vertreter durchsetzen muss. Im Endeffekt werden die Konsequenz im staatlichen Vorgehen und die interbehördliche Zusammenarbeit mit Bündelung aller unterschiedlichen Eingriffsbefugnisse der Maßstab für die Kriminalitätskontrolle in Deutschland sein. Behörden müssen dabei Zuständigkeiten übergreifend arbeiten können und das bedeutet auch, dass einzelne datenschutzrechtliche Vorgaben hinsichtlich ihrer Reichweite aber auch ihres Zweckes hin überprüft werden müssen. Clankriminalität ist unbestritten gegenwärtig das populärste kriminalpolitische Thema. Darin liegen Chancen und Risiken zugleich. Während die Initiativen, die aktuell formuliert und auch ausprobiert werden, großen Anklang innerhalb der Polizei finden, hat die Erfahrung gezeigt, dass sich politische Prioritäten rasch verändern können. Und gerade hier zeigt sich ein Problem unseres Zeitgeistes: Ein Problem, dass sich viele Jahre aufgrund politischer und weitestgehend gesellschaftlicher Ignoranz entwickeln konnte, soll nun binnen weniger Monate gelöst werden. Im Fokus der Verantwortung steht allerdings nicht die Politik, sondern vor allem die Polizei. Und sollte – egal, aus welchen Gründen – die Bekämpfung der Clankriminalität ihre politische Priorität verlieren, wird ebenfalls die Polizei den Schaden zu tragen haben.