Kriminalitätsbekämpfung

Clankriminalität in Deutschland

Eine Bestandsaufnahme (Teil 2)

7 Kontrollen und Razzien in der Diskussion


Besonders sichtbare und in den Medien bereits vieldiskutierte Maßnahmen sind Kontrollen, Razzien und Beschlagnahmen. In Berlin und Nordrhein-Westfalen werden diese Maßnahmen bereits seit Ende 2018 verstärkt eingesetzt. Diese „Taktik der 1000 Nadelstiche“ orientiert sich dabei an den Tätern, nicht an den Taten. Kleinste Vergehen sollen im Rahmen des Möglichen mit Strafen belegt werden, um die Strukturen offenzulegen und die Täter zu zermürben.18 Die Idee dahinter ist nicht neu und eine Art taktischer Klassiker gegen organisiert-kriminelle Strukturen, die in der Vergangenheit Erfolge erzielen konnte. Das Prinzip wurde auf gemeinsame und zum Teil großangelegte Kontrollen durch Polizei, Zoll, Ordnungs- und Finanzämter ausgeweitet. Entsprechend aufwendig sind sie für die beteiligten Behörden. Die Resultate besitzen dabei meist nur wenig strafrechtliche Relevanz, die eine weitere Bearbeitung durch die Polizei erfordern. Vielmehr liegen sie vor allem im Bereich von Ordnungswidrigkeiten und steuerlichen/strafrechtlichen Verfahren. Entsprechend kritisch werden sie betrachtet. Doch alleine in strafrechtlichen Prozessen erschöpfen sich die mittelfristigen Strategien keineswegs: Durch die kontinuierlichen Kontrollen und die sich anschließende intensive Ermittlungsarbeit konnte die Polizei in den vergangenen Monaten Erfahrungen sammeln und neue Bekämpfungsansätze generieren. Bisher unbekannte Strukturen können so erhellt werden. Dies ist insbesondere im Bereich der OK wichtig, zu der die Clankriminalität gezählt wird und an deren Definition sich die Definition der Clankriminalität orientiert.19

Ein anderer Aspekt ist die Kritik des Generalverdachtes der Polizei gegen ganze ethnische Gruppen.20 Insbesondere die Kontrollmaßnahmen werden in Zusammenhang mit Racial Profiling gebracht.21 Dies bedeutet die Ungleichbehandlung aufgrund phänotypischer Merkmale. Maßnahmen, die also aufgrund von Herkunft, Hautfarbe etc. getroffen werden, sind damit rechtswidrig.22 Vor allem Angehörige der in Rede stehenden Familien mit entsprechendem Hintergrund beschweren sich über den Generalverdacht, dem sie sich ausgesetzt fühlen. Dabei stellt sich prinzipiell immer die Frage, welche Erkenntnisse und Erfahrungswerte zu einer polizeilichen Maßnahme führen.23

Der Vorwurf des Racial Profiling wiegt in der polizeilichen Arbeit schwer, muss jedoch im Kontext der zugrundeliegenden Erfahrungswerte für die Einschätzung für polizeiliche Maßnahmen betrachtet werden. Die „Null-Toleranz-Strategie“ bezieht sich auf das die Regeln und Grenzen überschreitende Verhalten von Personen, die den Familien zuzuordnen sind und entsprechende Erfahrungen, die die Polizei im bisherigen Umgang mit ihnen gemacht hat. Sie werden also nicht verdachtsunabhängig und wahllos gegen eine ethnische Minderheit eingesetzt, um diese zu diskriminieren. Sondern sie stehen in einem sachlichen und häufig örtlichen Kontext. Zudem darf dieser Vorwurf nicht zu einer Täter-Opfer-Umkehr führen, die von den kriminellen Clanangehörigen als Verteidigungsstrategie missbraucht wird. Auch vernachlässigt die Diskussion die Tatsache, dass die Straftäter aus den Familien dafür verantwortlich sind, dass bereits gesellschaftliche Vorbehalte auch den Angehörigen entgegengebracht werden, die keinerlei kriminelle Bezüge haben. Ein für die Clankriminalität konstituierendes Merkmal ist die Familienzugehörigkeit und der damit einhergehende gelebte Zusammenhalt. Eine eindeutige Abgrenzung der nicht kriminellen Familienmitglieder von dem kriminellen Kern, würde ein erster Schritt gegen gesellschaftliche Vorbehalte sein.

8 Möglichkeiten der verbesserten Vermögensabschöpfung


In der Diskussion um Bekämpfungsansätze gegen Clankriminalität sind sich alle beteiligten Akteure einig, dass ein zentraler Aspekt das Entziehen inkriminierter Gelder darstellt. Entsprechend wichtig sind die Möglichkeiten des 2017 novellierten Gesetzes zur Vermögensabschöpfung.24 Diese Neuregelung sieht nach dem Grundsatz „Verbrechen darf sich nicht lohnen“ vor, dass „die strafrechtliche Vermögensabschöpfung einfacher und effizienter“25 wird. In der Vergangenheit stellten sich die formalen Bedingungen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung oftmals als kompliziert und fehleranfällig heraus. Insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität war es so vielfach nicht möglich, kriminell erlangte Vermögensvorteile staatlicherseits einzuziehen. Im Sinne des gerichtlichen Grundsatzes „in dubio pro reo“ musste der Nachweis, dass es sich um nicht inkriminiertes Vermögen handelte, nicht von den Beschuldigten geführt werden.

Nach § 76a StGB in Verbindung mit § 437 StPO kann nun, bei eklatantem Missverhältnis zwischen dem Wert eines Gegenstandes und den Einkünften des Besitzers, eben dieser Gegenstand eingezogen werden. Diese gesetzliche Neuerung ist ein erster Schritt zur vollständigen Beweislastumkehr, die im Bereich der Clankriminalität immer wieder und vermehrt gefordert wird.26 Entsprechende Verfahren werden aktuell geführt. Nach wie vor bleiben solche jedoch kompliziert: Mitglieder etwaiger Familienclans präsentieren – bevorzugt vertreten durch ihre Anwälte – ebenso abenteuerliche und schwer überprüfbare Erklärungen hinsichtlich der Herkunft von Geldern und Sachwerten. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Gerichte, die die durch die Polizei durchgeführten Maßnahmen der Einziehung bestätigen müssen, zu einem Urteil kommen, das durch die Mehrheitsgesellschaft nicht als lebensfremd aufgefasst wird und die Einziehung von kriminell erlangtem Vermögen bestätigt. Die nächsten Monate und Jahre werden diesbezüglich wegweisend sein.

9 Aberkennung der Staatsbürgerschaft

In der 210. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder wurde im Juni 2019 in Kiel über eine Gesetzgrundlage debattiert, die es ermöglicht, die deutsche im Falle einer doppelten Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn Bezüge zur OK nachgewiesen werden.27 Dieser Schritt ist vor dem Hintergrund zu begrüßen, da kriminelle Clanmitglieder häufig mehrere Staatsbürgschaften besitzen; zum Teil mit türkischen Namen, die sie den Behörden bewusst verschweigen. Auch spielt die Staatsangehörigkeit noch immer eine wichtige Rolle hinsichtlich der Praxis der strategischen Eheschließungen innerhalb der Clanstrukturen.28 Die Heirat findet dann auf dem Standesamt statt, wenn sie Nutzen für die Familie bringt, wie eben die Aussicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft für einen der Ehepartner.

Entsprechend könnte der Vorstoß zu Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität durch subkulturelle Strukturen in Deutschland generell sein. Unter anderem in den Niederlanden praktiziert man dies längst.29 Allerdings wird der Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft alleine nicht zwangsläufig Wirkung zeigen, wenn beispielsweise mit neuen Papieren plötzlich eine zuvor unbekannte syrische Staatsangehörigkeit dokumentiert wird, die dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel und Anspruch auf Transferleistungen ermöglicht. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist in Hinblick auf ihren Nutzen für kriminelle Clanmitglieder zu betrachten. In ihrem emotionalen Wert sollte sie nicht überschätzt werden. Zudem müssen in diesem Zuge weitere ausländerrechtliche Statuten auf den Prüfstand gestellt werden, wenn gegenwärtig Personen, die zum Teil Jahrzehnte keine Papiere vorgelegt haben und sich als Libanesen ausgaben, nun plötzlich mit syrischen Dokumenten in den Ämtern auftreten.