Kriminalitätsbekämpfung

Die Kriminalität der Wirtschaft

Prävention durch Frauen und Compliance

3 Die Moral verdampft in der Sonne des Profits


Wir wollen nicht weit ausholen, aber die Zivilisationsgeschichte der Menschheit lehrt uns, dass es keine Phase ohne Kriminalität gegeben hat. Spätestens seit Emile Durkheim (1895) verstehen wir die Gründe für die Normalität von Kriminalität:13 Die Normalitätsthese wird damit begründet, dass eine Gesellschaft ohne Kriminalität unmöglich ist. Erhellend das Gedankenexperiment von Durkheim, wonach es selbst in einem Kloster unter den Mönchen zu Abweichungen von ihren sich selbst gesetzten Normen kommt.14 Wie recht er hatte, wissen wir heute angesichts der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen. Man kann Kriminalität zwar zurückdrängen, aber verschwinden wird sie nicht: nicht alle Bürger verfügen über ein gleich ausgeprägtes moralisches Bewusstsein. Auch in unseren Städten und Gemeinden können wir keine kriminalitätsfreie Zone erwarten. Warum dann in Unternehmen?

So gedeiht in vielen Unternehmen ebenfalls ein kriminelles Umfeld, wie wir gesehen haben, das man als kriminelle Subkultur betrachten kann. Überzogene Bonuszahlungen fördern zudem die Gier in der Wirtschaftswelt, die kaum Scham kennt. Selbst nach spektakulären Verlusten wie in der Weltfinanzkrise oder nach kapitalen Wirtschaftsdelikten forderten gleichwohl die Verantwortlichen astronomische Vergütungen ein. Wir lernen, die Spitzen der Wirtschaft sind nur für Gewinne verantwortlich, nicht für Verluste und Rechtsbrüche. Manches scheint sich in Managementverträgen zu ändern, aber es gab und gibt wohl heute noch zu viele falsche Vorbilder.

Aber es gibt auch systemische Ursachen, die in der Marktwirtschaft selbst liegen. Schon Adam Smith (1776),15 der erste Begründer einer Theorie der freien Marktwirtschaft, konnte sich den Markt mit seinem Handel nicht ohne Illusionen und Betrug vorstellen. Mit einem Bild illustriert: man muss bei einem Versicherungsmakler oder Autoverkäufer manches befürchten, wie Täuschung mit unübersichtlichen Vertragsklauseln oder über Kraftstoffverbrauch und Emissionen, aber Angst vor Diebstahl oder Raub wäre vollkommen unberechtigt.

Wir haben zu konzedieren, der Markt ist vollkommen amoralisch.16 Bei Betrug, aber auch bei Korruption und anderen Wirtschaftsdelikten wie Datendiebstählen, Kartelldelikten, Industrie- und Wirtschaftsspionage handelt es sich um systemisch bedingte Delikte. Sie gehören zum System und somit zu einem normalen Risiko. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb kennt nur ein Ziel, die Maximierung des Gewinns auf teilweise unerhört kreative Weise.

Die Führungskräfte sind eingebunden in ihrer beruflichen Rolle, der Gewinnmaximierung. Die Börse und der Aufsichtsrat verlangen es, die Hausjuristen und der sie umgebende Schwarm kreativer Anwälte der Law Firms fahndet permanent nach rechtlichen Schwachstellen und Regelungslücken, wie wir z.B. im Hinblick auf die stetige Suche nach Steuerschlupflöchern unlängst wissen, sog. Aggressive Tax Planning von Amazon, Google, Starbucks oder IKEA. Das Recht verfällt leicht zu einem bloßen Kostenposten, zur Profitbremse. In der beruflichen Rolle des Managements verdampft die Moral in der Sonne des Profits.

 

4 Hoffnung Frauen?


4.1 Niedrige Anteile weiblicher Täter

Wir haben somit von einem aktiven kriminellen Umfeld in der Wirtschaft und systemischen Ursachen auszugehen. Aber die kriminellen Subkulturen sind in bemerkenswerter Weise zuvörderst männlich. In Studien zu Occupational und Corporate Crime bewegen sich die Anteile von weiblichen Tätern deutlich unterhalb von 20%. (Tabelle 1)




Tabelle 1: Anteil der Kriminalität weiblicher Täter


Eine Erklärung für diese deliktsspezifischen Unterschiede ist, Frauen scheuen eher als Männer, trotz vorhandener Gelegenheiten, aufgrund ihrer Sozialisation Gewalt und auch den offensichtlichen Rechtsbruch wie bei einem Einbruch oder Raubüberfall. Zu nennen sind insbesondere ihre generell höhere moralische Orientierung und Risikoaversion. Frauen sind aufgrund ihrer Sozialisation weniger materiell und stattdessen stärker sozialintegrativer, verantwortungsbewusster und sozialaltruistischer orientiert als Männer, sodass auch aus diesem Grund Wirtschaftskriminalität mit gravierenden Schäden eher unterlassen wird. Frauen verfügen aufgrund ihrer Sozialisation im Allgemeinen nicht nur über eine bessere Selbstkontrolle als Männer, sondern auch über ein höheres soziales Commitment, sie gelten als „Hüter der Moral“. Diese sozialisatorische Prägung lässt Frauen gerade im beruflichen Kontext vorsichtiger, überlegter und verantwortungsbewusster handeln, während es Männern leichter fällt, den Erfolg über alles zu stellen.17


Corporate Crime:Den noch niedrigeren Anteil weiblicher Corporate Criminals kann man derzeit auch auf ihre geringere Vertretung in Führungspositionen zurückführen. Nicht nur, dass ihr Anteil auch bei schweren Straftaten von Unternehmen mit 9% außerordentlich gering ausfällt, sie befanden sich sogar überwiegend in unteren Positionen (62%) und folglich war ihr Tatbeitrag vornehmlich von untergeordneter Bedeutung (51%). Männliche Täter waren somit nicht nur rein quantitativ dominant, sondern auch qualitativ hinsichtlich ihrer Täterrolle.18

Auch gab es in dieser US-Studie keine weiblichen Alleintäter und keine reinen Frauentätergruppen. Frauen begingen die Straftaten ausschließlich in geschlechtlich gemischten Gruppen. Die Mehrheit der kriminellen Netzwerke bestand ausschließlich aus Männern, nur bei 41% handelte es sich um gemischte Gruppen.19 Das Fehlen rein weiblicher krimineller Netzwerke zeigte sich auch in einer norwegischen Studie, die primär Fälle von Occupational Crime untersuchte. 20


4.2 Prävention durch Karrierefrauen?

Werden Karrierefrauen, die in verantwortlichen Positionen aufsteigen, nun krimineller, den männlichen Managern insofern ähnlich? Immerhin wäre dies aufgrund des gewinnorientierten Drucks, der Rollenerwartungen und besseren Tatgelegenheiten anzunehmen. Die Emanzipationsthese erwies sich jedoch bereits für die gesamte Kriminalitätsentwicklung als unzutreffend. Der Anteil von Frauen an der Kriminalität führte im Zuge ihrer Gleichstellung allenfalls im unteren Kriminalitätsbereich,21 aber allgemein zu keinem signifikanten Anstieg.22

Es gibt immer wieder weibliche Einzelfälle als Gegenbeispiele, aber selbst in Ländern wie Norwegen, in denen im Vergleich zu Deutschland der Anteil von Frauen in Führungsfunktionen deutlich höher ist, verharrt der Anteil weiblicher Wirtschaftsstraftäter auf niedrigen 7%. Zum Zeitpunkt der Studie betrug der Anteil weiblicher Führungskräfte in norwegischen Aufsichtsräten 40% und in höheren Managementpositionen 35% in der Privatwirtschaft.23

Wir wissen auch aus anderen Ländern, Frauen sind allgemein deutlich weniger korruptions- und betrugsgefährdet. So werden in Entwicklungsländern wie Indien Mikrokredite in den Familien zum Aufbau einer beruflichen Existenz fast ausschließlich an die Mütter und nicht an die Väter vergeben, da die Patriarchen diese Chance im wahrsten Sinne des Wortes verspielen.24

Die präventiven Effekte einer weiblichen Sozialisation und nachfolgenden beruflichen Sozialisation sind offenkundig stärker als alle kriminalitätsfördernden Faktoren wie Gelegenheiten und Verführungen einer Konsum- und Wirtschaftsgesellschaft. Die Karriereförderung von Frauen durch die gläserne Decke in Unternehmen wäre nicht nur ein Beitrag zur Gleichheit, sondern eben auch zur Kriminalprävention. Wer hätte das gedacht? Obwohl dies seit langem auf der Hand lag, wenn man allein die Größe der Vollzugsanstalten für Frauen und Männer vergleicht.