Kriminalität

Umbruchprozesse und Polizeiarbeit –

Mit einem Ausblick auf die 2018er Herbsttagung des BKA

12 Ausblick auf die Herbsttagung des Jahres 2018

Unter dem Leitthema „Sicherheit in einer offenen und digitalen Gesellschaft“ werden sich in wenigen Wochen erneut renommierte Rednerinnen und Redner aus Politik, Polizei, Wissenschaft und Wirtschaft in mehreren Themenblöcken aus unterschiedlichen Perspektiven mit den gesellschaftlichen Herausforderungen an moderne Polizeiarbeit auseinandersetzen. Dass ist der mittlerweile traditionelle ganzheitliche Betrachtungsansatz, den die Besucher der Herbsttagungen schätzen und erwarten und der den Charakter dieses Fachforums für Besucher aus der Sicherheits- bzw. Kriminalpolitik, der Wissenschaft ebenso wie für sicherheits- bzw. kriminalstrategische Praktiker aus dem In- und Ausland ausmacht.

Mit der Verknüpfung der Inhalte von „offenen“ und „digitalen“ Gesellschaften spannt das Bundeskriminalamt einen großen inhaltlichen Bogen und es ist sicher nicht zu weit gegriffen, bereits im Vorfeld der Tagung auf die Erwarten, die sich allein aus der Findung des Titels ergeben, hinzuweisen.

In dem bereits 1945 erschienenen Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (Original: „The Open Society and Its Enemies“) setzt sich sein Verfasser, der Philosoph Karl Popper mit den Philosophien von Platon, Hegel und Marx, die seiner Meinung nach totalitäre Systeme wie den Faschismus, den Nationalsozialismus und den Kommunismus theoretisch mitbegründet hätten, auseinander. Als Gegenentwurf zu Geschlossenen Gesellschaften entwirft Popper das Modell Offener Gesellschaften, die nach seiner Überzeugung durch willensfreie Individuen charakterisiert seien, die den Lauf der eigenen Geschichte in einem pluralistischen und fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen selbst bestimmen würden. Dem stünden Geschlossene Gesellschaften gegenüber, die ideologisch festgelegt seien und einen für alle verbindlichen Heilsplan verfolgten. Was Popper noch nicht wusste, ist die Tatsache, wie stark und wie erfolgreich Religionen in der Auseinandersetzung zwischen Gesellschaftsmodellen gegenwärtig instrumentalisiert werden und welche Konsequenzen, ja Gefahren für die äußere und innere Sicherheit von Gemeinwesen durch dieses explosive Gemisch von Konflikten Weltanschauung bzw. Religion entstehen. Eine der wesentlichen Thesen von Popper ist die, dass Rückzug und Abgrenzung die menschlichen Bedürfnisse ebenso bestimmten wie das Streben nach Freiheit. Es fällt nicht schwer, aktuelle Bezüge auch im sicherheitspolitischen Kontext herzustellen.

Die eine, allgemeingültige Definition für den Begriff „Digitale Welt“ zu finden, ist nicht leicht. Am ehesten bezeichnet der Begriff alles, was im Zusammenhang mit digitalen Sachverhalten steht. Der Begriff umfasst also die Gesamtheit aller Einzelerscheinungen, die mit Digitalsignalen beschrieben oder von diesen beeinflusst werden können. Die Begriffe „Digitale Revolution“ oder „Digitales Zeitalter“ kennzeichnen den mit der Erfindung des Mikrochips verbundenen Wandel der Technologien sowie entsprechende Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Mittlerweile wird diese gesellschaftliche Veränderung mit den Umwälzungen durch die industrielle Revolution vor 200 Jahren verglichen. „Die digitale Revolution ist nicht nur Bestandteil der ökonomischen Ordnung geworden, wie es (der damalige Bundesinnenminister) Schäuble noch 2007 (auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes) erklärt hatte. Vielmehr hat sie mittlerweile alle Bereiche des Lebens erreicht. Sie hat den Menschen eine Vielzahl Erleichterungen gebracht, der Wirtschaft unvergleichliche Weiten eröffnet, die Kommunikation zwischen den Menschen auf ein ganz neues Niveau gehoben. Allerdings, wie andere Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte, sei es Alfred Nobels Dynamit oder seien es die Erkenntnisse der Genforschung, können auch die Produkte dieser revolutionären Entwicklungen missbraucht werden. Und wenn die Möglichkeit besteht, durch den Missbrauch Vorteile, welcher Art auch immer, zu erzielen, werden sie auch missbraucht.“16

Aktuelle Herausforderungen mit Blick auf die Sicherheitsbehörden bzw. -dienstleister ergeben sich z.B. bei der Betrachtung kriminogener Faktoren im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge, also Smart-Home oder Smart-Car Anwendungen, Urheberrechtsverletzungen, Angriffen auf digitale Identitäten oder auch bei der Frage, ob bzw. wie sich Künstliche Intelligenz für polizeiliches Handeln nutzbar machen lässt.

Man darf gespannt sein, wie das BKA und die Teilnehmer der Herbsttagung 2018 vor dem Hintergrund dieser begrifflichen und inhaltlichen Einordnungen die eigene Rolle und die anderer Sicherheitsakteure definieren werden. Als jahrelanger Berichterstatter der Herbsttagungen freue ich mich bereits heute darauf und erwarte zwei anregende Tage in Wiesbaden.

Zur Tagung erwartet das BKA ca. 500 hochrangige nationale und internationale Gäste aus den Bereichen Polizei, Justiz, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Mit Blick auf zurückliegende Tagungen wird auch wieder mit einem beachtlichen Medieninteresse zu rechnen sein. Aktuelle Informationen sind über die Internetseite des Bundeskriminalamtes (www.bka.de) abrufbar. Ich werde in „Die Kriminalpolizei” darüber berichten.

Anmerkungen

  1. Leitender Kriminaldirektor Ralph Berthel studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2001 bis 2005 war er Dozent für Kriminalistik an der damaligen Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup (heute: Deutsche Hochschule der Polizei). Von 2005 bis 2013 leitete er die Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. und unterrichtete Kriminalistik im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“. Seit 2015 ist Ralph Berthel Abteilungsleiter im Landeskriminalamt Sachsen. Er ist Ehrenprofessor (Pocetnyi Professor) der Belgoroder Juristischen Hochschule des Ministeriums des Innern Russlands. Der Autor ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e. V. Erreichbarkeit: [email protected].
  2. Dr. Emily Haber war von 2011 bis 2018 beamtete Staatssekretärin, von 2011 bis 2013 im Auswärtigen Amt und von 2014 bis 2018 im Bundesministerium des Innern. Seit Sommer 2018 ist sie Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in den USA.
  3. www.medienservice.sachsen.de/medien/medienobjekte/download/110307; Zugriff: 4.7.2018.
  4. ZITiS ist die Forschungs- und Entwicklungsinstanz für technische Lösungen mit Cyberbezug. Sie versteht sich als Dienstleister der Sicherheitsbehörden in Deutschland und unterstützt diese, indem sie das technische Know-how bündelt. www.zitis.bund.de/DE/ZITiS/Ueber_Uns/ueber_uns_node.html, Abruf: 9.12.2017.
  5. Der in der Rede verwendete Begriff „Flüchtlingsunterkunft“ erscheint insoweit hinterfragbar, als dass die Unterkünfte für alle Zuwanderer, unabhängig vom Status genutzt wurden/werden.
  6. „Krise“ ist ein aus dem Griechischen stammendes Substantiv. Das entsprechende Verb krínein, bedeutet „trennen“ und „(unter-)scheiden“. Ebenfalls auf dieses Verb geht das auch das Substantiv „Kritik“ zurück. („Jede Krise nährt Kritik und bedarf ihrer, um sie generierende Problematiken, Widersprüche, Konflikte ebenso wie Potenziale notwendigen Wandels aufzuzeigen.“ Michalitsch, 1/2010, Krise und Kritik: Über-Arbeiten oder Über-Leben, In: Femina-Politica, S. 104. Das Substantiv wird beschrieben mit „(Ent-)Scheidung“, „entscheidende Wendung“ und bedeutet eine „schwierige Situation, Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“ (Duden). Dass es sich hierbei um einen Wendepunkt handelt, kann jedoch oft erst konstatiert werden, nachdem die Krise abgewendet oder beendet wurde. Nimmt die Entwicklung einen dauerhaft negativen Verlauf, so spricht man von einer Katastrophe, wörtlich in etwa „Niedergang“ (Wikipedia).
  7. Prof. Dr. Armin ist seit 1998 Lehrstuhlinhaber für Soziologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind Kultursoziologie, Politische Soziologie, Religionssoziologie sowie Wissens- und Wissenschaftssoziologie.
  8. Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung e. V. (GfK Verein), Vertrauen der Deutschen in Sicherheitskräfte wächst weiter, www.gfk-verein.org/presse/vertrauen-der-deutschen-sicherheitskraefte-waechst-weiter-automobilbranche-starken, Abruf: 18.12.2017.
  9. www.gfk-verein.org/sites/default/files/medien/359/dokumente/pm_gfk_verein _global_trust_ 2017_dt.pdf, Abruf: 18.12.2017.
  10. Weiterführende Darstellungen zu den (Mega-)trends vgl. u.a. Seiter/Ochs, 2014, Megatrends verstehen und systematisch analysieren, markeZin, S. 7 sowie die sicherheitsrelevante Bezüge der Megatrends vgl. Berthel, 2017, Megatrends und aktuelle Herausforderungen an die Kriminalistik, Die Kriminalpolizei, 3-2017, S. 8-15 und Berthel, Kriminalität in Deutschland unter dem Einfluss weltweiter Krisen und Konflikte? Mit einem Bericht zur 62. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes, 2017, Die Polizei, S. 66.
  11. Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, 2017, Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 206. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 12. bis 14.06.17 in Dresden, TOP 52: Gesetzgeberische Handlungsempfehlungen im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus.
  12. Es bedeutet keinesfalls, Wasser in den Wein zu gießen und die begrüßenswerte Initiative in Frage zu stellen, wenn man erwähnt, dass dies in der Geschichte der Bundesrepublik nicht der erste Vorstoß zur Vereinheitlichung der Eingriffsbefugnisse der deutschen Polizeien ist. In den Jahren 1972 bis 1977, zuletzt am 25. November 1977 wurde mehrere Fassungen des sog. Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) durch den Arbeitskreis II der Konferenz der Innenminister (IMK) vorgelegt und durch diese beschlossen. Rechtswirksamkeit im Sinnen einer tatsächlichen Vereinheitlichung erlangte der Entwurf aber nicht. Vgl. auch: Heise/Riegel, 1978, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes mit Begründung und Anmerkungen.
  13. www.europol.europa.eu/activities-services/joint-investigation-teams, Abruf: 4.7.2018.
  14. Im Rahmen der BKA-Herbsttagung des Jahres 2007 hatte der damalige Präsident Ziercke mit einer Kriminalistik der digitalen Welt folgende Elemente verbunden: (1) technikoffene und flexible rechtliche Regelungen zur Strafverfolgung wie auch zur Gefahrenabwehr; (2) die Online-Durchsuchung als wirkungsvolle Maßnahme zur Aufhellung gespeicherter Daten und Informationen; (3) die Quellen-TKÜ als Maßnahme der Kommunikationsüberwachung sowie (4) die Bereitstellung technischer wie auch personeller Ressourcen.
  15. www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Grosse-Mehrheit-fuer-Kuenstliche-Intelligenz-in-der-Polizeiarbeit.html, Abruf: 4.7.2018.
  16. Berthel, Ralph, Cybercrime, Bedrohung, Intervention, Abwehr, Die Polizei, 2014, S. 30.