Forensische Entomologie – Insekten als Helfer der Polizei

Früher oder später kommt jeder Polizeibeamte im Rahmen seiner Diensttätigkeit in den Kontakt mit Leichen. Opfer von Verkehrsunfällen oder Verstorbene nach Tötungsdelikten gehören für einige Mitarbeiter der Kriminalpolizei zur alltäglichen Arbeit.


Von M.Sc. Marcus Schwarz und KHM Mirko Ferch, Leipzig1

1 Einleitung

Früher oder später kommt jeder Polizeibeamte im Rahmen seiner Diensttätigkeit in den Kontakt mit Leichen. Opfer von Verkehrsunfällen oder Verstorbene nach Tötungsdelikten gehören für einige Mitarbeiter der Kriminalpolizei zur alltäglichen Arbeit. Für die meisten Beamten am dauerhaft einprägsamsten sind aber zumeist bei sommerlichen Temperaturen auftretende Fäulnisleichen mit Insektenbesiedlung. Gerade in diesen fortgeschrittenen Leichenstadien, in denen auch Rechtsmediziner anhand der sonst üblichen Kriterien (Körpertemperatur, Leichenflecke und Leichenstarre) keine sinnvollen und erst recht keine genauen Angaben mehr zum Todeszeitpunkt bzw. zur Leichenliegezeit machen können, rücken die aasbesiedelnden Insekten in den Fokus des Forensischen Entomologe

Bei sommerlich warmen Temperaturen oder entsprechend langen Zeitintervallen zwischen Versterben und Auffinden einer Person sind die Möglichkeiten einer validen Todeszeitschätzung sehr begrenzt. Hier hilft die Forensische Entomologie (abgeleitet vom griechischen Wort éntomon für „das Eingeschnittene“ in Anlehnung an die frühere Bezeichnung „Kerbtier“ für Insekten) oder deutsch „gerichtliche Insektenkunde“. Anhand von Messdaten, Kenntnissen von Wachstumsverhalten und der Umgebungsbedingungen von spezialisierten Aasinsekten, welche eine Leiche in der Regel bereits kurz nach Todeseintritt besiedeln, kann die Liegezeit einer Leiche auch nach Wochen relativ genau bestimmt und so der Sterbezeitpunkt in einem Zeitfenster von wenigen Stunden, mindestens jedoch wenigen Tagen eingegrenzt werden. Zudem lassen sich an den charakteristischen Zusammensetzungen der Insektenarten und ihrer Larvenstadien Rückschlüsse auf eine etwaige Leichenverlagerung ziehen.

Durch den Fraßprozess am Gewebe des toten Körper reichern sich die Larven der Fliegen und Käfer zudem mit chemischen Stoffen oder Verbindungen an (z.B. Medikamente oder Drogen), die sich durch eine entsprechende Substanzmittelaufnahme bis hin zur Intoxikation des Verstorbenen im Leichnam befinden. So können Drogen, Medikamente, deren Abbauprodukte und Schwermetalle in den Insekten und ihren Entwicklungsstadien nachgewiesen werden. Dies eröffnet die analytische Möglichkeit, ein neues Probenmaterial mit einer natürlichen „Speicherwirkung“ zu erschließen, gerade wenn durch Autolyseprozesse vom Leichnam selbst keine anderen, sonst üblichen Asservate mehr gewonnen werden können (z.B. Blut, Urin). Immer wieder kommt es zudem zu Fällen von massiver Vernachlässigung von Schutzbedürftigen bzw. zur Verwahrlosung von lebenden Personen, ausgehend von Sucht oder Krankheit und in Folge dessen zu einer sog. Myiasis. Dieser Fachterminus beschreibt die Besiedlung von Wunden an lebenden Patienten durch Insekten und im weiteren Sinne die Besiedlung von Verbänden und Windeln. Die Eingrenzung eines zeitlichen Rahmens einer solchen Besiedlung kann Aufschluss über eine juristisch relevante Unterlassung, beispielsweise einer Aufsichtsperson mit Garantenpflicht, geben.

2 Bestimmung der Leichenliegezeit

Ihre mit Abstand am häufigsten nachgefragte Anwendung findet die Forensische Entomologie in der Eingrenzung der Leichenliegezeit. Grundlegend spielen hier die jeweiligen Wachstumsverläufe der Insektenarten bei den unterschiedlichen Umgebungsbedingungen eine Rolle. Jede Insektenart ist in ihrem Wachstum von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchte abhängig. Während ihres Wachstums entwickeln sich Insekten durch mehrere Larvenstadien. Mit zunehmender Größe häuten sich die Larven dabei mehrmals und nehmen in Länge und Gewicht zu. Bei den aasbesiedelnden Fliegen gibt es nach dem Schlupf aus dem Ei insgesamt drei Larven- und ein Puppenstadium, bis eine ausgewachsene Fliege aus der Puppe schlüpft und deren Wandung als leere Puppenhülle zurückbleibt. Die zeitliche Dauer der Stadien hängt neben der Temperatur und der Luftfeuchte auch von mehreren weiteren Umgebungsparametern ab. Im Freiland spielen beispielsweise die Sonneneinstrahlung am Leichenfundort, die umgebende Vegetation und letztlich auch die Exposition der Leiche eine Rolle: im geschlossenen Wohnbereich sind z.B. eingeschaltete Lampen als dauerhafte Lichtquelle, Heizungen als Wärmelieferanten sowie geöffnete Fenster zur Ermöglichung des Leichenkontakts wichtige Faktoren, die bei der Tatortarbeit der Polizei dokumentiert werden sollten.

Auch beim Fehlen einer Leiche können Insekten weiter helfen: Obwohl nach einem Tötungsdelikt in einem Mehrfamilienhaus der Täter die Leiche entfernt hatte, zeigten die zahlreichen Fliegen in der Wohnung immer noch an, dass sich hier für sie eine Nahrungsquelle befunden haben muss, da der für die Fliegen attraktive Zersetzungsgeruch, welcher anfänglich für den Menschen nicht wahrnehmbar ist, durch das Haus drang und die Fliegen anlockte.

Im Sommer stellen geöffnete Fenster die Möglichkeit einer direkten Leichenbesiedlung dar. Hierbei ist – analog zur Auffindung im Freien – mit einer Erstbesiedlung innerhalb der ersten Stunde nach Todeseintritt zu rechnen. Daher ist von den zuerst eintreffenden Beamten der (Schutz-)Polizei zu notieren, welche Fenster bei ihrem Eintreffen am Leichenfundort geschlossen bzw. geöffnet waren, und fotografisch oder per Aktennotiz zu dokumentieren, wie zahlreich ausgewachsene Fliegen in der Wohnung waren, bevor eventuell von Rettungsdienstfachpersonal oder vom Bestattungsunternehmen Fenster geöffnet wurden.

Zwei weitere Fallbeispiele sollen die Arbeitsweise des Forensischen Entomologen verdeutlichen. Im Hochsommer gab es einen ersten Leichenfund neben einem Waldweg. Es handelte sich hierbei um eine weibliche bekleidete Leiche. Als Todesursache wurde ein Verbluten durch mehrere Stiche in die Brust und eine Kompression des Halses durch eine Drosselung festgestellt. Am Leichnam fanden sich bereits zahlreiche weibliche Schmeißfliegen (Abb. 1). Außerdem wurden im Haupthaar sowie in auf der Oberbekleidung zahlreiche Eipakete dieser Schmeißfliegen festgestellt. Auffällig war, dass der primäre Besiedlungsherd, nicht wie sonst üblich die „normalen“ anatomischen Körperöffnungen, insbesondere im Gesicht, betraf, sondern den von Messerstichen durchsetzten Brustbereich des Leichnams. Hier bestand ein ausgeprägter Madenteppich mit mehreren 10.000 Tieren des ersten Larvenstadiums. Diese konnten nach einer Lebendzucht als Vertreter von Lucilia sericata (Goldfliege) und Lucilia ceasar (Kaisergoldfliege) bestimmt werden. Da die Tagesdurchschnittstemperatur am Tag des Fundes ca. 28°C betragen hatte, konnte die Mindestliegezeit nach sogenannten Wuchsdiagrammen auf zwischen 10 und 12 Stunden bestimmt werden. Die Leiche wurde also frühestens in der Nacht zuvor an den Fundort gebracht. Auffällig war dabei, dass aus dem Madenteppich eine Insektenlarve asserviert werden konnte, welche sich schon im zweiten Entwicklungsstadium befand und damit mindestens 16 Stunden alt gewesen sein musste. Da man bei der Gattung Lucilia einen nächtlichen Flug ausschließen kann musste die Eiablage, welche jetzt als zweites Larvenstadium zur Untersuchung gelangte, schon am Vortag erfolgt sein. Somit konnte der späteste mögliche Todeszeitpunkt auf den späten Nachmittag bzw. die frühen Abendstunden des Vortages der Leichenauffindung festgelegt werden. Als am Folgetag nach Sonnenaufgang eine ausreichende Helligkeit erreicht war, begann die massive (Zweit-)Besiedlung am Fundort.

Drei Tage später wurde in ca. 14 km Entfernung die Leiche des, mittlerweile zur Fahndung, ausgeschriebenen Ehemanns der getöteten Frau durch eine Polizeistreife aufgefunden – auch er wies Stichverletzungen auf. Auch bei diesem Leichenfund war die Eingrenzung der Liegezeit von ermittlungstechnischer Bedeutung und es galt zu klären, ob diese mit der Liegezeit des ersten Leichenfundes in Einklang zu bringen war oder womöglich von der Beteiligung einer dritten Person auszugehen war.

Asserviert wurden hier in einem fortgeschrittenen Zersetzungszustand zusätzlich zu den Larven von Lucilia illustris und Phormia regina auch verschiedene aasbesiedelnde Käfer. Die Mindestbesiedlungszeit wurde nach einer Kontrollzucht zwischen 70 und 80 Stunden festgelegt. Die Primärbesiedlung des männlichen Leichnams fand somit zur gleichen Zeit statt, wie die massive Sekundärbesiedlung des weiblichen Leichnams am ersten Fundort. Zwischen der Ablage des weiblichen Leichnams und dem durch die Sektionsergebnisse bestätigten Suizid des Mannes können damit nur wenige Stunden vergangen sein – die Frau muss aber bereits am Vorabend ihrer Auffindung getötet worden sein. Die Ermittlungen wurden mit dem Ergebnis eines erweiterten Suizids abgeschlossen.

Das zweite Beispiel behandelt den Fund zweier Leichen in einem Mehrfamilienhaus. Nachdem von Hausbewohnern ein unangenehmer Geruch festgestellt worden war, wurde eine Wohnungsnotöffnung veranlasst. Im Flur fand sich die weibliche Leiche einer jungen Frau. Als Todesursache wurde eine Intoxikation durch einen sogenannten Speedball (Mischung aus Heroin und Kokain) festgestellt. Es fanden sich Larven der Schmeißfliege Lucilia sericata im frühen dritten Larvenstadium an ihrer Leiche. Im Kinderzimmer wurde im Gitterbett die Leiche ihres zwei Jahre alt gewordenen Sohnes aufgefunden. Als Todesursache war ein Verdursten zu klassifizieren. An seiner Leiche fanden sich lediglich Eipakete.


Abbildung 1: Aufgefundener weiblicher Leichnam mit initialer Insektenbesiedlung.

Die Fragestellungen in diesem Fall bezog sich auf zwei wesentliche Punkte: Da bekannt war, dass eine dritte Person regelmäßigen Zugang zur Wohnung hatte, war die Frage der Mindestliegezeit der beiden Leichen insofern relevant, als das die Möglichkeit bestanden hat, dass die dritte Person die später Verstorbenen ggf. noch lebend hätte vorfinden können – es stand der Verdacht einer unterlassenen Hilfeleistung im Raum. Ergänzend galt es zu klären, über welches Zeitintervall das Kleinkind unversorgt geblieben worden war, nachdem seine Mutter verstarb. Durch die skizzierte, unterschiedliche Besiedlungsrate beider Leichen konnte gezeigt werden, dass die Eipakete am Leichnam des Kindes maximal 24 Stunden alt gewesen waren, wohin gegen die Mutter bereits mindestens drei Tage tot in ihrer Wohnung gelegen haben muss.

3 Feststellung einer Leichenverlagerung vom Sterbeort

Ob eine Leichenverlagerung zwischen Sterbeort und Fundort stattgefunden hatte, kann man durch mehrere Anknüpfungstatsachen objektivieren: Werden bei einer im Wasser treibenden Leiche größere abgestorbene Fliegenlarven in der Bekleidung oder in Verletzungen gefunden, so ist es weitgehend auszuschließen, dass eine Insektenbesiedlung im Wasser stattgefunden hat. In einigen speziellen Fällen war es auch möglich, Insekten festzustellen, welche im Biotop der Auffindung nicht vorkommen und damit gemeinsam mit der Leiche verlagert worden sein müssen.

Auch hier soll ein Beispiel aus der Praxis die Möglichkeiten der Forensischen Entomologie beleuchten: Im Garten eine Mehrfamilienhauses wurde eine weibliche Leiche aufgefunden. Die Larven des 1. und 2. Larvenstadiums waren sehr zahlreich am Leichnam vorhanden. Zudem wurden Larven gefunden, welche bereits den Wachstumsgipfel des 3. Larvenstadiums erreicht hatten und damit kurz vor der Verpuppung standen. Ein spätes 2. Larvenstadium sowie ein frühes 3. Larvenstadium fehlten an der Leiche.

Bei den damals vorherrschenden relativ kühlen Umgebungstemperaturen hätte es zu diesem Zeitpunkt mehr als eine Woche benötigt, damit der Entwicklungsstand der Fliegenlarven auf dieses Niveau gekommen wäre. Ermittlerseitig konnte aber sicher belegt werden, dass am späteren Fundort wenige Tage zuvor definitiv (noch) kein Leichnam gelegen hatte. Bei einer derartigen Konstellation war also davon auszugehen, dass der Fundort nicht dem Tatort entsprach und daher mindestens eine Verlagerung des Leichnams – konkret: von einem wärmeren Ort, beispielsweise einer Wohnung – stattgefunden haben muss. Das späte 3. Larvenstadium konnte sich in wärmerer Umgebung schneller auf der Leiche entwickeln und war deshalb im Wachstum schon weiter fortgeschritten. Nach der Verlagerung an den Fundort konnte eine massive, dann „sekundäre“ Besiedlungswelle stattfinden, welche aber durch die kühleren Umgebungstemperaturen langsamer gewachsen waren.

4 Nachweis einer Vergiftung – Entomotoxikologie

Eine der interdisziplinärsten Ansätze in der Nutzung von insektenkundlichem Wissen ist die Forensische Entomotoxikologie. Sie bietet neben der Möglichkeit eines Stoff- bzw. Substanznachweises durch Aufarbeitung der Insektenasservate noch weitere begutachtungsrelevante Aspekte: Es wurde beispielsweise beobachtet, dass durch eine Aufnahme bestimmter Medikamente oder Wirkstoffsubstanzen das Wachstum von Fliegenlarven zum Teil drastisch beschleunigt oder gebremst wird. Die Aufnahme der Substanzen wie beispielsweise Psychostimulanzien (z.B. Methadon) oder Medikamente (z.B. Paracetamol) führt zu einer Beschleunigung des Wachstums. In einem vergleichbaren Zeitraum erlangen die Tiere im Vergleich zu „unbelasteten“ Artgenossen eine größere Körperlänge. In der Leichenliegezeiteingrenzung durch entomologische Expertise können bei Missachtung dieser „Fallstricke“ falsche Ergebnisse resultieren, was zu verheerenden Konsequenzen in der juristischen Bewertung eines Straftatgeschehens führen könnte.

Infobox I
Die Forensische Entomologie (Insektenkunde) ist eine Nischendisziplin der Rechtsmedizin und wird in der Regel durch Biologen vertreten. Durch das Verhalten, das Wachstum und den Fraßprozess der Tiere können Aussagen zur Leichenliegezeit, zur Leichenumlagerung, zu einer Intoxikation oder einer Vernachlässigung getroffen werden. Hierfür ist es wichtig, die Insektenarten genau zu bestimmen und ihr Wachstum mit Umgebungsparametern, der Temperatur und der Luftfeuchte abzugleichen. Für die Bundesrepublik Deutschland stehen vier Forensische Entomologen in rechtsmedizinischen Instituten zur Verfügung.

Aber auch andere Extreme können beobachtet werden. Trotz geöffneter Fenster und sommerlicher Temperaturen wurde eine Leiche, welche in suizidaler Absicht oral Frostschutzmittel aufgenommen hatte, in einem fortgeschrittenen Fäulniszustand aufgefunden, aber eine Besiedlung durch Insekten war nicht festzustellen. Die ebenfalls in der Wohnung infolge fehlenden Nahrungsangebots zu Tode gekommene Hauskatze wies im Vergleich dazu, eine regelrechte und wetterbedingte intensive Besiedlung auf.

5 Vernachlässigung zu Lebzeiten – Myiasis

Fliegen sehen zudem nicht nur tote Lebewesen im engeren Sinne, sondern auch bereits totes Gewebe an einem ansonsten lebenden Organismus als ihren Eiablageplatz an. So kann es in Fällen von Pflegevernachlässigung und Verwahrlosung zu einer sog. Myiasis kommen. Hierbei werden nekrotische Gewebe, beispielsweise verursacht durch eine peripher arterielle Verschlusskrankheit, eine chronisch venöse Insuffizienz, ein Zuckerleiden (Diabetes mellitus) oder eine durch langfristige Immobilität wund gelegene Stelle bzw. nicht oder zu selten gewechselte Windeln, Unterwäsche und/oder Verbände durch Insekten besiedelt. Im forensischen Sinne kann damit der Zeitraum einer Vernachlässigung, eines Pflegemangels oder einer Verwahrlosung nach oben genannten Richtlinien und Verfahrenswegen ermittelt und abgesteckt werden. Betroffene Personengruppen sind damit vor allem Obdachlose, Suchtabhängige, Kleinkinder oder pflegebedürftige Senioren. Klinisch erzielt man im Übrigen bewusst einen positiven Effekt mit der Fliegenmadentherapie, bei der im Labor gezüchtete Fliegenlarven zur gezielten Wundbehandlung bei chronischen Wundheilungsstörungen eingesetzt werden. Hierbei macht man sich vor allem die antiseptischen und entzündungshemmenden Verdauungsenzyme der Larven zunutze, welche für eine externe Vorverdauung ausgeschieden werden, um anschließend nekrotisches Gewebe zu fressen

 

6 Forensische Veterinärmedizin

Dieses Segment findet derzeit in Deutschland noch keine Anwendung, da es weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht und sich diesbezügliche polizeiliche Ermittlungsverfahren zahlenmäßig in Grenzen halten. Durch die stetig wachsenden Populationen von Wolf und Luchs geraten diese Tierarten aber in ländlichen Regionen der Bundesrepublik zunehmend auch immer wieder in den Konflikt mit dem Menschen. Vom Jahr 2000 bis zum August 2017 wurden 24 illegale Wolfsabschüsse gezählt. Häufig werden diese Tiere erst zeitverzögert und zufällig aufgefunden und anschließend zentralisiert in das Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) nach Berlin übersandt – oft bereits in beginnenden bis fortgeschrittenen Verwesungsstadien. Ähnlich wie bei menschlichen Leichen lassen sich die Verfahrensweisen der Forensischen Entomologie auch an Tieren anwenden. Diesbezügliche praktische Erfahrungen zeigen im Übrigen auch ein weitgehend vergleichbares Artenspektrum in der Erstbesiedlung zwischen Mensch und Tier. Auch hier sind die Schmeißfliegen immer als erste Insekten vor Ort und werden später von anderen Gruppen ergänzt.

7 Asservierung forensisch-entomologischer Spuren

Im Idealfall sollte die Kommunikation zwischen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin so reibungslos funktionieren, dass auf Anforderung zeitnah ein Forensischer Entomologe am Tat- bzw. Fundort anwesend sein kann. Somit ist es oft schon nach erster Inaugenscheinnahme und Kenntnis der ersten Ermittlungsansätze möglich, näherungsweise erste Aussagen zur Eingrenzung von Liege- und Sterbezeitraum zu bieten und ggf. weitere Ermittlungsansätze zu benennen.


Abbildung 2: Set zur schnellen Asservierung von forensisch-entomologischen Spuren (Nr. 1-3 Probegefäße leer für Asservierung von Puppenhüllen oder Puppen (Löcher im Deckel); 4-6 Probegefäße mit 70% Ethanol für Tot-Asservierung vor Ort; 7 Krepppapier zur rüttelfreien Lagerung in Nr. 1-3 oder Nr. 8; Nr. 8 Dose mit Deckel (Löcher nicht vergessen) zur Lebendasservierung von Larven mit Nahrung; Nr. 9 Dose mit Einstreu, mit Deckel (Löcher nicht vergessen) zur Lebendasservierung von Larven (nur 3. Larvenstadium) oder Puppen; Nr. 10 Fragebogen; Nr. 11 Flyer mit Asservierungsanleitung; Nr. 12 Maßstab; Nr. 13 Bleistift.

Die Anwesenheit des Entomologen vor Ort, spätestens aber zur Sektion im Institut für Rechtsmedizin, ist bei ausreichend früher Kontaktaufnahme und Beauftragung flächendeckend möglich und hat sich in unserem Berufsalltag als unproblematisch organisierbar etabliert. Sollte es nicht möglich sein, dass ein Entomologe beim „ersten Angriff“ vor Ort ist, gibt es ein einfach durchzuführendes Asservierungsprotokoll, welches von den Kriminaltechnikern angewendet werden kann, um die erste Sicherung am Tat- bzw. Fundort vorzunehmen.

7.1 Fotografische Dokumentation

Die fotografische Dokumentation vom Insektenbefall eines Leichnams sollte losgelöst von der eigentlichen Tatortfotografie in einer Art „Extrarunde“ durchgeführt werden. Der Grund dafür ist, dass der persönliche Sichtfokus eines jeden Einzelnen für bestimmte Objekte anders liegt und ansonsten ggf. relevante Informationen zur Besiedlungsdichte, räumlichen Orientierung und Zeitpunkt der Dokumentation verloren gehen oder verschwimmen. Alles Fotos sind zwingend mit einem Maßstab zu versehen! Zuerst wird auch hierbei der Leichnam in einer Übersichtsaufnahme fotografiert. Panoramaaufnahmen und sphärische Fotografie sind ebenfalls zu empfehlen, wenn die Möglichkeit dazu vorhanden ist. Im nächsten Schritt werden die Besiedlungsherde nacheinander fotografiert, beginnend am Kopf. Hierbei sollte formatfüllend fotografiert werden. Sind die einzelnen Besiedlungsherde abgearbeitet sollte auch die Umgebung des Leichnams abgesucht werden. In einer Wohnung werden evtl. bei einer bereits eingetretenen Abwanderung Ansammlungen von Fliegenpuppen in Ecken, höheren Kanten und unter Möbelstücken zu finden sein. Diese Ansammlungen sind ebenfalls einzeln zu fotografieren und ihn ihrem räumlichen Abstand zum Leichnam zu dokumentieren. Ihre Menge kann Aufschluss darüber geben, wie lange ein Leichnam schon am Auffindeort liegt.

Im Freien sollte dabei unter der aufliegenden Bodenstreu im Abstand von wenigen Zentimetern bis zu fünf Metern von Leichnam gesondert inspiziert werden, ob bereits Fliegenpuppen zu finden sind. Hierbei reichen Übersichtsaufnahmen, da eine Menge im Gegensatz zu geschlossenen Raum nicht abzuschätzen ist. Abschließend sollten „entomologisch interessante“ Details fotografiert werden (z.B. Tierkadaver in der Nähe, Komposthaufen etc.). In Zeiten der digitalen Fotografie, kann es kein „zu viel“ an Bildern geben.

 

7.2 Asservierung

Die Asservierung der insektenkundlichen Spuren ist in zwei Gruppen zu unterteilen. Einige Exemplare werden direkt am Tat-/Fundort bzw. bei der Sektion getötet und dienen als Nachweis des „Ist“-Zustandes bei Asservierung. Lebende Präparate von Larven werden zur weiteren Zucht bis zur adulten Fliege bzw. Käfer genutzt, um Vergleichszuchten in einem Klimaschrank aufzubauen oder geeignete Exemplare für eine Artbestimmung zu erhalten.

Zur Abtötung der Proben ist folgendes Vorgehen zu empfehlen: Fliegeneier werden als Geschmeiß in 70% unvergälltem Ethanol konserviert (erhältlich in jeder Apotheke). Die Fliegenlarven des ersten (ca. 3-5 mm Länge), zweiten (ca. 5-10 mm Länge) und dritten (ca. 10-20 mm Länge) Larvenstadiums sowie ein Teil der ggf. vorhandenen Puppen werden ebenfalls in 70% unvergälltem Ethanol konserviert. Gleiches gilt für Käferlarven und Puppen. Wenn die Möglichkeit besteht, sollten die Larven vorher mit kochendem Wasser abgetötet werden, da sie sich dann in ihrer Längsorientierung ausdehnen und so die Art-Bestimmung vereinfachen. Ist kochendes Wasser nicht verfügbar, tötet auch der Ethanol zuverlässig ab. Es sollten immer mindestens 30 Larven-Exemplare asserviert werden.

Leere Puppenhüllen, meist einfach erkennbar an ihrer braunen Farbe und ihrem hohlen Inneren, können trocken in einer Asservatendose gelagert werden und bedürfen keiner Einbringung in Alkohollösung. Hierbei sollte dann aber auf einen Schüttelschutz in Form von Krepp- oder Küchenpapier im Asservatenbehältnis geachtet werden.

Ausgewachsene Fliegen und Käfer sollen ebenfalls in Ethanol konserviert werden, wenn man diesen vor Ort habhaft werden kann – dies gelingt in der Regel nur, wenn es sich um bereits abgestorbene adulte Tiere handelt.

Wenn kein vergällter Ethanol zur Hand ist, genügen für eine erste schnelle Asservierung alle Alkoholika >70%; jedoch niemals Formalin. Auch handelsübliche Händedesinfektionsmittel sind zur Not hilfreich, wenn kein Ethanol verfügbar ist. Geeignet für die Asservierung sind Schraubdeckelgefäße mit 25 – 50 ml Füllmenge (siehe Abb. 2 Nr. 1-6).

Die Asservierung von Lebendproben kann ebenfalls mit wenigen Handgriffen bewerkstelligt werden. Auch hierbei sollte darauf geachtet werden, dass primär möglichst die ältesten Exemplare eingesammelt werden. Wichtig ist, dass die Tiere ausreichend Sauerstoff bekommen. Als Nahrungsgrundlage können z.B. Gewebeteile des Leichenmaterials genutzt werden, z.B. Leber- oder Nierengewebe. Dieses hat zum einen den Vorteil, dass es problemlos bei der Sektion gewonnen werden kann und zum anderen durch den bereits vorgeschrittenen Zersetzungsprozess den optimalen Zustand für die Fliegenlarven besitzt. Somit werden Wachstumsschwankungen und Wachstumspausen verhindert. Alternativ ist auch die Aufzucht an Schweineorganen oder -muskulatur möglich und zahlreiche wissenschaftliche entomologische Studien haben sich derartigen Alternativsubstrate bedient. Die Lebendproben werden idealerweise mit etwas Zellstofftuch (Küchentuch, Einweghandtücher) und der Gewebeprobe in Plastikschalen (siehe Abb. 2 Nr. 8+9) gelegt und mit einem Deckel, welcher vorher mit kleinen Löchern versehen worden ist, verschlossen. Puppen werden wiederum trocken in eine solche Asservatendose (ohne Gewebeprobe, mit Zellstoff) gelegt.

Eine eineindeutige und korrekte Beschriftung aller Asservate ist zwingend notwendig und sollte Bestandteil des jeweiligen Spurenprotokolls sein. Die Plastikschalen werden mit einem wasser- und idealerweise lösungsmittelfesten Stift beschriftet. Die Behälter mit den Totproben werden entweder äußerlich mit Aufklebern oder im Inneren mit, mit Bleistift beschriebenen Zetteln kenntlich gemacht. Auf die Verwendung von Finelinern, Kugelschreiber oder Permanentmarkern ist aus Gründen der Löslichkeit durch Alkohol zu verzichten. Unbeschriftete Proben können nicht verwertet werden.

Infobox II
Bei der Sicherung ist darauf zu achten, dass jeweils die ältesten Exemplare asserviert werden. Wenn nur Fliegen- oder Käferlarven auf dem Leichnam vorkommen sind jeweils die größten Exemplare zu sichern. Gibt es die Vermutung, dass die Leiche schon längere Zeit am Fund- bzw. Tatort liegen könnte ist im Umkreis auch nach verpuppten Exemplaren zu suchen. Es sind jeweils Tot- und/oder Lebendproben zu asservieren. Bei Fragen genügt ein Anruf. Im Zweifel sollte immer zeitnah der Forensische Entomologe hinzugezogen werden.

Zur Beschriftung sollte das Datum und die Uhrzeit der Auffindung und auch der eigentlichen Asservierung, das Aktenzeichen, die Spurennummer und die Dienststelle notiert werden.

Für eine schnelle Einschätzung sollten zu den Proben noch Eckdaten notiert werden. Hierbei sind vor allem Temperatur und Umgebungsparameter notwendig. In einem vorgefertigten Fragebogen können diese Werte schnell notiert und damit aktenkundig gemacht werden. Dieser Fragebogen kann unter dem folgenden permanenten Link im Internet abgerufen und für die Asservierung genutzt werden:  goo.gl/8i3C5u. Im Link befindet sich außerdem ein allgemeiner Flyer mit Tipps zur Asservierung. Zudem steht der Erstautor für Nachfragen telefonisch und per Mail zur Verfügung.

Im Zusammenhang mit der fortschreitenden Nutzung von Smartphones auch im Dienstalltag und zum dienstlichen Nutzen sollen zum Abschluss noch die Möglichkeiten von Telefonapplikationen („Apps“) angesprochen werden. Diese müssen sich zunächst natürlich dienststellen- und letztlich bundeslandspezifisch bewähren bzw. deren Eignung für kriminalistische Ermittlungen sachlich diskutiert werden.

Die Nutzung der vom Deutschen Wetterdienst betriebenen App „Warnwetter“ kann zum Beispiel helfen, die Umgebungstemperatur und den Temperaturverlauf schnell nachzuvollziehen. GPS-gestützte Programme wie „google maps“ bieten eine Übersicht über die Umgebung, was vor allem bei Leichenfunden im Freiland sehr hilfreich sein kann, um die Biotope für spezifische Insektenpopulationen nachzuvollziehen bzw. eingrenzen zu können.

Den wichtigsten Punkt bilden aber Messenger Dienste wie „WhatsApp“ oder das sicherere (da passwortgeschützte) „Threema“. Kann der Entomologe nicht selbst zeitnah vor Ort erscheinen, können durch eine elektronische Übermittlung von Bildern von Übersichts- und Detailaufnahmen durch eine Markierung in diesen Bildern mittels Bildbearbeitung, die für eine ergebnisorientierte Asservierung notwendigen Insekten schnell und unkompliziert übermittelt werden. Ein entsprechendes Vorgehen ist fallabhängig zu diskutieren und eventuell mit der Einsatzleitung bzw. der Staatsanwaltschaft vor Ort zu besprechen, zumindest aber detailliert zu dokumentieren.

8 Ausblick

Zukünftig wird die Forensische Entomologie auch in Deutschland eine größere Rolle spielen, wie z.B. schon jetzt in den USA oder Großbritanien. Eine größere Nachfrage nach entomologischen Gutachten durch Polizei und Staatsanwaltschaften befördert nicht nur die Ausbildung und Stellenfinanzierung forensischer Entomologen, sondern auch die Forschung und Entwicklung neuer Methoden zum Giftnachweis in Insekten (Entomotoxikologie), für die forensische Veterinärmedizin oder die entomologische Bewertung von Foto- und Videomaterial aus Kriegsgebieten zur eventuellen Klärung von Verbrechen. Mit molekularbiologischen und isotopenanalytischen Untersuchungen gibt es zudem in der Zukunft noch genauere Möglichkeiten, das exakte Alter bereits ausgewachsener Fliegen zu bestimmen.

9 Zusammenfassung

Die Forensische Entomologie ist eine naturwissenschaftliche, objektive und günstige Ergänzung der etablierten rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Methoden. Während sie bisher vor allem zur Liegezeiteingrenzung von Leichen Verwendung findet, können zukünftig auch Fragen zu einer ggf. vorliegenden Intoxikation oder zu stattgehabten Ortswechseln des Leichnams (Verlagerung) beantwortet werden. Wann immer möglich, sollte der Forensische Entomologe frühzeitig in die Fallbearbeitung einbezogen werden, um entweder am Fund- bzw. Tatort selbst Asservate zu nehmen, oder die Asservierung der Insektenspuren zu koordinieren.

Bildrechte bei den Autoren. Weiterführende Literatur ist auf Nachfrage erhältlich.

Anmerkungen

M.Sc. Marcius Schwarz ist forensischer Entomologe am Institut für Rechtsmedizin Leipzig. Mirko Ferch ist Kriminalhauptmeister und Kriminaltechniker bei der Polizeidirektion Leipzig.