Recht und Justiz

„Legendierte Kontrollen“

Wertvolles rechtmäßiges Mittel im Rahmen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung

3 Tragende Erwägungen der Entscheidung5

Der Senat hat die Fahrzeugdurchsuchung nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 HSOG (i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 HSOG bzw. § 40 Nr. 1 und 4 HSOG) für gerechtfertigt erklärt. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung lagen in formeller und materieller Hinsicht alle Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungsgrundlage vor. Einer vorherigen richterlichen Anordnung bedurfte es nach diesen Vorschriften nicht.

Die Maßnahme habe sowohl der Beweissicherung als auch der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, hier dem Inverkehrgelangen einer großen Menge von gefährlichen BtM, gedient. Der polizeirechtlichen Rechtmäßigkeit der Maßnahme stehe nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Fahrzeugdurchsuchung bereits ein Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Angeklagten vorlag, der auch ein Vorgehen nach §§ 102, 105 StPO ermöglicht hätte. Es habe eine doppelfunktionale Maßnahme vorgelegen, bei der die Polizei mit jeweils selbständiger präventiver und repressiver Zielrichtung tätig geworden sei. In diesem Zusammenhang besteht nach Auffassung des Senats weder ein allgemeiner Vorrang der StPO gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat sei ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen rechtlich möglich. Insbesondere bei Gemengelagen, in denen die Polizei sowohl repressiv als auch präventiv agieren könne und wolle, blieben strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen grundsätzlich nebeneinander anwendbar.

Nach Auffassung des Senats richtet sich die Verwendung der aufgrund gefahrenabwehrrechtlich zulässiger Durchsuchungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse im Strafverfahren nach § 161 Abs. 2 S. 1 StPO. Gedanklicher Anknüpfungspunkt des § 161 Abs. 2 StPO sei die Idee des hypothetischen Ersatzeingriffs. Der Gesetzgeber habe sich in Kenntnis der unterschiedlichen formellen Voraussetzungen gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen für eine Lösung nach rein materiellen Gesichtspunkten entschieden. Damit komme es bei der „Umwidmung“ von auf präventiv-polizeilicher Rechtsgrundlage erlangter Daten nach § 161 Abs. 2 S. 1 StPO gerade nicht darauf an, ob die formellen Anordnungsvoraussetzungen nach der StPO, wie hier etwa das Vorliegen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung, gewahrt worden seien. Vielmehr setze die Datenverwendung nach § 161 Abs. 2 S. 1 StPO grundsätzlich nur voraus, dass die zu verwendenden Daten polizeirechtlich rechtmäßig erhoben wurden, sie zur Aufklärung einer Straftat dienten, aufgrund derer eine solche Maßnahme nach der StPO hätte angeordnet werden dürfen, und dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Beweisgewinnung gemäß der StPO vorgelegen hätten. Die mögliche Gefahr der Umgehung der engeren formellen Voraussetzungen der strafprozessualen Eingriffsnorm habe der Gesetzgeber gesehen, aber ersichtlich hingenommen.

Die Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 S. 1 StPO lägen vor. Die Erkenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung dienten zur Aufklärung einer „schweren Straftat“ i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO, aufgrund derer eine Durchsuchung nach der StPO ohne Weiteres hätte angeordnet werden dürfen. Unerheblich sei, dass die gefahrenabwehrrechtliche Durchsuchung nach dem HSOG grundsätzlich auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zulässig sei. Entscheidend sei, dass ein Ermittlungsrichter bei hypothetischer Betrachtung einen entsprechenden richterlichen Durchsuchungsbeschluss auf strafprozessualer Grundlage zweifelsfrei erlassen hätte. Eine rechtsmissbräuchliche Umgehung von StPO-Anordnungsvoraussetzungen sei hier nicht ersichtlich, da an einer jedenfalls auch präventiven Zwecksetzung der Maßnahme durch die Polizeibeamten bei der Suche nach mitgeführten gefährlichen Gegenständen (wie Waffen oder BtM) kein Zweifel bestünde. Eine staatliche Pflicht, gegenüber dem Angeklagten strafprozessual tätig zu werden und ihm gegenüber damit zwangsläufig sämtliche Ermittlungsergebnisse zu offenbaren, habe aus rechtlichen Gründen zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden.

Im Weiteren nimmt sich der Senat Fragen der Belehrung des Beschuldigten in Folge der Durchsuchungsmaßnahme an: die Verteidigung des Angeklagten hatte gerügt, dass der Angeklagte auf das schon länger dauernde Ermittlungsverfahren gegen ihn und die sich daraus ergebenden Verdachtsmomente hätte hingewiesen werden müssen. Weiter müsse die Belehrung über den Tatvorwurf auch unvollständig gewesen sein, insbesondere hätte dem Angeklagten der Tatvorwurf der Einfuhr von BtM in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit BtM in nicht geringer Menge eröffnet werden müssen.

Zunächst hat der Senat dazu jedoch festgestellt, dass der belehrende Polizeibeamte nicht sämtliche Ermittlungsergebnisse aus der Telefonüberwachung und der Observation offenbaren musste. Eine Belehrung über die Genese des Tatverdachts zu diesem frühen Zeitpunkt sei vor dem Hintergrund der laufenden verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gegen den in Marokko befindlichen Hintermann B. aus ermittlungstaktischen Gründen nicht erforderlich gewesen.

Zweifelnd äußert sich der Senat jedoch, ob der Beurteilungsspielraum des Vernehmenden nicht überschritten wurde, als dem Angeklagten der Tatverdacht hinsichtlich der Einfuhr des sichergestellten Kokains verschwiegen wurde, da die entsprechenden BtM-Vorwürfe tateinheitlich zusammenträfen. Letztlich hält der Senat diese Frage im konkreten Fall aber nicht für entscheidungserheblich.

Schließlich thematisiert der Senat Fragen der Aktenvollständigkeit und der fehlenden Unterrichtung des tätigen Ermittlungsrichters über den vollständigen Sachverhalt. Der Senat hält es dabei für nicht unbedenklich, dass die geführten Hintergrundermittlungen zunächst nicht aktenkundig gemacht wurden und damit dem Ermittlungsrichter ein unvollständiger Sachverhalt unterbreitet wurde. Das im Vorverfahren tätige Gericht müsse den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können, denn es müsse in einem rechtsstaatlichen Verfahren schon der bloße Anschein vermieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen. Der Senat nimmt die Staatsanwaltschaft für eine etwaige Aktenunvollständigkeit in die Pflicht. Ob und in welcher Weise durch präventive Maßnahmen angefallene Erkenntnisse als Beweismittel in das Strafverfahren eingeführt würden, obliege der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die deshalb über etwaige Hintergründe von polizeilichen Ermittlungen bzw. präventiven Maßnahmen nicht im Unklaren gelassen werden dürfe.

Der Senat verneint jedoch im Ergebnis in diesem Fall einen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte des Angeklagten in der Hauptverhandlung, da die (zuvor fehlenden) Erkenntnisse mehrere Wochen vor Anklageerhebung zur Akte gelangt und der Verteidigung unverzüglich übermittelt wurden.

4 Bewertung der Entscheidung6

Wie zu erwarten war, ist die Entscheidung des 2. Strafsenats umgehend auf teils heftige Kritik gestoßen. So haben Mitsch7, Lenk8 und Schiemann9 insbesondere den Vorwurf einer Gesetzesumgehung erhoben. Brodowski10 meint, das Urteil hinterlasse einen schalen Beigeschmack. Er sieht die Gefahr, dass die Balance des Strafverfahrens zwischen Beschuldigtenrechten und staatlichen Sicherheitsinteressen aus dem Gleichgewicht zu geraten drohe. Diese Kritik erscheint unberechtigt.

4.1 Zur Rechtmäßigkeit der Fahrzeugdurchsuchung

Der Vorwurf der „Umgehung“ der Anforderungen der StPO erscheint zirkelschlüssig. Er setzt voraus, dass die StPO-Ermächtigung überhaupt einzig anwendbar wäre, also die eigentlich einzig richtige zu wählende Rechtsgrundlage. Dieses ist nach Auffassung des BGH aber gerade nicht der Fall. Ist die Norm des Gefahrenabwehrrechts jedoch (auch) taugliche Ermächtigungsgrundlage, kann von einer „Umgehung“ strafprozessualer Vorschriften keine Rede mehr sein. Vielmehr dürfte gerade in Fällen erheblicher Drogen- oder Waffendelikte der akute Schwerpunkt zum Zeitpunkt der Maßnahme tatsächlich auf präventivem Gebiet liegen. Die Polizei als Gefahrenabwehrbehörde kann es nicht hinnehmen, dass große Mengen harter Drogen (z.B. Heroin, Crystal Meth) oder Waffen in den Umlauf geraten. Der Vorwurf der „Umgehung“ trägt dann erst Recht nicht.

Die Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist durch saubere juristische Subsumtion unter die möglichen Ermächtigungsnormen zu klären. Sind deren Voraussetzungen vollständig erfüllt, sind Normen des Polizei- oder Zollrechts taugliche Ermächtigungsgrundlage. § 161 Abs. 2 S. 1 StPO ermöglicht dann die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse im Strafverfahren. Den Kritikern war es in diesem Zusammenhang bislang nicht möglich schlüssig zu erklären, warum die Normen des Polizei- oder Zollrechts gesperrt sein sollen, nur weil gegen den Betroffenen gleichzeitig ein strafprozessualer Anfangsverdacht besteht. Eine Norm in der StPO, die eine solche Sperrwirkung konstituiert, können die Kritiker aus gutem Grund nicht benennen. Es gibt sie nicht. Die rechtliche Möglichkeit der „legendierten Kontrollen“ kann in der Praxis auch bei Verfahren der Organisierten Einbruchskriminalität eine wichtige Rolle spielen. Hier können ebenfalls Normen der Gefahrenabwehr Rechtsgrundlage für Durchsuchungsmaßnahmen sein, um am Ende von (möglichen) Einbruchstouren Stehlgut für die Berechtigten sicherzustellen und durch das Sicherstellen von Tatmitteln künftige Einbruchstaten zumindest zu erschweren. Bei Rückgriff auf eine strafprozessuale Rechtsgrundlage würde auch hier unter Umständen die Gefährdung weitergehender Ermittlungen gegen Hintermänner drohen.

4.2 Zu Fragen der Belehrung vor einer Beschuldigtenvernehmung nach der „legendierten Kontrolle“

Infolge der Entscheidung des BGH sind die Vernehmungsbeamten künftig gut beraten, zumindest die tateinheitlich verwirklichten Delikte dem Beschuldigten zu nennen, für die ein Verdacht besteht. Es besteht damit verbunden natürlich ein gewisses (eher geringes) Risiko, dass der Beschuldigte Verdacht schöpfen und einen weiteren Hintergrund der Maßnahmen erahnen könnte. Dieses Risiko ist jedoch hinzunehmen. Der Beschuldigte wird kaum erkennen können, ob der Verdacht der Einfuhr von BtM in nicht geringer Menge aus dem Fund einer erheblichen Menge an BtM (z.B. im grenznahen Bereich) herrührt oder aus weitergehenden Erkenntnissen. Eine solche Auskunft muss aber nicht erteilt werden.

4.3 Zu Fragen der Aktenvollständigkeit und der unzureichenden Unterrichtung des Ermittlungsrichters

Insoweit stellt der BGH zentral darauf ab, ob eine Gefährdung der Verteidigungsrechte des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu besorgen ist. Nach dieser (zu begrüßenden) Rechtsprechung müssen sich die Strafverfolgungsbehörden bei Festnahme des Beschuldigten nach einer „legendierten Kontrolle“ darauf vorbereiten, in absehbarer Zeit Aktenvollständigkeit herzustellen, so ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten beantragt werden soll. Für langfristige Ermittlungen in Verfahren der Serien- und Bandenkriminalität und der Organisierten Kriminalität bliebe dann kein Raum mehr. Die Beantragung eines Haftbefehls mit den entsprechenden Fristen der StPO ist also genau abzuwägen. Auch darf nicht die Gefahr entstehen, dass der Ermittlungsrichter bei Kenntnis der vollständigen Sachlage eine andere Haftentscheidung getroffen hätte. So muss z.B. der Haftgrund der Fluchtgefahr so deutlich vorliegen, dass Fragen der Observation des Betäubungsmittelgeschäfts für die Straferwartung und damit den Haftgrund der Fluchtgefahr zu diesem Zeitpunkt praktisch keine maßgebliche Rolle spielen können. Hier ist eine sehr sorgfältige und zurückhaltende Prüfung der Staatsanwaltschaft geboten.

4.4 Schlussbewertung

Die äußerst sorgfältig begründete Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH ist zu begrüßen, da sie Rechtsklarheit schafft. Die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ ist jedoch aufgerufen, mit dem Mittel der „legendierten Kontrolle“ äußerst sorgsam und gegebenenfalls zurückhaltend umzugehen. Auf die exakte Erfüllung aller Voraussetzungen der gewählten Ermächtigungsgrundlage ist besonderes Augenmerk zu richten, ebenso wie auf die genaue Planung des weiteren Fortlaufs des Ermittlungsverfahrens. Unbedingt vermieden werden muss auch eine Konstellation, in der der Ermittlungsrichter bei Kenntnis der Hintergründe der Tat keinen Haftbefehl erlassen hätte. Im Zweifel ist also durch die Staatsanwaltschaft von der Beantragung eines Haftbefehls abzusehen.

Bildrechte bei Manfred Vollmer/GdP.

Anmerkungen

  1. Dr. Christopher Sievers ist Staatsanwalt beim LG Kiel und Lehrbeauftragter für das Studienfach Strafrecht im Fachbereich Polizei der FHVD Schleswig-Holstein.
  2. Vgl. dazu nur LG Münster v. 1.9.2014, NStZ 2016, 126; Nowrousian, Kriminalistik 2013, 105ff; Müller/Römer, NStZ 2012, 543 ff.
  3. BGH v. 26.4.2017, Az. 2 StR 247/16.
  4. 7.995 Gramm Kokain brutto; 6.500,6 Gramm Kokainhydrochloridanteil.
  5. Zusammenfassung des Autors.
  6. Bewertung erfolgt aus rechtlicher, aber auch insbesondere aus praktischer Sicht.
  7. Mitsch, NJW 2017, 3124 ff.
  8. Lenk, StV 2017, 692 ff.
  9. Schiemann, NStZ 2017, 651 ff.
  10. Brodowski, JZ 2017, 1119 ff.
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