Polizei

Kriminalpolizeiliche Kompetenz im Festival-Einsatz

Jene Anschluss-BAOen haben den Vorteil, dass sie auf vorhandenen Strukturen aufbauen können und dass bereits viele ortskundige Kräfte im Einsatzraum sind. Aus dem zuvor dargestellten UA Ermittlungen, der – wie dargestellt – im Regelbetrieb des Festivals nur sporadisch zum Einsatz kommt, wird nun ein eigenständiger EA mit einer komplexen Bearbeitungsstruktur, eigenen Unterabschnitten und einer EA-Führungsgruppe. Grundsätzlich sieht der entsprechende Landeserlass hierbei die UAe „Tatortermittlungen“, „Umfeldermittlungen“, „Sachbeweis“, „TKÜ“ und „Taktische Betreuung“ vor. Inwieweit diese Struktur eingeschränkt werden kann oder aber erweitert werden muss, hängt ab von der Dimension der Lageentwicklung bzw. der Beurteilung der „neuen“ Lage. Ergänzend relevant sein könnten beispielsweise auch der UA „Fahndung“ oder der UA „VVI“ (Vermisste, Verletztenregistrierung, Identifizierung). Bei Registrierungen und Personenauskunftsstellen ist dabei stets ein sehr enger Kontakt zu den benachbarten BOS und dem Veranstalter zu halten, um Doppelarbeiten oder gar Fehlinformationen zu vermeiden.


Bühne und begeisterte Festivalbesucher im Jahr 2017

Einen weiteren Organisationsparameter bildet die Frage, welche BOS bei welchem Szenario die Gesamtführung des Einsatzes übernehmen sollte oder muss. Es klingt banal, bedarf aber eines sensiblen Gesamteinsatzverständnisses: Bei Feuer führt die Feuerwehr, bei Epidemien und Pandemien der Leitende Notarzt und bei Kriminalitätslagen die Polizei. Natürlich sind alle BOS für sich gesehen befähigt, auch größere Lagen zu bewältigen, ein kurzsichtiges, Eigenzuständigkeiten betonendes Nebeneinander ist jedoch nicht geeignet, eine Lagestabilisierung zu erwirken oder das Vertrauen in die Behörden zu stärken. Gefragt sind vielmehr ein professionelles Mit- oder gar Füreinander und die Bereitschaft, sich anderen Entscheidungsträgern unterzuordnen. Entscheidend sind in den meisten Schadenslagen zunächst einmal die Bereitstellung großer Kräfteeinheiten und die Fixierung auf die Kernfrage „Welches Ziel wollen wir BOS gemeinsam in den nächsten ein bis zwei Stunden erreichen?“ Wer hier die Übersicht behält und sich nicht in einer Vielzahl von wenig koordinierten Einzelmaßnahmen verheddert, wird sich das Einsatzleben deutlich erleichtern. Gute Absichten allein reichen aber nicht: Es bedarf zusätzlich des professionellen Krisenmanagements einer durch Übungen vorbereiteten Kooperationsgruppe15. Den Sicherheitsbehörden als Partner für die Lagebewältigung bei Großfestivals darf empfohlen werden, z.B. das Übungsangebot der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) in Bad-Neuenahr-Ahrweiler16 zu nutzen.

 6 Fazit und Ausblick

Das W:O:A gilt als eines der bestorganisierten Festivals in Deutschland. Die in vielen Events bundesweit agierende Produktionsleitung resümiert regelmäßig, dass W:O:A-Veranstalter und Wacken-BOS anderen Festivals weit voraus sind. Dass es angesichts von 100.000 Menschen auf engstem Raum zu einer vergleichsweise kleinen Zahl an Straftaten und Einsätzen kommt, ist zweifellos erfreulich. All das fällt aber nicht vom Himmel, sondern ist über Jahrzehnte durch ein intensives sicherheitsorientiertes Miteinander von BOS und Veranstalter gewachsen. Hierzu zählen u.a. permanente Zusammenkünfte, eine gemeinsame Übungswoche an der AKNZ im Jahr 2014 und eine dislozierte Folgeveranstaltung im Frühjahr 2018.

Von Einsatzerfahrungen unbelastete Menschen – leider auch Polizeibeamte – ziehen zuweilen den falschen Schluss, dass die Polizeistärke bei der grundsätzlichen Friedlichkeit der Lage in Wacken doch wohl übertrieben sei. Ihnen darf entgegnet werden: Die Lage ist nur deshalb so friedlich, weil die Polizei hier kraftvoll und kompetent auftritt. Ein Blick in die Festival-Historie beweist das bedauerlicherweise mehr als deutlich. Im Sinne einer fortgesetzten Sicherheit für Besucher und Aktive kann an dieser Einsatzphilosophie auch nicht gerüttelt werden.

Es ist zu vermuten, dass es auch bei Open-Air-Festivals weiterhin eine abstrakt hohe Gefährdung geben wird. Unsere hedonistische Zerstreuungsgesellschaft lässt andererseits überhaupt keine Anzeichen erkennen, dem Ruf nach Mammut-Freiluft-Veranstaltungen nicht mehr folgen zu wollen. Gewünscht wird dabei ein Höchstmaß an Veranstaltungssicherheit bei gleichzeitig wenig spürbarer Polizeipräsenz oder gar einschüchternder martialischer Optik. Das ist nachvollziehbar, aber nicht immer einfach. Auch hiermit wird sich die Arbeitsgemeinschaft der Festivalbehörden mit fortgesetzter Lagebeurteilung zu befassen haben, um die vereinbarten Sicherheitsstandards zu halten17.

Es wird auch weiterhin ein großes gesamtpolizeiliches Engagement brauchen, um den hohen Erwartungen der Besucher von Großfestivals gerecht zu werden und gleichzeitig den gesetzlichen Auftrag vollumfänglich zu erfüllen. Die W:O:A-Veranstalter sind jedenfalls entschlossen, noch viele Jahre weiterzumachen; sehr zur Freude der Schwermetaller und – man darf es mittlerweile sagen – auch der (Kriminal)Polizei.

Bildrechte beim Autor und bei H. Rolf.

Anmerkungen

  1. Holger Hübner, Veranstalter des W:O:A, in einem Vortrag vor den Polizeiverantwortlichen verschiedener deutscher Open-Air-Musik-Festivals am 11.01.2012 in Itzehoe.
  2. Die Regel-BAO Wacken-Open-Air wird im Mehrschichtensystem sowohl von S- als auch K-Beamten der Laufbahngruppe 2.2 (höherer Dienst) geführt.
  3. BOS: Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.
  4. Dieser Wettereffekt ist nicht typisch für ein Sommerfestival, tritt aber durchaus regelmäßig auf. Das Wacken-Fest kennt auch andere Wetterextreme – große Hitze, wenig Schatten, heftige Sonnenbrände bei zahlreichen Besuchern, Staubwolken, Wassermangel, Dehydrierung, Wespenplagen u.v.m.
  5. Etwa mit den EA Aufklärung, Veranstaltungsschutz, ÖA, Folgemaßnahmen und Verkehr.
  6. Vgl. Ritter, Die Kriminalpolizei 2/2017, S. 26 (Der Einsatzabschnitt Folgemaßnahmen in BAO-Lagen).
  7. Das typische Festivaldelikt „Ticketfälschung“ ist beim Wacken-Open-Air ein eher untergeordnetes Phänomen.
  8. UUA GeSa und Getrako: Unterunterabschnitt Gefangenensammelstelle und Gefangenentransportkommando.
  9. Das benachbarte Ausland (A, CH) teilweise eingeschlossen.
  10. Das W:O:A war 2009 mit einem nie dagewesenen Taschendiebstahlsaufkommen im hohen dreistelligen Bereich betroffen. In 2010 konnte die Zahl halbiert werden, danach gab es Feststellungen in kaum noch relevanter Höhe. Tätergruppierungen hatten sich allerdings auf das noch lukrativere Zeltplündern verlegt.
  11. 2011 in Mayen (RP – Rock am Ring), 2012 in Itzehoe (SH – Wacken-Open-Air), 2013 in Lüchow (NI – Hurricane), 2014 in Tuttlingen (BW – Southside), 2015 in Nürnberg (BY – Rock im Park und Taubertal), 2016 am Chiemsee (BY – Chiemsee-Reggae), 2017 in Hockenheim (BW – Rock’n Heim), 2018 in Cuxhaven (NI – Deichbrand), sowie geplant für 2019 eine Veranstaltung in Österreich (Frequenzy, Nova-Rock u.a.).
  12. Beispielhaft genannt seien Fragen des Personaleinsatzes, des Hausrechts, der Zusammenarbeit mit der Veranstalter-Security, der Videoüberwachung, der Planung und personellen Hinterlegung von Hintergrund-BAOen, die strategische Ausrichtung hinsichtlich besonderer Lageentwicklungen (wie Schadensereignisse oder terroristische Anschläge), die Zusammenarbeit mit BOS und Veranstaltern u.v.m.
  13. Im polizeiinternen Sprachgebrauch gelegentlich auch als „Schatten-BAO“ bezeichnet.
  14. GSGGSK: Größere Schadenslagen und Gefahr größerer Schadenslagen / Katastrophen.
  15. Beim W:O:A besteht die Koordinierungsgruppe aus den Leitern (oder mit notwendiger Prokura ausgestatteten „Verbindern“) der Feuerwehr, des Ordnungsamtes, der Polizei, des Rettungsdienstes und der Security sowie dem Veranstalter, dem Produktionsleiter und dem Leitenden Notarzt. Je nach Anlass sind weitere Personen möglich.
  16. AKNZ: Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Fortbildungseinrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
  17. Bereits 2016 hat eine durch den AK Festivalkriminalität eingesetzte Unterarbeitsgruppe gemeinsame Handlungsleitlinien für die Vorbereitung und Bewältigung von terroristischen Bedrohungslagen erarbeitet.
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