Recht und Justiz

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 176, 184h Nr. 1 StGB – Sexuelle Handlung; hier: Umarmung. § 184b Abs. 3 StGB – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften; hier: Sichverschaffen durch Anfertigung kinderpornographischer Fotoaufnahmen. §§ 306 Abs. 1 Nr. 1, 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Schwere Brandstiftung an gemischt genutztem Wohn- und Geschäftsgebäude; hier: Verrußung. (...)

II Prozessuales Strafrecht

§§ 102, 105 StPO – Durchsuchungsbeschluss; hier: Anonyme Anzeige. Beim Polizeipräsidium ging ein datumsloses und nicht unterschriebenes handschriftlich gefertigtes Schreiben ein. Dieses lautete „Die Pädophilen sind überall. So ist mir bekannt, dass auch in D die Pädophilen ihr Unwesen treiben. Besonders Herr X und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt“. Die zuständige Polizei stellte fest, dass die namentlich benannten Personen tatsächlich existierten, dass aber deren Wohnadresse falsch angegeben worden sei. Die StA hat Auszüge aus dem BZR eingeholt, aus denen sich jeweils ergeben hat, dass dort keine Eintragungen enthalten gewesen sind. Sodann hat sie den Erlass dreier Durchsuchungsbeschlüsse für Wohn- und Geschäftsanwesen der „Beschuldigten“ beantragt. Auf entsprechenden Hinweises des Ermittlungsrichters des AG, dass ein anonymer Hinweis nach der Rechtsprechung des BVerfG in der Regel nicht genüge, einen Anfangsverdacht zu begründen, hat die StA auf ihrem Antrag beharrt; dieser wurde vom AG abgelehnt. Im Wesentlichen begründet die StA ihr Ansinnen damit, dass der Standort eines Computers – „im Keller“ – angegeben worden sei und deshalb die Anzeige über eine pauschale anonyme Anzeige hinausgehe.

Diese rechtfertigen grundsätzlich keinen Anfangsverdacht. Bei der Abwägung, ob in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf, ist auch die Unschuldsvermutung zu beachten. (LG Augsburg, Beschl. v. 12.9.2017 – 1 Qs 339/17)

§§ 102, 105, 163 Abs. 2 S. 1 StPO – Durchsuchungsbeschluss; hier: Anonyme Anzeige; Aktenvollständigkeit und -wahrheit. Nach einem Wohnungseinbruchsdiebstahl ermittelte die Polizei zunächst erfolglos gegen Unbekannt. Dann veranlasste sie einen „Fahndungsaufruf“ in einer Tageszeitung, der auch Informationen zu Tatzeit und Tatort sowie zu Beutestücken enthielt. Sodann meldete sich bei der Polizei ein anonymer Anrufer, der den Beschwerdeführer mit der Tat in Verbindung brachte. Die Identität des Hinweisgebers wurde nicht ermittelt. Stattdessen erwirkte die StA beim zuständigen AG einen Durchsuchungsbeschluss. Dabei war in den dem Gericht vorliegenden Akten kein Hinweis auf den vorhergegangenen öffentlichen Fahndungsaufruf enthalten. Im Beschluss wurde der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer allein auf den anonymen Hinweis gestützt.

Die Durchsuchung hat gegen Art. 13 GG verstoßen, weil sie ohne einen zureichenden Anfangsverdacht erfolgte. Zwar kann dieser grundsätzlich auch durch anonyme Hinweise begründet werden. Diese müssen aber von beträchtlicher sachlicher Qualität sein. Daran fehlte es hier. Der Hinweisgeber bezog sich ausschließlich auf Tatsachen, die durch den öffentlichen Fahndungsaufruf bereits allgemein bekannt waren. Damit verlor die anonyme Anzeige aber nahezu ihr gesamtes Gewicht, denn es war möglich, wenn nicht sogar naheliegend, dass hier ein Unbekannter den Beschwerdeführer zu Unrecht denunzieren wollte. Die Polizei und StA hätten auch dafür Sorge tragen müssen, dass der öffentliche Fahndungsaufruf umgehend zu den Akten genommen wird, damit er dem Ermittlungsrichter bei seiner Entscheidung vorliegt. Dass dies nicht geschehen ist, begründet einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Prinzip der Aktenvollständigkeit, der eine ordnungsgemäße Prüfung durch den Ermittlungsrichter vereitelt hat. (BVerfG, Beschl. v. 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14)

§§ 103, 105 StPO – Durchsuchung bei Dritten; hier: Bekanntgabe und Begründung von Ermittlungsmaßnahmen. Dem von einer Durchsuchungsmaßnahme nach § 103 StPO betroffenen Dritten ist grundsätzlich bei Vollzug der Maßnahme eine Ausfertigung des Anordnungsbeschlusses mit vollständiger Begründung auszuhändigen. Die Bekanntgabe der (vollständigen) Gründe kann in Ausnahmefällen bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs oder entgegenstehender schutzwürdiger Belange des Beschuldigten vorläufig zurückgestellt werden. Die Zurückstellung der Bekanntgabe umfasst jedoch im Regelfall nicht die Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sich die gesuchten Gegenstände in den Räumlichkeiten des Drittbetroffenen befinden. (BGH, Beschl. v. 28.6.2017 – 1 BGs 148/17)

§ 147 Abs. 4 S. 2 StPO – Akteneinsicht; hier: Akteneinsicht in Datenträger mit TKÜ-Aufzeichnungen. Datenträger mit TKÜ-Aufzeichnungen stellen verkörperte Kopien dar, die nicht – aus Gründen des Substanz- und Integritätsschutzes von Beweisstücken – dem Mitgabeverbot unterliegen. Durch die Übergabe eines Datenträgers mit TKÜ-Aufzeichnungen seitens der StA an das Gericht werden diese Aktenbestandteile. Kopien eines solchen Datenträgers sind herausgabefähige Beweisstücke und können als Unterfall der Akteneinsicht dem Verteidiger ausgehändigt werden.

Das bloße Zugänglichmachung von TKÜ-Aufzeichnungen in den Räumen des Polizeipräsidiums verstößt grundsätzlich gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, da dies eine Benachteiligung des Gerichtes und der StA bedeute; notwendige Möglichkeit zur Kenntnisnahme. (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.1.2017 – 1 Ws 348/16)

§§ 249, 250 StPO – Grundsatz der persönlichen Vernehmung; hier: Verlesung von Daten aus einem Mobiltelefon oder einer SIM-Karte. Liest ein Sachverständiger mit Hilfe eines Anwendungsprogramms (gelöschte) Daten aus einem Handy oder einer SIM-Karte aus, die ansonsten nicht zu ermitteln gewesen wären, verstößt die Verlesung allein des die Datengewinnung dokumentierenden Extraktionsberichts und der einzelnen aufgefundenen Daten nicht gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO), auch wenn der Sachverständige selbst nicht angehört worden ist. (BGH, Beschl. v. 29.6.2016 – 2 StR 492/15)

III Sonstiges


Eine informative Darstellung zum Thema: „Die strafprozessuale Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung: Elektronische Überwachungsmaßnahmen mit Risiken für Beschuldigte und die Allgemeinheit“ von Prof. Dr. Frederik Roggan finden Sie in dem StV 12/2017, S. 821-829.

BGH moniert Beweiswürdigung des LG Berlin und kippt Mordurteil für Raser; Urteil v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17; 4 StR 311/17; 4 StR 158/17; erneute Verurteilung wegen Mordes ist möglich, wohl aber unwahrscheinlich.

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