Wissenschaft  und Forschung

Erziehung auf Salafistisch

4 Salafistisches Einflussbegehren auf die Erziehung: Problemlage und Bewertung

Die drei Fallbeispiele zeigen, dass salafistische Akteure punktuell und in verschiedenen Formen versuchen, Einfluss auf die Erziehung von Kindern in salafistischen Haushalten auszuüben.

Was die Inhalte betrifft, so können wir verschiedene Gemeinsamkeiten in Hinblick auf die Erziehungslehre feststellen. Grundsätzlich und entsprechend ihrer Islam-Lesart sehen die Akteure Koran und Sunna als Grundlage der Erziehung an. Damit verbunden ist die Ansicht, dass Erziehung eine große Verantwortung für die Eltern darstellt. Darüber hinaus finden wir in allen Beispielen die Aufforderung an die Eltern, ihren Kindern Liebe zu geben und Zeit mit ihnen zu verbringen. Unterschiede sind vor allem in Hinblick auf den Erziehungsstil und die Haltung zu deutschen bzw. säkularen Institutionen deutlich geworden. Für den Erziehungsstil können wir feststellen, dass Utz und Dabbagh den Gehorsam der Kinder gegenüber ihren Eltern als wichtig erachten. Letzterer scheint zudem körperliche Züchtigung als Mittel zur Erziehung anzuerkennen. Vor allem Dabbagh steht daher für einen autoritären Erziehungsstil. Vogel propagiert in seinen Videos eher einen Erziehungsstil, der auf Geduld und Respekt aufbaut und stark auf Erklärungen und Kommunikation setzt. In Hinblick auf die deutschen bzw. säkularen Institutionen ist vor allem die Haltung zu den Schulen von Bedeutung: Diese werden von Utz und Dabbagh abgelehnt, während Vogel die positiven Aspekte dieser Orte hervorhebt. Insgesamt zeigen die drei Beispiele damit eine gewisse Bandbreite der von salafistischen Akteuren propagierten Erziehung.

Dabei sind vor allem die Ansichten von Utz und Vogel interessant, weil sie, anders als vielleicht zu erwarten wäre, keinen autoritären Erziehungsstil predigen. Vielmehr beschwören sie einen Erziehungsstil, der auf Liebe, Geduld und Respekt aufbaut. Und dies birgt ein gewisses Gefahrenpotential. Denn sie liefern eine besondere Grammatik, mit der den Kindern die salafistische Lebensweise vermittelt werden kann. Hierbei müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Eltern in Deutschland zwar ein Recht und eine Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder haben. Verfassungsrechtlich ist jedoch kein konkretes Erziehungsziel vorgegeben. Vor diesem Hintergrund ist ein Intervenieren des Staates nur in bestimmten Fällen möglich, nämlich dann, wenn das Kindeswohl gefährdet ist – zum Beispiel durch körperliche Bestrafung oder seelische Verletzung. Da Utz und Vogel körperliche Züchtigung zum Beispiel ablehnen, erschwert ihr propagierter Erziehungsstil ein Eingreifen des Staates. In Anbetracht dessen fällt die Beantwortung der Frage, welcher der propagierten Erziehungsstile problematischer ist, nicht so eindeutig aus.

Die Gefahr besteht aber auch in Hinblick auf die Übergänge salafistischer Strömungen. Wenngleich es sich bei den hier vorgestellten Fallbeispielen um Exemplare aus dem Bereich des politischen Salafismus handelt, muss bedacht werden, dass der Übergang zum dschihadistischen Bereich fließend ist. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Kind, das in einem politisch-salafistischen Umfeld aufgewachsen ist, nicht doch irgendwann auch Gewalt einsetzt. Erinnert werden kann an dieser Stelle zum Beispiel an Safia S., die als Kind im Milieu von Pierre Vogel zu beobachten war – als 15-Jährige jedoch mit einem Messer auf einen Bundespolizisten einstach und engen Kontakt zu IS-Mitgliedern pflegte.

Der tatsächliche Einfluss der hier vorgestellten Initiativen und Aktivitäten ist aber auch zu relativieren. Zentral hierfür ist die Frage, wen die Salafisten mit ihren Anliegen erreichen. Wir haben gesehen, dass eine derart offenkundig dem salafistischen Umfeld angehörende Kindertagesstätte, wie die von Dabbagh angestrebte, in Deutschland kaum Möglichkeiten hat, die Betriebserlaubnis zu erhalten. Anders verhält es sich mit Medien wie Büchern oder Lehrvideos, die in Deutschland verbreitet werden können.

Gerade bei Büchern bleibt jedoch zu fragen, wie viele Personen diese wahrhaftig lesen. Und die Klick-Zahlen der YouTube-Videos ergeben ein heterogenes Bild, mit einer Bandbreite von Klick-Zahlen zwischen 100 und 12.000 bei Vogel, Dabbaghs Video wurde 4.000 Mal angeschaut. Darüber hinaus ist anzuzweifeln, dass die meisten der Salafisten die propagierte Erziehungsphilosophie, wie wir sie bei Utz und Vogel finden, umsetzen. Wir haben bislang keine genauen Einblicke in salafistische Familien und die Realität, die sich dort in Hinblick auf Erziehung abspielt. Wir wissen aber, dass Salafisten in der Regel aus problematischen Familienkontexten kommen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Ratschläge von Utz und Vogel in Hinblick auf die Umsetzung an Grenzen stoßen werden. Nichts desto trotz sollte das Einflussbegehren salafistischer Akteure auf die Erziehung und Bildung der Kinder nicht unterschätzt werden. Und schließlich müssen wir uns intensiv mit den salafistischen Familien selbst und ihren praktischen Erziehungsmethoden auseinandersetzen, um dieses Teilphänomen salafistischer Radikalisierung zu verstehen.

Anmerkungen

  1. Dr.Britt Ziolkowski hat Islamwissenschaften, Politikwissenschaften und Iranistik studiert (Magister) und ist zurzeit in der Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus im Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg tätig.
  2. Utz, Aisha 2011: Wie man den Glauben bei Kindern fördert. Riad.
  3. Berücksichtig werden an dieser Stelle folgende Videos: (1) Die Wichtigkeit der Kindererziehung (2) Welche Erziehung ist islamischer (3) Erziehung zu einer starken Persönlichkeit (4) Umgang mit Kindern im Islam (5) Die islamische Jugend braucht Erziehung.
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